Andrea Lösel/Universität Bamberg

Streeruwitz gilt als kritische Kommentatorin politischen und gesellschaftlichen Geschehens. Der Besucherandrang war daher groß, auch bei der anschließenden Signierstunde.

Andrea Lösel/Universität Bamberg

Auf Einladung von Prof. Dr. Friedhelm Marx (li.) war Autorin Marlene Streeruwitz gemeinsam mit ihrem Lektor Roland Spahr nach Bamberg gekommen.

Literarische Scheingefechte

Semester-Auftakt von „Literatur in der Universität“ mit Marlene Streeruwitz

Die Autorin Marlene Streeruwitz ist eine der prägnantesten Stimmen der österreichischen Gegenwartsliteratur. Ihre Texte stecken voller Reflexionen und bisweilen bissiger Kommentare zu politischen und gesellschaftlichen Geschehnissen. Mal humorvoll, mal hintersinnig – bei ihrer Lesung an der Universität Bamberg machte Streeruwitz den deutschsprachigen Literaturbetrieb zur Zielscheibe intellektueller Angriffstiraden.

Was ist erlebt, was erfunden? Marlene Streeruwitz‘ literarische Werke entziehen sich einer klaren Grenzziehung. Die Österreicherin mag das Spiel mit dem doppelten Boden, die Vermischung von Realität und Fiktion. „Da knirscht es dann manchmal ein bisschen, doch das macht die Glaubwürdigkeit aus“, reflektierte die Autorin im vollbesetzten Hörsaal an der Universität 2 ihr eigenes Schreiben. Weiter bekannte sie: „Man muss auf eigene Erfahrungen zurückgreifen, um fiktiven Figuren Raum zu schaffen.“

Eine vielschichtige Inszenierung

Streeruwitz – durchaus für ihre pointierten gesellschaftskritischen Kommentare bekannt – landete 2011 mit ihrem Roman Die Schmerzmacherin. auf der Shortlist für den deutschen Buchpreis. Gewonnen hat sie ihn nicht. Im Juli dieses Jahres erschien im S. Fischer Verlag ihr Roman Nachkommen. Bezugnahmen auf die Buchpreis-Episode der eigenen Biografie drängen sich geradezu auf. Im Mittelpunkt des Romans steht die junge Wiener Autorin Nelia. Diese hat mit ihrem Erstlingsroman Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland. „ein wütendes Plädoyer gegen die Diktatur des Geldes“ geschaffen. Prompt kommt sie mit dem Roman auf die Shortlist des Buchpreises. Sie reist nach Frankfurt. Dort gelangt sie zu frustrierenden Erkenntnissen über die Machtmechanismen des Literaturbetriebs. Den Preis erhält hingegen eine andere. Geistesverwandtschaften zwischen Streeruwitz und ihrer jugendlichen Protagonistin hat das Feuilleton vielfach aufgezeigt.

In ihrem Roman Nachkommen. inszeniert Streeruwitz somit ein verwirrendes Zusammenspiel von Realität und Fiktion. Der große Coup besteht aber darin, dass der S. Fischer Verlag vor wenigen Wochen ein neues Romanprojekt herausbrachte. Der Titel: Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland. Verfasst von Marlene Streeruwitz als Nelia Fehn. Damit wurde der fiktive Text, um den es in Nachkommen. geht, Wirklichkeit und die Autorin Streeruwitz schlüpft in die Rolle ihrer Protagonistin Nelia Fehn.

Streeruwitz als herausragende Kritikerin

Beide Romane stellte Streeruwitz im Rahmen der Reihe „Literatur in der Universität“ in Bamberg vor. Sie folgte damit der Einladung von Prof. Dr. Friedhelm Marx, Inhaber des Lehrstuhls für Neuere deutsche Literaturwissenschaft. Dieser hob zu Beginn der Veranstaltung die beeindruckende, kaum zu überschauende Vielzahl literarischer Texte der Autorin hervor. Seit den 1990er Jahren sind von Streeruwitz zahlreiche Romane, Theaterstücke, Novellen und theoretische Schriften erschienen.

Bei aller Vielfalt teilen ihre literarischen Texte ihren kritischen Zugang zur Wirklichkeit. „Steeruwitz‘ Werk ist zugleich von gesellschaftskritischen, medienkritischen und betriebskritischen Wahrnehmungen imprägniert“, betonte Marx. In ihren Tübinger und Frankfurter Poetikvorlesungen sezierte Streeruwitz den Zustand des Literaturbetriebs: „Der Marktwert eines Autors und einer Autorin mißt sich an deren Medienwirksamkeit. […] Verdenken Sie es bitte auch niemandem, wenn er oder sie an diesem Zirkus teilnimmt. Und nehmen Sie es als das, was es ist. Schein. Scheindarstellungen. Scheingefechte.“

Betriebskritische Reflexionen

Jenen Scheingefechten der Literaturbranche bietet Streeruwitz in Nachkommen. eine Bühne. Sie schildert das Blitzlichtgewitter und die müde lächelnden Gesichter, fasst Reden voller Phrasen und Belanglosigkeiten anlässlich der Buchpreisverleihung zusammen: „Dass man zusammengekommen sei, um die Literatur zu feiern. Dass man die Handys ausschalten sollte. Dass man es wieder geschafft habe. Und worum es nun ginge. Um Lesen. Natürlich. Um Bücher-Lesen. Und um Bücher-Machen. Zuallererst um Bücher-Machen. Und um Bücher machen zu können, müsse man Bücher verkaufen. Und da sei man mit diesem Preis und dieser Veranstaltung auf dem richtigen Weg. Literatur. Wahrheit.“ Nelia geht in dem von ergrauten Platzhirschen beherrschten Buchpreisrummel erbarmungslos unter. Wer mag, kann in Nachkommen. einen Schlüsselroman sehen über die Gnadenlosigkeit der Buchbranche – gespickt mit Streeruwitz‘ eigenen Beobachtungen.

„Der Weg in die Veröffentlichung ist ein schwieriger, bisweilen schrecklicher, die Selbstpreisgabe einer solchen Angelegenheit kann gefährlich sein“, erklärte Streeruwitz vor dem Bamberger Publikum. Anders als ihre Protagonistin Nelia, die ihren Debütroman im Alter von 21 Jahren herausbringt, wartete Streeruwitz deutlich länger bis zur ersten Veröffentlichung: „Ich hatte bereits in jungen Jahren viel geschrieben, doch ich hatte Angst, dass meine zarten Gewebe im Literaturbetrieb untergehen würden. Die 60er bis 80er Jahre waren eine gefährliche Welt für eine junge Frau und ihre Texte. Bachmann war gerade mit Malina zerrissen worden, als ich das Schreiben anfing.“

Erst Mitte der 80er Jahre trat sie mit literarischen Veröffentlichungen und als Verfasserin von Hörspielen in Erscheinung. Ihr letztes Projekt Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland. – vorgeblich aus der Feder einer 21-Jährigen – war ein ganz besonders Experiment: „Ich habe mir zuerst die Figur erschrieben und dann ihr Schreiben selbst verfasst.“ 

Hinweis

Diesen Text verfasste Andrea Lösel für die Pressestelle der Universität Bamberg. Er steht Journalistinnen und Journalisten zur freien Verfügung.

Bei Fragen oder Bilderwünschen kontaktieren Sie die Pressestelle bitte unter der Mailadresse medien@uni-bamberg.de oder Tel: 0951-863 1023.