Andernorts lautet der Titel ... (Foto: Ausschnitt aus dem Cover)

... von Doron Rabinovicis neuestem Roman (Fotos: Lena-Maria Frank)

Zwei Studierende stellten dem Autoren Fragen: Johanna Lerke und Fabian Behrens, daneben Oranisatorin Iris Hermann und Doron Rabinovici (v.l.n.r.)

Die Lesung war Teil der Reihe Literatur in der Universität

- Lena-Maria Frank

Zu Hause, aber nirgends daheim

Doron Rabinovici las in der Universität

„Er lebte nicht nur in Israel. Er arbeitete auf allen Kontinenten und mit Menschen aus vielen Ländern. Sein Jerusalem war andernorts und überall zugleich. Er war im Zwischenraum zu Hause, wo ein Mensch auf den andern trifft.“  Mit diesen Worten wird Ethan Rosens Vater beschrieben. Ethan Rosen selbst ist ein Vielflieger. Als renommierter Wissenschaftler reist er durch die ganze Welt, lehrt in Wien, hält Vorträge in Israel und andernorts. Ethan Rosen ist auch die Hauptfigur des Romans Andernorts von Doron Rabinovici. Sein Leben in der Diaspora bricht er unvermittelt ab, als sein Vater, ein alter Wiener Jude, der den Holocaust überlebte, in Tel Aviv ins Krankenhaus eingeliefert wird. Mit seiner neuen Freundin Noa zieht er nach Tel Aviv, ohne sich in Wien richtig zu verabschieden. Rosen trifft dort Rudi Klausinger, ebenfalls eine Koryphäe auf Rosens Forschungsgebiet, ruhelos und anpassungsfähig. Ausgerechnet dieser Mann, der um dieselbe Stelle konkurriert hatte, ist nun möglicherweise Ethans Bruder.  Auf der Suche nach einer Spenderniere für den Vater werden Ethan und Rudi mit alten Geheimnissen der jüdischen Familie, aber auch mit einem strenggläubigen Rabbiner konfrontiert. Die bisher feststehend geglaubten Verhältnisse werden durcheinander gewirbelt und Ethan Rosen sieht sich grundlegenden Fragen nach seiner Herkunft und nach seinem bisherigen Leben gegenüber, als er erfährt, dass sein Vater gar nicht sein Vater ist.

Identitätssuche und Glaubensfragen

Andernorts greift viele Themen auf, die Doron Rabinovici während seiner Lesung an der Universität am 12. Juni in unterschiedlichen Textstellen dem Publikum präsentierte. Mit dem jüdischen Glauben geht der Roman sehr humorvoll um. So brachte Rabinovici, selbst Jude, seine Zuhörer zum Lachen, als er das erste Kapitel seines Romans las: Hier werden jüdische Gebetsriemen mit Lederfetischismus verglichen und die Gebetsrituale eines orthodoxen Juden mit einer Hard-Rock-Band. Auch für die Identitätssuche spiele der religiöse Aspekt eine Rolle, so Rabinovici nach der Lesung. Das Leben in der Diaspora und die Frage nach der Heimat der Überlebenden nach der Shoah sind weitere Themen des Romans. Einen entsprechenden Textausschnitt bekamen die ungefähr 60 Anwesenden ebenfalls zu hören: die Beschreibung Ethan Rosens, der zwischen zwei Kulturen aufwächst und zwischen beiden zu Hause ist. Die Frage nach Herkunft und Identität beantwortet der Roman: „Heimat ist, wo einem fremder zumute ist als an jedem anderen Ort.“

Interesse an deutschsprachig-jüdischer Literatur

Diese Aussage kann Rabinovici für sich bestätigen, wie er in einer anschließenden Fragerunde erklärte. Dieser zweite Teil der Lesung wich von der üblichen Form ab: Mareike Gramer, Doktorandin an der Professur für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft, stellte ein Projekt vor, das sie in ihrem Seminar Deutsch-jüdische Literatur im 21. Jahrhundert mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern erarbeitet hatte. Unter anderem soll es zum Seminarthema eine Ausstellung in der Teilbibliothek 4 und Interviews geben. Mit der Lesung Rabinovicis starte das Projekt, so Gramer. Zwei Seminarteilnehmer stellten anschließend die vom Kurs vorbereiteten Fragen an den jüdischen Schriftsteller. Sie waren an intertextuellen Bezügen und am religiösen Aspekt der Identitätssuche interessiert. Rabinovici verwies auf seine Freundschaft mit dem Wiener Autoren Robert Schindel, Sohn jüdischer Kommunisten und knapp der Deportation in ein Konzentrationslager entgangen. Er war 2010 Poetikprofessor an der Universität Bamberg. Beim Thema Erinnerung an die Shoah und Wandel von der zweiten zur dritten Generation sprach der Autor über die Notwendigkeit des Erinnerns, denn Genozide geschähen auch heute noch.

Die Initiatorin der Lesung Prof. Dr. Iris Hermann zeigte sich zufrieden. Sie habe Rabinovici zur Reihe Literatur in der Universität eingeladen, weil sein Werk in der österreichischen Literatur beheimatet sei, die zu den Forschungsschwerpunkten der Bamberger Literaturwissenschaftler zähle, der Autor selber aber auch andernorts zu Hause sei, erklärte Hermann zu Beginn der Lesung. „Rabinovici ist einfach ein guter Schriftsteller und er erzählt wunderbar“, so die Professorin.

Zum Autor

Doron Rabinovici wurde 1961 in Tel Aviv geboren und lebt seit 1964 in Österreich. Er schreibt Romane, Essays und Kurzgeschichten. Seine historische Doktorarbeit wird gerade ins Englische übersetzt. Für seine Werke wurde er mit zahlreichen namhaften Literaturpreisen ausgezeichnet. Sein Roman Andernorts schaffte es 2010 auf die Shortlist für den deutschen Buchpreis.