Lectio 10
Auf welche Weise er (= Erzbischof Heribert von Köln) sich am Ende mit dem erhabenen (Kaiser) Heinrich (II.) aussöhnte.
Zu sagen bleibt, weshalb der erhabene (Kaiser) Heinrich (II.) den Kämpfer für Christus (= Heribert) lange für verdächtig und feindlich gesinnt hielt; er (= Heribert) soll nämlich, wie man sagt, zur ersten Zeit seiner Wahl ihm die Insignien des Reiches mit Verzögerung ausgehändigt und versucht haben, die Krone auf einen anderen zu übertragen. Es blieb zwischen den Dienern Gottes (= zwischen Heribert und Kaiser Heinrich II.) die lange Zwietracht eines vorgetäuschten Friedens, und der Größere wurde vom Kleineren mehr als recht mit hergebrachter Geduld ertragen; er bedrückte ihn nämlich durch häufige schmachvolle Behandlung, indem er ihm sachlich nicht gerechtfertigte Gaben und Anweisungen auferlegte.
Schließlich kam er (= der Kaiser) in übermäßigem Zorn auf ihn (= Heribert) nach Köln; der Mann Gottes nahm ihn mehr als gebührend auf. Er hatte sich nunmehr vorgenommen, ihn recht schwer zu tadeln und wegen, wie es ihm schien, erwiesener Untreue (certa infidelitas) anzuklagen; da erschien dem drohenden Kaiser, nachdem durch die Nacht die Gefahr (einer solchen Anklage) eingeschläfert (nämlich für den Tag der Ankunft des Kaisers in Köln zunächst abgewendet) war, eine schreckliche Gestalt im priesterlich Ornat (infulata), versetzte ihn in Frucht und drohte ihm nachdrücklich, er solle gegen seinen Diener Heribert künftig nichts Unrechtes mehr ins Werk setzen. Ich vermute, dass dies Petrus war, auch wenn ich weder mündlichen, noch schriftlichen Beleg dafür finden kann.
Auf diese Weise wurde auch Alexander der Große, als er sich anschickte in Jerusalem einzufallen, von einem ähnlichen Traumbild eines alten Hohepriesters in Schrecken versetzt, das ihm verbat, seinen Bürgern Gewalt anzutun, es sei denn er wünsche seinen sofortigen Tod. Als ihm tags darauf der Hohepriester Jaddus (Iadus) in seinem Ornat (stola) gegenüber trat, sprang er von seinem Wagen, huldigte ihm mit kniefälliger Verehrung und sagte: "Nicht ihm huldige ich, sondern demjenigen, der mir in einem Traumgesicht in ebendieser Weise erschienen ist."
Am darauffolgenden Tag also hielt der erhabene (Kaiser) mit absichtlich finsterer Miene Gericht (sedit); durch Unterhändler forderte er von dem gesegneten Bischof eine unermessliche Geldsumme, lobte aber im Herzen Gott, weil es ihm zuteil geworden war, von seiner Unwissenheit und mangelnden Urteilskraft befreit zu werden, und einen des Himmels würdigen Geistlichen zu ehren gelernt hatte. Es standen diejenigen (dabei), die in vielen Punkten beständig falsche Anklage gegen ihn führten. Der Mann Gottes aber konnte die Geißel dieser Verfolgung nicht länger ertragen und trat in Tränen aufgelöst zum Kaiser ein; in dessen Gegenwart beklagte er die langwierige Unmäßigkeit (= unmäßige Länge) seines Leidens: Er kenne sein Vergehen gegen ihn nicht, niemand könne es ihm vorwerfen und wahrheitsgemäß umreißen, es sei besser für ihn, künftig ganz auf die Bischofswürde zu verzichten als von so vielen Übeln bedrängt zu werden und niemals Ruhe zu haben. Daraufhin stürzte der erhabene (Kaiser) von seinem Thron und warf sich ehrerbietig und unter zahlreichen Küssen in dessen Umarmung, wobei er sich schuldig bekannte, vom Rat missgünstiger Menschen verführt worden zu sein, und flehentlich um Vergebung für seinen Fehltritt bat. Dies fiel Heribert wie (einst) Martin nicht schwer, und nach Art des Evangeliums vergab er ihm von Herzen alle Vergehen. Sodann verbündeten sie sich durch einen dreifachen Kuss unter dem Zeugnis der Dreifaltigkeit, seine Gegner dahingegen erröteten vor Scham und suchten jählings flüchtend das Weite (vgl. Jos. 7, 5). Danach nahmen die Männer Gottes nebeneinander auf dem Thron Platz und verhandelten nützlich über Dinge, die für den Zustand und die Geschäfte des Reiches von höchster Wichtigkeit waren.
In derselben Nacht, nach den nächtlichen Gebeten der Mette, durchwachte das lebendige Opfertier Gottes (vgl. Röm. 12, 1) alleine die Nacht mit Psalmen und Gebeten; da klopfte der Kaiser in Begleitung (nur) eines einzigen Geistlichen an die Tür des Gebetshauses und trat, nachdem man ihm geöffnet hatte, in Stille alleine ein. Nachdem die beiden so vereinigt waren, streifte der Kaiser seinen Mantel ab; nachdem alle Zeugen entfernt worden waren, warf er sich dem Heiligen zu Füßen und bezichtigte sich selbst, gefehlt zu haben und ein Sünder zu sein: Er (= Heribert) solle die Erinnerung an sein Vergehen fahren lassen und sicher wissen, dass er hernach weder irgendeinen Verdacht gegen ihn hegen, noch irgendjemandes Anklage dulden werde. Eilends richtete der Bischof den Herrn vom Boden auf, staunte über seine demütige Haltung und Gesinnung und beteuerte, die gestrige Versöhnung sei ausreichend gewesen, bei ihm seien keine Spuren des einstigen Vergehens zurückgeblieben. Und er fügte hinzu, dass sie sich nach ihrem Abschied voneinander künftig nicht mehr sehen würden, so dass man daran erkennen kann, dass er Augen hatte, die es verstanden, in die Zukunft zu sehen. Und damit man glaubt, dass dies wirklich passiert ist, wurde es von ihm selbst erzählt, auf dass es wahrheitsgemäß berichtet werde.
Es ist erstaunlich, dass Heilige des Öfteren voneinander abweichende Meinungen vertreten, wie es Paulus und Barnabas in der Apostelgeschichte (vgl. Apostelgeschichte 15, 141) und mehrere Heilige in den Schriften tun. Was (nun) die Verderbten und die Gerechten anbelangt, so ist es nicht verwunderlich, dass zwischen ihnen keine Eintracht herrscht; denn zwischen Christus und Belial besteht keine Übereinkunft, noch verbindet sich das Licht mit der Finsternis, noch hat der Gläubige etwas mit dem Ungläubigen gemein (vgl. 2. Kor. 6, 1415). Dies aber sind die unbegreiflichen Gerichte Gottes, seine unergründlichen Wege und verborgenen Ratschlüsse; denn niemand kennt den Sinn des Herrn, ist sein Ratgeber gewesen und hat ihn unterwiesen. (Niemand) hat ihm (etwas) zuvor gegeben, so dass Gott es ihm vergelten wird, denn von ihm, durch ihn und in ihm (oder: zu ihm) sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! (vgl. Röm. 11, 3336; Jes. 40, 13)
(Übersetzung: Klaus van Eickels / Eike Schmidt)