Sibirien - eine Region mit unbewohnten Landstrichen, aber auch urbanen Zentren wie Tomsk (Foto: Dmitri Lebedev/wikimedia/cc-by-sa).

Blick auf die Universität (Foto: Pavel Andryushchenko/wikimedia/cc-by-sa).

Jakob Walosczyk mit Teilnehmern eines Sprachkurses (Foto: privat).

Auch Anton Čechov besuchte Tomsk (Foto: maximaximax/wikimedia/cc-by-sa).

- Jakob Walosczyk

Studieren im Land der Gegensätze

Staatliche Universität Tomsk ist neue Bamberger Partner-Uni

Einige Zeit schon herrscht ein reger studentischer Austausch zwischen der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und der Polytechnischen Universität der Stadt Tomsk im westlichen Sibirien. Vor einigen Monaten kam dank der Bemühungen von Prof. Dr. Elisabeth von Erdmann, Inhaberin des Lehrstuhls für Slavische Literaturwissenschaft, und Andreas Weihe, Leiter des Auslandsamts, ein zweites Abkommen zustande, das die Verbindungen der hiesigen Hochschule in das ferne Russland um ein Beträchtliches erweitert: Seit dem Frühjahr 2009 zählt neben der Polytechnischen auch die Tomsker Staatliche Universität zu den ausländischen Bildungseinrichtungen, die Bamberger Studierenden die Möglichkeit eines Auslandsaufenthaltes bieten. Ein Grund, Sibirien und den neuen Partner näher vorzustellen.

Sibieren – Region der Extreme

Unberührte Natur und endlos weites Land, der sprichwörtliche sibirische Winter und ein ungeheurer Reichtum an Rohstoffen – die Assoziationen mit dem Gebiet östlich des Uralgebirges sind eindeutig. Und so richtig wie einseitig. Tatsächlich handelt es sich bei Sibirien um einen vergleichsweise spät und noch heute nicht zur Gänze erschlossenen Raum, dessen schier unendliche und vielerorts fast unberührte Weite so manchen Naturfreund in Verzückung versetzen mag. Die dem Land eigenen klimatischen Extreme tun ein Übriges, um Sibirien stets die Verheißung von Abenteuer und Wildnis anhaften zu lassen, während das Wissen um die jahrhundertelange Praxis der Verbannung unbequemer Geister in die Straf- und Arbeitslager der Region noch jedermann erschaudern lässt.

All das ist aber nur die eine Seite des Landes zwischen der östlichen Grenze Europas und den in Russland als ‚Ferner Osten’ bezeichneten Gebieten an Nordpolarmeer und Pazifik. Die andere sind städtische Ballungsräume, die sich zu wirtschaftlichen und kulturellen Zentren entwickelt haben, deren Bedeutung weit über Sibirien hinausreicht. Hinzu kommt eine lebendige und diversifizierte Hochschullandschaft, die mit einer Vielzahl von Universitäten und Akademien Studierenden aller Fachrichtungen Ausbildungs- und Entfaltungsmöglichkeiten bietet.

Tomsk als bedeutenden Universitätsstadt

Dieser für Sibirien typische Gegensatz zwischen urbanen Räumen und weitgehend unbewohnten Landstrichen wird nirgendwo fassbarer als in Tomsk. Das Stadtgebiet liegt nur wenige Schritte entfernt vom Prospekt Lenina, mehrspurigen Hauptstraße und Zentrum der Stadt zugleich. Von westlicher Seite wird Tomsk durch einen Fluss (die Tom’) begrenzt, jenseits dessen nur noch die scheinbar endlose und menschenleere Weite des Landes liegt. Obwohl mit knapp 500.000 Einwohnern deutlich kleiner als die sibirischen Metropolen Novosibirsk, Omsk und Krasnojarsk und diesen an Wirtschaftskraft unterlegen, nimmt Tomsk als Universitätsstadt einen führenden Rang in der Region ein. Nicht weniger als sieben Universitäten machen die Stadt zu einem maßgeblichen Wissenschafts- und Forschungszentrum und verleihen ihr durch den steten Zustrom von jungen Leuten aus allen Teilen der Russischen Föderation sowie dem Ausland einen jugendlichen, dynamischen und weltoffenen Charakter.

Der Staatlichen Universität, kurz TGU (Тomskij Gosudarstvennyj Universitet), kommt unter den Hochschulen der Stadt aus mehreren Gründen die führende Rolle zu: Gegründet 1878 auf Geheiß Alexanders II ist sie die älteste Universität Sibiriens. Sie stellt ein in Russland weithin anerkanntes Symbol für die im 19. Jahrhundert eingeleitete Abkehr weg von einer lediglich auf wirtschaftliche und militärische Nutzung der abgelegenen Ostgebiete zielenden Politik hin zu ihrer Anbindung an das kulturelle und geistige Leben der Zentren im westlichen Teil des Landes dar. Mit rund 23 000 Studierenden ist sie zudem die größte Hochschule der Stadt und verfügt mit der Universitätsbibliothek, deren Bestand über 3 Millionen Bücher zählt, über eine der 10 reichsten Büchersammlungen Russlands.

Großes Fächerangebot

Dem Rang der TGU entsprechend umfasst das Studienangebot ein denkbar breites Spektrum an Fächern: die Natur- und Wirtschaftswissenschaften finden darin ebenso Platz wie die Informatik, die Rechtswissenschaft und nicht zuletzt die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften. Für Bamberger Studierende aller Fakultäten besteht also die Möglichkeit, den Auslandsaufenthalt nicht nur als spannende Begegnung mit einem fremden Land zu begreifen, sondern durch die Erfahrung einer alternativen Lehr- und Forschungstradition auch ihre fachlichen Horizonte zu erweitern. Besonders bekannt ist die Universität Tomsk für ihre philologische Schule, die nicht nur für die geisteswissenschaftlichen Tradition Russlands von großer Bedeutung ist, sondern auch gegenwärtig zu den führenden geisteswissenschaftlichen Schulen Russlands zählt. Mangelnde Sprachkenntnisse zu Beginn des Aufenthalts sind dabei kein großes Hindernis, bietet das Sprachenzentrum der TGU doch vielfältige Russischkurse, die neben der russischsprachigen Umgebung schnell dazu beitragen, Anfangsschwierigkeiten zu überwinden und sich im Lehrbetrieb und darüber hinaus zurechtzufinden.

Čechov lässt grüßen

Der Weg zu einem in ganz Russland und darüber hinaus anerkannten Bildungszentrum war weit für Tomsk. Noch 1890, da hatte die Universität ihren Betrieb schon aufgenommen, äußerte sich ein Durchreisender wenig charmant über die Stadt: Anton Čechov, russischer Schriftsteller auf Expeditionsreise zu den Strafkolonien im fernen Osten des Zarenreiches, konstatierte während eines kurzen Aufenthaltes in Tomsk die Allgegenwart von Betrunkenen im Stadtbild und meinte, bei den Honoratioren der Stadt vor allen Dingen intellektuelle Armut und Stumpfsinn ausmachen zu können. Jahre später haben die Bürger von Tomsk diesem großen Dichter ein Denkmal erbaut, freilich eines, das in diesem an Denkmälern nicht armen Land seinesgleichen sucht: Ohne den feierlichen Ernst, der den in Bronze gegossenen russischen Helden zwischen Wladiwostok und St. Petersburg zumeist innewohnt, dafür mit viel Humor und einem nicht alltäglichen Blick auf eigene und fremde Schwächen. Ein ungewöhnliches Werk, das sich da am Ufer der Tom’, unweit des Theaters findet – so ungewöhnlich, wie die Stadt, in der es steht, und die zu entdecken sich den Bamberger Studierenden nun eine weitere Gelegenheit bietet.

Zur Person:

Der Autor dieses Beitrags Jakob Walosczyk studiert in Bamberg Anglistik, Russistik und Polonistik im letzten Semester. Im Wintersemester 2007/08 war er in Tomsk und hat sich hauptsächlich dem Studium der russischen Sprache gewidmet.