Silke Anger (Foto: Jutta Palm-Nowak)

„Ökonomen haben eine große Verantwortung“

Gestatten, Silke Anger, Volkswirtschaftlerin!

Worin besteht Ihr Selbstverständnis als Professorin?

Mein Ziel ist es natürlich, Wissen bestmöglich an die Studierenden weiterzugeben und die Erfahrungen, die ich über Jahre gesammelt habe, zu teilen. Dabei sehe ich meine Aufgabe auch darin, denjenigen, für die mein Fach eher eine lästige Pflicht ist, den Sinn der VWL nahezubringen und vielleicht sogar ein ernsthaftes Interesse zu wecken. Diejenigen, die sich ohnehin für mein Fach interessieren, möchte ich noch mehr dafür einnehmen, sie als zukünftige Nachwuchsforscher gewinnen und am liebsten für meine eigenen Forschungsfelder im Bereich der Bildungsökonomik und Arbeitsmarktökonomik begeistern.

Was ist Ihnen im Bereich Lehre besonders wichtig?

In der Lehre finde ich es sehr wichtig, theoretische Modelle und empirische Analysen miteinander zu verbinden und Studierende somit möglichst optimal auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten. Für mich ist Lehre jedoch nicht nur eine Dienstleistung, sondern durchaus bereichernd. So lerne ich selber weiter dazu, bekomme Impulse für meine Forschung und finde im besten Fall sogar Studierende, die sich als Mitarbeiter bei einem Forschungsprojekt anbieten.

Warum sollte man heute Ihr Fach studieren?

Die VWL beschäftigt sich ausgehend von der Knappheit von Ressourcen mit der Verteilung von Gütern. Dieses Thema ist aktueller denn je, denn wir müssen uns fragen, welche Güterverteilung gesellschaftlich erwünscht ist und ob man diese über Wettbewerbsmärkte herstellen kann.

Woran zeigt sich die Aktualität?

Da sich aus ökonomischen Modellen Handlungsempfehlungen für die Wirtschaftspolitik ableiten lassen, trägt dieses Fach zur Gestaltung zentraler Lebensbereiche, wie dem Bildungserwerb oder dem Arbeitsmarkt bei. Dank innovativer Methoden lassen sich nicht nur ökonomische Auswirkungen von Politikmaßnahmen abschätzen. Ein Beispiel hierfür wäre, welche Effekte Umverteilungsmaßnahmen auf die Entscheidungen verschiedener Akteure auf dem Markt haben. Das heißt andererseits auch, dass Ökonomen eine große Verantwortung haben, da sie bei falscher Politikberatung viele Menschen unglücklich machen oder eine ganze Gesellschaft spalten können.

Seit dem Beginn meines Studiums hat sich die VWL sehr stark gewandelt und ist dadurch auch für Studierende attraktiver geworden. Sie geht nicht mehr ausschließlich vom rational handelnden Individuum aus und hat sich für andere Disziplinen wie beispielsweise der Psychologie geöffnet.

Haben Sie ein besonders wichtiges / schönes / spannendes Forschungsprojekt, über das Sie gerne berichten möchten?

In einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit einer Doktorandin untersuchen wir die Auswirkungen der G8-Reform – also der Verkürzung der Gymnasialzeit seit 2001 – auf die Persönlichkeitseigenschaften von betroffenen Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Wir verwenden repräsentative Daten für ganz Deutschland und analysieren, inwiefern sich bei Gymnasiasten und Abiturienten Persönlichkeitsmerkmale wie emotionale Stabilität als Folge der Reform verändert haben.

Was heißt das genau?

Wir überprüfen die kausalen Effekte der Reform auf Persönlichkeitsveränderungen. Wenn Schüler beispielsweise in Form einer geringeren emotionalen Stabilität für die Gymnasialreform bezahlen, wäre dies insofern dramatisch, als dass emotional instabilere Personen in verschiedenen Lebensbereichen wie zum Beispiel im Arbeitsmarkt schlechter abschneiden, wie frühere Studien gezeigt haben.

Verraten Sie uns noch etwas über Sie selbst? Wie haben Sie zum Beispiel zu Studienzeiten gewohnt?

Während der ersten Semester habe ich in Bamberg im „Pestheim“ gewohnt, zum Glück in dem Teil, der damals noch ganz neu war. Nach meinem Auslandsjahr wollte ich dann zentraler wohnen und bin in eine WG in der Oberen Sandstraße gezogen. Das war toll, so nah an den Kneipen und Clubs zu wohnen, aber am Wochenende ganz schön laut.

Gibt es eine Wissenschaftlerin oder einen Wissenschaftler, die/der Sie besonders beeinflusst hat?

Am meisten hat mich mein damaliger Professor Johannes Schwarze beeinflusst, für den ich in Bamberg als studentische Hilfskraft tätig war. Er hat mir das empirische Arbeiten beigebracht, seine Erfahrung mit komplexen Datensätzen großzügig geteilt und mich geduldig in das Programmieren statistischer Software eingeführt. Mit ihm zusammen habe ich meinen ersten wissenschaftlichen Artikel veröffentlicht.

Seine Begeisterung für die Forschung hat mich angesteckt, und ich hatte ihm auch meine Promotionsstelle an der Humboldt-Universität Berlin zu verdanken. Die meisten Studierenden werden Herrn Schwarze nicht mehr kennen, da er 2010 bei einem tragischen Verkehrsunfall ums Leben kam. Seine ehemaligen Mitarbeiter werden jedoch seine Philosophie und seine Art des unprätentiösen Forschertyps weitertragen.

Welches Gesetz würden Sie gerne verabschieden?

Ein Elternzeitgesetz, bei dem beide Partner gleich viele Elternmonate nehmen müssen (zum Beispiel 7+7) und nicht bzw. nur zu einem geringen Teil gleichzeitig in Elternzeit gehen können.

Und was versprechen Sie sich davon?

Solch ein Gesetz würde das traditionelle Rollendenken weiter aufbrechen und hätte viele Vorteile: Der Staat würde das Elterngeld für die nicht ernsthaft an Familienarbeit interessierten Väter einsparen, die bisher ihre zwei Vätermonate zusammen mit ihrer Partnerin hauptsächlich als Urlaub genossen haben anstatt Windeln zu wechseln. Zudem könnten ernsthaft interessierte Väter ihre Familienzeitwünsche besser realisieren und hätten gegenüber ihrem Arbeitgeber eine stärkere Argumentationskraft und höhere Akzeptanz ihrer Elternzeit. Und schließlich könnten mehr Mütter als bisher die Erfahrung machen, dass es zu Hause auch ohne sie gut funktionieren kann. Sie hätten zudem den Vorteil einer kürzeren Erwerbsunterbrechung, was sich nicht nur positiv auf Einkommen und Karrierepfad, sondern auch auf ihre Alterssicherung auswirkt.

Mit welcher historischen Persönlichkeit würden Sie sich gerne einmal unterhalten?

Mit Marie Curie, eine der ersten Professorinnen und einzige weibliche zweifache Nobelpreisträgerin. Mit ihr würde ich mich gerne über die Forschungsbedingungen für Frauen Ende des 19. Jahrhunderts unterhalten und wie sie es geschafft hat, trotz sehr schwieriger persönlicher Umstände Familie und Beruf zu vereinbaren und die Energie für ihre leidenschaftliche Forschung aufzubringen.

In welchem Land könnten Sie sich vorstellen zu leben?

Kalifornien. Seit dem 3-monatigen Forschungsaufenthalt im letzten Jahr in Santa Barbara, wo die Universität direkt am Meer liegt und einen eigenen Strand besitzt, könnte ich mir gut vorstellen, dort zu leben. Die warmen Sonnenstrahlen, der blaue Himmel und die freundlichen Menschen machen mich glücklich, und ich finde es entspannend, im Linienbus neben einem Surfbrett sitzend zur Uni zu fahren.

Welche drei Dinge oder Personen würden Sie auf eine „einsame“ Insel mitnehmen?

Meinen Mann und meine beiden Töchter. Dann wäre von Einsamkeit nichts mehr zu spüren...

Verraten Sie uns Ihren größten Fehler?

Meine Schwäche für Schokolade und Kuchen. Es vergeht kaum ein Tag ohne Süßes, am liebsten mag ich Schokolade mit sehr hohem Kakaoanteil und New York Cheesecake.

Welchen Charakterzug an anderen Menschen schätzen Sie besonders?

Ehrlichkeit und Moral. Ich hasse es, wenn Personen ihre Mitmenschen oder das System austricksen und dann auch noch stolz darauf sind.

Was ist für Sie Glück?

Von schlimmeren Krankheiten verschont zu bleiben und einen Partner und gute Freunde zu haben, bei denen man sich auch mal hängenlassen kann. Perfekt wäre dazu noch ein mildes Klima und ein strahlend blauer Himmel.

Welche natürliche Gabe würden Sie gerne besitzen?

Mehr Geduld.

Welche Sportarten mögen Sie?

Ich habe früher gerne Tennis und Badminton gespielt und viel Leichtathletik gemacht. Während des Studiums war ich bei den Volleyball-Damen des USC aktiv und habe in den letzten Jahren hauptsächlich Beachvolleyball gespielt.

Haben Sie einen Lieblingsfilm oder eine Lieblingsfernsehserie?

Sendung mit der Maus. Das ist zur Zeit der einzige Film, den ich – zusammen mit meinen Töchtern – anschaue. Auch ich kann dabei immer etwas lernen.

Kochen Sie gerne? Nach welchen Rezepten?

Ich koche sehr gerne in Gesellschaft, bin aber in den letzten Jahren wenig dazu gekommen. Mit meinen Freundinnen hatte ich einen Kochclub, in dem wir Brigitte-Rezepte nachgekocht haben. Das waren leckere Rezepte, aber wir waren uns einig, dass man die doppelte Menge braucht, um satt zu werden.

Was trinken Sie am liebsten?

Espresso von einem guten Barista.

Was schätzen Sie an Bamberg?

Die Abwechslungen, die Bamberg zu bieten hat. Ich schätze die Vielfalt Bambergs mit seinem wunderschönen Stadtbild, den zahlreichen Cafés und Kneipen, einer Vielzahl von kulturellen Veranstaltungen und dem sportlichen Angebot. Zugleich ist Bamberg in eine traumhafte Umgebung eingebettet und das Umland hat tolle Bierkeller zu bieten. Nach vielen Jahren in Berlin schätze ich an Bamberg natürlich auch die geringen Entfernungen, die man fast alle mit dem Fahrrad überwinden kann.

Haben Sie schon einen Lieblingsplatz oder eine Lieblingslokalität in Bamberg?

Mein Lieblingscafé ist nach wie vor das Café Müller.

Kurzvita

Silke Anger ist seit November 2013 Professorin für Volkswirtschaftslehre, insb. Bildungsökonomik, an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und leitet seit September 2013 den Forschungsbereich "Bildungs- und Erwerbsverläufe" am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Sie studierte 1995 bis 2001 Europäische Wirtschaft an der Universität Bamberg und Volkswirtschaftslehre an der University of South Carolina, Columbia. Im Anschluss war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität zu Berlin, wo sie 2005 promovierte. Von 2005 bis 2013 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und habilitierte sich 2013 an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Während ihrer Promotion und Habilitation absolvierte sie längere Forschungsaufenthalte an der Universitat Pompeu Fabra in Barcelona, an der University of Stirling und an der University of California, Santa Barbara.

Hinweis

Dieses Interview steht Journalistinnen und Journalisten zur freien Verfügung.

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