Henrik Simojoki (Foto: privat)

Religionsbezogene Wahrnehmungsfähigkeit stärken

Gestatten, Henrik Simojoki, Religionspädagoge!

Akademisches Leitbild

Worin besteht Ihr Selbstverständnis als Professor?

Auch wenn es vielleicht komisch klingt: Ich sehe meine Aufgabe an der Universität analog zu der eines Optikers. Es geht mir vor allem darum, meine Studierenden für die religiösen Fragen und Ansichten heutiger Kinder und Jugendlichen zu sensibilisieren. Ich will ihnen helfen, genauer hinzuschauen und schärfer zu sehen. Warum sind gerade diese Eigenschaften in meinem Fach so wichtig? Religion begegnet uns in der heutigen Gesellschaft in einer fast grenzenlosen Vielfalt. Wenn es aber Religion nicht mehr in „Normalform“ gibt, dann kommt es im Religionsunterricht vor allem darauf an, einen wachen Blick für die je eigene Religion der Schülerinnen und Schüler zu haben. Daher versuche ich in meiner Lehre, die religionsbezogene Wahrnehmungsfähigkeit meiner Studierenden zu stärken und sie dadurch in die Lage zu versetzen, religiöse Bildungsprozesse subjektgerecht anzulegen. Auch meine Forschung dient einer solchen Sichtschärfung: In meiner Habilitation fokussiere ich beispielsweise die raumgreifende Globalisierung von Religion in der Gegenwart und frage anschließend, wie religiöse Bildung unter globalisierten Bedingungen gelingen kann.

Warum sollte man heute Ihr Fach studieren?

Weil es einen selten dynamischen Inhalt hat und eine erfüllende Zukunftsperspektive eröffnet. Wer Religion als ein verknöchertes Relikt aus alten Zeiten versteht, dem empfehle ich, einfach mal mit einem Kind oder einem Jugendlichen über Gott und die Welt zu reden. Da kommen fast immer scharfsinnige Fragen auf – und originelle Antworten, die zu gemeinsamem Nachdenken und Weiterfragen anregen.

Kindern heutzutage Religion als eine Lebensressource zu erschließen und sie bei der Suche nach dem eigenen Glauben zu unterstützen, ist eine wichtige, verantwortungsvolle und belohnende Aufgabe. Zudem bewegt sich mein Fach im Schnittfeld mehrerer Disziplinen. Es steht gewissermaßen im Dazwischen von Theologie und Erziehungswissenschaft und ist in hohem Maße auf das Gespräch mit den Human-, Sozial- und Geisteswissenschaften angewiesen. Wer Religionspädagogik studiert, so ist auf unserer Homepage auch optisch zu sehen, kommt mit vielem in Berührung.

Haben Sie ein besonders wichtiges / schönes / spannendes Forschungsprojekt, über das Sie gerne berichten möchten?

Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus neun europäischen Ländern arbeite ich an einer international-vergleichenden Längsschnittstudie zur Konfirmandenarbeit in Europa mit. Mit einer Gesamtstichprobe von ca. 40.000 Jugendlichen handelt es sich um eine der größeren europäischen Jugendstudien. Worauf es mir hier ankommt: Länderübergreifende Zusammenarbeit hat immer auch eine soziale Seite. Wir treffen uns in regelmäßigen Abständen in jeweils einem der teilnehmenden Länder und sind uns im Laufe der jetzt schon mehr als fünfjährigen Zusammenarbeit auch menschlich nähergekommen. Sobald ein Arbeitstreffen bevorsteht, stellt sich bei mir Vorfreude ein. Denn wir brüten nicht nur über Fragebögen und Deutungsalternativen. Es wird in diesem Kooperationsprojekt auch sehr viel gelacht. 

Rund ums Studieren

Wie haben Sie zu Studienzeiten gewohnt?

Das Hauptstudium verbrachte ich in einer Tübinger Wohngemeinschaft. Wilde Mathilde nannten wir uns, dem Straßennamen nach. Wir waren ein bunt zusammengewürfelter Haufen – eine Kunstgeschichtlerin, ein Sinologe und ein Theologe – und haben uns prächtig verstanden. Die Nachwirkungen sind bis heute zu spüren: Unser nächster Familienurlaub führt uns nach Peking.

Was wäre wenn …

Welches Gesetz würden Sie gerne verabschieden?

Mangels Kompetenz kann ich bei dieser Frage nicht allzu konkret werden. Aber nach meinen bisherigen Erfahrungen im Universitätsbetrieb ist eines sicher: Das Gesetz würde höchstwahrscheinlich in den Bereich „Bürokratieabbau“ fallen.

Was würden Sie tun, wenn Sie auf einmal der einzige Mensch auf Erden wären?

Ich glaube nicht, dass ich ohne die Gegenwart und Nähe anderer Menschen leben, geschweige denn glücklich sein könnte. Daher würde ich mich wohl vor allem darauf konzentrieren, die Menschen, die mir am Herzen liegen, durch Erinnerung, sprachliche Vergegenwärtigung und ungebrochene Kommunikation lebendig zu halten.

Reisen und fremde Länder

Sprechen Sie eine „exotische“ (d.h. nicht Englisch, Französisch) Fremdsprache?

Kyllä, lautet die Antwort auf Finnisch, meiner Muttersprache. Ihr ist auch mein für deutsche Ohren tatsächlich „exotischer“ Nachname geschuldet. 

Welche drei Dinge oder Personen würden Sie auf eine „einsame“ Insel mitnehmen?

Da muss ich nicht lange nachdenken: Natürlich meine Frau und meine zwei Kinder. Und ich wüsste auch, welche Insel wir ansteuern würden: unsere Sommerhausinsel im südwestfinnischen Schärengebiet. Wir müssten gar nichts mitnehmen, weil schon alles vor Ort ist, was skandinavisches Sommerleben ausmacht. Am Steg ein Buch lesen, therapeutisches Holzhacken, Netze auswerfen, Graved Lachs verspeisen, im Abendlicht Badminton spielen und, das vor allem, ausgiebig saunen... Sie merken: Im kulturellen Kontext meiner Heimat entfaltet die Vorstellung einer „einsamen“ Insel keinen Schrecken.

Tugend & Laster

Verraten Sie uns Ihren größten Fehler?

Ich bin ein notorischer Liegenlasser. Wer nach mir das Vorlesungspult betritt oder einen Seminarraum in Gebrauch nimmt, wird immer etwas vorfinden. Üblicherweise sind es Stifte, Skripte oder Arbeitsblätter, aber es kann auch schlimmer kommen. Nachdem mir vor einiger Zeit schon zum zweiten Mal ein PP-Presenter von einem Vortragsort nachgeschickt werden musste, ergriff eine Seniorin meiner Kirchengemeinde, der ich beiläufig davon erzählte, beherzt die Initiative: Sie häkelte mir einen Schutzmantel mit eingestickter Namenskennung, bis heute ein unentbehrlicher Begleiter meiner akademischen Lehre.   

Welchen Charakterzug an anderen Menschen schätzen Sie besonders?

Ich versuche, diese Frage biographisch zu kontextualisieren: In Finnland aufgewachsen, habe ich meinen Lebensmittelpunkt jetzt schon seit über einem Jahrzehnt in Franken. Es fiel mir ausge-sprochen leicht, hier Fuß zu fassen. Der Grund dafür liegt sicher auch darin, dass Finnen und Franken von ihrer Mentalität her gar nicht so weit auseinanderliegen: Beide neigen nicht gerade zu Überschwänglichkeit, gelten als etwas mundfaul und pflegen einen Humor, der sich nicht jedem unmittelbar erschließt. Und es haftet ihnen eine gewisse Festigkeit an, die sich schwer in Worte fassen lässt, die mir aber viel bedeutet.

Lebensmotto & Lebenspraxis

Welche natürliche Gabe würden Sie gerne besitzen?

Der Hang heutiger Jugendlichen zu medialem Multitasking wird oft kritisiert. Mich persönlich jedoch beeindruckt die Gewandtheit, mit der sie zwischen unterschiedlichsten Medien und Kommunikationsebenen switchen.

Haben Sie eine Lieblingsbeschäftigung jenseits von Forschung und Lehre?

Ich bin mit jeder Pore Familienmensch und brauche, um glücklich zu sein, den Lebenszusammenhang der christlichen Gemeinde. Es sind diese Kontexte, die mein Leben jenseits von Forschung und Lehre erfüllen.

Sport, Musik, Kultur

Welche Sportarten mögen Sie?

Laufen ist herrlich unkompliziert und zieht zudem erfreuliche Nebeneffekte nach sich. Wenn der Text mal wieder nicht fließt, schnürt man am besten einfach die Schuhe und verschwindet im Wald. Man kommt garantiert reicher an Sauerstoff zurück und nicht selten auch reicher an Ideen.

Haben Sie ein Lieblingsbuch?

Nicht wirklich, wohl aber einen Lieblingsautor. Die wenigen Bücher von W.G. Sebald lösen bei mir Empfindungen aus, wie sie musikalischere Menschen beim Hören einer Bach-Kantate haben mögen. 

Essen und Trinken

Kochen Sie gerne? Nach welchen Rezepten?

Um ehrlich zu sein: Meine Leidenschaft gilt eher dem Verzehren. Schon zu WG-Zeiten war mein vorrangiges Betätigungsfeld in der Küche das Spülbecken und nicht der Herd. Das ändert sich jedoch zu Heiligabend, wenn es darum geht, den klassischen finnischen Weihnachtsschinken zuzubereiten.

Was trinken Sie am liebsten?

Ob im Sommerhoch oder im Mittagsloch – nichts geht über ein eiskaltes Club-Mate.

Leben in Bamberg

Was fällt Ihnen im Vergleich zu Ihrer Heimatstadt besonders an Bamberg auf?

Das Mittelalter ist hier in einer ganz anderen Weise präsent als in meiner Heimatstadt Helsinki, die erst im 19. Jahrhundert zur Blüte gelangte. Als ökumenisch gesinnter Theologe erfreue ich mich auch an den vielen und vor allem sehr unterschiedlichen Kirchen, die das Stadtbild Bambergs prägen.

Haben Sie schon einen Lieblingsplatz oder eine Lieblingslokalität in Bamberg?

Nicht nur einen, sondern fünf. So viele Sams-Spielplätze gibt es nämlich auf dem ERBA-Gelände. Natürlich hat Bamberg Schöneres im Repertoire, sogar in Hülle und Fülle. Aber auf diesen fünf Plätzen spielte sich familienbiographisch Entscheidendes ab. Als sich im Sommer 2012 abzeichnete, dass mich mein Weg nach Bamberg führen würde, unternahmen wir einen Familienausflug, um diese bildhübsche Stadt erstmals zu erkunden und, was besonders wichtig war, unseren Kindern als zukünftigen Lebensort schmackhaft zu machen. Wir fingen mit der Landesgartenschau an – und kamen nicht mehr weiter. Am Ende des Tages, nachdem sämtliche Spielmöglichkeiten auch zeitlich bis ins Letzte ausgereizt worden waren, trug ich meine Tochter vom Auto ins Bett. Das letzte, was sie vorm Einschlafen sagte, war: „Ich zieh schon mit Dir um, Papa – aber nur nach Bamberg!“

Kurzvita

geb. 1975 in Münster / Westfalen, verheiratet, zwei Kinder; 1995–2001 Studium der evangelischen Theologie in Heidelberg, Neuendettelsau, Tübingen und Erlangen mit erstem Kirchlichen Examen; 2001–2003 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am DFG-Forschungsprojekt „Moderne Religionspädagogik in konfessionell-vergleichender Perspektive“; 2004–2006 Vikariat in Ansbach mit zweitem Kirchlichen Examen, Ordination; 2006 –2011 Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Praktische Theologie / Religionspädagogik der Eberhard Karls Universität Tübingen; 2007 Promotion; 2011–2012 Vertretung der Professur für Religionspädagogik an der Universität des Saarlandes; 2012 Habilitation im Fach Praktische Theologie an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen; seit 2012 Professor für Evangelische Theologie mit Schwerpunkt Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg