Grundfragen religiöser Bildung: Exkursion nach Taizé

„Taizé - The Sound of Silence“:

ein studentischer Erfahrungsbericht über Seminar und Exkursion im SoSe 2015

„Man kommt nach Taizé wie an den Rand einer Quelle. Der Reisende hält an, löscht seinen Durst und setzt den Weg fort.“

Mit diesen Worten richtete sich Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch in Taizé im Jahre 1986 an die dort versammelten Jugendlichen. Taizé scheint also ein Ort zu sein, welcher den „Reisenden“ neue Kraft bei ihren Tun und Handeln verleiht. Doch aus welchem Grund übt dieser Ort so große Faszination auf Jugendliche aus ganz Europa aus und was können sie von dort „mitnehmen“? Diese Frage stellten sich 16 Studierende des Instituts für Katholische Theologie und besuchten das Seminar mit dem Titel  „Taizé als Lernort für religiöse Bildung?“, welches mit einem theoretischen Teil in Bamberg und einer Woche „vor Ort“ in Taizé verbunden war.

Unter der Leitung von StRin Katharina Höger trafen sich die Studenten und Studentinnen an zwei Wochenenden, um gemeinsam dem „Geheimnis von Taizé“ näherzukommen. Dabei wurden unter anderem die Gründerfigur Roger Schutz und sein theologisches Denken, das Ökumeneverständnis der Brüdergemeinschaft und die Bedeutung von Spiritualität, Gebet und Musik sowie die Bibelarbeit in Taizé thematisiert. Einblicke in empirisch-religionspädagogische Jugendstudien und Modelle religiöser Bildung ermöglichten eine Einschätzung, welche Jugendlichen sich von Taizé angezogen fühlen (und auch welche nicht) und inwiefern Taizé Lernort für Spiritualität und religiöse Bildung sein kann. Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde den Teilnehmer/innen jedoch bewusst: Die Faszination Taizé lässt sich erst vor Ort erfahrbar machen –  und so machten sie sich am frühen Morgen des Pfingstmontags auf den Weg ins französische Burgund. Viele der Seminarteilnehmer/innen waren zum ersten Mal in Taizé und dementsprechend sehr gespannt, was sie die Woche erwarten würde, an der sie im Rhythmus der Brudergemeinschaft mitleben durften.

Der Tagesablauf in Taizé ist klar strukturiert durch die drei Gebetszeiten morgens, mittags und abends, wobei sich das Gebet in Taizé von den gewohnten Gottesdienststrukturen deutlich unterscheidet. So gibt es in Taizé keine Kirchenstühle, sondern alle Kirchenbesucher sitzen am Boden und inmitten unter ihnen – ebenfalls auf einen Gebetshocker im vorderen Bereich der Kirche am Boden kniend – finden sich die Brüder der Gemeinschaft ein. Der Altarraum vorne ist in einfacher, aber beeindruckender Weise mit Kerzen, einem Kreuz und orangefarbenen Tüchern geschmückt. Auf ihn richten sich die Blicke. Im Zentrum des Gebets stehen neben der Schriftlesung Gesänge, welche meist sehr kurz sind und mehrmals wiederholt werden, so dass sie immer wieder in einem nachhallen und man sie spätestens nach zwei Tagen auswendig kann. Wichtiger Teil eines jeden Gebetes ist es, dass für ca. zehn Minuten absolute Stille für das persönliche Gebet herrscht. In der Pfingstwoche waren an die 3.000 Jugendliche in Taizé, so dass dieser Moment tief beeindruckend für die Teilnehmer/innen war. Auch die Kreuzverehrung im Gebet am Freitagabend und die Lichterfeier am Samstag gehören zu den besonderen Momenten dieser Woche.

Zwischen den Gebetszeiten findet sich Zeit für Bibeleinführungen, persönliches Nachdenken im Bereich der „Quelle“, thematische Workshops oder Arbeitsdienste. Jährlich kommen Tausende Jugendliche nach Taizé, und um einen reibungslosen Tagesablauf zu garantieren, müssen von allen Besucher/innen Arbeiten wie Kochen, Essensausgabe, Putzen der Sanitäranlagen und viele weitere Dienste übernommen werden. Das Überraschende: Es funktioniert perfekt. Die Jugendlichen motivieren sich gegenseitig und so werden die Dienste nicht als Arbeitspflicht, sondern mehr als Vergnügen und Dienst an der Gemeinschaft betrachtet. So auch bei der Bamberger Gruppe, welche in der Woche für den Spüldienst und die Mithilfe bei der Vorbereitung der Kirche für die Gebetszeiten zuständig war.

Täglich finden sich die Jugendlichen, aufgeteilt nach Alter, in Bibelgruppen zusammen. Eingeleitet werden die Gespräche durch eine Bibelstelle, welche durch einen Bruder der Communauté vorgestellt wird. Anschließend wird in kleineren Gesprächsgruppen über die Bibelstelle und sich daraus ergebende Fragen gesprochen und Gedanken ausgetauscht.

Nach dem Abendgebet lässt man den Tag am „Oyak“ (einem Kiosk mit Süßigkeiten und nichtalkoholischen Getränken) ausklingen. Dort werden Lieder gesungen, Spiele gespielt oder Gespräche mit neu kennengelernten und altbekannten Menschen geführt, bevor um 23:30 Uhr die Nachtruhe gilt. Die Kirche in Taizé ist jedoch die ganze Nacht über geöffnet und jeden Abend nutzen Jugendliche die Möglichkeit, bis in die frühen Morgenstunden hinein zu beten oder singend zu beten. Täglich vor dem Abendgebet traf sich die gesamte Seminargruppe, um den Tag bzgl. neuer Erkenntnisse zur Frage: „Taizé als Lernort für religiöse Bildung?“ zu reflektieren oder persönliche Eindrücke auszutauschen. Auch ein Gespräch mit Frère Timothee, einem deutschsprachigen Bruder, über das Ökumeneverständnis der Brüder, das Leben in der Gemeinschaft oder die Möglichkeit, wie man den „Spirit“ von Taizé auch zu Hause leben könnte, ermöglichte einen noch tieferen Blick auf das Selbstverständnis von Taizé.

Zu Hause in Bamberg angekommen, waren sich die Seminarteilnehmer/innen bei der Reflexion von Seminar und Exkursion einig: Taizé ist ein Ort, an dem die christliche Religion in praktischer, ästhetischer und sozialer Dimensionen sehr intensiv und anders erlebt werden kann, an dem Raum für religiöse Erfahrungen besteht und religiöse Sprach- und Dialogfähigkeit „trainiert“ werden. Deutlich wurde abschließend aber auch, dass nicht alle Jugendlichen sich gleichermaßen von Taizé angezogen fühlen und Taizé nicht als „Wundermittel“ für die religiöse Jugendarbeit und den Religionsunterricht funktionalisiert werden darf und kann.

Doch besonders das Gemeinschaftserlebnis, welches durch die Arbeiten, die Gespräche und das Gebet mit so vielen Gleichaltrigen entsteht, kann die Erfahrung mit sich bringen, dass Glaube in der Gemeinschaft verwirklicht wird und eine ganz neue Dimension des „Geborgenseins“ aufzeigen. Taizé ruft dazu auf, dieses Gemeinschaftsgefühl nicht nur in Taizé zu leben, sondern auch nach außen zu tragen und sich aus dem Geborgensein im Glauben heraus mit den je eigenen Fähigkeiten für Gerechtigkeit und Solidarität in der Gesellschaft zu engagieren. Auch die Einfachheit des Lebens in Taizé und die Offenheit und Gastfreundschaft der Brüder bietet Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine Plattform für die Suche nach sich selbst und der eigenen Religiosität. In diesem Sinne kann Taizé also tatsächlich eine Quelle sein, an der man sich für seinen weiteren Lebensweg stärken kann.

(Stefan Huber)