Andrea Lösel/Universität Bamberg

Sich in Beziehung setzten zu dem, was war und dem was kommt - für Bärfuss zentral.

Andrea Lösel/Universität Bamberg

Die Veranstaltung ist vollbesetzt bis auf den letzten Platz.

Andrea Lösel/Universität Bamberg

Der Schrifststeller Lukas Bärfuss (li.) mit dem Organisator der diesjährigen Poetikprofessur Friedhelm Marx.

„Ich schreibe auch für die Abwesenden“

Auftakt der Poetikprofessur von Lukas Bärfuss

Von Hamburg über Berlin bis Zürich – Lukas Bärfuss‘ Stücke haben längst die großen Bühnen in Deutschland und der Schweiz erobert. Seine erste Poetikvorlesung drehte sich um die Tradition, in die sich der einzelne Schriftsteller mit seinem Schreiben einreiht. Und um die Verpflichtung zur Weitergabe von Erfahrung. Wie man es von Bärfuss kennt, natürlich immer gepaart mit Zeitkritik.

Kein Paukenschlag, nein. Ganz nüchtern und mit betontem Understatement startete die diesjährige Poetikprofessur. 43 Jahre alt sei er, verkündete Lukas Bärfuss ins Mikrofon, während rund 400 Augenpaare an ihm hafteten. Aus der Schweiz stamme er, hieß es weiter. Dann sein Beruf: Seit beinahe 20 Jahren arbeite er als Schriftsteller: „Meine Texte ernähren mich – und so ist es wohl zu so etwas wie dem Anfang eines Werks gekommen.“ Dieser von Bärfuss so betitelte Werkanfang hat ihm einen großen Bekanntheitsgrad eingebracht: Seine Dramen zählen zu dem meistgespielten im deutschen Sprachraum. Das Stück Die sexuellen Neurosen unserer Eltern verschaffte ihm in den frühen 2000er Jahren den Durchbruch. Seither sind zahlreiche weitere Theaterstücke entstanden. Doch der Schriftsteller ist auch in anderen literarischen Genres zuhause und dabei höchst erfolgreich: Sein Roman Koala erhielt vergangenes Jahr den Schweizer Buchpreis, die wichtigste literarische Auszeichnung der Schweiz. Sein jüngstes Werk ist der im März 2015 erschienene Band Stil und Moral, welcher Essays versammelt, in denen Bärfuss über Literatur reflektiert. „Es sind Essays, die versuchen, Dichtung ganz allgemein und grundsätzlich zu fassen“, so der Germanist Prof. Dr. Friedhelm Marx, Organisator der diesjährigen Poetikprofessur.

Am Küchentisch mit T.S. Eliot

Dichtung fassen – darum geht es auch bei der Bamberger Poetikprofessur. Unter dem Titel Verwandlungen spricht der Autor an vier Abenden über sein Werk. Der erste Abend am 5. Mai 2015 führte zurück zu den Anfängen von Bärfuss‘ schriftstellerischer Karriere. Er schilderte einen Mann von 25 Jahren, der Schriftsteller werden will – der Verdacht liegt nahe, dass Bärfuss damit auf seine eigenen Schreibanfänge rekurrierte. Um sein Ziel zu erreichen, studiert eben jener junge Mann das bereits Geschriebene. „Die Dichter verfolgten ihn oft wochenlang“, so Bärfuss, von dem hinlänglich bekannt ist, dass erst das Lesen ihn zum Schreiben führte. Im Traum erscheint dem jungen Schriftsteller, von dem Bärfuss berichtet, das Bild einer Wohngemeinschaft mit dem Literaturnobelpreisträger T. S. Eliot: „Er teilte den Alltag mit Eliot, kochte für ihn, sie saßen am Küchentisch und sprachen über Lyrik.“ Später wurde aus diesem Traum Bärfuss‘ erste veröffentlichte Erzählung.

Schreiben für Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft

Fast mantraartig durchsetzt war Bärfuss‘ weiterer Text der Poetikvorlesung vom Reden über Tradition, von Namen und Zitaten früherer Schriftsteller. Er setzte seine Brille ab, blätterte in einem Buch mit blauem Einband, suchte nach dem richtigen Klebepapierchen am Rand. Dann las er aus Eliots Essay Tradition und das individuelle Talent. Dort heißt es, der Schriftsteller könne sich Tradition erarbeiten. „Die Frage ist also, in welche Traditionen ich mich als Schriftsteller stelle, was ich übernehme, was ich verwerfe, was ich neu mache“, so Bärfuss. Deutlich wurde: Für den Schriftsteller ist Schreiben kein isolierter Vorgang in der Gegenwartswelt, seine Literatur erscheint vielfach rück- und vorgekoppelt. „Ich rede heute auch zu den Abwesenden. Denn Literatur wendet sich auch an die, die nicht mehr oder noch nicht da sind.“

Kritik an der Gegenwart

Bärfuss – dafür ist er bekannt – ist kein Autor, der bloß das Schöngeistige reflektiert. Immer wieder sorgt er für Furore, übt Zeitkritik – nicht nur in seinen Büchern. So fanden sich auch in der ersten Poetikvorlesung allerhand pikante Thesen zum gesellschaftlichen Leben. „Die Wirtschaft hat von der Literatur die Fiktion übernommen“, lautete eine davon: „Fiktionalisierungsapparate haben einen Bereich erreicht, der nicht für möglich gehalten wurde.“ Bärfuss verwies auf Unternehmen, die keine Produkte, sondern Geschichten verkaufen. Er tat die wirtschaftlichen Krisenentwicklungen unserer Zeit ab als große Fiktion. Über die Illusionslosigkeit der Gegenwart sprach er weiter, über die grassierende Nostalgie und die Erfahrungsarmut.

Erfahrungen übermitteln als schriftstellerische Aufgabe

Bei der abschließenden Diskussion brachte ihn eine Frage nach seinem Verhältnis zur Technik zurück zum Thema Tradition und Überzeitlichkeit: „Die Frage ist, was wir mit unseren Spuren machen. Ich glaube, es gibt spezifische Erfahrungen, die unsere Generation macht, die wir weitergeben müssen.“ Alles Technische – führte Bärfuss weiter aus – habe eine Lebenszeit von etwa zwei Jahren. Literatur hingegen verfüge über eine Dimension von etwa 2500 Jahren: „Deshalb schreibe ich auf Papier. Denn ich will auch in vielen Jahren noch etwas zu sagen haben.“

Weitere öffentliche Vorlesungen von Lukas Bärfuss

Im Rahmen von drei weiteren Abendvorträgen, die am 21. Mai, 11. und 17. Juni jeweils in der U2/00.25, An der Universität 2, um 20 Uhr stattfinden, wird der Autor über sein Werk, sein Schreiben und seine Poetik sprechen.

Den Abschluss der Poetikprofessur bildet das Internationale  Forschungskolloquium Handlungsmuster der Gegenwart, das am 18. und 19. Juni im Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia (Concordiastr. 28) stattfinden und Literaturwissenschaftler aus dem In- und Ausland, Literaturkritiker sowie den Autor selbst in Dialog miteinander bringen wird.

Alle Interessierten sind herzlich eingeladen!
Weitere Informationen finden Sie hier.

Hinweis

Diesen Text verfasste Andrea Lösel für die Pressestelle der Universität Bamberg. Er steht Journalistinnen und Journalisten zur freien Verfügung.

Bei Fragen oder Bilderwünschen kontaktieren Sie die Pressestelle bitte unter der Mailadresse medien(at)uni-bamberg.de oder Tel: 0951-863 1023.