Allerlei kuriose Wesen bevölkerten die Reiseberichte früherer Zeiten (Levinus Hulsius: ... Schiffahrt Inn die Orientalische Indien. Bd. 5: Kurtze Wunderbare Beschreibung, Dess Goldreichen Königreichs Guianae in America oder newen Welt. Nürnberg, 1603, Staatsbibliothek Bamberg, Geogr.it.q.98)

Zu dunkel für lange Texte: der Ausstellungsraum der Staatsbibliothek (Foto: Staatsbibliothek Bamberg)

Umsetzung von Sprichwörtern in das Osmanisch-Türkische mit einer Umschrift als Aussprachehilfe (Hieronymus Megiser: Institutiones Linguae Turcicae. Leipzig, 1612, Staatsbibliothek Bamberg, Phil.o.766)

Matthias Schulz freut sich über den reich bebilderten Ausstellungskatalog (Foto: Katja Hirnickel)

- Katja Hirnickel

Menschen unterwegs – Sprache unterwegs

Studierende konzipieren Ausstellung in der Staatsbibliothek

Über Mittel, Gelegenheit und Motiv versucht die Polizei normalerweise, Verbrechen aufzuklären. Dieselben Aspekte können jedoch auch erklären, wie ein Wissenschaftler seine Projekte verwirklicht, wie im Wintersemester 2011/12 das Beispiel einer Ausstellung zu einem eher ungewöhnlichen Thema verdeutlicht, der germanistischen Sprachwissenschaft. Der Täter ist in diesem Fall bereits von Anfang an bekannt: Prof. Dr. Matthias Schulz, der seit 2010 die Professur für Deutsche Sprachwissenschaft / Deutsch als Fremdsprache (DaF) vertritt.

Die Tat: Die Ausstellung Sprache unterwegs – Verständigung auf Reisen 1500 – 1800, die in der Staatsbibliothek über die Kommunikationsmöglichkeiten von Reisenden informiert – besonders von Pilgern, aber auch von Händlern und Missionaren. Sie alle mussten sich im Alltag verständigen, Essen kaufen und eine Unterkunft buchen: mit Gesten oder Worten, selbständig oder mit Hilfe eines Dolmetschers. Entsprechend sind insgesamt 40 Reiseberichte, Grammatiken, Wörterbücher und Beschreibungen von Reiserouten oder Dolmetschern ausgestellt, auf Lateinisch, Englisch oder Italienisch, aber auch in exotischeren Sprachen wie Arabisch und Malaiisch.

Bibliotheksnutzer auf Augenhöhe

„Die Ausstellung war klein geplant, als Begleitung einer vom Zentrum für Mittelalterstudien (ZEMAS) finanzierten Tagung über sprachliche Aspekte des Reisens im Mittelalter, nur für ein Wochenende und nur für den kleinen Kreis der Teilnehmer“, beschreibt Matthias Schulz den ursprünglichen Anlass, also die Gelegenheit, für die Ausstellung. Schnell fand er Mittäter; eine kleine Gruppe von sechs Studierenden der Interdisziplinären Mittelalterstudien und des Deutschen als Fremdsprache, die neben einer zweistündigen Übung auch viel Freizeit – bis zu 20 Stunden pro Woche – in dieses Projekt investierten. „Aber was wir über Projektarbeit und Ausstellungskonzeption gelernt haben, können wir für unseren späteren Beruf gut brauchen“, erklärt die DaF-Studentin Andrea Stocker, die nach ihrem Studium gerne an einem Goethe-Institut in Griechenland arbeiten würde.

„Mit ihrer Begeisterung haben die Studierenden den Leiter der Staatsbibliothek Prof. Dr. Werner Taegert und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angesteckt und sich deren Anerkennung erarbeitet. In der Bibliothek waren sie Benutzer auf Augenhöhe und wurden als Forscher und Wissenschaftler behandelt“, so Schulz. Mit dem Studierenden-Team und der Unterstützung der Bibliothek standen dem Germanisten alle nötigen Mittel zur Verfügung, die es schließlich ermöglichten, dass die Ausstellung öffentlich zugänglich wurde und für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten in die historischen Ausstellungsräume der Staatbibliothek zog.

Gebrauchsgegenstände statt Prachtbände

Motive für die Ausstellung hatte der Sprachwissenschaftler gleich mehrere. Zum einen sollten die Studierenden den Umgang mit historischen Originalquellen lernen, angefangen von der Suche nach Büchern, die in keinem digitalen Katalog stehen, bis zur Auswertung und Auswahl der Texte. Zum anderen sollten sie an die Ausstellungspraxis herangeführt werden. Insbesondere dabei konnten sie von der Erfahrung der Bibliotheksmitarbeiter profitieren. „Lange, aber immer fruchtbare Diskussionen gab es beispielsweise über die Texte neben den Exponaten in den Vitrinen. Wir Studenten wollten möglichst viele Details erklären“, erzählt Andrea Stocker, „Die Staatsbibliothek dagegen plädierte für wenige Zeilen, weil es im Ausstellungssaal dunkel ist und weil knappe Texte außerdem den gebräuchlichen museumsdidaktischen Vorstellungen entsprechen.“ Kompromisse finden und diese vermitteln, das sei dann die Aufgabe des Projektleiters Schulz gewesen. Er bekräftigt: „Die Bücher haben kaum Illustrationen, sind auf den ersten Blick unspektakulär und damit erklärungsbedürftig – Gebrauchsgegenstände statt Prachtbände eben.“

Frühe Form des Pauschaltourismus

Schulz‘ Hauptanliegen war es jedoch, die breite Öffentlichkeit für linguistische Themen wie die sprachlichen Aspekte des Reisens zu begeistern, ohne diese zu banalisieren. Wenn man Andrea Stocker lauscht, die über die gefährlichen Pilgerfahrten spricht, dann weiß man, dass dieses Vorhaben geglückt ist. Ihre Schilderungen sind für die Besucher sofort greifbar: Pilgerfahrten seien „eine frühe Form des Pauschaltourismus“, wenn die Reisenden in Venedig ihre Überfahrt und den Dolmetscher buchten. Dieser begleitete sie nach Jerusalem und brachte sie zu den Pilgerstätten. 

„Die Ausstellung zeigt Parallelen zwischen früheren und heutigen Reisen“, so die Studentin. „Deshalb gibt es drei moderne Exponate: ein Navigationsgerät, das mittlerweile frühere Formen der Orientierung wie Landkarten und Itinerare, gedruckte Beschreibungen von Wegstationen und -strecken, verdrängt hat, ein Wörterbuch mit Alltagsphrasen und ein Venedig-Reiseführer.“ Das Bemerkenswerte daran? In einem Reisebericht und in Wörterlisten aus den Jahren 1602 bzw. 1609 finden sich dieselben Wörter wieder wie in den modernen Pendants. 

„Unsere Ausstellungsstücke sind mitten aus dem Leben gegriffen“, freut sich Andrea Stocker. Und Schulz ergänzt, dass die Ausstellung auch für die Linguistik wertvolle Hinweise lieferte: „Üblicherweise werden literarische Quellen ausgewertet, um sich ein Bild vom Wortschatz früherer Zeiten zu  machen. Viele Wörter unserer Texte sind dort nicht belegt; die Reiseberichte verraten uns deshalb viel Neues über den Alltagswortschatz!“ Unterhaltung und Wissenschaft gehen bei dieser Ausstellung somit Hand in Hand. „Wir hatten alle so viel Spaß, da würden wir gerne zu Wiederholungstätern werden“, schmunzelt Andrea Stocker.

Weitere Informationen

Die Ausstellung Sprache unterwegs – Verständigung auf Reisen 1500 – 1800 kann noch bis zum 3. März 2012 in der Staatsbibliothek besichtigt werden; der Eintritt ist frei.

Weitere Informationen finden Sie im Flyer der Ausstellung und auf den Seiten der Professur bzw. der Staatsbibliothek. Einen bebilderten Ausstellungskatalog können Sie im Bibliotheksshop für 3 Euro Schutzgebühr kaufen.

Zwei Begleitvorträge informieren über besondere sprachliche Aspekte auf Reisen:

  • Donnerstag, 26. Januar 2012, 18:00 Uhr
    Prof. Dr. Mark Häberlein: Bildungsreisen und Fremdsprachenkenntnisse reichsstädtischer Eliten in der Frühen Neuzeit
  • Donnerstag, 9. Februar 2012, 18:00 Uhr
    Prof. Dr. Helmut Glück: Duzen, Ihrzen, Titulieren. Höflichkeit auf Reisen in der Frühen Neuzeit

Außerdem gibt es noch zwei öffentliche Führungen durch die Ausstellung:

  • Dienstag, 14. Februar 2012, 15:00 Uhr
  • Freitag, 2. März 2012, 16:00 Uhr

Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Die Teilnahme ist kostenfrei. Weitere Termine für Gruppenführung können mit Matthias Schulz vereinbart werden.