Bischofspfalz und Wüstung Lindelach bei Gerolzhofen, Landkreis Schweinfurt

Projektleiter: Prof. Dr. Ingolf Ericsson

Projektbearbeiter: Dr. Eike Michl

Projektfinanzierung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (Sachbeihilfe, Geschäftszeichen ER 306/6-1, ER 306/6-2), Dr. Ottmar Wolf Kulturstiftung, Stadt Gerolzhofen, Diözese Würzburg, Forschungsförderung der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Sparkasse Schweinfurt, Unterfränkische Kulturstiftung des Bezirk Unterfranken

Kooperationspartner: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Stadt Gerolzhofen

Laufzeit: 2007–2015

Das Bistum Würzburg kann seit seiner Gründung durch den Missionar Bonifatius im Jahr 741/742 auf eine lange und wechselhafte Geschichte zurückblicken und verfügte im Mittelalter über zahlreiche und weit verstreute Ländereien. Während der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts verfasste der bischöfliche Kanzleischreiber Michael de Leone eine Liste all dieser würzburgischen Besitzungen, in der auch die Namen von fünf bischöflichen Residenzen bzw. Verwaltungssitzen auftauchen. Vier dieser Anlagen konnten bereits in Würzburg, Frickenhausen am Main, Eltmann bei Bamberg und in Leutersdorf bei Meiningen lokalisiert werden; lange Zeit unklar war jedoch die Lage einer fünften Residenz, die sich nach der Überlieferung in der Nähe des unterfränkischen Ortes „Lyndeloch prope Gerolzhouen“ im heutigen Landkreis Schweinfurt befunden haben soll. Das urkundlich erstmals 1151 gesichert erwähnte und zu diesem Zeitpunktbereits als Standort eines würzburgischen Wirtschaftshofes bekannteDorf Lindelach lag wenige Kilometer östlich der StadtGerolzhofen und wurde in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges imJahr 1631 von schwedischen Truppen zerstört. Auf einem kleinen Bergsporn in unmittelbarer Nähe zur ehemaligenSiedlung konnte in den 90er Jahren nun auch der mutmaßlicheStandort der bislang verschollenen fünften „Bischofspfalz“ durcheinen lokalen Heimatforscher festgestellt werden. Dies resultierte in den Jahren 2007 bis 2015 in der intensiven archäologisch-historischen Erforschung jenes Ortes durch den Lehrstuhl für Archäologie des Mittelaters und der Neuzeit der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.

"Castellum, Curia, Palatium" – Mit diesen drei durchaus plakativen und in der archäologisch-historischen Forschung bedeutungsschweren Begriffen kann nun dieses noch bis vor wenigen Jahren unbekannte mittelalterliche Bodendenkmal im mainfränkischen Steigerwaldvorland nahe der unterfränkischen Stadt Gerolzhofen belegt werden, denn die Nutzungsphase als spätmittelalterliche Bischofsresidenz stellte nur den Abschluss einer weitaus komplexeren Entwicklung dar.

Die mehrjährigen archäologischen Ausgrabungen auf dem Kapellberg bei Gerolzhofen, deren Dokumentation und Auswertung im Jahr 2015 umfassend der Öffentlichkeit vorgelegt werden konnten, erbrachten eine Fülle von Funden und Befunden, die wesentlich zur Rekonstruktion der mittelalterlichen Geschichte Mainfrankens beitragen und durch unterschiedliche Aspekte darüber hinaus wichtige Informationen zu diversen Themengebieten der Mittelalterarchäologie liefern. Insbesondere während des 8. bis zum beginnenden 15. Jahrhundert stellte sich der kleine Bergsporn am Westrand des Steigerwaldes trotz eines auffälligen Mangels an Schriftquellen als ein zentraler Ort der Region und politisch-wirtschaftlicher Bezugspunkt sowohl der herrschenden Eliten als auch der lokalen Bevölkerung heraus.

Ihren Anfang nimmt die Geschichte des Hügels in Form einer namenlosen spätmerowingerzeitlichen Burganlage mit mächtiger Wall-Graben-Befestigung und hölzerner Innenbebauung aus den Jahrzehnten um 700, die auch in karolingischer Zeit eine hohe strategische Bedeutung besaß. Für das fortgeschrittene 8. und 9. Jahrhundert kann der Platz gar als administrativer Mittelpunkt eines wichtigen Fiskalgutkomplexes angesprochen werden, der als einer von insgesamt 25 zur wirtschaftlichen Erstausstattung des neu gegründeten Bistums Würzburg herangezogenen Königshöfe in die Geschichtsbücher eingegangen ist.

In ottonischer Zeit erweiterte man das "castellum", um einen im Zuge dieser Arbeiten ebenfalls errichteten steinernen Repräsentationsbau von etwa 40 m Länge und bis zu 14,40 m Breite zu schützen. Die Gestaltung dieses zweifelsfrei in die Mitte des 10. Jahrhunderts datierten und sakrale wie profane Funktionen in sich vereinenden Gebäudekomplexes findet seine Entsprechung in der Baukunst ottonischer Pfalzen oder Königshöfe und stellt somit ein hochkarätiges und überregional bedeutendes Zeugnis frühmittelalterlicher Herrschaftsarchitektur dar, als dessen Bauherren die "Schweinfurter Grafen" gelten dürfen und das sogar in der Chronik Thietmars von Merseburg erwähnt wird.

Nach einer vermeintlichen Zerstörung oder Schleifung der Burg im Rahmen der die politische Landschaft Nordostbayerns erschütternden „Schweinfurter Fehde“ und einer im Zuge dessen erfolgten Entfremdung von ihren ursprünglichen Besitzern entwickelte sich der Kapellberg samt einer angrenzenden Siedlung Lindelach im hohen Mittelalter zu einem wichtigen Wirtschaftsstandort der Würzburger Bischöfe. In den folgenden Jahrhunderten des hohen Mittelalters wurde die Anlage durch weitere Baumaßnahmen den Anforderungen der neuen Besitzer angepasst und diente während der weltlichen Herrschaftskonsolidierung des Hochstifts Würzburg als „curia episcopi Lindeloch“ der mainfränkischen Diözese als politisch-ökonomischer Knotenpunkt und gleichsam Symbol der kirchlichen Macht in der Region, die mit Hilfe eines am Ort angesiedelten Ministerialengeschlechts aufrecht erhalten werden sollte.

Diese Entwicklung gipfelte laut bischöflicher Kanzleischreiber im 14. Jahrhundert dann schließlich in der Erhebung des Ortes zu einem von nur fünf im Einflussbereich der Würzburger Kirche existierenden „pallacia“, bischöflichen Höfen mit Verwaltungs- und/oder Residenzcharakter. Diese zeichneten sich im Fall des Kapellbergs weiterhin durch eine zeitgemäße und repräsentative Architektur samt Inneneinrichtung aus und dienten dem reichhaltigen Fundmaterial des ausgehenden 14. Jahrhunderts zufolge weiterhin einer größeren Personengruppe als Wirkungsbereich. Nur wenige Jahrzehnte nach einer letzten und aufwendigen Um- und Ausbauphase des weiterhin mit Kapelle und profanen Räumen ausgestatteten Bauwerks fand selbiges offenbar im Verlauf des sogenannten „Fränkischen Städtekrieges“ seinen Niedergang, der sich anhand unterschiedlicher Indizien recht sicher in die Jahre um 1400 datieren lässt. Die Forschungen auf dem Kapellberg resultierten also in der Neuentdeckung eines über siebenhundert Jahre existierenden Siedlungsplatzes des frühen bis späten Mittelalters, der auf künftigen Kartierungen mittelalterlicher Zentralorte nicht mehr fehlen darf.

Die Ergebnisse sind nun ausführlich nachzulesen bei:

Michl 2015

E. H. Michl, Castellum, Curia, Palatium?! Die mittelalterliche Besiedlungsgeschichte eines mainfränkischen Zentralortes auf dem Kapellberg bei Gerolzhofen. Bamberger Schr. Arch. Mittelalter u. Neuzeit 5 (Bonn 2015).