Monica Fröhlich/Universität Bamberg

Die AULA ist während der Hegelwoche gut gefüllt – auch am dritten und letzten Abend.

Monica Fröhlich/Universität Bamberg

Über den Zusammenhalt im Kleinen, in der Familie, spricht Paul Kirchhof.

Monica Fröhlich/Universität Bamberg

Claus Dierksmeier thematisiert Unternehmen, die verantwortlich handeln.

Mit dieser und weiteren Statistiken argumentiert Gunnar Heinsohn.

Monica Fröhlich/Universität Bamberg

In der abschließenden Podiumsdiskussion legt Andreas Starke (r.) den Podiumsteilnehmern Gunnar Heinsohn (l.) und Christian Illies kommunale Herausforderungen dar.

- Patricia Achter

Die Welt zerbricht … nicht?

30. Bamberger Hegelwoche zum Thema „Was uns zusammenhält“

Familie. Wirtschaft. Staat. Drei Bereiche, in denen die Welt zerbricht. Oder Bereiche, in denen die Welt zusammenhält? Die 30. Bamberger Hegelwoche vom 4. bis zum 6. Juni 2019 fragte danach, „was uns zusammenhält“. Und Georg Wilhelm Friedrich Hegel gab den Rahmen vor. „Hegel unterteilte die soziale Welt in die Familie, die bürgerliche Gesellschaft und den Staat“, führte der Organisator und Philosoph Prof. Dr. Christian Illies in die dreitägige Veranstaltungsreihe ein. Familie ist laut Hegel die natürliche Einheit; der erste Ort, an dem man lernt, verbunden zu sein. Die bürgerliche Gesellschaft entspricht der Wirtschaft: Aus dem Egoismus des einzelnen, etwas erreichen zu wollen, kann gemeinsam etwas Gutes entstehen. Und der Staat ist eine Gemeinschaftsform, die beides verbindet und ihm Stabilität gibt.

Zusammenhalt in Familie und Wirtschaft

Mit dem Zusammenhalt im Kleinen, mit der Familie, begann am ersten Abend Prof. Dr. em. Paul Kirchhof, Verfassungs- und Steuerrechtler von der Universität Heidelberg. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter zitierte Hegel, der die Familie als „Sphäre geistiger Freiheit“ beschrieb, und führte weiter aus: „Das Eltern-Kind-Verhältnis kann man von Rechts wegen nicht auflösen.“ Das ist ein ganz besonderes Rechtsverhältnis, das es sonst nicht gibt – jeder andere Vertrag ist kündbar, die Familienzusammengehörigkeit nicht. Zu einer Familie gehöre man durch Geburt. Ein Kind lerne in der Familie die Muttersprache, Vertrauen und mehr. Es wachse mit oder ohne Bezug zu einer Religion auf, lerne vielleicht, ein Musikinstrument zu spielen, und werde letztlich zur Freiheit hingeführt. „Eltern haben die Verantwortung, ein Kind möglichst breit zu qualifizieren, sodass es die Freiheit hat zu entscheiden.“ Der deutsche Staat gewähre und schütze dann diese Entscheidungsfreiheit – ob in der Religion oder im Beruf. Für Kirchhof bedeutet Zusammenhalt: Man nutzt die eigene Freiheit für das Gemeinwesen.

Den einzelnen Menschen in der global vernetzten Welt stellte Prof. Dr. Claus Dierksmeier, Philosoph und Professor für Wirtschafts- und Globalisierungsethik an der Universität Tübingen, in den Mittelpunkt. Ihm ging es um die Frage, wie sich die individuelle Freiheit mit dem kosmopolitischen Ganzen verbinden lässt. Sein Vorschlag: mit Unternehmen, die verantwortlich handeln. Firmen können ethisch handeln ohne Nachteile zu haben, argumentierte Dierksmeier: „Laut Hegel ist die Wirtschaft eng mit sittlichem Verhalten verbunden.“ Es komme auf das richtige Maß politischer Regulierung und Freiheit an, die man Unternehmen gewähre: Genug Regeln, um schwarze Schafe zu bestrafen, genug Freiheit, um den Menschen mit seinem natürlichen Gespür für Gerechtigkeit gestalten zu lassen. „Moral motiviert“, zeigte sich Dierksmeier überzeugt. „Firmen können gerade aufgrund ihrer integren Strategien erfolgreich sein.“

Spagat zwischen weltweiten und kommunalen Herausforderungen

Am dritten Abend hätten die Zuschauerinnen und Zuschauer wohl einen Vortrag über den Zusammenhalt innerhalb des Staates erwartet. Sozialpädagoge Prof. Dr. em. Gunnar Heinsohn von der Universität Bremen überraschte jedoch mit einem anderen, weiteren Blick, der ein düsteres Bild der Zukunft sah. Wer sich Europa langfristig als einen Kontinent mit weltweiter Vorreiterrolle vorgestellt hat, wurde an diesem Abend erschüttert. Die Chancen Europas scheinen nicht sehr groß. Heinsohn stützte sich für seine Thesen auf Statistiken zum „Denkvermögen“ der Staaten weltweit, vor allem auf Statistiken, die Innovationskraft und Durchschnitts-IQ der Nationen miteinander verglichen. Ein Beispiel: Im Jahr 2015 wurden die TIMSS durchgeführt, international vergleichende Schultests in Mathematik und Naturwissenschaften. In Ost-Asien waren von den zwischen 2005 und 2009 geborenen Schülern 30 Prozent (China) bis 50 Prozent (Singapur) „Mathematik-Asse“, wie Heinsohn sie nannte. In der europäischen Welt erreichten bei der gleichen Studie nur 2,5 Prozent (Frankreich) bis maximal 25 Prozent (Schweiz) dieses Niveau. Deutschland liegt bei 5,3 Prozent. Und der Rest der Welt? Er besteht aus 4,8 Milliarden Menschen, darunter 0 bis 5 Prozent Mathematik-Asse.

Diese und andere Statistiken und Hochrechnungen verdeutlichten, dass die Erfindungs- und Innovationskraft in Bereichen wie der Künstlichen Intelligenz in Asien liegt. Migrations- und Bildungspolitik asiatischer Länder verstärken den Effekt zusätzlich. Dagegen wird Europa immer mehr abgehängt.

Solidarische Gesellschaft

Und nun? In der anschließenden Podiumsdiskussion mit Gunnar Heinsohn und Oberbürgermeister Andreas Starke wagte Christian Illies den Spagat zwischen weltweiten und kommunalen Herausforderungen und versuchte die Verbindung herzustellen: „Eine solidarische Gesellschaft, wie wir sie gerne sein wollen, ist nur mit einer starken Wirtschaft finanzierbar. Deswegen betrifft die internationale Entwicklung und Zukunft ganz konkret unsere Möglichkeiten, die wir vor Ort haben.“ Der Bamberger Oberbürgermeister schaute auf diesen Handlungsbereich und seine besonderen Herausforderungen. Mit seinen kommunalpolitischen Erfahrungen sprach er etwa davon, wie der Fachkräftemangel nicht nur im nationalen Vergleich zu spüren sei. Auch Städte lägen im Wettstreit um die besten Köpfe. „Bei alledem dürfen wir aber den humanitären Aspekt nicht aus den Augen verlieren“, betonte er. „Unabhängig von den Anforderungen der Wirtschaft an eine Einwanderungspolitik haben wir hier Menschen, denen wir konkret und solidarisch helfen müssen.“

Vielleicht, so hoffte Christian Illies abschließend, war die Hegelwoche mit ihren drei Abendvorträgen ein Anstoß, um diese doppelte Herausforderung ernst zu nehmen und sich ihr zu stellen. „Wenn wir an die Zukunft denken, müssen wir nüchterne Bestandsaufnahmen machen, um den Problemen ernsthaft ins Auge zu schauen. Und dann Entscheidungen für die Zukunft zu fällen, die klug und humanitär verantwortlich sind. Wie diese genau aussehen, das ist die große Frage an unsere Zeit.“ Aber sie gemeinsam anzugehen, um damit künftige Herausforderungen gemeinsam zu lösen, das könne die Gesellschaft vielleicht neu zusammenhalten.

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