Hans-Peter Blossfeld, Professor an der Universität Bamberg, sitzt mit einer Publikation in seinem Büro - umgeben von Forschungsliteratur.Patricia Achter/Universität Bamberg

Von 2002 bis 2020 ist Hans-Peter Blossfeld Professor an der Universität Bamberg.

Das NEPS-Team stellt sich 2008 vor.Marcus Hoffman

Das NEPS-Team stellt sich 2008 vor.

2010: Blossfeld bekommt für sein  Projekt "eduLIFE" den "ERC Advanced Grant".Tanja Eisenach/Universität Bamberg

2010: Blossfeld bekommt für sein Projekt "eduLIFE" den "ERC Advanced Grant".

- Patricia Achter

Ein Meister der Soziologie

Hans-Peter Blossfeld – Vordenker, Brückenbauer, Leiter von Leuchtturmprojekten – geht in Ruhestand. Und forscht weiter.

„Forschung ist mein Leben.“ Mit vier Worten beschreibt sich Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Peter Blossfeld selbst am treffendsten. Der Satz erklärt, warum der Soziologe 35 Bücher und über 240 Aufsätze veröffentlicht hat. Seine Arbeiten wurden mehr als 31.200 Mal zitiert. Er erhielt Ehrungen wie den Descartes Prize for Excellence in Scientific Research von der Europäischen Kommission. Oder auch den ERC Advanced Grant, den höchsten Wissenschaftspreis der Europäischen Union. Am 1. April 2020 ist der Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie 1 in den Ruhestand gegangen. „Hans-Peter Blossfeld kann auf ein ganz herausragendes wissenschaftliches Lebenswerk zurückblicken“, lobt ihn Soziologe Prof. Dr. Karl Ulrich Mayer: „Er ist der weltweit am drittmeisten zitierte deutsche Soziologe.“

Institut mit rund 190 Mitarbeitenden gegründet und geleitet

Mayer war Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, als Blossfeld 2008 einen Leuchtturm in Bamberg schuf: das Nationale Bildungspanel (NEPS), welches 2012 zum Herzstück des neu gegründeten Leibniz-Instituts für Bildungsverläufe (LIfBi) wurde. Bis 2012 leitete Blossfeld rund 190 Mitarbeitende und erhielt ein jährliches Budget von etwa 23 Millionen Euro. Das NEPS erhebt jährlich Längsschnittdaten unter anderem zu Bildungsprozessen über die gesamte Lebensspanne. „Das bedeutet, dass wir keine Momentaufnahmen machen, sondern gewissermaßen einen Film über die Bildungs- und Kompetenzentwicklung: Wir erforschen, wie sich das Leben im Kontext entwickelt“, erklärt Blossfeld. Mit standardisierten Tests und Fragebögen sammelt das NEPS Daten von Säuglingen über Schulkinder bis hin zu älteren Erwachsenen. Die Forschenden untersuchen etwa, ob der Kindergarten soziale Unterschiede ausgleichen kann. 

Mayer nennt das NEPS Blossfelds „mutigstes und folgenreichstes Unterfangen, das er maßgeblich entwickelt und an die Universität Bamberg geholt hat.“ Das bestätigt auch Universitätspräsident Prof. Dr. Dr. habil. Godehard Ruppert: „Zur weiteren Profilierung der Bamberger Sozialwissenschaft hat Hans-Peter Blossfeld mit international konkurrenzfähiger Forschung einen entscheidenden Beitrag geleistet. Nicht zuletzt hat er beachtliche Summen an Drittmitteln eingeworben. Als Anerkennung der Leistungen von Hans-Peter Blossfeld hat die Universitätsleitung beschlossen, ihn zum Emeritus of Excellence zu ernennen.“

„Pionier und einflussreicher Brückenbauer“

Es war nicht das einzige Großforschungsvorhaben, das der Wissenschaftler gründete und leitete: „Hans-Peter Blossfeld hat Ressourcen für mehrere Leuchtturmprojekte akquiriert und diese durchweg mit großem Erfolg und Ertrag zu Ende gebracht“, blickt Prof. Dr. Walter Müller zurück, Soziologe und Blossfelds Doktorvater. „Er ist ein Pionier und einflussreicher Brückenbauer für groß angelegte internationale Kooperationen in der gesellschaftsvergleichenden Forschung.“ Den Grundstein dafür legte der gebürtige Münchner am European University Institute in Florenz: „Meine erste Professur hatte ich in Florenz inne“, so Blossfeld. „Die Zeit dort hat mir sehr geholfen, ein internationales Netzwerk aufzubauen.“

Er war in vielen Fällen Wegbereiter neuer Themen. In der Arbeitsmarktforschung untersuchte er beispielsweise bereits 1997, wie sich die Teilzeitarbeit von Frauen in 13 Ländern in Europa und den USA entwickelte. Eine Erkenntnis daraus: Die stark angestiegene Erwerbstätigkeit der Frauen hat in den meisten Ländern nicht zu einer Gleichstellung von Frauen geführt, weil es sich oft nur um Teilzeitbeschäftigungen handelte. „Ich habe alle Forschungsprojekte, an denen ich gearbeitet habe, mit großer Freude gemacht“, betont Blossfeld.

Bildungssystem als Heiratsmarkt

Im Bereich Familiensoziologie erforschte Blossfeld 2004 zum Beispiel die Rolle des Bildungssystems als Heiratsmarkt in 13 Ländern. Er erkannte, dass sich Ausbildungszeiten junger Erwachsener verlängerten, der Frauenanteil im Bildungssystem stieg. Die Folge: Immer mehr Personen trafen in der Schule oder an der Universität künftige Ehepartner. Das hat die Ungleichheit in der Gesellschaft erhöht, weil immer mehr Paare im Lebenslauf ihre zunächst individuellen Bildungsungleichheiten durch die Heirat noch einmal verdoppelt haben („Gleich und Gleich gesellt sich gern“). Bei der darauffolgenden Studie zur Partnersuche auf Online-Portalen haben sich diese Ergebnisse ebenfalls bestätigt.  Dieses Projekt führte Blossfeld an der Universität Bamberg durch, an der er seit 2002 gearbeitet hat.

Ein anderes wichtiges international vergleichendes Großprojekt an der Universität Bamberg war das Globalife-Projekt, in dem die Effekte der Globalisierung auf die Lebensverläufe in modernen Gesellschaften im Detail untersucht wurden. Das Forschungsteam zeigte beispielsweise, dass sich die berufliche Etablierung im Zuge der Globalisierung durch befristete Beschäftigungsverhältnisse und die damit verbundene Unsicherheit immer weiter hinauszögert, aber letztendlich doch meist gelingt.  

Er bekommt renommierten ERC Advanced Grant

Für sein bildungswissenschaftliches Projekt eduLIFE bekam Blossfeld 2010 den ERC Advanced Grant und 2,5 Millionen Euro. Er ließ sich dafür von 2012 bis 2017 von der Universität Bamberg beurlauben um noch einmal als Professor nach Florenz zu gehen. Seine Leitungsfunktionen am LIfBi und am Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg (ifb) hat er deswegen an Kolleginnen und Kollegen übergeben. Mit einem größeren Forschungsteam untersuchte er in Florenz individuelle Bildungsverläufe in unterschiedlichen Ländern. Der Fokus lag auf Kindergarten, Schulsystem, Berufseinstieg, Weiterbildung im Lebenslauf und auf der Rolle von MINT-Berufen. Zu Blossfelds Forschungsgegenständen gehören auch Lebenslaufforschung, Ungleichheit in der Familie und im Arbeitsmarkt, Globalisierungsforschung und Statistik. „Ein Forscher mit Leidenschaft bringt den aktuellen Forschungsstand auch gerne Studierenden bei. Es hat mir immer viel Spaß gemacht, mit ihnen kritisch die Forschungsergebnisse zu diskutieren“, so Blossfeld.

Herausgeber, Berater, Gastprofessor

Die Studierenden konnten viel von ihm lernen, denn: „Hans-Peter Blossfeld zählt weltweit zu den Top-Wissenschaftlern und genießt höchstes Ansehen“, beschreibt Walter Müller ihn. Und: „Neben all seinen Forschungstätigkeiten hat Blossfeld mehr als zwei Jahrzehnte in leitender Verantwortung die führende soziologische Fachzeitschrift Europas, die European Sociological Review, herausgegeben und überaus erfolgreich den wissenschaftlichen Nachwuchs gefördert.“ Er hat unter anderem in nationalen und internationalen Beratungsgremien mitgewirkt und weltweit Gastprofessuren an renommierten Universitäten innegehabt. Außerdem ist er gewähltes Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina (seit 2006), der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (seit 2007) und der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (seit 2008).

Was könnte sich ein Forscher mit diesem Lebenslauf für seinen Ruhestand wünschen? „Freiheit“, antwortet Blossfeld. „Ich freue mich auf die Freiheit, das zu tun, was mir Spaß macht.“ Das können wissenschaftliche Aufsätze und Konferenzen sein – oder auch Gartenarbeit bei schönem Wetter. Aber so ganz verabschiedet sich Blossfeld ohnehin nicht in den Ruhestand. Erst im März hat die EU sein neues internationales Projekt zum Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen in modernen Gesellschaften im Rahmen von Horizon 2020 bewilligt.