Nina Kleinöder vor der Glasfassade der Teilbibliothek 4Benjamin Herges/Universität Bamberg

Nina Kleinöder bringt seit dem Sommersemester 2021 ihre Expertise in die Universität Bamberg ein und hat die Juniorprofessur für Wirtschafts- und Sozialgeschichte mit dem Schwerpunkt Arbeit und Bildung inne.

- Hannah Fischer

„Mithilfe der Wirtschafts- und Sozialgeschichte kann man ganz neue Perspektiven gewinnen”

Die neue Juniorprofessorin Nina Kleinöder erzählt im Interview unter anderem von ihren Forschungsinteressen.

Prof. Dr. Nina Kleinöder ist seit dem Sommersemester 2021 Juniorprofessorin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte mit dem Schwerpunkt Arbeit und Bildung an der Universität Bamberg. Sie hat sich ab dem ersten Moment in Bamberg willkommen gefühlt. Im Interview erzählt die 37-Jährige nicht nur von ihren ersten Erfahrungen an der Universität, sondern auch von ihrer Forschung und was ihr in der Lehre wichtig ist.

Sie sind Juniorprofessorin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Warum sollte man heute aus Ihrer Sicht dieses Fach studieren?

Nina Kleinöder: Wenn wir historische Zusammenhänge studieren, schwingt die Wirtschafts- und Sozialgeschichte immer mit. Im Kontrast dazu steht eigentlich, dass nur sehr wenige Menschen explizit Wirtschafts- und Sozialgeschichte studieren. Ich selbst habe ursprünglich auch lediglich im Nebenfach Wirtschaftsgeschichte studiert und im Hauptfach Neuere und Neueste Geschichte. Über die Wirtschafts- und Sozialgeschichte kann man aber eine ganz neue Perspektive gewinnen – nicht nur auf historische, sondern auch auf aktuelle Ereignisse oder Einstellungen. Fragt man sich beispielsweise, warum in Deutschland noch heute solche Furcht vor Inflation besteht, so muss man etwa in die Zeit der Weimarer Republik zurückblicken. Die Folgen des Ersten Weltkrieges lösten unter anderem mit den Reparationszahlungen des Versailler Friedensvertrages eine Hyperinflation aus, die für viele Menschen zu einer finanziellen Bedrängnis und prekären Lage führte. Diese Erfahrung hat die Gesellschaft geprägt.

Worauf legen Sie Ihren Fokus innerhalb der Wirtschafts- und Sozialgeschichte als Fach?

Ich schaue mir insbesondere drei Bereiche in meiner Forschung an. Der erste Schwerpunkt liegt in der Geschichte der Arbeit und dem Wandel von Arbeitswelten. Ging es früher beispielsweise noch um ganz massive, lebensbedrohliche Gefahren beim Arbeitsschutz, so stehen heute etwa ergonomische Risiken, Work-Life-Balance oder Individualisierung im Zentrum der Aufmerksamkeit. Ich beschäftige mich insbesondere mit der sogenannten „Humanisierung der Arbeitswelt“ in den 1970er Jahren und 1980er Jahren. Dabei handelte es sich um ein Forschungsprogramm des Bundes, bei dem viele Unternehmen, Stiftungen, Gewerkschaften und Parteien beteiligt waren. Ziel war es, Arbeitsbedingungen in Betrieben zu verbessern. 

Und die weiteren Schwerpunkte?

Mein zweiter Schwerpunkt liegt in der historischen Sicherheitsforschung, insbesondere aus unternehmenshistorischer Perspektive. Hier geht es mir vor allem um die diskursive Komponente: Unternehmen werden häufig mit Risiko in Verbindung gebracht. Das semantische Repertoire zwischen Risiko, Gefahr und Bedrohung ist hier groß, denkt man beispielsweise an die Begriffe Risikobewertung und Risikomanagement, Marktrisiko oder auch die Risikoaversion. Ich frage mich: Wie wurde hingegen Sicherheit verhandelt und bestimmte Ereignisse als sicherheitsrelevant besetzt und gedeutet? Und inwieweit spielte Sicherheit in Unternehmen eine Rolle? Der dritte Schwerpunkt beschäftigt sich mit der Unternehmensgeschichte, und hier insbesondere mit der transnationalen und kolonialen Geschichte als Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte. 

Können Sie mehr zu einem Ihrer Forschungsprojekte erzählen?

In meiner Forschung beschäftige ich mich zum Beispiel mit Unternehmen, die sich zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert am deutschen Eisenbahnbau in den ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika, also unter anderem den heutigen Staaten Kamerun, Namibia und Togo, beteiligten. Ich besuche für dieses Thema vor allem Archive der Unternehmen selbst, die durch ihre historischen Quellen noch einmal eine ganz neue Perspektive auf die deutsche Kolonialgeschichte eröffnen. Wichtige Ergebnisse zeigen, dass die allgemein oft als kurz erinnerte deutsche Kolonialgeschichte tatsächlich tief und langfristig in Wirtschaft und Gesellschaft hineinwirkte. Mithilfe solcher Erkenntnisse lassen sich aktuelle Beiträge etwa zu Fragen von Rassismus und der Rolle von Kolonialgeschichte, zum Beispiel auch in der Lehre und im Schulunterricht, leisten.

Was ist Ihnen bei der Vermittlung dieser Inhalte an Ihre Studierenden wichtig?

Mir geht es darum, die Studierenden zum selbstständigen kritischen Denken zu motivieren und zu inspirieren. Ich möchte den Blick zwar auf historische Dinge lenken, aber dennoch mit aktuellen Ereignissen zusammenbringen. Meine Lieblingsfrage ist „Warum?“, damit die Studierenden nochmal tiefer greifen und Zusammenhänge kritisch hinterfragen und aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. Wichtig ist mir außerdem, sie am Anfang des Studiums an ganz grundlegende Fähigkeiten langsam heranzuführen. Viele haben zum Beispiel sehr großen Respekt vor der ersten Hausarbeit. Ich möchte die Studierenden nicht nur mit einem Thema versorgen und sie vor ein weißes Blatt setzen. Wenn man selbst in der wissenschaftlichen Karriere schon fortgeschrittenen ist, vergisst man leicht, dass man am Anfang vor den gleichen Herausforderungen stand. 

Sie haben Ihre wissenschaftliche Karriere in Düsseldorf begonnen und sind jetzt in Bamberg. Wie war Ihr erster Eindruck?

Mein Bewerbungsvortrag war einer der letzten in Präsenz bevor der erneute Lockdown im Herbst 2020 kam. Ich war in Bamberg sofort von der freundlichen und zugleich gelassenen Stimmung eingenommen. Es gibt hier nicht nur schöne Fassaden, sondern auch die Menschen dahinter in Universität und Stadt sind mir trotz des besonderen Starts „auf Abstand“ aufgeschlossen, interessiert und herzlich begegnet. Ich habe mich ab dem ersten Moment in Bamberg sehr willkommen gefühlt.

Vielen Dank für das Interview!