Kathrin Wimmer/Universität Bamberg

Ray (li.) und Illies wagen den Blick über die Mauer...

Kathrin Wimmer/Universität Bamberg

...und entdecken die Steinwürfel der Mang‘schen Wachsbleiche.

Kathrin Wimmer/Universität Bamberg

Düchs (li.) und Illies bauen an einer Philosophie der Architektur.

Lesen zwischen den Häuserzeilen

Bamberger Philosophen forschen zur Architekturphilosophie

Was machen ein Philosoph und ein Architekt, wenn sie spazieren gehen? Sie lesen zwischen den Häuserzeilen! Dr. Martin Düchs und Prof. Dr. Christian Illies, Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie II, organisieren öffentliche architekturphilosophische Rundgänge durch Bamberg. Der fremde Blick der auswärtigen Referierenden zeigt auch Alt-Bambergern neue Seiten ihrer Stadt.

Reges Gewusel herrscht am Maximiliansplatz in Bamberg. Dazwischen eine etwa 15-köpfige Gruppe, die mit Headsets ausgestattet ist, den Ausführungen ihres Gästeführers lauscht und den Blick über die Fassaden schweifen lässt. Alltäglich in der Weltkulturerbestadt – könnte man meinen. Das Besondere an dieser Führung: Der Gästeführer ist der Auswärtige, die Zuhörerinnen und Zuhörer leben in Bamberg.

Dr. Martin Düchs, Mitarbeiter von Prof. Dr. Christian Illies am Lehrstuhl für Philosophie II, Illies selbst und die Stiftung des Bunds deutscher Architekten (BDA) Bayern haben den englischen Architekten Nick Ray für eine Stadtführung der besonderen Art eingeladen: Ziel ist es, die Gebäude architekturphilosophisch zu betrachten und das Auge zu schulen. Was ist schön? Was braucht der Mensch? Wie wollen wir leben? Die Rundgänge wollen solche Fragen klären und Philosophie und Architektur zusammenbringen. Es ist der dritte von insgesamt fünf Spaziergängen unter dem Titel „Flanier mit mir!“, die auch von der Fränkischen Gesellschaft für Philosophie unterstützt werden. „In Deutschland ist Architekturtheorie eher Architekturgeschichte – es fehlt ein systematisches Nachdenken über das Bauen“, betont Prof. Illies, der sich seit einem Jahrzehnt mit der Thematik beschäftigt.

Flanier mit mir! – Der fremde Blick als Chance

Ray steht am Maximiliansplatz und weist die Gruppe, die sich aus Studierenden und Bürgerinnen und Bürgern zusammensetzt, auf die Weite des Raumes hin. Dort, wo einst eine Kirche stand, ist heute ein freier, weiter Platz – und das mitten in der Stadt. „Im späten 20. Jahrhundert wird Raum knapp. Freie Flächen sind ungewollt und eher ein Unfall“, erläutert der Architekt, der vor seiner Emeritierung an der University of Cambridge gelehrt hat. „Hier umrahmen die Gebäude den freien Raum und schaffen ihn erst.“ Die Gruppe flaniert weiter, allerdings nicht zu den klassischen Touristen-Hotspots wie Klein Venedig oder zum Rosengarten, sondern zur Kettenbrücke. Menschen sitzen auf den Bänken, unterhalten sich, essen, lachen, telefonieren. Dazwischen: Autos und Radfahrende. Eine Brücke, die Verkehrsknotenpunkt und Treffpunkt zugleich ist, zeigt, wie nützlich und gelungen Architektur sein kann.

Der fremde Blick der auswärtigen Referenten – Ray ist selbst das erste Mal in Bamberg und bereitete seine Tour am Vormittag vor – bietet neue Aspekte für Bambergerinnen und Bamberger. Nicht wenige ertappten sich dabei, ganz neue Winkel ihrer Stadt zu entdecken. Als Ray die Mang‘sche Wachsbleiche in der Oberen Königstraße aufsucht, ist Robin Schultz, Student der Politikwissenschaft, völlig überrascht: „Hier habe ich früher gewohnt. Heute höre ich zum ersten Mal, dass die Steinwürfel im Garten keine modernen Deko-Objekte sind, sondern von der Manufaktur genutzt wurden.“

Kann denn Bauen Sünde sein?

Mit den moralischen Aspekten der Architektur beschäftigt sich Dr. Martin Düchs. Er ist Architekt und Philosoph in Personalunion und wurde über „Architektur für ein gutes Leben. Über Verantwortung, Moral und Ethik des Architekten“ promoviert. Illies holte ihn als Mitarbeiter nach Bamberg. Düchs erklärt: „Ich bin in meiner Arbeit als Architekt immer wieder auf moralische Probleme gestoßen. Ein Architekt trägt große Verantwortung, unter anderem für die Gesellschaft, die Natur und den Bauherren.“ In diesem Spannungsfeld gelte es, die Idee eines guten Lebens umzusetzen. Die Frage „Was braucht der Mensch?“ müsse neben Aspekten wie dem Kostenfaktor oder der Abstandsfläche beantwortet werden. Architektur, die beispielsweise rücksichtslos gegenüber der Natur oder dem Nachbarn sei, könne als moralisch verfehlte Architektur gelten.

Sechs Richtlinien für moralisch gute Architektur

Illies, der zusammen mit Düchs die Tagung der International Society for the Philosophy of Architecture 2016 nach Bamberg holt, benennt sechs ethisch relevante Aspekte der Architektur: Architektur ist ethisch gut, wenn sie auf Umweltschutz und Nachhaltigkeit achtet und der psychischen und physischen Gesundheit ihrer Bewohnerinnen und Bewohner nützt. Einen positiven Einfluss auf das gesellschaftliche Gemeinwohl übt Architektur aus, wenn sie beispielsweise Interaktionen und zwischenmenschlichen Austausch verstärkt.

Darüber hinaus müssen Funktion und Gebrauch eines Gebäudes ethisch vertretbar sein. Ein Straflager wäre ethisch verwerflich – ein Sanatorium gut. Auch die symbolische Aussagekraft des Gebäudes muss hinterfragt werden. Soll es übermächtige Herrschaftsansprüche in Stein meißeln, wie beispielsweise die Bauten der Nationalsozialisten? Und nicht zuletzt braucht es professionelles Verhalten während der Planungs- und Bauphase, das beispielsweise menschenwürdige Arbeitsbedingungen garantiert.

Zu einem guten Leben gehört eine schöne Stadt

„Was auch immer Sie tun – ein gut geplantes Gebäude hilft Ihnen, es besser zu machen”, sagt Ray. Auch Düchs und Illies betonen, dass zu einem guten Leben eine schöne Stadt gehöre. Wo nur noch funktionell gebaut sei, ließe es sich nicht mehr gut leben – wo alles optimiert und perfektioniert sei, erhielte das Unmenschliche Einzug. Der Architektur komme ein Bildungsauftrag zu: „Wer erkennt, dass das Harmonische und Schöne gefährdet und brüchig ist, der übt sich in Rücksichtnahme“, erklärt Illies und lädt ein, öfter zwischen den Häuserzeilen zu lesen. 

Weitere Führungen

Die nächsten architekturphilosophischen Rundgänge finden am 16. Oktober und 6. November um jeweils 16 Uhr statt. Die Spaziergänge sind kostenlos, Anmeldung ist erforderlich bei der Fränkischen Gesellschaft für Philosophie unter: praesidium(at)fgph.de 

Im Oktober spricht Dr. Gerhard Stamer über das „Wesen der Stadt“. Danach thematisiert PD Dr. Peter Bernhard „Bamberg und die Moderne“. Die Stadtführungen werden von der Stiftung des Bund Deutscher Architekten gefördert.

Zum Nachlesen: Aktuell erschien ein Aufsatz von Christian Illies im Sammelband „Architektur und Philosophie“, herausgegeben von Jörg H. Gleiter und Ludger Schwarte im Transcript-Verlag.

Hinweis

Diesen Text verfasste Kathrin Wimmer für die Pressestelle der Universität Bamberg. Er steht Journalistinnen und Journalisten zur freien Verfügung.

Bei Fragen oder Bilderwünschen kontaktieren Sie die Pressestelle bitte unter der Mailadresse medien(at)uni-bamberg.de oder Tel: 0951-863 1023.