Im Theater übers Theater diskutierten die Professoren Christian Illies (li.) und Friedhelm Marx (re.) mit Dramaturg John von Düffel. (Fotos: Andrea M. Müller)

Zum Jubiläum der Hegelwoche gab es am ersten Abend ein Stück Hegelwoche zu essen.

Staatstheater: Nils Minkmar von der FAZ (li.) diskutierte mit Bundesminister a. D. Franz Müntefering (re.) über Inszenierung in der Politik.

Social Media im Blickpunkt: Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen (li.) und Journalistin Theresia Enzensberger (re.)

Unsere Welt – alles Inszenierung oder was?

25. Bamberger Hegelwoche ging dem Wesen unserer heutigen Wirklichkeit nach

Vom 3. bis 5. Juni widmete sich die Jubiläumsausgabe der Hegelwoche Inszenierungsformen unserer Gegenwart.  Unter dem Motto Theater-Wirklichkeiten. Wie sich unsere Welt inszeniert stellten hochkarätige Gäste aus Theater, Politik und Medien ihre Sicht auf die Welt dar. Und boten an allen drei Abenden vielfältige Erkenntnisse.

Mit moralischem Zeigefinger appellierte der Stoiker Epiktet vor über 2000 Jahren noch: „Mensch, bedenke, dass du ein Schauspieler bist“. Und heute? Spielen wir Rollen ohne Regeln und ohne Regisseur dank der Medien, die es immer mehr ermöglichen, dass wir unsere Wirklichkeit inszenieren. Mit Folgen. Zu Beginn der 25. Bamberger Hegelwoche erläuterten auf der Bühne des Bamberger E.T.A. Hoffmann-Theaters die Organisatoren Philosophieprofessor Dr. Christian Illies und Germanistikprofessor Dr. Friedhelm Marx, wie sich diese Selbstdeutungsfigur der Welt als Bühne im Laufe der Jahrhunderte in Philosophie und Literatur veränderte.

Hatte der antike Mensch seinem Selbstverständnis nach nur ein kleines Gastspiel auf Erden, wurde das Spiel im Zeitalter des Barock zum eigentlichen Weltspiel umgedeutet. Die Welt selbst wurde zum Theater, dessen Drehbuch der Regisseur Gott schrieb. Mit der Moderne verschwanden Regisseur und Drehbuch… und heute befinden wir uns in der virtuellen Welt, in der wir wechselweise Regisseur, Rollenwesen oder Spieler sein dürfen. Was diese Radikalisierung Alles ist Theater für unsere Gegenwart bedeutet, war Thema des ersten Abends der Hegelwoche.

Erfahrung mit Erschütterung

Für den ersten Abend Allerweltstheater hatten die Organisatoren mit dem Dramaturgen und Schriftsteller John von Düffel einen Theaterprofi eingeladen. Dieser analysierte verschiedene Bereiche der heutigen Wirklichkeit, um zu klären, wie das Theater mit dieser allgegenwärtigen Weltinszenierung umgeht. John von Düffel nannte unsere Wirklichkeit eine künstliche, da sie medial vermittelt werde. Dadurch, dass alle Informationen über die Medien stets verfügbar seien, machten wir uns eine scheinbare Wirklichkeit verfügbar. Ein Paradoxon, da wir über die Wirklichkeit nicht verfügen können, sondern sie nur erleben können.

John von Düffel folgerte, dass der moderne, allinformierte User in dieser perfekt durchinszenierten Welt geistig verarme und keine Erschütterungen mehr zulasse, die die Erfahrung biete. Und hier bestünde die Chance des mittlerweile ins Nischendasein abgerutschten Theaters: „Das Theater kann die heute so perfekt durchinszenierte Wirklichkeit gar nicht abbilden. Es muss Mitgefühl erzeugen, die Erschütterung wiederbeleben.“ Und so spielten heutige Schauspieler keine bloßen Rollen mehr auf der Theaterbühne, sondern hätten Aufgaben zu erfüllen. John von Düffel, der 2008 bereits als Poetikprofessor zu Gast an der Universität Bamberg war, kritisierte zudem die Allmacht der Bilder und wünschte sich mehr Vertrauen in das eigentliche Wort.

Vertrauensvolle Inszenierung

Um Vertrauen ging es dann auch am zweiten Abend Staatstheater, an dem Bundesminister a. D. Franz Müntefering Inszenierungsbeispiele aus der Geschichte der Bundespolitik brachte, deren Motivation, Qualität und Wirkung Facetten des Staatstheaters zeigten. Müntefering hob hervor, dass gerade das Schaffen von Vertrauen für Politiker wichtig sei, um die Wähler für sich zu gewinnen. Hierbei sei vor allem das Authentische wesentlich. Als Beispiel nannte er Willy Brandt, der 1970 in Warschau vor dem Ehrenmal der Helden des Ghettos in Warschau niedergeknieet war.

Diese Geste war nicht geplant, aber das Bild wirkt bis heute. Überhaupt sprach Müntefering an dem Abend mit vielen anschaulichen Bildern: Sei es ein SPD-Wahlkampf mit 10 km Stau Autocorso oder das spontane Austeilen von geheimen Drehbüchern auf einem Parteitag an die Journalisten – die Gäste im Hegelsaal der Bamberger Konzert- und Kongresshalle bekamen Einblicke, wie Inszenierungen zu Erfolgen bei der SPD geführt hatten.

Der zweite Gast Nils Minkmar, Feuilleton-Chef der FAZ, der Peer Steinbrück ein Jahr lang im Wahlkampf begleitet hatte, plauderte ebenfalls aus dem Nähkästchen. So erklärte er beispielsweise, dass Peer Steinbrück die Wahl mangels Vertrauen nicht gewonnen hatte und schlussfolgerte: „Die Inszenierung muss einfach stimmen.“ Natürlich wirkten die Medien bei dieser Inszenierung mit, und wirkten mit ihrer hohen Geschwindigkeit auch auf die Politik. Im abschließenen Gespräch mit Minkmar wünschte sich deshalb Müntefering, dass sich heutige Politiker mehr Zeit für ihre Entscheidungsfindung nehmen sollten. Und appellierte am Ende an die junge Generation, bei all der Informationenflut das Wesentliche und Entscheidende nicht aus den Augen zu verlieren.

Übergangsphase der „medialen Pubertät“

Am letzten Abend der Hegelwoche stand das Medientheater im Mittelpunkt. Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen und Journalistin Theresia Enzensberger zeichneten aus ihren unterschiedlichen Perspektiven die beiden Hörner eines grundlegenden Dilemmas nach, in dem sich die Social-Media-Gesellschaft gerade befindet: Auf der einen Seite der Wunsch nach dem Ausprobieren von anderen Rollen und dem Verbergen hinter Masken und Pseudonymen - eine Entwicklung, die das Individuum in gewisser Weise vom Gelingen entpflichte, so Enzensberger, da es sich in der Anonymität der Rollen auflöse. Auf der anderen Seite der „Hunger nach Echtheit“, der auf eine Art „Inszenierungsekel“ folge, wie Pörksen es beschrieb.

Die Diskussion der beiden Gäste mit den Gastgebern Christian Illies und Friedhelm Marx kreiste denn auch im Kern um diese „gespaltene Selbstverortung“, wie Illies das Dilemma nannte. Wie kann der Mensch darauf reagieren?, war die zentrale philosophische Frage, deren Antwort sich dann verhältnismäßig einhellig auch in der Diskussion mit dem Publikum herauskristallisierte: In der aktuellen Übergangsphase einer „medialen Pubertät“, die Pörksen beschrieb als eine Zeit der ethisch-moralischen Unsicherheit, in der Kriterien sich zunächst noch herausbilden müssen, stecke auch und vor allem ein umfassender Bildungsauftrag.

Die aufgeklärte Gesellschaft dürfe ihre Mündigkeit nicht delegieren an Gesetzgeber oder Initiativen wie den Internetführerschein. Sie müsse sich stattdessen im diskursiven Prozess darüber verständigen, wie den elementaren Veränderungen einer medialisierten Welt zu begegnen sei – und diese Grundsätze auch gezielt vermitteln und lehren.
 

Seit 25 Jahren organisieren die Otto-Friedrich-Universität, die Mediengruppe Oberfranken und die Stadt Bamberg die Hegelwoche. 2014 hat die Dr. R. Pfleger Chemische Fabrik GmbH die Hegelwoche gesponsert.

Hinweis

Diesen Text verfassten Freyja Ebner und Dr. Monica Fröhlich für die Pressestelle der Universität Bamberg. Er steht Journalistinnen und Journalisten zur freien Verfügung.

Bei Fragen oder Bilderwünschen kontaktieren Sie die Pressestelle bitte unter der Mailadresse medien(at)uni-bamberg.de oder Tel: 0951-863 1023.