Staatsexamensklausur Sprachwissenschaft Spanisch / Französisch / Italienisch:

Das Wesen der Klausur im Staatsexamen 

 

Linguistik, nicht Schulgrammatik

Zur Erringung einer guten Note reicht es nicht, sich auf eine rein formale Abarbeitung der Fragen zu beschränken. Die Fragen geben lediglich einen Rahmen vor, innerhalb dessen die Kandidaten ihre linguistische Expertise unter Beweis stellen können. Es wird von ihnen erwartet, dass sie soviele linguistisch relevante Beobachtungen wie möglich in ihren Antworten aufführen. Die Qualität einer Antwort berechnet sich also nicht mechanisch nach der Anzahl korrekter Beobachtungen, sondern vor allem danach, ob Sie diese für Ihre linguistische Analyse zu nutzen wissen und ob sie technisch-terminologisch über das Niveau eines sprachpraktischen Diskurses hinausgehen. 

Strukturierte Antworten, keine Faktensammlungen 

Jede einzelne Antwort sollte idealerweise eine in sich geschlossene Erörterung ergeben. Das Problem, um das es geht, sollte unter Verwendung linguistischer Terminologie ausformuliert werden. Die theoretisch-terminologischen Werkzeuge, die zur Analyse verwenden werden, sollten genannt werden. Danach könnten Bemerkungen dazu folgen, was in der Literatur dazu geschrieben worden ist. Schließlich sollten diese  Elemente zur gefragten Textanalyse herangezogen werden. Die Antwort sollte mit einem Resümee der Resultate schließen.

     Zu einer gut strukturierten Antwort gehört es, dass sie sich auf das Wesentliche beschränkt und nur das beantwortet, was auch gefragt wurde. Den linguistischen Kern einer Frage sicher zu erfassen, ist ein wichtiger Aspekt der linguistischen Expertise, die in dieser Klausur nachgewiesen werden soll. Findet sich das Wesentliche vermischt mit korrekten, aber irrelevanten Ausführungen, verschlechtert dies den Gesamteindruck.

Analyse, keine Theoriereferate

Das Wesen der sprachwissenschaftlichen Klausur im Staatsexamen ist die Textarbeit, nicht die explizite Reproduktion angelesenen Theoriewissens. Die Kandidaten sollen also die Analyseaufgaben zum Text bearbeiten und dabei die theoretischen Beschreibungswerkzeuge der Linguistik sinnvoll einsetzen und nicht etwa, wie oft zu beobachten, ein Überblicksreferat zu einer linguistischen Theorie liefern, das sie dann lediglich mit Beispielen aus dem Text illustrieren.

Jedes Stückchen Fachwissen, das erkennbar zur Beantwortung der Aufgabe verwendet wird, bringt Positivpunkte. Jedes Stückchen Fachwissen, das einfach nur referiert, dann aber zur Analyse gar nicht herangezogen wird, ist zu vermeiden.
    In der Einleitung zur jeweiligen Antwort sollen die Kandidaten zeigen, wie sie das zu analysierende Problem linguistisch einordnen; sie sollten dabei womöglich angeben, auf welche Autoren oder Theorien der Forschungsliteratur sie sich bei ihrer Antwort stützen. Extrapunkte gibt es, wenn hier Alternativen genannt werden und entweder in der Analyse beide berücksichtigt werden, oder aber die Entscheidung für eine dieser Alternativen begründet wird. In dieser Form bringt auch die Entfaltung von Theoriekenntnissen Pluspunkte.

Unnötig ist es dagegen, als bekannt Vorausgesetztes noch einmal wortreich zu definieren (Phonem, Kohäsion ...) oder ganze auswendig gelernte Artikel einschließlich Forschungsbericht nachzuerzählen. Alles, was nicht erkennbar in die Analyse einfließt, wird gestrichen und nicht bewertet.

Sprachwissenschaft, nicht Sprachpraxis

Es gilt unter den bayerischen Staatsexamensprüfern der Grundsatz, dass eine halbwegs korrekte Beschreibung der Fakten auf dem analytischen und terminologischen Niveau einer Lernergrammatik oder einer sprachpraktischen Übung für eine vertiefte sprachwissenschaftliche Klausur nicht ausreichen sollte. Da sprachpraktische Kenntnisse bereits an anderem Ort abgeprüft werden, ist die Vertrautheit mit den Beschreibungsinstrumenten der Linguistik hier ein zentrales Bewertungskriterium. Die Bringschuld der Kandidaten besteht demnach darin, möglichst viel wissenschaftliche Terminologie und Theorie korrekt zu verwenden und ihre Vertrautheit mit den einschlägigen linguistischen Beschreibungs- und Erklärungsansätzen unter Beweis zu stellen. Was in den Lernergrammatiken steht, wird als bekannt vorausgesetzt, qualifiziert aber noch nicht für eine überdurchschnittliche Note.

Erörterungen, keine Listen

Wo eine tabellarische Antwort nicht ausdrücklich verlangt wird, sollen die Antworten die Form einer ausformulierten Erörterung haben und eine in vollständigen Sätzen durchgeführte Argumentation erkennen lassen. Innerhalb einer solchen Erörterung sind kommentierte Tabellen selbstverständlich eine zulässige Darstellungsform. Wird eine Frage insgesamt als tabellarische Auflistung von Stichpunkten ohne ausformulierte, wahrheitsfähige Sätze bearbeitet, führt dies zu einer deutlichen Abwertung dieser Frage, in besonderen Fällen sogar zur Bewertung als „nicht beantwortet“.

Festlegung auf IPA

IPA ist das einzige weltweit und sprachenübergreifende Transkriptionsystem. In der Lehre wird es vermittelt. Es gehört zur erwarteten linguistischen Expertise, dass sie abweichende veraltete und regionale Transkriptionssysteme in IPA umsetzen können. In Examensklausuren wird daher jede  Abweichung von IPA als Fehler gewertet. Es wäre möglicherweise eine gute Idee, bei Transkriptionsaufgaben stets ausdrücklich IPA-Transkriptionen zu verlangen. Ansonsten ist im Einzelfall nicht gewährleistet, ob beispielsweise die Notation [r] ein Fehler ist, oder nicht: In IPA ist das ein Multivibrant, in RFE dagegen ein Monovibrant.