Claudia Muth/Universität Bamberg

Auch Forscher legen hin und wieder Karten: Die Psychologen Marius Raab (li.) und Claus-Christian Carbon untersuchen mit Informationskärtchen, warum und unter welchen Bedingungen Menschen an Verschwörungstheorien glauben.

- Andrea Kühne

Verschwörungstheorien und Fake News

Eine wahrnehmungspsychologische Betrachtung mit Marius Raab und Claus-Christian Carbon

Nahezu 40 Prozent der Amerikaner halten den Klimawandel für eine Lüge. In Deutschland negieren Reichsbürger das Bestehen der Bundesrepublik. Alternative Fakten und Fake News haben Hochkonjunktur. Aber das Phänomen ist nicht neu, Verschwörungstheorien vielfältig – das Attentat auf John F. Kennedy, die Mondlandung 1969, der Terrorakt 9/11 sind nur die Spitze des Eisbergs. Gerade aber wegen ihrer Aktualität sind Verschwörungstheorien in der Wissenschaft wieder zum Thema geworden. Auch am Lehrstuhl Allgemeine Psychologie und Methodenlehre der Otto-Friedrich-Universität Bamberg wird dazu geforscht.

Was sind Verschwörungstheorien und was unterscheidet sie von Fake News? Wer geht ihnen auf den Leim und welche Gefahr geht von Verschwörungstheorien aus? Und, ganz wichtig, wie kann man ihnen begegnen? Dr. Marius Raab und Prof. Dr. Claus-Christian Carbon gehen dem Phänomen auf die Spur.

Verschwörungstheorien und Fake News sind derzeit in aller Munde. Was ist eine Verschwörungstheorie genau und was unterscheidet sie von Fake News?
Marius Raab: Fake News sind bewusst in die Welt gesetzte Falschmeldungen, also komplett erfunden. Das ursprüngliche Ziel lag darin, Menschen auf bestimmte Websites zu locken, um sie dort mit Anzeigen zu erreichen oder den Rechner mit einem Trojaner oder einer Schadsoftware zu infizieren. Hinter Verschwörungstheorien dagegen kann auch Wahrheit stecken. Man denke nur an die NSA-Bespitzelung oder die ersten Anschuldigungen von Umweltschützern zur Manipulation der Abgaswerte in der Autoindustrie. Beide klangen anfangs eher wie Verschwörungstheorien, die sich dann aber, zumindest in Teilen, bewahrheitet haben.  

Es gibt Menschen, die Verschwörungstheorien vehement ablehnen, und es gibt Menschen, die sehr offen dafür sind. Was unterscheidet diese beiden Persönlichkeitsgruppen?
Claus-Christian Carbon: Es ist ein großer Wunsch des Menschen, Persönlichkeitstypen zu identifizieren. Das wäre einfach, ist aber nicht möglich. Welche Charakteristika Verbrecher haben, beschäftigt nicht nur die Forschung bereits seit dem 19. Jahrhundert. Das ist aber zu einfach gedacht und zum Teil auch hochgefährlich. So hat beispielsweise die amerikanische Besatzungsmacht nach dem Zweiten Weltkrieg nach Persönlichkeitsmerkmalen von Nazis beziehungsweise für „das böse deutsche Volk“ gesucht und dabei das Problem erheblich unterschätzt. Es ist eher zu erkennen, dass die Tatsache, dass man sich mit Verschwörungstheorien identifiziert oder Fake News teilt, über die Inhalte selbst funktioniert. Stimmt die Weltsicht der Person mit deren Aussagen überein, nimmt man Verschwörungstheorien und Fake News an oder fühlt sich zu ihnen hingezogen.

Welche methodischen Überlegungen stecken hinter ihrer Forschung?
Claus-Christian Carbon: Im Gegensatz zu einer typischen Befragung mit Fragebogen, die eine Augenblickaufnahme darstellt, möchten wir in der Forschung unseres Lehrstuhls den dynamischen Prozess der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung untersuchen. Unsere Fragestellung lautet: Wie gehen Menschen mit Informationen um und welche Informationen fließen in ihre weiteren Überlegungen ein? Dazu bedienen wir uns der Methode der „Narrativen Konstruktion“. Der gesamte Prozess der Informationsverarbeitung fließt somit in unsere Ergebnisse ein, wir können ihn steuern und können damit gezielt Hypothesen testen.

Und wie sieht die praktische Umsetzung aus?
Marius Raab: Bei unserer ersten Studie mit 30 Teilnehmern boten wir unseren Versuchspersonen Informationskärtchen mit Aussagen zum Terroranschlag 9/11 an. Die Aussagen auf den Karten reichten von offiziellen Meldungen seriöser Nachrichtensender bis hin zu abstrusen Behauptungen aus dem Netz, also von einem Anschlag der Terrororganisation al-Qaida bis hin zu der Annahme, dass die amerikanische Regierung den Anschlag selbst konstruiert hat. Aus diesen Vorgaben bastelten die Projektteilnehmer dann die für sie plausibelste Geschichte. Und es stellte sich heraus, dass 60 bis 65 Prozent der Personen definitiv eine Verbindung zu einer Verschwörungstheorie gelegt haben. In einem nächsten Versuch können wir die Aussagen auf den Kärtchen ändern und dann untersuchen, wie sich auch die Geschichten der Versuchspersonen verändern.

Glauben Menschen heute schneller an Verschwörungstheorien und wenn es so wäre, warum?
Marius Raab: Wissenschaftlich fundiert können wir das nicht sagen, da uns die Vergleichsdaten aus früheren Zeiten fehlen. Es lässt sich aber feststellen, dass die Möglichkeiten der Verbreitung von Verschwörungstheorien und Fake News durch die Sozialen Medien natürlich leichter und effizienter sind. Um Menschen zu erreichen, muss man heute kein Starpolitiker oder Charismatiker sein. Ob aus Malaysia oder Buxtehude – jeder kann seine Meinung ins Netz stellen, und sie verbreitet sich in Windeseile. 

Harmlos oder gefährlich? Können Verschwörungstheorien zu einem Risiko für die Gesellschaft werden?
Marius Raab: Sie können harmlos sein, eine Speerspitze für gesellschaftliche Veränderungen oder brandgefährlich – der Inhalt entscheidet. Wenn gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen gehetzt wird, ist es ein großes gesellschaftliches Problem. Es können aber auch durchaus Anregungen für das gesellschaftliche Miteinander aus Verschwörungstheorien erwachsen. Zur Bilderberg-Konferenz beispielsweise treffen sich jedes Jahr für etwa drei Tage einige der mächtigsten Menschen der Welt – Politiker; Wirtschaftsbosse, Hochadel – unter strikter Geheimhaltung. Ich muss ja nicht der Ansicht sein, dass dort die geheime Weltregierung Kriege und Morde plant, um die Frage zu stellen: Sind solche Treffen vereinbar mit unseren Ansprüchen an eine offene, demokratische Gesellschaft? Und soll ich mich damit abfinden; oder politisch aktiv werden? Das Hinterfragen von Politik, Institutionen oder auch von Wissenschaft ist ja nichts grundsätzlich Schlechtes.

Und wie kann die Gesellschaft den Risiken begegnen?
Claus-Christian Carbon: Eine Verschwörungstheorie hat Eigenschaften, die eine wissenschaftliche Theorie nicht hat. Sie beschreibt eine singuläre Sache und lässt mehrere Deutungen nicht zu. Wichtig ist aber, sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen, im positiven Sinne zu streiten und auf konstruktive Weise um Wahrheit zu ringen. Gesellschaftliche Probleme lassen sich nicht alternativlos, sondern nur mit dem Aufzeigen von verschiedenen Möglichkeiten und deren Konsequenzen lösen -Zukunft lässt sich so besser gestalten.

Herr Prof. Carbon und Herr Dr. Raab, ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit und weiterhin viel Erfolg bei der Erforschung von Verschwörungen.