Bilder der Inszenierung mit freundlicher Genehmigung der slavistischen Theatergruppe.

- Tina Grummt

„Ganz Russland ist unser Garten“

Slavistische Theatergruppe führte Anton Čechovs „Der Kirschgarten“ auf

Hier monologisieren und lamentieren sie, die Vertreter der untergehenden Gesellschaftsschicht: Die ausschweifende Ranevskaja und ihre Familie, deren Landgut hoch verschuldet ist und allein durch das Abholzen und Parzellieren des Kirschgartens gerettet werden könnte. Doch anstatt nach einem Ausweg aus der Misere zu suchen, verliert sich die Gesellschaft Ranevskajas in Reminiszenzen an die Vergangenheit und verschließt sich somit jeglicher Handlungsmöglichkeit. Einzig Lopachin, der sich als Newcomer und bürgerlicher Kapitalist aus der Knechtschaft seiner Vorfahren befreit hat, drängt in dieser gelähmten Atmosphäre zur Veränderung. Indem er den Kirschgarten selbst ersteigert und am Ende schließlich zerstört, überschreitet er nicht nur gesellschaftliche Schranken, sondern auch die Vergangenheit, den Wert des Ideellen und die Tradition. Wohin Lopachin als Verkörperung des neuen Menschen jedoch eilt, bleibt offen.

Lebendiger Stoff bei samowarhafter Nostalgie

Čechov selbst bezeichnete sein letztes Werk als Komödie. Bei den Vorbereitungen zur Uraufführung vor gut hundert Jahren wurde das Stück allerdings als ein Drama verstanden, in dem sich die Tragödie der ganzen Menschheit widerspiegle. Seitdem bewegen sich die Inszenierungen des russischen Kultstückes stets zwischen diesen beiden Polen.

Die slavistische Theatergruppe folgte in ihrer Umsetzung des Stückes „Der Kirschgarten“ den Intentionen des Autors und unterhielt das Publikum in einem erheiternden und lebendigen Spiel, textnah und mitten im vorrevolutionären Russland der Jahrhundertwende verortet: Vor Ikone und Samowar wurde getanzt, geweint und gesungen, lautstark deklamiert und empfindsam präsentiert. Noble Kostüme, Leihgaben des E.T.A.-Hoffmann-Theaters, und der reduzierte Einsatz von antiken Requisiten auf der selbst gebauten Bühne schufen eine stimmungsvolle Atmosphäre.
Doch in dieser samowarhaften Nostalgie wurde Čechovs Stoff von der Theatergruppe nicht konserviert, sondern in ein Spannungsverhältnis zwischen leichtem Spiel und erstarrtem Raum gesetzt, so dass idealisierte Erinnerungen ganz gegenwärtig wirkten.

Aktualität des Sujets

Es ist gerade das Sujet Zeit, das Čechovs „Kirschgarten“ so zeitlos macht und seine Dramatik motiviert: Die Protagonisten entziehen sich der Gegenwart durch Flucht in die Vergangenheit und verweigern sich unter Beschwörungsformeln des ewig Gleichen den neuen Umständen. Was bleibt, ist entweder das Verharren im Jetzt und das Verweigern der Zukunft oder eine Zukunft, die sich nur auf die radikale Zerstörung alter Ideale und Werte gründet.

Dem studentischen Ensemble gelang es, die Spannung zwischen diesen Polarisierungen das ganze Stück über aufrecht zu erhalten. Hierbei entstand eine melancholische Komödie, deren Gehalt zur Geltung kam durch den Verzicht auf groteske Übersteigerung und durch ein sparsames Bühnenbild, das dem Naturalismus entlehnt wurde. Der traurige und eindrückliche Schluss des Stückes wirkte wie eine gefühlvolle Entschleunigung. Der slavistische „Kirschgarten“ führte unaufdringlich in eine russische Gegenwart und überließ Wertungen und Auslegungen dem Zuschauer.

Engagement und Reaktionen

Erst im Herbst des vergangenen Jahres hatte sich die studentische Theatergruppe auf Initiative der beiden Slavistikstudierenden Marion Stahl und Denis Wachtel zusammen gefunden und begonnen, in gemeinsamer Regie Čechovs Klassiker in russischer Sprache zu erarbeiten.
Leider wurde das Stück nur einmal aufgeführt. Doch vielleicht könne dieser Abend der Beginn einer studentischen Theatertradition innerhalb der Slavisitik sein, meint Denis Wachtel. Das Publikum hätte er auf seiner Seite.