Annette Pehnt diskutierte mit Literaturkritikern über ihr Werk. (Fotos: Andrea M. Müller)

Höhepunkt der Veranstaltung: Das Treffen der Autorinnen Katja Lange-Müller (li.) und Annette Pehnt.

Friedhelm Marx (li.) und Ulf Abraham (re.) im Gespräch über Annette Pehnts Kinderbücher (Foto: Nils Ebert)

Auch nach der Veranstaltung debattiert man leidenschaftlich. (Foto: Andrea M. Müller)

- Nils Ebert

Über das Schreiben als Schöpfungsphantasie

Kolloquium zu Annette Pehnts Werk in der Villa Concordia

„Es gelangt so viel Bedrängendes in den Kopf, das in Form gebracht werden muss; das Nicht-Versprachlichte akkumuliert sich. Eine Möglichkeit der Artikulation gibt es für mich nur im Schreiben“, versuchte Annette Pehnt, Bamberger Poetikprofessorin im Sommersemester 2011, ihren Drang zum Schreiben in Worte zu fassen. Sie schloss am 21. Juli mit der vierten Vorlesung zum Thema Evagatorium|Umhergeschweift: Schreiben als Pilgerschaft ihre Poetikprofessur ab.

An den beiden darauffolgenden Tagen trafen sich Literaturwissenschaftler und -kritiker aus dem In- und Ausland im Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia, um sich in Einzelvorträgen und Diskussionen mit dem Werk der Freiburger Autorin auseinanderzusetzen. Auch Annette Pehnt selbst beteiligte sich an den lebhaften Gesprächen über ihre Romane, Erzählungen und Kinderbücher.

„Trostlos, aber nie untröstlich“

Als Höhepunkt der Veranstaltung sprachen am Abend des ersten Veranstaltungstages die renommierte Gegenwartsschriftstellerin Katja Lange-Müller und Annette Pehnt über Wege und Ziele, Wahrheit und Wahrhaftigkeit des Schreibens. So machte Lange-Müller die Beobachtung, dass es für Pehnts Figuren keine Erlösung gebe. Stattdessen führe ihr fortwährender Kampf sie gelegentlich bis zur Ohnmacht. „Der Mensch wird in seiner Krise ausgestellt. Pehnts Figuren sind zwar trostlos, aber nie untröstlich.“ Fortwährend befänden sich die Figuren in Pehnts Romanen auf der Flucht: Sie werden losgeschickt, aber ihre Reise missrate, weil sie sich selbst mitnähmen. „Meine Figuren ahnen das, aber sie gehen dennoch los“, kommentierte Pehnt lächelnd.

Von der Identitätssuche verschrobener Käuze

Die Vielfalt von Pehnts Werk spiegelte sich in den Vorträgen des Kolloquiums wider. „Annette Pehnts Entwicklung führt von einer sublimen Form des Phantastischen hin zum sozialen Roman“, beschrieb Wolfgang Schneider, Berliner Literaturkritiker und Rezensent unter anderem für FAZ, NZZ und Literaturen das Werk der Poetikprofessorin in seinem einleitenden Vortrag. Sie debütierte 2001 mit ihrem Roman Ich muß los, in dem der rätselhafte und scheue Protagonist Dorst durch sein Leben stolpert, ohne jemals anzukommen. Ruhelos trudelt er durch die Stadt, fährt Straßenbahn, gibt sich als phantasievoller Stadtführer aus und trägt dabei die alten Kleider des verstorbenen Vaters.

Im Anschluss an Schneiders Vortrag beleuchtete Dr. Andrea Bartl, Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft in Bamberg, den 2003 erschienenen Roman Insel 34. Für die namenlose Ich-Erzählerin werden die küstennahen Inseln zum Ort romantischer Sehnsucht, als ihr Vater sie auffordert, Leidenschaft zu entwickeln. Die Insel mit der Nummer 34 aber bleibt Utopie und Wunschort; die Ich-Erzählerin erreicht sie nicht. Bartl zeigte, wie der Text von einer „Poetik der Kargheit“ bestimmt sei, aus der aber eine poetische Fülle erwachse. Während das Festland, das die Ich-Erzählerin verlässt, durch eine Fülle bestimmt sei, beispielsweise während der opulenten Abendessen im familiären Kreis, nehme die Kargheit während der Reise der Ich-Erzählerin von Insel zu Insel zu. So trage die Ich-Erzählerin beispielsweise immer weniger Gegenstände bei sich. Auch Dr. Iris Hermann, ebenfalls Bamberger Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft, befasste sich mit Insel 34 und arbeitete die "poetische Adoleszenz" in diesem Roman heraus.

Abbildung sozialer Realität

In Haus der Schildkröten von 2006 wendet sich Pehnt dem Leben im Altersheim zu. Ernst und Regina besuchen jeden Dienstag ihre Eltern im Seniorenruhesitz Haus Ulmen. Sie kommen sich näher, können aber die Unsicherheit und Verzweiflung wegen der zu Pflegefällen degradierten Eltern nie ausblenden. Zum Auftakt des zweiten Vortragstages referierte Organisator Prof. Dr. Friedhelm Marx, Inhaber des Lehrstuhls für Neuere deutsche Literaturwissenschaft, über Alter und Tod in Haus der Schildkröten.

2007 erschien Mobbing: In stetig wachsendem Zweifel und Misstrauen erzählt eine Ich-Erzählerin vom Arbeitsleben ihres Mannes, der zunehmend Demütigungen und Intrigen ausgesetzt ist, seitdem eine neue Chefin seine Abteilung leitet. Der Fragestellung, inwiefern in Pehnts Roman Mobbing soziale Realität abgebildet werde, widmeten sich zwei Vorträge des Kolloquiums und versuchten damit eine Anbindung an soziologische Fragestellungen. So fragte Annemarie Matthies, Soziologin der Universität Halle-Wittenberg, nach diskursiven Bezügen zur Arbeitswelt, die dem Roman eingeflochten seien. Die letzten Veröffentlichungen der Autorin waren 2010 der Campusroman Hier kommt Michelle sowie der Erzählungsband Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern. Auch diese beiden Veröffentlichungen wurden in den Vorträgen beleuchtet, wie auch die Kinderbücher Pehnts, sodass tatsächlich das Gesamtwerk der Autorin diskutiert werden konnte: Prof. Dr. Ulf Abraham, Inhaber des Lehrstuhls für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur, analysierte im Abschlussvortrag "sichtbare und unsichtbare Gefährten" in den Kinderbüchern der Autorin.