Alltagskultur in Geschichte und Gegenwart
Europäische Ethnologie ist eine kulturwissenschaftliche Disziplin, die ihren Blick auf die breite Bevölkerung richtet und damit besonders „nahe am Menschen“ forscht. Den Ausgangspunkt bildet ein weiter Kulturbegriff, bei dem es um das Kulturschaffen als menschliche Fähigkeit der Lebensweltgestaltung geht. Das drückt sich in bestimmten Handlungsmustern ebenso aus wie in Symbolen und Gegenständen. Bezugspunkt bilden die vielgestaltigen alltäglichen Lebens- und Erfahrungsräume in Vergangenheit und Gegenwart.
Ziel ist es, auf diese Weise Einsicht in die Vielfalt von Kulturen sowohl im eigenen Nahraum wie auch in geografisch entfernteren Regionen zu erhalten. Die Spezifik unterschiedlicher Phänomene, beispielsweise Natur-Kultur-Beziehungen, Geschlechterverhältnisse oder im Bereich des Immateriellen Kulturerbes wird dabei stets in ihren historischen Dimensionen, ihren sozialen Verhältnissen und ihren regionalen Ausprägungen analysiert. Auf eine Formel gebracht geht es um das wechselseitige Verhältnis von Kultur – Geschichte – Gesellschaft – Raum. In sogenannten Mikrostudien lässt sich eine Dynamik kultureller Äußerungen erkennen, deren Prozesse in ihrer Dauer und ihrem Wandel, ihren Kontinuitäten und Diskontinuitäten zu verstehen sind. Auf diese Weise leistet die Europäische Ethnologie einen Beitrag zum Verständnis und zur Vermittlung aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen, kultureller Konflikte und Transformationen.
Im Fokus liegen kulturelle Handlungspraxen und Wertvorstellungen, die sich anhand der unterschiedlichsten Bereiche untersuchen lassen. Hierzu gehören beispielsweise Alltags-, Fest- und Freizeitverhalten, Genderrollen, soziale Hierarchien, Machtbeziehungen, Glaubensformen, Konventionen, Rituale oder digitale Kommunikation.
In Bamberg liegen die Forschungsschwerpunkte auf:
- Mensch-Umwelt-Beziehungen und Agro-Food Studies
z.B. Ernährungskulturen, Essverhalten, landwirtschaftliche Produktion, historische und gegenwärtige Natur- und Nachhaltigkeitsvorstellungen - Immaterielles Kulturerbe
z.B. tradiertes Wissen über die Natur, ländliche Lebenswelten, Handwerkstechniken und historische Arbeitsweisen, Bräuche, Feierlichkeiten und Events, mündliche Überlieferungen und Erzählungen - Medizin und Kultur
z.B. historisch-medizinische Entwicklungen, Beziehungen zwischen Ärzten und Patienten, kulturelle Perspektiven auf Krankheit und Gesundheit, Medizin und Geschlecht - Objekte und Museum
z.B. Gebäude, Wohnungen, Kleidung, Geräte, Bilder, Möbel, museale Gegenstände, Objektbiographien
- Wer Enkulturation und Akkulturation in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen rückt, kann fragen: Wie werden Wertvorstellungen sozialer Gruppen (Familie, Dorf, Stadtteil, Berufsgruppe) geprägt? Welche Wechselwirkungen und Mechanismen bestehen zwischen innerer Sozialisation und äußerer Einflussnahme?
- Welche Rolle spielen Machtverhältnisse, z. B. zwischen den Geschlechtern, in Ausbildungs- und Arbeitskontexten, in der medizinischen Versorgung? Welchen Einfluss haben diese auf Normen und damit auf Verhaltensweisen und Lebensstile, aber auch auf gesellschaftliche Veränderungen?
- Fragen nach Kommunikation und Diffusion gehen den Wegen von Wertemustern und Verhaltensregeln nach. Auf welche Weise werden diese vermittelt (Schule, Medien, orale Prozesse, etc.)? Finden dadurch spezifische Lebensstile eine Verbreitung?
- Bieten diese Lebensformen Identifikationsmuster bzw. sind Lebensformen im Verschwinden begriffen, die dem Einzelnen Sicherheit und Orientierung bieten? Wie verändern sich räumliche Bezüge im Zuge der Globalisierung? Wie sind Kulturraum und Identität aneinander gebunden?
- In welchem Rahmen unterliegt der einzelne Mensch mit seinen kulturellen Äußerungen gruppenspezifischen sozialen Bedingungen? Welche individuell-kreativen Möglichkeiten sind ihm eingeräumt, d. h. wie beeinflussen sich Gruppe und Individuum gegenseitig?
- Ist der Einzelne an kollektive Geschmacksvorstellungen gebunden? Wie verhalten sich Kreativität und Kulturindustrie, auch in Zusammenhang mit ökonomischen Prozessen und Kommodifizierung zueinander?
- Welche Funktion und Bedeutung für soziale, gesellschaftliche Systeme kann man hinter den kulturellen Objektivationen und Subjektivationen erkennen?
- In welchen Zeichen und Symbolen verdichtet sich die Bedeutung kultureller Wertsysteme?
Die Alltagskultur erforschen wir hauptsächlich mittels qualitativer Verfahren wie
- historische Quellen analysieren und interpretieren;
- gegenwartsbezogene empirische Verfahrensweisen der Europäischen Ethnologie anwenden,
z. B. qualitatives Interview, Teilnehmende Beobachtung, Feldforschung, Social-Media-Analysen; - auf bestimmte Forschungsfelder abgestimmte Methoden wie Filmanalysen, narrative Raumkarten, partizipative Ansätze.
All diese Herangehensweisen verlangen ein intensives Interesse für Menschen in all ihren Lebensformen und -welten. Damit wir deren Alltagskultur rekonstruieren können, ist ein hoher Grad der Teilnahme und Einfühlung, ebenso wie eine erkundend-forschende Auseinandersetzung mit dem Vertrauten und dem Unbekannten nötig. Diese reflektierte Auseinandersetzung führt schließlich zu einem Verstehen von „fremden“, „anderen“ Denk- und Handlungsweisen.
Unser Fach Europäische Ethnologie trägt an deutschen Universitäten auch andere Namen, z.B.
- Empirische Kulturwissenschaft
- Kulturanalyse
- Kulturanthropologie
- Vergleichende Kulturwissenschaft
Unsere Fachgesellschaft, die Deutsche Gesellschaft für Empirische Kulturwissenschaft (DGEKW), vermerkt dazu:
„In der Vergangenheit hieß es Volkskunde, was nur noch an wenigen Universitäten als Zweitbezeichnung erhalten geblieben ist. Kaum ein anderes Fach pflegt einen so reflexiven und kritischen Umgang mit der eigenen Fachgeschichte, den epistemologischen Grundlagen kulturwissenschaftlicher Forschung, den Gegenständen und Methoden sowie mit dem eigenen Selbstverständnis wie die Volkskunde/Empirische Kulturwissenschaft/Kulturanthropologie/ Europäische Ethnologie/Kulturanalyse.
In vielen programmatischen Beiträgen haben sich Kolleginnen und Kollegen dabei immer wieder auch mit der Bezeichnung unserer Disziplin auseinandergesetzt. Zahlreiche Institutionen (etwa Hochschulinstitute, Forschungseinrichtungen, regionale Verbände und Vereine oder Museen) haben sich in den vergangenen Jahrzehnten in ihren Benennungen vom Begriff ,Volkskundeʻ abgewandt. Dabei ist die Pluralität der neuen Bezeichnungen – des bisweilen sogenannten ,Vielnamenfachsʻ – zwar zumindest für Außenstehende häufig hinderlich, respektiert aber letztlich auch die unterschiedlichen individuellen Profile von Institutionen und Standorten.“
Quelle: https://dgekw.de/kv-umbenennung-der-deutschen-gesellschaft-fuer-volkskunde-dgv/
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