Das Element der Fantastik bildet einen wesentlichen Bereich in TV-Produktionen. (Bild: photocase)

Haben die Maßstäbe hoch angelegt: Oliver Jahraus und Stefan Neuhaus haben einen nächsten Schritt in der Fantastikforschung getan.

- Torben Quasdorf

Fakten zur Fantastik

Ambitionierte Aufsatzsammlung widmet sich dem „fantastischen Film“

Was haben Filme wie Nosferatu und Zurück in die Zukunft, Filme wie Being John Malkovich und Spiderman gemeinsam? Auf den ersten Blick eher wenig. Genauer hingesehen haben die Teilnehmer einer Tagung, die im letzten Jahr an der Universität Oldenburg stattfand. Ihre Beiträge liegen nun als Aufsatzsammlung vor, Oliver Jahraus und Stefan Neuhaus haben Der fantastische Film – Geschichte und Funktion in der Mediengesellschaft als zehnten Band der Reihe „Film – Medium – Diskurs“ herausgegeben.

Bereits der Titel verrät: Was die genannten Filme verbindet, ist, dass in ihnen etwas Wirklichkeit wird, das mit der Wirklichkeit eigentlich nicht zu vereinbaren ist, kurz: dass sich das Fantastische ereignet. Es macht in der Tat Sinn, analog zur „fantastischen Literatur“ vom „fantastischen Film“ zu sprechen, ist doch mit dem Einbruch eines „übernatürlichen Elements“ in ein „System präetablierter Regeln“ – wie es Tzvetan Todorov 1970 in seinem Standardwerk Einführung in die fantastische Literatur formulierte – ein strukturelles Moment benannt, das für so unterschiedliche Genres wie Science-Fiction-, Horror-, Superhelden- oder Fantasy-Film gleichermaßen konstitutiv ist. Immer geht es um die Gegenüberstellung oder Vermischung der realen und einer fantastischen Ebene.

Dass die Forschung allzu oft an diesem Punkt der Analyse stehenbleibt, dass sie sich an „Textstrukturen abarbeitet“ und nur „immer neue Textmodelle des Verhältnisses der beiden Handlungsebenen“ entwickelt, kritisieren die Herausgeber in ihrer Einleitung als „eine Arbeit an Symptomen, an der Oberfläche der fantastischen Literatur“. Im Gegensatz dazu soll der Band „nicht weniger als einen nächsten Schritt in der Fantastikforschung tun“, indem er der Frage nachgeht, inwiefern fantastische Literatur „fundamentale soziale und psychische Entwicklungen sowohl der Gesellschaft als auch des einzelnen Individuums durchleuchten, sichtbar machen und schließlich kritisch reflektieren“ kann.

Die Fantastik in der Gegenwartskultur

Nun lautet der Titel des Buch freilich Der fantastische Film und nicht „Die fantastische Literatur“ und damit tragen die Herausgeber einer unübersehbaren Tendenz der Gegenwartskultur Rechnung. Denn der Film hat die Literatur als „Leitmedium“ der Fantastik abgelöst. Aber das ist nicht der einzige Umbruch, den sie in jüngerer und jüngster Zeit erfahren hat. Während sie früher entweder in der Hochkultur, etwa mit einem Autor wie E.T.A. Hoffmann, oder, mit den Superhelden-Comics, in der „Trivialkultur“ angesiedelt war, erreicht sie heute in Form von Mainstream-Filmproduktionen das Massenpublikum. Solche aktuellen Entwicklungen werden in Der fantastische Film nicht nur benannt, sondern auch mitanalysiert.

Die Aufsatzsammlung berücksichtigt eine beachtliche Bandbreite von Filmen. Geschichtlich reicht das Spektrum von Der Student von Prag aus dem Jahr 1913, über Dr. Jekyll and Mr. Hyde von 1931 bis – und hier liegt nun allerdings eindeutig der Schwerpunkt – in die heutige Zeit hinein, mit einer Vielzahl von Filmen, die erst vor wenigen Jahren im Kino zu sehen waren. Mit Dracula oder Frankenstein sind „klassische“ Klassiker genauso vertreten wie moderne Klassiker, etwa mit Matrix. Und dass auch Action-Unterhaltungs-Spektakel im Stile von Men in Black mit einbezogen werden, macht die Auswahl repräsentativ.

Aspekte des Fantastischen

Mit der gesellschaftlichen Funktion des Mediums Film setzt sich Stefan Neuhaus in seinem Aufsatz „Allegorien der Macht: Batman und Spider-Man“ auseinander. Mit Foucault stellt er fest: „Zur Organisation von Gesellschaft ist es nötig, das zunächst primär den eigenen Interessen folgende Individuum zu disziplinieren.“ Aber welche Rolle können Filme im Prozess dieser „Disziplinierung“ spielen? Erfüllen sie „eine die gesellschaftliche Macht stabilisierende oder subvertierende Funktion“? Der Superhelden-Film scheint – beispielsweise mit seiner Radikalisierung der Dichotomie von gut und böse – besonders geeignet, bestehende gesellschaftliche Verhältnisse zu verklären und zu propagieren. In der Tat trifft das auf Spider-Man auch zu, nicht jedoch, wie Neuhaus zeigen kann, auf Tim Burtons vielschichtige Batman-Filme, die „wie ein trojanisches Pferd“ funktionieren: „Machtverhältnisse werden nicht bestätigt, sondern als konstruiert, als einer Gesellschaft unterlegtes, sich ständig veränderndes Netz sichtbar".

Anschauungsmaterial, im wahrsten Sinne des Wortes, liefert Being John Malkovich für Sabine Kyora, die den Film heranzieht, um grundsätzlichen Fragen nachzugehen, die um den Status des Individuums kreisen. So gelingt es dem Film, wie Kyora unter anderem herausarbeitet, auf ebenso witzige wie geistreiche Weise zu veranschaulichen, dass das Individuum eben gerade nicht, wie es wörtlich heißt, das „Unteilbare“ ist: Statt über Identität konstituiert es sich über Differenz.

Neben diesen beiden Aufsätzen stechen auch Christoph Houswitchkas Auseinandersetzung mit Shadow of the Vampire, einem fantastischen Film, der von den Dreharbeiten an einem fantastischen Film handelt, und Oliver Jahraus’ Analyse der „philosophischen und religiösen Aspekte des Fantastischen in The Matrix“ besonders hervor. Jahraus ist zugleich der einzige Autor, der wenigstens am Rande auch die Rolle der Tricktechnik im fantastischen Film reflektiert, ein Aspekt, der in dem Band stärker hätte berücksichtigt werden können – können, jedoch nicht müssen. Denn das einzige echte Manko des Buches ist ein Äußerliches: Die Screenshots, die die Beiträge illustrieren sollen, sind manchmal von so schlechter Qualität, dass sie mehr verbergen als enthüllen.

„Fantastik als Paradigma der Kultur“

Die Ziele, die die Herausgeber in ihrem Vorwort abstecken, sind, um es noch vorsichtig zu formulieren, ehrgeizig. Es geht um mehr als die Analyse und Interpretation einer Reihe fantastischer Filme. Doch gilt es schon hier anzumerken, dass das Buch mehrere Aufsätze enthält, die in der Auseinandersetzung mit einzelnen Filmen neue Maßstäbe setzen. Darüber hinaus soll jedoch „die Fantastik als ein Verfahren der Thematisierung und der Inszenierung, der Repräsentanz ebenso wie der Performanz von Kultur“ im Allgemeinen gedeutet und dabei zugleich eine Reihe von Tendenzen speziell der Gegenwartskultur herausgearbeitet werden. Nicht in jedem einzelnen der 13 Beiträge, wohl aber in ihrem Zusammenspiel werden diese Zielvorgaben erfüllt.

Der fantastische Film. Geschichte und Funktion in der Mediengesellschaft. Hg. von Oliver Jahraus und Stefan Neuhaus. Würzburg: Königshausen & Neumann 2005, 202 Seiten, 22,- Euro.