Erlöser und Heiler. Literarische und Filmische Rezeption und Transformation von mittelalterlichen und spätantiken Erlöser- und Heilerfiguren


Bamberg, 3. – 4. Juli 2005
ORGANISATION: PROF. DR. DINA DE RENTIIS / PROF. DR. CHRISTOPH HOUSWITSCHKA


Die Mittelalterrezeption hat viele Wandlungen erfahren, vom „finsteren Mittelalter“ aus der Sicht der Aufklärung zur Legitimationsquelle der nationalstaatlichen Identitätssuche im 18. und 19. Jahrhundert. In unseren Tagen ist das Mittelalter bzw. das, was man dafür hält, zum Medienerfolg in Film und Buch avanciert. Wiederum ist das Mittelalter zum Ausgangspunkt der Suche nach historischen Alternativen geworden, der Suche nach der Zukunft in der Vergangenheit. Das Mittelalter entfaltet eine große gesellschaftliche Tiefen- und Breitenwirkung als mediales Ereignis. Viele alltägliche Deutungspraktiken erhalten durch die Inszenierung eines mittelalterlichen Rahmens neue Bedeutung als Unterhaltungs- und Bildungsereignis, das Zusammengehörigkeit konstruiert.
Nicht zuletzt gewinnt das Mittelalter abermals auch ideologisch-politische Bedeutung; heute nicht als Bezugspunkt für die Erfindung nationaler Identität, sondern einer gemeinsamen vornationalen europäischen und universellen Identität. Das Mittelalter entwickelt so ein wirkungsmächtiges symbolisches Feld, das zur Kommunikation, Gestaltung und Legitimation von Wirklichkeitskonstruktionen dient. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Mittelalter ist daher auch immer Medievalismus.
In diesen Kontext situierte die Tagung das Motiv des Erlösers und Heilers. Der primäre methodologische Zugriff war dabei nicht stoff- und motivgeschichtlich, sondern kulturhistorisch und kulturvergleichend. Die Tagung trug der Heterogenität sowohl des Gegenstands als auch der für seine Untersuchung in den einzelnen Disziplinen verwendeten Ansätze Rechnung. Über Erlöser- und Heilerfiguren ist bis heute in verschiedenen Disziplinen aus unterschiedlichen Perspektiven und jeweils eigenem Interessensschwerpunkt gearbeitet worden – in der Anglistik etwa unter dem gemeinsamen kulturhistorischen Nenner des „medievalism“ und mit dominanter intermedialer Ausrichtung, in der Germanistik unter dem Dach der literarischen Mittelalterrezeption und mit primärer stoff- und motivgeschichtlicher Ausrichtung. Absicht der Tagung war es nicht, die unterschiedlichen, bereits bestehenden Forschungstraditionen, -ansätze und -interessen in ein vorgefertigtes geistesgeschichtliches bzw. motivgeschichtliches Korsett zu zwingen, sondern zunächst repräsentative Vertreter zusammenzuführen, um im Dialog neue, gemeinsame methodologische und thematische Forschungsmöglichkeiten zu erschließen, von denen – so stellte sich während des Konferenzgesprächs heraus – auch alle Ansätze profitieren konnten.
Die an der Tagung beteiligten Fächer (Anglistik, Klassische Philologie, Germanistik, Romanistik, Slawistik, Theologie, Geschichtswissenschaft, historische Anthropologie) repräsentieren die Vielfalt der Eschatologie- und Erlösungsvorstellungen in den großen monotheistischen Religionen und in ihren antiken Vorläufern. Es nahmen jeweils Fachvertreter teil, die sich mit einzelnen Aspekten dieser Thematik in unterschiedlichen Literaturen/Medien bzw. Artefakten beschäftigt haben.
Den mythengeschichtlichen und theologischen „Wurzeln“ der Thematik waren die Beiträge von Sabine Föllinger (Bamberg) und Peter Bruns (Bamberg) gewidmet. Peter Bruns fokussierte in seinem Beitrag die grundlegende Thematik „Christus und unser Heil bei den Kirchenvätern“, während Sabine Föllinger der zentralen Frage nachging, ob und in welcher Weise der eigentlich christliche Begriff der „Erlösung“ auf Vorstellungen der paganen Antike angewandt werden kann, um dann seinen Zusammenhang mit mythischen Figuren, die in der modernen Rezeption eine besondere Rolle spielten, zu untersuchen. Dabei ging sie vor allem auf Dionysos, Orpheus und Prometheus ein.
Die literarische (Re-)Konstruktion von spätantiken und mittelalterlichen Erlöser- und Heilerfiguren beleuchteten Krystyna Kujawinska (Lodz) mit Bezug auf William Shakespeare sowie Anja Müller (Bamberg) und Christoph Houswitschka (Bamberg), die sich mit dem Erlöserstoff in der zeitgenössischen Fantasy-Literatur beschäftigten (Philip Pullmans “His Dark Materials” und C.S. Lewis’ “The Chronicles of Narnia”).
Im Überschneidungsbereich zwischen Literatur und Film arbeiteten Dirk Vanderbeke und Michael Düring (Greifswald) mit einer vergleichenden Analyse Jerzy Andrzejewskis  und Andrzej Wajdas “The Gates to Paradise”.
Dem Bereich des Films widmeten ihre Vorträge Andrew James Johnston (Berlin), William Paden (Northern Iowa) und Dina De Rentiis (Bamberg). In komplementären Beiträgen über Lars von Trier beleuchteten Andrew James Johnston und William Paden jeweils „Dogville“ und „Breaking the Waves“, letzterer im Vergleich Carl Theodor Dreyers „Passion de Jeanne d’Arc“. Dina De Rentiis sprach über Erlösungsfiguren und Idealismuskritik in „Lancelot du Lac“ von Robert Bresson.
 
Nils Holger Petersen (Copenhagen) und Albert Gier (Bamberg) widmeten sich der musikalischen bzw. musiktheatralischen Gestaltung von Erlöser- und Heilerfiguren in Igor Stravinskys “Oedipus rex” (Petersen) und Richard Wagners „Parsifal“ (Gier).
Die Veröffentlichung der Konferenzbeiträge ist im De-Gruyter-Verlag geplant. Der Konferenzband soll durch weitere Beiträge thematisch vervollständigt werden.