Forschungsprojekt des Quartals

Digitales Lernen in der beruflichen Bildung wirksam gestalten – Das Projekt tabletBS.dual

Projektleitung: Prof. Dr. Karl-Heinz Gerholz

Förderung: Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg

Inhalt und Ziele

Die Gestaltung digitaler Lernprozesse und darauf abgestimmter Lehrprozesse ist ein gesellschaftlich relevanter Forschungsbereich. Die digitale Transformation führt nicht nur zu Veränderungen der Geschäftsprozesse in Unternehmen und damit neuen Kompetenzanforderungen an die Mitarbeiter. Auch im gesellschaftlichen Zusammenleben ändern sich Handlungsweisen durch die digitalen Möglichkeiten. Berufliche Bildungsprozesse müssen diese Veränderungen aufgreifen. Dabei geht es um zwei Fragestellungen: Einerseits geht es darum, berufliche Bildungsprozesse mit Hilfe digitaler Technologien wie Tablets und Apps zu unterstützen (z. B. Visualisierungsmöglichkeiten). Es geht um die Medienperspektive. Andererseits sollen die Lernenden in beruflichen Bildungsprozessen durch den Tablet-Einsatz auf die sich verändernden Anforderungen in ihren zukünftigen beruflichen Handlungsfeldern vorbereitet werden. Es geht um die Handlungsperspektive, indem mit digitalen Medien die sich zukünftigen Arbeitsanforderungen in der Unterrichtsarbeit simuliert werden (z. B. virtuelle Kommunikation).

Das Projekt tabletBS.dual ist ein Schulversuch des Bundeslandes Baden-Württemberg zum Tablet-Einsatz in anerkannten Ausbildungsberufen nach Berufsbildungsgesetz bzw. Handwerksordnung mit über 50 involvierten Berufsschulen. Die wissenschaftliche Begleitung von tabletBS.dual ist als Design-Research-Ansatz verankert. Zielstellung ist es, Unterrichtssequenzen mit dem Einsatz von Tablets für die berufsschulische Bildung zur Förderung berufsfachlicher und überfachlicher Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler zu entwickeln. Es geht um Unterrichtsentwicklung im Zuge der digitalen Transformation. Hierbei werden die Medien- und Handlungsperspektive gleichermaßen berücksichtigt, indem die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auf dem LERN-Modell zur Gestaltung digitaler Lernprozesse basieren. Hierbei geht es um problembasierte Lernumgebungen, in denen digitale Medien sowohl zur Simulation beruflicher Anforderungen als auch zur Lernprozessunterstützung zum Einsatz kommen.

 

Methode

Die Wirkungen des Tablet-Einsatzes im Unterricht werden im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung anhand zweier Evaluationskonzepte erfasst, welche ausschließlich digital durchgeführt werden.

Evaluationskonzept 1 zielt auf die Erfassung des Lern- und Kompetenzerlebens der Schülerinnen und Schüler im realisierten Unterrichtssequenzen mit Tablets in der dualen Ausbildung. Der jeweilige Tablet-Unterricht bzw. die entwickelten Lernsituationen stehen im Mittelpunkt der Evaluation und welche Wirkungen von diesem auf das emotional-motivationale Erleben der Schülerinnen und Schüler und deren Handlungserleben ausgehen. In Evaluationskonzept 2 wird stärker der Unterrichtsalltag mit Tablets betrachtet. Im Vergleich zu Evaluationskonzept 1 geht es darum, einen breiteren Blick auf die Unterrichtsarbeit mit digitalen Medien zu werfen. Dies wird über eine längere Erhebungsphase in einem Zeitraum von vier Wochen umgesetzt. In dieser Phase wurde auch jeweils der Tablet-Unterricht durchgeführt. Bei beiden Evaluationskonzepten kommen Prozessanalysen zum Einsatz, um das emotional-motivationale Erleben der Schülerinnen und Schüler tiefergehend erfassen zu können. Es geht hierbei nicht um die Frage der Überlegenheit eines digitalen Mediums (z. B. Tablets), sondern unter welchen didaktischen Bedingungen digitale Medien einen wirksamen Beitrag zur Unterstützung bei der Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler beitragen können.

Erste Ergebnisse

(1) Ankunft im Unterrichtsalltag: Tablets bzw. digitale Medien sind im Unterrichtsalltag angekommen und unterliegen auch keinen Neuigkeitseffekten. Die Schülerinnen und Schüler erleben Lernerlebnisse mit digitalen Medien oder kombiniert mit digitalen und traditionellen Medien wirksamer als mit rein traditionellen Medien.

(2) Wirksamkeit von Tablet-Unterricht: Die digitale Selbstwirksamkeit ist bei den Schülerinnen und Schülern vergleichsweise hoch ausgeprägt und statistische Analysen zeigen, dass sich die digitale Selbstwirksamkeit mit zunehmendem Einsatz von Tablets positiv weiterentwickelt. Insbesondere bei der Kontrollphase der Lernhandlung können digitale Medien im Kontext des Projektes tabletBS.dual eine Wirksamkeit aufgrund interaktiver und kompetitiver Elemente erreichen (Positive Aktivierung (N = 116): F(3.255) =10.296, p = .00; siehe Abbildung 2).

3) Die Qualität der didaktischen Materialien hat einen hohen Einfluss auf den Erfolg von digitalem Lernen. Die Analysen der wissenschaftlichen Begleitung zeigen auf, dass Tablets hauptsächlich als Substitution zu traditionellen Medien eingesetzt werden und noch wenig als Simulationswerkzeug für die zukünftigen Handlungsanforderungen im Betrieb. Letzteres ist aber zu empfehlen, da die statistischen Analysen aufzeigen, dass die Schülerinnen und Schüler ein positiveres emotional-motivationales Erleben aufweisen, wenn mit Hilfe der Tablets die zukünftigen Handlungsanforderungen in problembasierten Lernumgebungen simuliert werden (t = -2.653, p = .009, n = 104).

Gesellschaftliche Relevanz und Nutzungsmöglichkeiten der bisherigen Ergebnisse

Im Zuge der digitalen Transformation verändern sich Geschäfts- und Arbeitsprozesse, wodurch neue Anforderungen an das Bildungssystem entstehen. Insbesondere in der beruflichen Bildung wird das Erfordernis deutlich, digitale Medien in den Unterricht zu integrieren, um Auszubildende auf die zukünftigen Anforderungen der Arbeitswelt optimal vorzubereiten.

Auf schulischer Ebene wird das Phänomen der digitalen Transformation schwerpunktmäßig aus der Medienperspektive diskutiert: Welchen Beitrag leisten digitale Medien zur Lernprozessunterstützung? Empirische Ergebnisse hierzu sind ernüchternd: Es zeigen sich häufig Novellitätseffekte und die didaktischen Gestaltungsparameter sind verstärkt in den Blick zu nehmen. Für die berufliche Bildung ist die fachdidaktische Bewältigung der digitalen Transformation ein bisher noch wenig strukturiertes Problem. Das Projekt tabletBS.dual leistet hierzu einen Beitrag, konkrete didaktische Orientierungen für die Gestaltung digitaler Lernprozesse in der beruflichen Bildung zu geben.

 

Projektteam:

Prof. Dr. Karl-Heinz Gerholz

Sebastian Ciolek

Hannes Reinke

Anne Wagner

Aktuelle Publikationen und Vorträge

Gerholz, K.-H., Ciolek, S. & Wagner, A. (2019). Didaktische Wirksamkeit von Tablet-Unterricht an beruflichen Schulen. Empirische Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung von tabletBS.dual. BWP-Tagung 2019, 25. – 27. September 2019, Graz.

Gerholz, K.-H., Ciolek, S. & Wagner, A. (2019). How effective is the usage of digital media in school lessons? A design research study in the German VET-System. WERA focal meeting,6.-8. August 2019, Tokyo.

Gerholz, K.-H. & Dormann, M. (2017). Ausbildung 4.0: Didaktische Gestaltung der betrieblich- beruflichen Ausbildung in Zeiten der digitalen Transformation. bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 32, 1-22.

Gerholz, K.-H. (2019). Ziemlich beste Freunde. Blicke in die wissenschaftliche Begleitung von tabletBS.dual. Kolloquium für SchuleiterInnen an gewerblichen Schulen in Baden-Württemberg, 05. April 2019, Esslingen

Gerholz, K.-H., Wagner, A. & Ciolek, S. (2019). Gestaltung von Tablet-Unterricht in der digitalen Transformation. Erste Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung von tabletBS.dual in Baden-Württemberg. 6. Chinesisch-deutsche Konferenz zur Berufsbildungsforschung, 7.-8. März 2019, Gießen