Tim Kipphan/Universität Bamberg

Ulrich Sieberer übernimmt die Professur für Empirische Politikwissenschaft.

- Tanja Eisenach

Dienstleistung statt Pflichterfüllung

Ulrich Sieberer über sein Verständnis von Forschung und Lehre

Politische Institutionen und deren Wandel sowie Parlaments- und Parteienforschung in europäischen Demokratien sind die prägenden Themen in Prof. Dr. Ulrich Sieberers wissenschaftlichen Arbeiten. „Wir haben es in vielen Ländern mit ähnlichen Grundproblemen zu tun, mit der Frage zum Beispiel, wie sich Parlamente selbst organisieren oder welche Stellung sie im jeweiligen politischen System haben“, erläutert der Nachfolger von Heike Klüver auf der Bamberger Professur für Empirische Politikwissenschaft. „Aber die Antworten darauf sind sehr unterschiedlich. Herauszufinden, warum das so ist, finde ich unglaublich reizvoll, beispielsweise in meinem laufenden Forschungsprojekt zu Institutionendesign in Parlamenten.

Und warum die Empirie? Hier schätzt er die Möglichkeit, theoretische Ideen und Modelle an reale Ereignisse rückbinden zu können. „In der empirischen Politikwissenschaft arbeiten wir fast schon naturwissenschaftlich, mit klaren Hypothesen, die wir empirisch, oft statistisch überprüfen können. Dadurch sind unsere Thesen wenig spekulativ.“

Verfassungsrichter als politische Akteure?

Die gesellschaftliche Relevanz ist bei der Wahl seiner Forschungsprojekte zwar kein ausschließliches Kriterium, aber durchaus ein wichtiges. Vor diesem Hintergrund möchte er auf seiner neuen Stelle an der Universität Bamberg ein Thema angehen, das ihm schon länger besonders am Herzen liegt. Seit seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Mannheim, wo er auch studierte und promovierte, beschäftigten ihn die Fragen, ob Verfassungsrichter politische Akteure sind und inwieweit  ihre politischen Präferenzen in Entscheidungen einfließen. „Verfassungsrichter gelten gemeinhin als unpolitisch und überparteilich, was in dieser Absolutheit sicher nicht stimmt“, sagt Sieberer. „Wir wollen zeigen, dass es innerhalb des Bundesverfassungsgerichts politische Konflikte gibt, und untersuchen, aus welchen politischen Gründen und mit welchen rechtlichen Argumenten sich einzelne Richter in Sondervoten gegen die Senatsmehrheit stellen. Die Ideologie und parteipolitische Prägung der Richter spielt da durchaus eine Rolle, so das eine gewisse ‚Entmystifizierung‘ des Verfassungsgerichtes angebracht ist.“ Und das, meint er, sei auch gar nicht problematisch, im Gegenteil. Denn: „Gerade Experten mit dieser Verantwortung sollten natürlich ein Stück weit demokratisch rückgebunden sein.“  

Sieberer freut sich aber nicht nur darauf, in Bamberg seine Forschungsarbeiten weiterzuführen, sondern auch darauf, mit den Studierenden ein Stück ihres Weges gemeinsam zu gehen. „Als Student habe ich in meinem Austauschjahr an der John Hopkins University in Baltimore erfahren, wie gewinnbringend ein intensiver Austausch mit erfahrenen Wissenschaftlern ist“, erinnert er sich. Zum Teil saß er mit nur einem Kommilitonen in mehrstündigen Seminaren bei Professoren, die als Koryphäen ihres Faches gelten. „Damals bin ich so richtig in die akademische Welt eingetaucht. Dieser tiefe Blick in den Wissenschaftsbetrieb hat mich sehr beeindruckt und bis heute geprägt.“ Zu dieser Zeit blitzte auch erstmals der Gedanke auf, eine akademische Karriere anzustreben – statt in den diplomatischen Dienst zu gehen, was noch zu Beginn des Studiums sein Ziel gewesen war.

Lehre nach amerikanischem Vorbild

Natürlich könne man die Studienstruktur an amerikanischen Universitäten nicht mit denen hierzulande vergleichen. Dennoch gibt es Aspekte, die Sieberer gerne transferieren möchte, zum Beispiel den Brauch, als Professor Veranstaltungen für Bachelorstudierende verstärkt selbst anzubieten. „Interesse an einem Fach auf einer sehr grundlegenden Ebene zu wecken und Motivation für das Studium aufzubauen, gehören für mich zu den didaktisch anspruchsvollsten Aufgaben in der Hochschullehre. Hier sehe ich nicht nur meine wissenschaftlichen Mitarbeiter sondern gerade auch mich als Professor in der Verantwortung.“

Auch eine intensive Betreuung der Seminararbeiten ist ihm wichtig. „Am schönsten finde ich, wenn nach einigen Monaten mit mehreren intensiven Gesprächen eine Arbeit entstanden ist, die nach den anfänglichen Voraussetzungen nicht zu erwarten gewesen wäre. Das motiviert mich.“ Entsprechend setzt Sieberer in der Lehre vor allem bei den Studierenden an. „Ich merke, wie ich oft versuche, mich in die Studierenden hineinzuversetzen, um zu verstehen, wie ich sie am besten erreichen und meine Angebote auf sie abstimmen kann.“ Dienstleistung statt Pflichterfüllung.

Neinsagen lernen

Wie er diese individuelle Förderung und sein Lehrveranstaltungskonzept auf Dauer umsetzen kann, weiß er noch nicht. Zwar hat er keine Angst vor dem konstant hohen Arbeitspensum, wohl aber Respekt, der im Laufe seines ersten Semesters als Professor weiter gewachsen ist. Denn viele seiner Aufgaben, vor allem aus dem administrativen Bereich, lernt er erst nach und nach kennen. „Es fällt mir zwar sehr schwer, aber ich muss mir sicher stärker das Neinsagen angewöhnen“, erklärt er. Ein zentraler Ausgleich für ihn ist seine Familie, mit der er im Sommer nach Oberfranken gezogen ist. „Als Familienvater mit zwei kleinen Kindern kann ich gar nicht rund um die Uhr arbeiten, selbst wenn ich das wollte. Das Wochenende ist daher, soweit es irgendwie geht, unifrei.“

Antrittsvorlesung am 11. Januar

Gelegenheit, Ulrich Sieberer und seine Forschungsinteressen näher kennenzulernen, bietet seine Antrittsvorlesung am 11. Januar um 19 Uhr in der Feldkirchenstraße 21, Raum F21/01.37. Im Mittelpunkt des Vortrags steht die im Kontext der Revolution des Jahres 1848 entstandene Frankfurter Nationalversammlung, auch bekannt als „Paulskirchenversammlung“.  Sieberer ergänzt die historische Forschung zum ersten demokratisch gewählten gesamtdeutschen Parlament um eine politikwissenschaftliche Perspektive. Und geht unter anderem der Frage nach, warum und nach welchen Kriterien sich freie Abgeordnete zu Fraktionen zusammengeschlossen haben.

Weitere Informationen zum Inhalt der Antrittsvorlesung finden Sie in der dazugehörigen Pressemitteilung:
www.uni-bamberg.de/presse/pm/artikel/antrittsvorlesung-sieberer