Christian Illies (li.) im Gespräch mit Jan Assmann, der über den Totenkult als Urszene der Erinnerungskultur referierte. (Fotos: Andrea M. Müller)

Aleida Assmann sprach über Formen des Vergessens.

Auch zum zweiten Abend der Bamberger Hegelwoche waren zahlreiche Besucher erschienen.

Vergessensformen und Erinnerungskulturen

Der 2. Abend der Bamberger Hegelwoche

In seinem Vortrag „Ägypten und Israel: Totenkult und Auszug als Urszenen der Erinnerungskultur“ stellte Prof. Dr. Jan Assmann die Erinnerungskultur der beiden Kulturen  einander vergleichend gegenüber. Aus dem Wissen um den Tod ergäben sich zwei Wünsche. Erstens: über den eigenen Tod hinaus in Erinnerung zu bleiben. Zweitens: Kontakt mit den Toten zu knüpfen, die ins Jenseits vorausgegangen sind. Beide Wünsche erfüllte im alten Ägypten das Grab. Mit dem altägyptischen Osiris-Mythos zeigte Assmann ein spezielles Bild vom Tod: „Jeder Tod lässt sich durch Rechtfertigung heilen.“ Jeder Tote hat sich nach seinem Tod vor einem Totengericht zu rechtfertigen. „Für den Toten hängt nun alles davon ab, dass es einen Sohn und Rächer gibt, der sich seiner erinnert und ihm durch den Vollzug der Totenrituale zur Rechtfertigung verhilft.“ Zusammenfassend: Todesüberwindung und Selbstverewigung geschieht durch Grabsteine und Riten. 

Erinnern im alten Israel

Im zweiten Teil seines Vortrags stellte Assmann das gegenteilige alt-israelische Konzept vor, „das nicht das geringste mit dem Tod und der Sehnsucht nach Selbstverewigung zu tun hat.“ Es sei kein Zufall, dass Israel seinen Ursprung und seine Identität auf die Erzählung des Auszugs aus Ägypten ca. 1450 v. Chr. gründe. Um in den Bund mit Gott einzuziehen, sei der Auszug aus Ägypten notwendig gewesen. Genauso wie die Abtrennung von den Bürgern Kanaans. Der Mythos wird in „heilige Geschichte“ umgedeutet, die, wie ein Projekt, stark zukunftsorientiert ist. Ein auserwählter Gott und sein auserwähltes Volk steuern gemeinsam auf etwas radikal Neues zu. Eine Art Land, in dem „Milch und Honig“ fließt, in dem aber auch Regeln einzuhalten sind. „Während es den Ägyptern um Selbstverewigung geht, geht es Israel um Volksverewigung.“

Typologie des Vergessens

Prof. Dr. Aleida Assmann bildete im Anschluss mit ihrem Vortrag „Formen des Vergessens“ den „dialektischen Gegenpart“ zu ihrem Ehemann. Assmann gliederte das Vergessen in sieben Kategorien.

Neutral sei das Vergessen im Sinne einer Filterfunktion in den drei Kategorien „automatisches Vergessen“, „selektives Vergessen“ und „Verfahrensvergessen“. Während das „automatische Vergessen“ einen natürlichen Prozess beschreibt, bei dem von all den Informationen, die tagtäglich ausgetauscht werden, nur ein verschwindend geringer Teil „erinnert“ bleibt, filtere das „selektive Vergessen“ relativ bewusst aus: Durch Übersehen, Ausblenden und Ignorieren wird die Wahrnehmung auf einen Ausschnitt reduziert. Wir können nicht alles wahrnehmen. Bei den Ausschlusskriterien orientierte sich Assmann an Friedrich Nietzsche. Zum einen gäbe es die kognitive Dimension, wenn Überlast von Information herrscht, und zweitens die moralische Dimension bei der Überlast von Schuld. Erstere richte den Fokus ausschließlich auf relevante Informationen. Die zweite sorge für ein verträgliches Selbstbild. Im sogenannten „Verfahrensvergessen“ werde nicht wirklich vergessen, sondern nur abgelegt. Es bezeichnet zum Beispiel das Speichergedächtnis des Archivs, in dem Dinge und Informationen aufbewahrt werden, die nicht mehr Teil des aktiven Gebrauchs sind – von denen man aber meint, dass sie in Zukunft möglicherweise wieder eine Bedeutung erhalten könnten.

Negatives und positives Vergessen

Negativ konnotiert sei das „Strafende und regressive Vergessen“, welches dafür sorgt, dass etwas der Aufmerksamkeit entzogen wird. Wobei das „Retuschieren und Wegmeißeln“ seinerseits Spuren hinterlässt und dadurch wieder Aufmerksamkeit auf sich ziehe. „Defensives und komplizitäres Vergessen“ schütze Täter. Durch Vertuschen und Verdecken bringen sich Täter in Sicherheit, wenn das einst schützende Machtgehege zerbricht, was Assmann am Beispiel des Dritten Reichs verdeutlichte.  

Doch auch positives Vergessen konnte Aleida Assmann ausmachen: Immer wieder stehe der Mensch auf und stelle sich erneut schwierigen Situationen. Dafür sei eine Form des Vergessens zuständig, die sie als das „Konstruktive Vergessen“ bezeichnete. Hierbei gehe es nicht um Verdrängung, sondern um Anpassung an einen neuen Zustand, der eine tabula rasa notwendig mache. „Die Schwäche des Vergessens verleiht dem Menschen Stärke“, zitierte sie Brecht in diesem Zusammenhang.  Als eine besondere Form des positiven Vergessens betrachtet Assmann schließlich das „Therapeutische Vergessen“: Hierbei gehe es darum, sich zu erinnern, Vergangenheit aufzuarbeiten – um vergessen zu können. In der Psychoanalyse wie in der Katholischen Beichte sei diese Struktur angelegt: Vergessen als Mittel des Neubeginns.

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