Lehre und Tagungsbeiträge

Wintersemester 2022/23

Der Artusroman am Beispiel von Chrétien de Troyes, „Erec et Enide“ und Hartmann von Aue, „Erec“ (HYBRID)

D‘Erec, le fil Lac, est li contes,
Que devant rois et devant contes
Depecier et corronpre suelent
Cil qui de conter vivre vuelent.
Des or comancerai l’estoire
Qui toz jorz mes iert an memoire
Tant con durra crestiantez;
De ce s’est Crestiiens vantez.

[Von Erec, dem Sohn Lacs, handelt die Erzählung, welche die Leute, die vom Geschichtenerzählen leben wollen, vor ihrem Publikum von Königen und Grafen auseinanderzureißen und zu verderben pflegen. Sogleich will ich die Geschichte beginnen, die alle Tage in der Erinnerung der Leute bleiben soll, solange die Christenheit besteht; dessen hat Chrétien sich gerühmt.]

Um 1160 verfasst Chrétien de Troyes seinen Artusroman „Erec et Enide“, der noch heute zu einem der populärsten Texte der hochmittelalterlichen Literatur in Europa gehört. Eindrücklich schildert Chrétien im Prolog, wie der Erec-Stoff in der mündlichen Überlieferung ständigen (korrumpierenden) Veränderungen ausgesetzt ist. Exemplarisch wollen wir im Seminar solche Überarbeitungsprozesse in Hartmanns von Aue „Erec“ beleuchten: Im mittelhochdeutschen Text, der Ende des 12. Jahrhunderts entstanden ist, begegnet man zwar demselben Figurenpersonal und einer ähnlichen Handlung wie in der altfranzösischen Vorlage. Trotzdem handelt es sich um ein Werk, das ganz andere inhaltlicher Schwerpunkte als Chrétien setzt.

Indem wir im Seminar eine interkulturelle, komparativ-mediävistische Perspektive einnehmen, wollen wir diesen unterschiedlichen Bearbeitungen des Erec-Stoffs auf die Spur kommen und dabei die interlingualen Kulturbeziehungen im europäischen Hochmittelalter fokussieren. Ergänzend werden wir die handschriftliche Überlieferung der Artusliteratur in den Blick nehmen. Handschriften sind die zentralen Überlieferungsträger mittelalterlicher Literatur und sind damit einmalige materielle Zeugnisse, die Auskunft über die Überlieferung von Literatur und den Rezeptionsgewohnheiten der Vormoderne geben. Die Studierenden erhalten dabei die Möglichkeit sich das methodologische Handwerkszeug im Umgang mit Handschriften sowie der handschriftlichen Überlieferung anzueignen. Auch hier werden wir interdisziplinär arbeiten und sowohl romanistische als auch germanistische Ressourcen kennenlernen.

Das Seminar ist für Romanist*innen und Germanist*innen geöffnet. Wir lesen die französische bzw. deutsche Bearbeitung des Erec-Stoffs und erarbeiten dabei gemeinsam komparative Zugriffe, die insbesondere auch die handschriftliche Überlieferung fokussiert. Damit ist der Kurs sowohl als Einführung in die höfische Literatur (insb. für Romanist*innen) als auch als methodologische Ergänzung zum Grundstudium in der ÄdL (insb. für Germanist*innen) konzipiert. Chrétien de Troyes, „Erec et Enide“ und Hartmann von Aue, „Erec“ sind Bestandteil des Prüfungskanons im Bayerischen Staatsexamen für Französisch bzw. Deutsch.

Hybrides Seminar: geplant ist, dass das Seminar in einem hybriden Modus stattfinden wird. Wir werden uns regelmäßig online treffen und sofern die pandemische Lage es zulässt, uns an einem Projekttag (an einem Mittwoch) in Präsenz treffen (inklusive Besuch in der Staatsbibliothek Bamberg).

Termine: Mi 10:15-12:00 Uhr, jeweils online; Termin für den Workshop in Präsenz wird noch angekündigt.

Voraussetzung: Bereitschaft sich mit mittelalterlichen Texten und Handschriften auseinanderzusetzen, in einem hybriden Format zu arbeiten und kollaborativ mit Studierenden aus anderen Fachbereichen zusammenzuarbeiten. Kenntnisse des Altfranzösischen und Mittelhochdeutschen sind willkommen, aber nicht erforderlich.

Sommersemester 2022

Cultures de traduction au début de l'époque moderne / 
Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit

Alyssa Steiner, PS/Ü Französische Literatur- und Kulturwissenschaft
(in deutscher und französischer Sprache)

En 1509, l'humaniste Claude de Seyssel adresse au roi Louis XII un vibrant éloge des traductions de textes latins. Selon lui, une nouvelle littérature nationale française pourrait être fondée sur cette base, qui n'aurait rien à envier à ses modèles classiques.

La prise de position courageuse de de Seyssel reste longtemps inconnue, car elle n'a été publiée que cinquante ans plus tard, mais elle marque un tournant important dans la littérature de traduction des débuts de l'époque moderne, qui „als großes Experimentierfeld […], die verschiedenen Möglichkeiten des Übersetzens, von der ängstliche originalgehörigen bis zur resolut einbürgernden, von der pedantisch, archaisierenden bis zur anachronistisch modernisierenden Art und Weise ausprobiert […]“ (Von Stackelberg 1971). Afin de situer la pratique et la théorie de la traduction en Europe du point de vue des sciences de la littérature et de la culture, nous utiliserons le Français comme langue source et cible de la littérature de traduction au début de l'époque moderne qui, à partir du milieu du XVe siècle, produit des best-sellers dans toute l'Europe avec l'apparition de l'imprimerie (par ex. La Nef des fols, 1494–1519), connaît son apogée dans la première moitié du XVIe siècle (ex. Maniere de bien traduire d'une langue en autre d'Étienne Dolet, 1540) et finit par décliner au profit des nouvelles poésies françaises des auteurs de la Pléiade (ex. Défense et illustration de la langue française de Joachim Du Bellay, 1549). Dans ce séminaire bilingue, les étudiant*e*s réfléchiront à la terminologie de la traduction en allemand et en français, en discuteront en allemand et en français et auront l'occasion de traduire eux*elles-mêmes. Partant du principe qu'une traduction ne peut jamais transférer une œuvre telle quelle dans une autre langue (cf. Venuti 2019), nous réfléchirons, à partir de trois questions centrales (qui traduit, que traduit-on et comment ?), non seulement à la lecture de textes traduits et d'écrits théoriques sur la traduction, mais aussi à notre propre approche de la traduction en tant que défi méthodologique central de la pratique littéraire et culturelle.

Prérequis: participation active pendant le séminaire et volonté de lire des textes en allemand, français et anglais.

*

1509 adressiert der Humanist Claude de Seyssel eine flammende Lobrede auf Übersetzungen lateinischer Texte an König Louis XII. Auf ihrer Grundlage könne eine neue französischen Nationalliteratur begründet werden, welche ihren klassischen Vorbildern in nichts nachzustehen habe, so der humanistische Gelehrte.

            Zwar bleibt de Seyssels beherzte Positionsnahme lange unbekannt, weil sie erst fünfzig Jahre später veröffentlicht wurde, sie bezeichnet aber einen wichtigen Wendepunkt in der frühneuzeitlichen Übersetzungsliteratur, welche „als großes Experimentierfeld […], die verschiedenen Möglichkeiten des Übersetzens, von der ängstliche originalgehörigen bis zur resolut einbürgernden, von der pedantisch, archaisierenden bis zur anachronistisch modernisierenden Art und Weise ausprobiert […]“ (Von Stackelberg 1971). Um die vielseitige Übersetzungspraxis und -theorie in Europa literatur- und kulturwissenschaftlich einzuordnen, dient uns im Seminar der französischsprachige Raum sowohl als Ausgangs- wie auch als Zielkultur als Ausgangspunkt der frühneuzeitliche Übersetzungsliteratur, die ab Mitte des 15. Jahrhunderts mit dem aufkommenden Buchdruck europaweite Bestseller produziert (bspw. das Narrenschiff), in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ihre Blütezeit erlebt (bsp. Étienne Dolets Maniere de bien traduire d’une langue en autre, 1540) und schließlich zugunsten der neuen französischen Dichtungen der Autoren der Pléiades einen Rückgang erlebt bsp. Joachim Du Bellays Défense et illustration de la langue française) Im zweisprachig konzipierten Seminar werden die Studierenden deutsch- und französischsprachige Übersetzungsterminologie reflektieren, auf Deutsch und Französisch diskutieren und Gelegenheit erhalten selbst zu übersetzen. Ausgehend von der Annahme, dass eine Übersetzung ein Werk nie unverändert in eine andere Sprache transferieren kann (vgl. Venuti 2019), werden wir anhand dreier Leitfragen (wer übersetzt, was und wie wird übersetzt?) neben der Lektüre zentraler übersetzter Texte und übersetzungstheoretischer Schriften also auch unseren eigenen Umgang mit Übersetzung als zentrale methodische Herausforderung literatur- und kulturwissenschaftlicher Praxis reflektieren.

Voraussetzung: Aktive Teilnahme während der Seminarsitzungen und die Bereitschaft Texte auf Deutsch, Französisch und Englisch zu lesen.

Sommersemester 2020

Unmögliche Liebe: Trobadorlyrik, Minnesang und ihre Weiterentwicklungen

Alyssa Steiner gemeinsam mit Clemens Odersky

Die unerfüllte, nicht realisierbare Liebe zieht sich als Topos durch die Liebeslyrik der mittelalterlichen Volkssprachen bis in die Renaissance. Die okzitanischen Trobadors, die nordfranzösischen Trouvères sowie die mittelhochdeutschen Minnesänger besitzen ihren eigenen unverwechselbaren Horizont, der sie von den Liebesdichterinnen und -dichtern der folgenden Epochen grundlegend abhebt. Ausgangspunkt des Seminars soll daher die höfische Liebe – fin’amor bzw. die ‚hohe Minne‘ – und ihre Dichtung über unerwiderte Zuneigung des ‚Ichs‘ zum Objekt seiner Begierde sein. Anhand eines komparativen Ansatzes sollen deutsche, französische, okzitanische und italienische Liebeslyrik parallel zueinander in den Blick gefasst werden, um einerseits gemeinsame Traditionslinien zu identifizieren, andererseits Bruchstellen herauszuarbeiten. Darüber hinaus soll untersucht werden, wie diese Formen und Themen der Liebeslyrik in anderen Sprachen und Kulturen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit aufgegriffen und weiterentwickelt werden. Hier wollen wir unter anderem Lyriker aus dem Prüfungskanon für das erste Staatsexamen (Walter von der Vogelweide, Petrarca, Ronsard) behandeln. Wir betrachten Kontinuitäten und Differenzen der Liebeslyrik und reflektieren interdisziplinär die unterschiedlichen Forschungsdiskurse, um mit dem Austausch je ein erweitertes Verständnis in Romanistik und Germanistik zu erhalten.

Kenntnisse der alten Sprachstufen sind vorteilhaft, aber nicht erforderlich. Neben den Texten in Mittelhochdeutsch, Altfranzösisch usw., werden zur interdisziplinären Textarbeit auch Übersetzungen zur Verfügung gestellt.

Zur vorbereitenden Lektüre wird bspw. empfohlen: Bergner, Heinz, Hrsg. Lyrik des Mittelalters: Probleme und Interpretationen. Stuttgart: Reclam, 1983. 2 Bände.

Vergangene Semester

SS 2021: Proseminar II: Bamberger Buchinnovation: Spätmittelalterliche Literatur in Albrecht Pfisters Offizin

WS 20/21: Proseminar II: ‚o du ruowender got an minen brústen! Ane dich nút wesen mag!‘ – Frauen und Mystik im 13. Jahrhundert

SS 2020: Seminar/Übung: Unmögliche Liebe: Trobadorlyrik, Minnesang und ihre Weiterentwicklungen (zusammen mit C. Odersky)

WS 19/20: Proseminar II: Sebastian Brant, Narrenschiff

Tagungsbeiträge

Juli 2021: ‚It's Always Sunny in Narragonia: Meteorological Foolishness in Sebastian Brant's Ship of Fools‘, Panel: Nasty Weather in a Nutshell: The Function and Handling of Bad Weather in Pre-Modern Short Epics, Leeds IMC, University of Leeds.

Juni 2021: 'The ‘Ship of Fools’ as Devotional Literature: Biblical Intertext in the Middle Low German. ‘narren schyp’ (Lübeck 1497).’ Workshop: New Directions in Medieval Studies on Religious Literature, Georg-August Universität Göttingen.

Mai 2021: ‚Von Narren und Närrinnen: Eine genderspezifische Perspektivierung der europäischen Narrenschiffbearbeitungen‘, Ringvorlesung ‚Sebastian Brant und der frühe Buchdruck in Basel. Zum 500. Todestag eines humanistischen Gelehrten‘, Universität Basel.

Mai 2021: ‚Sebastian Brant’s Ship of Fools in German and English Collections‘, gemeinsam mit Alexandra Franklin (Bodleian Library, Oxford), Henrike Lähnemann (Universität Oxford), Bettina Wagner (Staatsbibliothek Bamberg) und Susan Reed (British Library, London). URL: https://www.youtube.com/watch?v=8g3z6k4CSUg .

Mai 2020: 'Von boesen frowen, die Männer zum Narren halten: Vergeschlechtlichte Narrenkonzeptionen in Sebastian Brants Narrenschiff‘. O Colloquium (OFFG Redux): Virtuelles Graduiertentreffen Germanistische Mediävistik, University of Oxford.

Januar 2020: ‚Sebastian Brants Narrenschiff: Intersektionalität bimedial denken (Workshop)‘ am interdisziplinären und internationalen Workshop Intersectionality & Medieval Sources – Identity, Politics and Academia an der Universität Bayreuth, Bayreuth.

Dezember 2019: ‚Hassrede im Heiligen Land: Anti-Islamische Polemik in Bernhards von Breidenbach Peregrinatio in Terram Sanctam'. Interdisziplinäres mediävistisches Kolloquium der Universitäten Bamberg, Bayreuth, Gießen, Chemnitz, Karlsruhe & Braunschweig, Universität Bayreuth, Bayreuth.

April 2019: ‚Bodily Deviance and the Establishment of Narrative Dominion in Herzog Ernst (B)’. 2019 Oxford Medieval Graduate Conference, University of Oxford, Oxford.

März 2019: ‚Das Text-Bild-Verhältnis in Albrecht Pfisters Ackermann aus Böhmen-Druck im Kontext der Buchproduktion des 15. Jahrhunderts’. Pragestt, 9. Prager Germanistische Studententagung, Karls-Universität, Prag.

März 2018: ‚sô swîge ich rehte als ein stumme – Der schweigende Minnesänger bei Heinrich von Morungen und die Frage nach dem minnebedingten Schweigen in der hohen Minne’. Pragestt, 8. Prager Germanistische Studententagung, Karls-Universität, Prag.