Johannes Giesecke leitet seit 2010 den Lehrstuhl für Soziologie, insbesondere Methoden der empirischen Sozialforschung (Fotos: Katja Hirnickel)

Giesecke und einige seiner Mitarbeiter im lehrstuhleigenen Telefonlabor

Arbeitsmarktrisiken und Beschäftigungsunsicherheit: zwei von Gieseckes Forschungsschwerpunkten (Foto: pauline/pixelio.de)

Giesecke liest Max Weber - und würde sich gerne einmal mit ihm unterhalten (Foto: Kelson/wikimedia/gemeinfrei)

- Susanne Gierhan

Durch und durch Wissenschaftler

Porträt des Soziologen Johannes Giesecke

So mancher wusste bereits zu Beginn seines Studiums, dass er einmal einen Lehrstuhl leiten möchte. Anders war es bei Prof. Dr. Johannes Giesecke: Ihm lag zwar immer viel an der aktiven Forschungsarbeit. Eine Professur aber sei nie das Hauptziel gewesen. „Einigen Freunden war von Anfang an klar, dass ich einmal Professor werde, aber ich hatte das nie so wirklich auf dem Plan“, erklärt Giesecke, der seit dem Wintersemester 2010/2011 den Lehrstuhl für Soziologie, insbesondere Methoden der empirischen Sozialforschung leitet.

Auch dass Johannes Giesecke einmal Soziologie studieren und lehren würde, stand zunächst nicht fest. Nach dem Abitur begann er zuerst ein BWL-Studium an einer Berufsakademie. „Nach eineinhalb Jahren brach ich das Studium wieder ab, da es meinen Interessen und Einstellungen widersprach.“ Die Entscheidung zu diesem Studium sei durch die sozialen Netzwerke beeinflusst worden, wie er als Soziologe es ausdrücken würde. Thematisch habe er sein Fach erst während des Studiums lieben gelernt, so Giesecke.

Keine perfekte Lösung

„Soziale Ungleichheiten haben mich allerdings schon immer beschäftigt“, nennt der Professor einen der Gründe für seine Studienwahl. „Mein größtes Ziel ist es, irgendwann mit meiner Forschungsarbeit einen Teil zur Lösung dieser Probleme beizutragen.“ Allerdings bleibt Giesecke dabei Realist: „Eine perfekte Lösung für die Ungleichheiten wird es vermutlich nie geben, da immer irgendjemand irgendwo in seinen Rechten benachteiligt sein wird.“ Dennoch hält er es für enorm wichtig, „der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten und auf soziale Missstände hinzuweisen“.

Diese Sichtweise entstand auch durch seine vielen Auslandsaufenthalte. Zusammen mit seiner Frau reiste er als Backpacker quer durch Lateinamerika und Asien. „Wenn man die Verhältnisse in diesen Ländern sieht, gelangt man mitunter zu ganz anderen Sichtweisen auf die deutsche Gesellschaft.“ Manche Dinge, die in Deutschland als Problem gesehen werden, stellen sich dann als vergleichsweise klein dar“, gibt Johannes Giesecke zu bedenken. So müsse man sich zum Beispiel nicht unbedingt über verspätete Züge aufregen, immerhin gebe es solche Transportmittel überhaupt und sie fahren auch einigermaßen verlässlich. Von den bereisten Ländern hat ihn Thailand besonders beeindruckt; sind die Menschen dort doch trotz ihrer Armut oft sehr freundlich und fröhlich.

Probleme der Kommunikation

Gefragt nach den Dingen, die ihn manchmal an Studierenden stören, sagt Giesecke: „Einige scheinen relativ viel Zeit im Internet und mit dem Verfassen von SMS zu verbringen und daher nicht mehr zu wissen, wie formelle Kommunikation funktioniert.“ Zwar könne man noch nicht absehen, welche Entwicklungen es geben wird. Wenn aber seine Mitmenschen in E-Mails keine normale, höfliche Briefform wahren, ärgert es ihn doch oft: „So viel Zeit sollte man sich schon nehmen!“ Giesecke weiß, dass es auch eine andere Perspektive auf diese Entwicklung gibt: „Vielleicht gehöre ich schon einer anderen Generation an und in Zukunft wird eine solche informelle Kommunikation als normal angesehen“, scherzt er.

Literaturgeschmack verändert sich mit dem Alter

Generationen hin oder her, eines wird bei Giesecke sicher nie aus der Mode kommen – die Liebe zur Rockmusik. Erst vor Kurzem ging es zu einem Konzert der Red Hot Chili Peppers. „Früher waren die natürlich nicht so soft wie heute, aber man wird mit dem Alter auch ruhiger“, schmunzelt Giesecke. Diese Entwicklung zeigt sich auch in der Auswahl seiner Bücher. Zu Beginn des Studiums las er noch Kafka, „weil der so schön verrückt war“, während mittlerweile T.C. Boyle auf seinem Nachttisch liegt. „Sozialkritische Romane im allgemeinen interessieren mich sehr; das mag vielleicht auch an meinem Job liegen“, überlegt der Professor.

Bei den wissenschaftlichen Werken ist Max Weber, einer der Klassiker der Soziologie, die erste Wahl. „Wenn ich mich mal mit Max Weber unterhalten könnte, dann würde mich vor allem interessieren, wie er die Welt heute sehen würde. Ein reines Fachgespräch unter zwei Soziologen!“, kommentiert Giesecke die Frage, welche historische Figur er gerne treffen würde. Johannes Giesecke ist durch und durch Wissenschaftler. Auf die Frage, was er machen würde, wenn er ein Jahr frei hätte, antwortet er: „Schreiben, Rechnen und Publizieren.“

Biographie

Johannes Giesecke studierte Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie an der Duke University in North Carolina. Während und nach seiner Promotion zum Thema Arbeitsmarktflexibilisierung und Soziale Ungleichheit arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Lehrstühlen für Methoden der empirischen Sozialforschung der Humboldt-Universität zu Berlin sowie der Universität Mannheim. Von 2007 an war er für drei Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Im Jahr 2010 übernahm Giesecke die W3-Professur für Soziologie, insbesondere Methoden der empirischen Sozialforschung an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Seit Oktober 2011 ist er außerdem Forschungsprofessor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.

Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf den Methoden der empirischen Sozialforschung und auf soziologischen Untersuchungen von Arbeit und Arbeitsmarkt (insbesondere Lohngerechtigkeit, Arbeitsmarktrisiken und Beschäftigungsunsicherheit) sowie von sozialstaatlichen Prinzipien und sozialer Ungleichheit.