Wikis in Organisatonen

„Kollaborative“ Plattformen, bei denen Inhalte gemeinsam editiert, verändert und diskutiert werden können, befinden sich seit einiger Zeit im Aufwind.
Vorbild ist die gemeinsam erstellte und mittlerweile in vielen Sprachen produzierte Enzyklopädie Wikipedia. Auch Unternehmen und andere Organisationen überdenken den Einsatz dieser Form von Social Software. Wie und unter welchen Bedingungen wird diese Neuerung in Organisationen aufgegriffen und in die kommunikativen Praktiken übernommen? Mit diesen und anderen Fragen beschäftigen sich Kommunikationswissenschaftler und Informatiker der Universität Bamberg. Durchgeführt wird das von der VolkswagenStiftung geförderte Projekt von der Forschungsstelle Neue Kommunikationsmedien (Prof. Dr. Anna Theis-Berglmair) und dem Lehrstuhl für Angewandte Informatik in den Kultur-, Geschichts- und Geowissenschaften (Prof. Dr. Christoph Schlieder).

Rekursive Innovationsprozesse

Die klassische Innovationsforschung ist stark von dem Phasenmodell Rogers beeinflusst, das den Innovationsprozess als lineare Abfolge von von Forschung, Entwicklung, Produktion und Vermarktung von Produkten oder Diensten beschreibt. Wie jüngste Beispiele der Softwareentwicklung zeigen, erfolgt er aber häufig rekursiv. Produkte und Dienste verbleiben hier ständig in einer Phase der fortwährenden Weiterentwicklung, bekannt als Perpetual Beta.

Ein derartiger rekursiver Innovationsprozess ist auch für zahlreiche neue Kommunikationsmedien erkennbar. Zu den bekanntesten Plattformen dieser Art zählen Wikis, deren prominentester Vertreter in der Öffenlichkeit die freie Enzyklopädie Wikipedia ist. Unternehmen und Organisationen dagegen haben erst seit Kurzem damit begonnen, Wikis einzusetzen. Ob sich diese Kommunikationsmedien auch hier durchsetzen können und unter welchen Bedingungen dies geschieht, ist derzeit eine offene Frage.

Wikis als Kooperationsplattform

In den kommenden zwei Jahren gehen die Forscher insbesondere folgenden Fragestellungen nach: Sind klassische Innovationsmodelle auf neue Kommunikationsmedien anwendbar? Was sind die Bedingungen, unter denen Wikis in Organisationen zu (erfolgreichen) Innovationen werden? Wie verändern sich die Netzwerkstrukturen von Wikis und das Verhalten deren Nutzer im Zeitverlauf? Inwieweit bieten Wikis eine neue Qualität der Kooperation in Organisationen? Verändern sich damit formale Organisationsstrukturen?

Das interdisziplinäre Forschungsprojekt untersucht in qualitativer wie quantitativer Hinsicht diese Fragestellungen. Als theoretische Basis dient die von Luhmann entwickelte Theorie sozialer Systeme, die bereits fundierte Erklärungen für Rekursivität verschiedenster Art liefert. Dementsprechend werden Wikis als Kommunikationsmedien betrachtet, die die selbstreferentielle Reproduktion (Autopoiesis) von Organisationen auf Basis von Kommunikation unterstützen. Zu ihrer Untersuchung bietet die Kommunikationswissenschaft qualitativ-wissenschaftliche Methoden wie Experteninterviews, teilnehmende Beobachtungen und standardisierte Befragungen.

Softwarewerkzeuge für die empirische Sozialforschung

Das Projekt strebt die Entwicklung einer theoretisch fundierten Klassifikation organisationaler Wikis sowohl nach sozialen als auch nach technischen Gesichtspunkten an, um auf diese Weise den Prozess von der Erfindung bis hin zur Innovation nachvollziehen zu können. Dies beinhaltet die Modellierung der Wikis in Form von Mehrschichtnetzwerken. Einerseits können aus den formellen und informellen Organisationsstrukturen soziale Netzwerke abgeleitet werden. Andererseits lassen sich bestimmte Netzwerke anhand der technischen Struktur der Wikis direkt ablesen (z.B. Autoren-,
Dokumenten- und Diskussionsnetzwerke).

Seitens der Informatik kommen die im Rahmen des COM-Projektes (Communication-oriented Modelling) entwickelten Konzepte zum Einsatz (u.a.
Sichtbarkeitsmaße in Dokumentennetzwerken). Diese werden im Projekt an die besonderen Erfordernisse von Wikis angepasst und weiterentwickelt. Die quantitativ-wissenschaftlichen Methoden beinhalten damit computerbasierte Analysen (z.B. Page-Rank-Algorithmen) von Hyperlink-Topologien, Änderungshistorien und Ko-Autoren-Netzwerken.

Kurzinformationen zum Projekt