Aus seinem neuesten Roman „Die Tarnkappe“ ... (Fotos: Nils Ebert)

... las Markus Orths im Rahmen der Reihe „Literatur in der Universität“

Markus Orths konnte sich über eine Vielzahl an Zuhörern freuen, ...

... die anschließend die Möglichkeit hatten, sich Bücher signieren zu lassen.

- Nils Ebert

Welchen Einfluss hat das Unsichtbare?

Markus Orths las aus seinem neuesten Roman

Unsichtbar sein, andere beobachten, ohne dass diese die eigene Präsenz wahrnehmen. Dinge tun, ohne Sanktionen fürchten zu müssen, und gedankenlos handeln, ohne ein Nachspiel zu provozieren – wer hat sich nicht schon einmal eine Tarnkappe herbeigewünscht? Markus Orths greift dieses Motiv in seinem Roman Die Tarnkappe (2011) auf. In seiner Lesung am 7. Dezember sprach der rheinländische Autor im Rahmen der Reihe Literatur in der Universität über Unsichtbares und lies zahlreiche Zuhörer am Verschwinden der Romanfigur Simon Bloch teilhaben.

Die Suchenden

„Zum Glück hat Markus Orths heute nicht selbst die Tarnkappe aufgesetzt“, freute sich Veranstalter Prof. Dr. Friedhelm Marx, Inhaber des Lehrstuhls für Neuere deutsche Literaturwissenschaft über die sichtbare Anwesenheit des Autors. Den Bamberger Germanistik-Studierenden war Orths kein Unbekannter: 2008 hatten sie Gelegenheit, ihn während einer Exkursion nach Klagenfurt kennenzulernen. Er nahm dort mit seinem Roman Das Zimmermädchen (2008) an den Tagen der deutschsprachigen Literatur teil und gewann den Telekom-Austria-Preis. Die große Beliebtheit des Autors zeigte sich auch bei der Rückreise nach Bamberg, so Marx: Die Studierenden hätten eine eigene Wettbewerbsrangliste erstellt, auf der Orths ebenfalls weit vorne lag. Kristin Krüger, Mitarbeiterin der Professur für Neuere deutsche Literaturwissenschaft, die in diesem Wintersemester ein Proseminar zu den Texten von Markus Orths anbietet, konkretisierte: „Seine Texte verfügen über eine beeindruckende Vielfalt an Themen, seine Figuren sind aber immer Suchende.“

Die alltäglichen Rituale

In Die Tarnkappe, 2011 mit dem Phantastik-Preis der Stadt Wetzlar ausgezeichnet, ist dieser Suchende Simon Bloch. Er führt ein scheinbar geordnetes Leben. Jeden Morgen verrichtet er in penibler Routine die alltäglichen Rituale: Er schaltet die bereits am Vorabend präparierte Kaffeemaschine ein, schleicht sich aus der Wohnung, um die Zeitung aus dem Briefkasten zu holen, frühstückt und fährt ins Büro. Dort beantwortet er Beschwerdebriefe und -Mails. Nachdem seine Frau gestorben war und er seinen Lebenstraum aufgegeben hatte, Filmmusikkomponist zu werden, hat Bloch seine Ruhe liebgewonnen und sich in seiner Büroexistenz eingerichtet. Seine Wohnung ist für ihn nicht viel mehr als eine „Lebensvollzugsanstalt“. Einzige Überraschung bietet ihm die Lektüre der Zeitung, deren Bögen er jeden Morgen nach einer speziellen Technik faltet und in der Straßenbahn in zufälliger Reihenfolge aus seiner Manteltasche zieht.

Verfolgt von dunklen Mächten

Als Bloch allerdings eines Morgens an der Straßenbahnhaltestelle einem bettelnden Mann etwas Geld in den Hut wirft, glaubt er, in ihm seinen alten Jugendfreund Gregor zu entdecken. Die Begegnung beunruhigt Bloch, denn er und Gregor teilen ein dunkles Geheimnis. Tatsächlich kommt es wenig später zu einem Besuch Gregors: Dieser ist verwirrt, raunt von dunklen Mächten, die ihn verfolgten. Bald darauf verschwindet Gregor und Bloch entdeckt in einer Aldi-Tüte versteckt eine abgetragene Lederkappe. Als Bloch sich die Kappe aufsetzt, saugt sie sich schmatzend an seinem Kopf fest, sein Körper scheint sich aufzulösen, „vollständig bekleckert von nichts“ – Bloch ist unsichtbar; das Phantastische bricht in das Leben des Büroangestellten ein. Ungesehen beobachtet er fortan das Leben anderer, unternimmt Ausflüge in fremde Schlafzimmer und verschafft sich Zugang zu privaten Szenen. Doch je länger Bloch die Kappe trägt, desto schwerer fällt es ihm, sie wieder abzulegen. Er muss sie sich bald förmlich vom Kopf reißen, unter stetig wachsendem physischem Schmerz.

Existentialphilosophie vs. Phantastik

In existentialphilosophischer Manier stellt Orths die Frage, welchen Einfluss auch die Dinge, die wir nicht sehen, auf unser Leben, unsere Identität und Anonymität ausüben. Je größer das Verlangen nach Unsichtbarkeit wird, desto mehr verliert sich der Protagonist selbst und verschwindet nicht nur körperlich. In der Tradition des phantastischen Romans beruft sich Die Tarnkappe auf Vorbilder wie die Romane des argentinischen Schriftstellers Julio Cortázar oder Texte Franz Kafkas wie Die Verwandlung und weist gleichzeitig Anklänge an das Schauermärchen auf.

Mit diesen Eindrücken wollte Orths sein Publikum aber nicht in den düsteren Dezemberabend entlassen. Passend zum universitären Veranstalter brachte er einen Text aus seinem Erzählungsband Fluchtversuche (2006) mit. In Das große O endet eine universitäre Prüfungssituation heiter: Ungewollt gelingt es dem Ich-Erzähler, das universitäre Prüfungssystem auszuhebeln und ad absurdum zu führen.

Weitere Informationen

Weitere Informationen zum Autor finden Sie auf der Seite der VeranstaltungsreiheLiteratur in der Universität.