Johannes Bockermann inszenierte eine Bildergeschichte. (Fotos: Dezernat Kommunikation)

Präsident Godehard Ruppert entschied sich mit „Kumpel Anton“ gegen „europäische Hochliteratur“...

... auf die Kanzlerin Dagmar Steuer-Flieser mit Thomas Manns „Buddenbrooks“ gerne zurückgriff.

Bibliotheksdirektor Fabian Franke schloss den Abend mit Auszügen aus „Radio Heimat“.

- Katja Hirnickel

„Daheim ist, wo man liest“

Lesenacht zur Eröffnung der ERBA-Bibliothek

Zur Eröffnung der neuen ERBA-Bibliothek am 25. Oktober führten 20 Universitätsangehörige das Publikum in einer 7-stündigen Lesung durch die Nacht. Es lasen Professorinnen und Professoren, Studierende, Mitglieder der Universitätsleitung, Dozentinnen und Dozenten sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Verwaltung. Sie alle rezitierten Texte mit Heimatbezug aus Franken, aus Deutschland und dem Rest der Welt. Auf dem Programm standen Texte von Michael Cunningham, Helmut Vorndran, Gabriel García Márquez und viele mehr. Was sie alle verbunden hat, war der starken Bezug zur Biografie des Vortragenden.

Texte aus der Heimat

Häufig wählten die Vorleserinnen und Vorleser Autoren aus ihrer eigenen Heimat oder Texte über ihre Heimat. Die Studentin Catalina Paniagua las aus Elisabeth Kabateks Roman Laugenweckle zum Frühstück, der ihr großes Heimweh bereitet habe. „Die Hauptfigur ist ein bisschen wie ich: auch aus Stuttgart und in einer Beziehung mit einem Hamburger. Und sie hat eine Pechsträhne wie ich gerade.“ Diese literarische „Chaoten-Jenny“ und „Lieblingsfischkillerin“ lernte das Publikum während Paniaguas Lesung ebenso kennen, wie schwäbische Eigenheiten und Stuttgarter Schauplätze.

Der Präsident der Universität Prof. Dr. Dr. habil. Godehard Ruppert entschied sich für Texte aus seiner wissenschaftlichen Heimatstadt Bochum, die „nur begrenzt einen intellektuellen Ruf“ habe. Er las deshalb auch bewusst keine „europäische Hochliteratur“, sondern im schnoddrigen Ruhrpott-Dialekt aus der WAZ-Kolumne Kumpel Anton von Wilhelm Herbert Koch. Diese Kolumne thematisierte vor allem die Sprache der Zechenkumpel und sollte den Zugezogenen vermitteln: „Ihr müsst Heimatgefühl entwickeln!“

Kanzlerin Dr. Dagmar Steuer-Flieser, an der Universität verantwortlich für Haushalts- und Verwaltungsfragen, rezitierte aus Thomas Manns Buddenbrooks eine Szene, die Heimat interpretiert als ein Gefühl des Angenommen- und Verstandenseins.

Diverse „Gedanken aus Südniedersachsen“ präsentierte der Student Johannes Bockermann. Er las Texte aus unterschiedlichen Epochen und rezitierte Aphorismen von Lichtenberg: „Beobachtungen, die ich sehr gut teilen kann“. Er ließ Heinrich Heine ein etwas weniger attraktives Viertel Göttingens beschreiben, erzählte eine Urban Legend und stellte Wilhelm Buschs Max und Moritz mit ihren Lausbubenstreichen und ihrem selbstverschuldeten Dahinscheiden in den Mittelpunkt seines Vortrags – als Bildergeschichte für das Publikum inszeniert.

Sprache und Exil

Armin Gertz, Dozent am Sprachenzentrum, stammt aus dem fränkischen Dreiländereck, aus „Zentralfranken“. Dass ihm diese Region am Herzen liegt, zeigte er durch fränkische Lyrik aus Helmut Haberkamms Frankn lichd nedd am Meer – mit der er so manchen Zuhörer vor eine dialektale Herausforderung stellte und zugleich zeigte, dass Heimat und Sprache untrennbar verbunden sind.

Die Literaturwissenschaftlerin Prof. Dr. Andrea Bartl wählte mit Bertolt Brecht einen einflussreichen deutschen Dramatiker und Lyriker aus ihrer eigenen Heimatstadt und führte ihr Publikum durch Stationen seiner Lyrik. Gerade sein Werk sei geprägt von seinem Geburtsort Augsburg, einer Stadt, von deren gutbürgerlicher Schicht er sich einerseits distanzierte, und zu der er dennoch gerade im Exil eine emotionale Verbindung hielt:

Die Vaterstadt, wie empfängt sie mich wohl?
Vor mir kommen die Bomber. Tödliche Schwärme
Melden euch meine Rückkehr. Feuersbrünste
Gehen dem Sohn voraus.

Der Vielzahl der Interpretation dessen, was Heimat sein und bedeuten kann, wurde mit fortschreitender Stunde immer neue hinzugefügt: Dem ausländischen Studenten Dalibor Jurasek ist der Text selbst – hier: Marquez magisch-realistische Geschichte Die Nacht der Rohrdommeln – Heimat. Den Mitarbeiterinnen der Öffentlichkeitsarbeit, die in Texten aus der und über die Universität „zuhause“ sind, ist es das Leitbild der Universität. Der Direktor der Bibliothek Dr. Fabian Franke stellte für die Zuhörerinnen und Zuhörern abschließend noch einmal den Zusammenhang zwischen Sprache, Mentalität und Identität heraus – und sorgte mit Frank Goosens äußerst direkten Charakterisierungen der Ruhrgebiet-Ureinwohner in Radio Heimat für nächtliches Gelächter.

Für alle Lesenden in dieser Nacht gilt gleichermaßen das Titelzitat aus Maximilian Königs Geschichte, die Dezernatsleiterin Gönke Halbritter vorstellte: „Daheim ist, wo man liest.“ Die ERBA-Bibliothek ist hiermit eröffnet!

Weitere Informationen:

Die Lesenacht in der ERBA-Bibliothek fand im Rahmen der Aktionswoche „Treffpunkt Bibliothek – Information hat viele Gesichter“ statt.

Weitere Lesungen an der Universität Bamberg können Sie während der Veranstaltungsreihe „Zwischen Ost und West: Grenzgänger-Lesungen“ besuchen.