Jeder von ihnen kam mit ganz eigenen Eindrücken aus der Goldenen Stadt zurück: die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Pragexkursion in Mai (Bild: CBS)

Christa Jansohn im Gespräch mit Shakespeare-Forscher Zdeněk Stříbrný (Bilder: Cornelia Neumann)

Reger Austausch auf der Literaturkonferenz, die vor allem für Promovierende eine wichtige Plattform darstellte, um ihre Arbeiten präsentieren zu können

Bürgermeister Petr Hejma empfing die kleine Bamberger Delegation

- Lina Muzur

„Dieses Mütterchen hat Krallen“

Bamberger Studierende erkunden das literarische Prag

Ausflug in die Goldene Stadt: Eine Exkursion des Centre for British Studies (CBS) führte Bamberger Studierende vom 14. bis 19. Mai unter der Leitung von Prof. Dr. Christa Jansohn nach Prag.

„Selten wissen Engländer oder Franzosen, wo Prag liegt“, schreibt zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts Gustav Meyrink. Diese Feststellung ginge dem tschechischen Autor heute wohl nicht so leicht über die Lippen. Prag – die Tschechen sagen Prr-aha – die Goldene Stadt, die Stadt der hundert Türme, ist heute eines der beliebtesten Reiseziele überhaupt. Fast jeder war schon einmal da und kann fundiert vom tschechischen Bier schwärmen. Doch was ist Prag? Ist die Essenz Prags am Altstädterring zu finden? Oder eher in den Außenbezirken, den teils erschreckend heruntergekommenen? Eine Exkursion, ausgerichtet von Prof. Dr. Christa Jansohn, der Leiterin des Centre for British Studies, führte im Mai für sechs Tage nach Prag. Das Ziel war es, die Stadt hauptsächlich vor dem Hintergrund der in ihr entstandenen und der von ihr handelnden Literatur zu sehen und zu begreifen. Und man stellte fest: Es gibt so viele Prags wie es Augen gibt.

Literatur, Musik und die Geschichte Prags

Durch das Oberseminar „(Armchair-) Travelling through Prague“ waren die teilnehmenden Bamberger Studierenden schon inhaltlich und visuell auf die Stadt eingestimmt. Man lernte maßgebende zeitgenössische tschechische Autoren wie Ivan Klima und Bohumil Hrabal kennen und rief sich Klassiker wie Hašek („Der brave Soldat Schwejk“), Seifert und Kundera in Erinnerung. Freilich war Kafka ein wichtiges Thema, denn seine Literatur hat die Art der Wahrnehmung Prags entscheidend mitgeprägt: Es ist das düster-melancholische Prag, das Prag der verwinkelten Straßen und des reichen intellektuellen Lebens in den berüchtigten Kaffeehäusern. Angelsächsische Autoren wie David Lodge, Philip Roth und John Banville haben dieses Bild aufgenommen und weiterentwickelt. Sie nehmen in ihren Werken „Nice Work“, „Prague Orgy“ und „Prague Pictures“ die Stadt, in der alle Gegensätze stets als zwei Seiten einer Münze gelten, vor allem sinnlich wahr.

Eine so komplexe Stadt begreifen zu wollen, bedeutet auch, ihre wechselvolle Geschichte zu kennen. In Vorträgen über den Prager Frühling, die Rolle Großbritanniens bei der Sudentendeutschenfrage, und die Bedeutung der Prager Deutschen Botschaft bei der Wiedervereinigung wurde auch dieser Aspekt berücksichtigt. Und schließlich fehlten auch nicht die musikalischen Glanzpunkte der Stadt. Ein Referat und ein musikalischer Spaziergang führten durch das musikalische Prag mit ihren Komponisten Fibich, Dvořak, Mozart und Smetana.

Voller Erwartungen in der Stadt angekommen, lernten die Exkursionsteilnehmer zunächst die pittoreske Altstadt kennen, deren Zentrum der Altstädter Ring mit dem Alten Rathaus bildet. Eine Stadtführung wies auf die wichtigsten Touristenattraktionen hin, unter anderem die Astronomische Uhr, den Wenzelsplatz, die Karlsuniversität, das Ständetheater, die Karlsbrücke mit ihren Heiligenstatuen und verhalf dazu, einen ersten Eindruck der kulturellen, architektonischen und geschichtlichen Vielfalt Prags zu bekommen. In individuellen Erkundungen am Montag- und Dienstagnachmittag konnten die Studierenden ihren eigenen Interessen folgen. Diese richteten sich teils auf die Kleinseite mit ihrer imposanten Burganlage und dem gotischen St.-Veits-Dom, dessen fast 600jährige Bauarbeiten erst 1929 zum endgültigen Abschuss kamen. Oder auf das erst 2004 eröffnete Kafka-Museum, das viele nach einem gemeinsamen Rundgang durch das Jüdische Viertel aufsuchten. Auch die tschechischen Parlamentsgebäude, das Palais Schwarzenberg, die Britische Botschaft (mit Churchill-Statue) und nicht zuletzt die Deutsche Botschaft, auf deren Balkon der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher den wartenden DDR-Flüchtlingen die legendären Worte zur Genehmigung ihrer Ausreise sprach, standen auf dem Programm.

Einen besonderen Höhepunkt stellte das Treffen mit dem weltweit renommierten Shakespeare-Forscher Zdeněk Stříbrný dar, der Philipp Roth persönlich kennt und den Studierenden dessen intensive Beschäftigung mit Prag und der Kafka-Familie schilderte.

Reger Austausch auf der Literaturkonferenz

Der dritte Tag der Reise war ganz für die „3rd Conference on Linguistics and Literary Studies“ reserviert. Prof. Anna Grmelová und Prof. Jansohn moderierten den literaturbezogenen Teil der Veranstaltung, die vor allem als Forum für Promotionskandidaten aus ganz Tschechien konzipiert ist, die hier ihre Projekte vorstellen und in einem Konferenzband veröffentlichen können. Vortragende waren auch zwei Doktorandinnen von Prof. Jansohn. Saskia Lettmeier hielt einen lebendigen Vortrag zu „Sensationalism in the Courtroom: A Literary Reading of a Nineteenth Century Cause Célèbre”, das die Fächer Britische Kultur, Medienwissenschaft und Jura vereint. Berenice Boxler sprach über „The Perception of Great Britain by German Academics of English and History Studies from the 1930s to the late 1950s“. Die Themenvielfalt war beeindruckend groß, sie reichte vom ethnischen Bildungsroman bis hin zu Clara, einer literarischen Verarbeitung von Clara Schumann durch die irische Schriftstellerin Janice Galloway. Die Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmer waren begeistert von dem regen Gedankenaustausch und den inspirierenden Beiträgen.

Kontakte wurden beim anschließenden gemeinsamen Abendessen in einem typisch-tschechischen Gasthaus geknüpft. Zunächst herrschte allgemein eine leichte Furcht vor den georderten Speisen, denn man hatte in den Werken der britischen Autoren nichts Gutes über die tschechische Küche gehört. Der Bookerprize-Gewinner John Banville sagt etwa in einem Interview: „Das tschechische Essen ist weltweit das widerlichste, das ich kenne.“ In „Prague Pictures“ kritisiert er speziell die berühmten tschechischen Knödel, die „farblos auf dem Teller daliegend“, von einem Messer durchstochen an ihm festkleben mit einer „tumorartigen Verliebtheit“. Die Studierenden aus Franken, an deftige Speisen schon gewohnt, vergaßen schnell das Angelesene und kosteten die tschechische Küche in vollen Zügen aus.

Prag-Bamberg

Einer der Höhepunkte der Fahrt war sicherlich auch der festliche und überaus herzliche Empfang im Altstädter Rathaus durch den Bürgermeister von Prag 1 – der Partnerstadt Bambergs. Der Bürgermeister Petr Hejma mit Ordenskette und klassischer Musik im Hintergrund sprach vor allem von der Notwendigkeit, die Beziehungen zueinander zu erweitern und sich gegenseitig kennen zu lernen, eine Anspielung auf die gesamte Europäische Union. Er wünschte allen eine schöne Zeit in Prag und überreichte Prof. Jansohn zwei Kunstbände. Er kündigte auch an, bald selbst einmal in die fränkische Stadt kommen zu wollen, von der er schon so viel Gutes gehört hatte. Auch wolle er die Kontakte zur Universität weiter pflegen.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren sich einig, eine stimulierende, lehrreiche und abwechslungsreiche Zeit verbracht zu haben. Jeder von ihnen kam mit ganz eigenen Eindrücken zurück. Und viele können nun Kafkas Worte „Prag lässt nicht los ... dieses Mütterchen hat Krallen“ besser verstehen. Oder auch die des italienischen Autors Angelo Maria Ripellino: „When I seek another word for mystery, the only word I can find is Prague. She is dark and melancholy as a comet; her beauty is a sensation of fire …”