Auftakt der 22. Bamberger Hegelwoche in der AULA (Fotos: Andrea M. Müller)

Vittorio Hösle spricht über Moral und Politik

Bis zum letzten Platz besetzte AULA

Die Veranstalter und Redner der Hegelwoche (v.l.n.r.): Christian Illies, Walter Schweinsberg, Vittorio Hösle, Werner Hipelius, Reinhard Zintl, Godehard Ruppert

- Charlotte Häusler

Moralische Rechtfertigung für Sanktionen

Vittorio Hösle eröffnete die 22. Bamberger Hegelwoche

„Das diesjährige Thema ist aktuell und alt zugleich“, eröffnete Universitätspräsident Prof. Dr. Dr. habil. Godehard Ruppert als Gastgeber die 22. Bamberger Hegelwoche. Die Frage, woran sich die Politik halten soll, habe schon die griechische Philosophie umgetrieben. Die Antwort ist einfach und schwierig zugleich: Weil wir in keiner idealen Welt leben, so erläuterte der Bamberger Philosoph und Organisator der Hegelwoche Prof. Dr. Christian Illies in seiner Einführung, ist es die Aufgabe der politischen Philosophie, nach normativen Prinzipien zu suchen, mit denen ethisches politisches Handeln auch in einer nicht-idealen Situation möglich wird. Gerechtigkeit und Freiheit seien dabei die wichtigsten von sehr vielen Grundprinzipien. Illies fragte darüber hinaus: „Was sind nun die moralischen Wege, auf denen das Ethische in die Politik hineingetragen werden kann?“ Dass sich die politische Philosophie dieser Problematik stellt, ist besonders das Verdienst des Philosophen Prof. Dr. Vittorio Hösle, Professor an der University of Notre Dame in Indiana (USA). In seinem Werk „Moral und Politik“ entwickelt er das Konzept einer „Ethik der Ethik“. Für die Eröffnungsfrage der Hegelwoche „Wieviel Politik braucht die Moral?“ hätte man sich also kaum einen kompetenteren Redner wünschen können.

„Wir sind keine Engel“

Hösle begann seinen Vortrag mit einem Gang durch die Geschichte der Philosophie, um zu zeigen, wie und wodurch sich das Verhältnis von Moral und Politik seit der Antike verändert hat. Der moralische Mensch der Antike sei primär ein guter Bürger gewesen, Ethik und Politik seien daher untrennbar miteinander verbunden gewesen. Aber solche Moralvorstellungen, die sich nur auf die eigene Gruppe beziehen, seien heutzutage nicht mehr denkbar.
In jedem Fall brauche der Mensch die Moral, so führte Hösle pragmatisch aus, weil er in einer normativen Ordnung lebe und zugleich Kräften ausgesetzt sei, die nicht nur praktischer Vernunft zugänglich sind. „Wir sind keine Engel“, das ideale moralische Miteinander bleibe daher eine gesellschaftliche Utopie. Aber warum braucht der moralische Mensch die Politik? „Der Moralist braucht die Politik, weil er möchte, dass seine Gedanken, welche nicht nur für ihn, sondern auch für alle anderen Menschen verbindlich sein sollen, von möglichst vielen wahrgenommen werden“, führt er aus. Moralische Ideen müssten also umgesetzt werden, damit die Gesellschaft sie akzeptiert. Umgesetzt werden sie von der Politik, wobei ‚Politik‘ alles umfasse, was sozial wirkt, erläuterte der Philosoph sein Konzept. Doch wie kann die Moral eine solche gesellschaftliche Wirkung erreichen? Welche Faktoren führen dazu, dass Menschen moralisch handeln?

Moralische Sanktionen

An dieser Stelle unterscheidet Hösle drei unterschiedlich funktionierende Wirkmechanismen, drei „Machtformen“, mit denen menschliches Verhalten beeinflusst und damit moralische Ideen und Vorstellungen etabliert werden können: negative Sanktionen, positive Sanktionen und Mechanismen, die Menschen dazu bringen, ihre Meinung zu ändern.
Negative Sanktion meint, dass eine Nichtbefolgung der Gesetze zu Nachteilen führt. Ein Diebstahl müsse beispielsweise bestraft werden, erläuterte Hösle. Dem gegenüber stehen positive Sanktionen, welche eine Belohnung in Aussicht stellen, falls das Geforderte erbracht wird. Wer die Gesetze befolgt, erhält also Vorteile. Die dritte Machtform besteht darin, den anderen durch Überzeugung oder Überredung dazu zu bringen, seine Meinung zu ändern. Dass diese Form meistens nicht ausreicht, veranschaulichte Hösle an einem Beispiel: „Warum sollte ich Strom sparen, wenn mein Nachbar es nicht tut?“ Der Wandel zu einer ökologischeren Gesellschaft sei ohne die Mittel der Politik nicht zu erreichen, es gebe eine moralische Rechtfertigung für Sanktionen – allerdings bedürfe es zusätzlich des Rechts als stabilisierendes und schützendes Bindeglied zwischen Moral und Politik.