Thangmar (?), Vita sancti Bernwardi epsicopi et confessoris (Lebensbeschreibung des heiligen Bischofs und Bekenners Bernward)

Vorrede des Priesters Thangmar zur Lebensbeschreibung des heiligen Bischofs und Bekenners Bernward.
Der göttlichen Vorsehung weises und wunderbares Walten vermag des Menschen Geist weder klar zu durchschauen noch gebührend zu bewundern. Ein Wunder nämlich sind die Wohltaten der göttlichen Güte, die uns von Tag zu Tag am Leben erhalten. Daher wäre es eine schwere Schuld, das Lob Gottes nicht zu verkünden, da doch ganz klar geschrieben steht: "Das Geheimnis eines Königs zu bewahren ist gut, aber die Werke Gottes zu offenbaren und zu bekennen ist ehrenvoll." Durch diese Worte des Engels überredet, ja genötigt, habe ich, Thangmar, Sünder und unverdientermaßen Priester, auch unserer heiligen Kirche demütiger Bibliothekar und Notar, versucht, die Großtaten eines denkwürdigen Mannes, nämlich des Herrn Bernward, unseres Bischofs, zu beschreiben. Ich tat dies bei Gott nicht aus eitler Überheblichkeit; vielmehr war es meine Absicht, wenn aus seinen Taten durch Gottes Güte etwas Nachahmenswertes hervorleuchtet, die Gnade Gottes, aus der es geflossen ist, der Nachwelt zu verkünden und sie durch dieses Beispiel zum Fortschritt in der Tugend anzustacheln. Es war mir klar, dass es eine Vermessenheit gewesen wäre, das Werk ohne sein Wissen zu beginnen. Lange zögerte ich, offen mit ihm darüber zu sprechen. Endlich fand ich eine günstige Gelegenheit und wagte, an ihn heranzutreten. Zunächst widersetzte er sich mir mit ganzer Kraft, denn Großtuerei und Haschen nach Volksgunst mied er in allem wie tödliches Gift. Oftmals hielt ich ihm vor, dass es eine schwere Sünde sei, gute Werke zu verhehlen, so dass die andern aus diesem Vorbild keinen Nutzen ziehen können, da doch der Herr sagt: "Euer Licht leuchte vor den Menschen" usw. So gab er endlich nach und überließ es mir, was ich schreiben wolle. Denn von seinen Knabenjahren bis ins Mannesalter war er mit mir zusammen und stand mir so nahe, wie ein Sohn dem Vater. Und daher konnte er auch nichts, was ihn in seinem Leben bewegte, vor mir verbergen, so dass ich nicht über alles voll und ganz Bescheid wüsste.
(...)
11. Durch diese und andere Werke der Frömmigkeit, die er mit allen Kräften des Geistes und des Körpers zum Segen der Kirche vollbrachte, machte sich der Bischof (Bernward) seligen Andenkens im höchsten Maß angenehm vor Gott, der sein Inneres lenkte, und vor der Kirche, die den Erfolg seines Wirkens sichtlich zu spüren bekam. Zu dieser Zeit war, wie vom heiligen Job zu lesen ist, auf Erden keiner, der ihm gleich geachtet wurde. Und daher war es folgerichtig, dass sich dieser begnadete Mann auch in der Trübsal der Versuchung nicht weniger wunderbar in der Tugend der Demut und Geduld bewährte, als in den andern Tugenden. Im 8 Jahr seiner Weihe wurde er nämlich vom Erzbischof Willigis (von Mainz) wegen des Gebiets von Gandersheim schwer bedrängt und unter klarer Verletzung der Kirchengesetze angegriffen. Doch ließ er sich dadurch nicht im geringsten von dem gewohnten Pfad der Demut und Geduld abbringen. Dem Ansinnen des Erzbischofs jedoch, das keine gerechte Sache sondern eine glatte Gewaltanmaßung war, widersetzte er sich scharfsinnig und aus unbeugsamem Pflichtbewusstsein, nicht aus kühner Vermessenheit. Gemäß dem Wort Pauli: "Solange ich Apostel der Völker bin, will ich meinem Amte Ehre machen", war er mit peinlicher Sorgfalt darauf bedacht, solange er der Kirche an Christi Statt als Hirte vorstand, die Rechte seines Bistums ungeschmälert zu erhalten. Und das ist ihm mit Gottes Hilfe, wenngleich nicht ohne Mühe, auch gelungen. Damit sich aber ein ähnlicher Streit über die Gandersheimer Kirche in Zukunft nicht noch einmal wiederholt, schien es mit zweckmäßig, die ganze Streitfrage zwischen dem Mainzer Erzbischof und dem ehrwürdigen Herrn Bernward der Reihe nach hier einzufügen. Ich muss zu diesem Zweck etwas weiter ausholen. Der Leser möge Verständnis dafür aufbringen, denn es gereicht den Nachfahren vielleicht in vieler Hinsicht zum Nutzen.

12. Das Gebiet von Gandersheim, im Gau Flenithi gelegen, gehörte von Anfang an, seitdem die Grenzen der Bistümer in Sachsen festgelegt wurden, mit Sicherheit zum Amtsbereich der Bischöfe von Hildesheim. Das muss allen, die es wissen wollen, klar einleuchten, weil dieses Gebiet ja schon seit den aller ersten Anfängen der Christianisierung unseres Volkes, schon vor der Gründung des besagten Klosters, der Obhut unseres Bischofs unterstand. Zu Zeiten des Herrn Altfried nämlich, welcher der vierte Bischof unserer Kirche war, zogen der Herzog Liudolf und seine fromme Gemahlin Oda, von großem Eifer für den Dienst Gottes entflammt, auf den Rat dieses Bischofs nach Rom und wurden von Papst Sergius glänzend empfangen. Als der Papst ihren frommen Wunsch vernahm, schenkte er ihnen Reliquien der heiligen Bischöfe Anastas und Innozenz und entließ sie mit seinem Segen. Durch Gottes Gnade in ihre Heimat zurückgekehrt, stifteten sie auf Rat Bischof Altfrieds zuerst in Brunshausen ein Kloster für gottgeweihte Jungfrauen und übergaben ihre Tochter Hathumod, die damals 12 Jahre alt war, dem genannten Bischof, damit er ihr die Leitung des Klosters übertrage. Das war im Jahr 852 nach der Geburt des Herrn, als Hrabanus auf dem Mainzer Bischofsstuhle saß. Die gesamte Aufsicht über den Ort und das Kloster übertrugen sie dem Bischof Altfried. Einige Jahre später, als Karl dem Erzbischof Hrabanus folgte, im Jahr 856 nach der wunderbaren Geburt Christi, entdeckte Bischof Altfried einen Platz an der Gande, dem er nach dem Fluss den Namen Gandersheim gab. Hier begann er mit Zustimmung des Herzogs ein Kloster größeren Umfangs zu erbauen. Damals war Liudbert, der dem Karl gefolgt war, Erzbischof von Mainz. Dieser Platz erschien nämlich wegen seiner lieblichen Wiesen und Haine angenehmer und wegen seiner dichten Wälder und schützenden Sümpfe zugleich sicherer für eine Niederlassung der Streiterinnen Gottes. Der Herzog und die Äbtissin Hathumod starben, noch bevor der Bau der Kirche zu Gandersheim vollendet war, und wurden in der alten Kirche zu Brunshausen beigesetzt. Daraufhin empfing unter Vermittlung des ehrwürdigen Bischofs Altfried und des Erzbischofs Liudbert von Mainz, des Nachfolgers Karls, die Schwester der Hathumod, Gerburg I., die Leitung des Klosters. Bald danach, zwei Jahre später, verschied der ehrwürdige Herr Altfried. Er regierte gleichzeitig mit den Mainzer Bischöfen Hrabanus und Karl und zwölf Jahre gleichzeitig mit Liudbert. Unter ihm wurde der Dom zu Hildesheim, dessen Grundstein er selber gelegt hatte, in aller Pracht vollendet und eingeweiht; er starb reich an guten Werken. Ihm folgte Markward als fünfter Bischof unserer Kirche. Er regierte nur vier Jahre; unter ihm wurde die Decke der Kirche eingezogen. Auf ihn folgte Wigbert als sechster Bischof. Er vollendete den Bau und weihte die Kirche ein. Er war es auch, der gemeinsam mit der Herrin Oda und der Äbtissin Gerburg die Einrichtung des klösterlichen Lebens an dieser Stätte begann und zum Abschluss brachte. Auf seinen Rat hörten sie in allem, was sie anordneten und taten. Die Äbtissin Gerburg aber stand 22 Jahre hindurch an der Spitze des Klosters; sie ist bestattet in der neuen Kirche an der Seite der Herrin Hathumod. Ihre Schwester Christina empfing die Leitung des Klosters und die Weihe vom Herrn Wigbert. Die Herrin Oda starb im 107. Jahr ihres Alters, nachdem sie allen ihren Kindern mit Ausnahme der Christina ins Grab geschaut hatte. Sie fand ihre Ruhestätte neben ihren Töchtern. Aber auch Christina überlebte ihre Mutter nur sechs Jahre und ging dann durch einen glücklichen Tod zum Herrn. Bischof Wigbert regierte gleichzeitig mit den Mainzer Bischöfen Liudbert, Sunderald und Hatto. Nach ihm folgte Walbert als siebter Bischof. Dieser führte die ehrwürdige Frau Hroswith, die von den Klosterfrauen gewählt worden war, in ihr Amt ein, nahm auch die Weihen in der dortigen Kirche vor, kleidete die Mägde Gottes ein und versah alle sonstigen gottesdienstlichen Aufgaben. Nach Walbert wurde Sehard, ein ehrwürdiger Mann, zum achten Hirten unserer Kirche geweiht. Auch er versah ohne den geringsten Widerspruch alle kirchlichen Amtshandlungen an diesem Ort. Nach Sehard wurde uns Thiethard als neunter Bischof vorgesetzt, während Friedrich als Erzbischof von Mainz regierte. Thiethard weihte die neue Kirche, in der die Nonnen bis heute Christus dienen, und übte ordnungsgemäß alle bischöflichen Rechte an dieser Stätte aus, ohne dass sich irgendein Widerspruch erhoben hätte. Nach Thiethard regierte Otwin als zehnter Bischof. Dieser setzte Gerburg II. in die Leitung des Klosters ein, spendete ihr die Weihe und nahm getreulich alle bischöflichen Amtspflichten wahr, ohne dass sich Wilhelm, der Sohn Ottos des Großen, in irgendeiner Weise widersetzt hätte. Ebenso bereiteten ihm Hatto und Rodbert nicht die geringsten Schwierigkeiten, sondern waren seine besten Freunde. Auch Willigis, der Nachfolger Rodberts, begegnete ihm aus Scheu vor seinem Alter und seiner Sittenstrenge in der Öffentlichkeit mit Ehrerbietung; insgeheim aber war er schon gereizt und irgendwie feindselig gegen ihn eingestellt. Doch bereitete er ihm in der Leitung des Klosters Gandersheim weder durch Worte noch durch Taten irgendwelche Schwierigkeiten. Das wollte ich vorausschicken, damit alle sehen, wie leichtfertig und verwegen angetastet wurde, was beinahe 200 Jahre lang durch die Eintracht so ehrwürdiger Väter und Bischöfe beider Diözesen gefestigt worden war und mit aller kanonischen Kraft unverbrüchlich und rechtsgültig bestanden hatte.

13. Der Zündstoff dieses ganzen Streites war ­ mit Verlaub zu sagen ­ die Tochter Kaiser Ottos II. (= Sophie) Sie verschmähte es, von ihrem Bischof, dem Herrn Osdag, den heiligen Schleier zu empfangen, und wandte sich an Willigis. Denn sie hielt es für unter ihrer Würde, von einem Bischof eingesegnet zu werden, der kein Palliumträger war. Willigis sagte gerne zu, ohne viel zu überlegen, wie sehr er dadurch altes kanonisches Recht verletzte. Auch bat er nicht in brüderlicher Liebe um Erlaubnis zur Einreise, sondern gebot seinem Bruder und Mitbischof (Bernward) kurzerhand, dass er ihm zur Einkleidung der Mägde Gottes am Fest des heiligen Evangelisten Lukas entgegeneilen solle. In einem günstigen Augenblick fragte Osdag den Erzbischof unter vier Augen, mit welcher Berechtigung er das tue. Darauf gab ihm der Erzbischof mit drohendem Blick gereizt zur Antwort, das gehöre zu seinem Sprengel. Zugleich bekräftigte er, dass er am festgesetzten Tag die Mägde Gottes einkleiden und die volle bischöfliche Gewalt an diesem Ort an sich nehmen werde. Als man nun an diesem Tag zusammenkam, widersetzte sich Bischof Osdag mit ganzer Kraft in Gegenwart König Ottos III. und seiner kaiserlichen Mutter Theophanu sowie der Bischöfe Rethar von Paderborn, Milo von Minden, Hildebald von Worms und anderer Fürsten, die zur feierlichen Einkleidung der Jungfrauen erschienen waren. Da sich ein langer Streit erhob, ließ der Herr Osdag, offen und einfach wie er war, auf göttliche Eingebung seinen Bischofsstuhl neben dem Altar aufstellen, um auf diese Weise den Ort und sein Herrschaftsrecht zu verteidigen. Fast alle waren ihm wohlgesinnt, da ihnen die anmaßende Art des Erzbischofs missfiel, auch wenn sie es aus Furcht vor ihm nicht offen zeigten. So sah sich der Erzbischof von der Gunst der Mehrheit im Stich gelassen. Er, der zuvor alles für sich beansprucht hatte, konnte nur mit Mühe, und indem er selber in schier unglaublicher Weise darum bat, erreichen, dass Theophanu und die Bischöfe für ihn eintraten, und dass er an diesem Tag am Hauptaltar die Messe feiern durfte. Die Einkleidung der Sophie jedoch sollten beide Bischöfe zugleich vornehmen, während die Einkleidung der übrigen vom Herrn Osdag allein besorgt werden sollte. So geschah das Ungewöhnliche und von uns bisher noch nie Gesehene, dass zwei Bischöfe, festlich gekleidet in ihren bischöflichen Ornat, gleichzeitig an der Seite des Altares thronten. Als man nun zur Weihe der Mägde Gottes kam, stand der Bischof, der zuvor sein bischöfliches Recht schon verloren zu haben schien, durch Gottes Gnade plötzlich auf und fragte während der heiligen Feier mit demütigen Worten zuerst den König, ob er in die Einkleidung seiner Schwester einwillige; dann fragte er ebenso die Vormünder. Als alle ihre Einwilligung erklärt hatten, fragte er zunächst die Herrin Sophie, ob sie dem Hildesheimer Stuhl, ihm selbst und seinen Nachfolgern, untertänigen Gehorsam versprechen wolle. Dann fragte er gleicher weise die andern, die den Schleier begehrten. Alle versprachen einmütig demütigen Gehorsam. Hierauf wurde allem Klerus und Volk öffentlich verkündigt, dass der Erzbischof keine Rechte an dieser Kirche beanspruche, außer was ihm der Bischof von Hildesheim zubillige und erlaube. Nachdem alles der Ordnung gemäß erledigt war, ging man in bestem Frieden und Einvernehmen auseinander. Diese Eintracht war von Bestand unter den Herren Osdag und Gerdag (Bischof von Hildesheim 990-992) und noch einige Jahre unter dem Herrn Bernward. So weihte Bernward dort einige Kirchen in Gegenwart des Erzbischofs; ebenso hielt er dort eine große Synode, wobei auch König Otto III. zugegen war, und der Erzbischof Willigis den Beisitz hatte. Doch fasste Willigis keine Beschlüsse aus eigener Machtvollkommenheit, sondern gab genauso wie alle andern Bischöfe dem Herrn Bernward, der den Vorsitz führte, seine Zustimmung. Die Teilnehmer waren: Erzbischof Islar von Magdeburg, Erzbischof Liudolf von Trier, Bischof Milo von Minden, Bischof Hildebald von Worms und Bischof Hugo von Zeitz. Aber diese Eintracht war nicht von Dauer, denn es traten Ereignisse ein, die der keimenden Liebe durch das Gift der Falschheit ein Ende bereiteten.

14. Man erregt heutzutage gewiss Ärgernis, wenn man über jemand die Wahrheit sagt, gemäß dem Dichterwort: "Die Wahrheit gebiert Hass". Und doch lädt ein Schriftsteller schwere Schuld auf sich, wenn er die Unwahrheit sagt oder die Wahrheit unterschlägt. Daher gestatte man mir zu sagen, was zu verschweigen ein Frevel ist. Dieses berühmte Kloster (Gandersheim) der Mägde Gottes war von unseren Herren, den Vätern des Vaterlandes, Herzogen und Königen, und von Altfried und seinen Nachfolgern mit so hingebungsvollem Eifer begründet worden, dass es am Anfang in vorbildlicher Weise als Muster der Demut und Liebe blühte. Die Nonnen erwiesen ihrem von Gott vorgesetzten Bischof Ehrfurcht, Liebe und Gehorsam wie einem Boten Gottes und Vater. Wenn ein Fremder zu ihnen kam, nahmen sie ihn, wie es einem jeden angemessen war, mit außergewöhnlicher Güte auf. Das war ihr Brauch, das war ihr Bestreben, das verschaffte dem Kloster Ansehen und ihnen selbst die Gunst aller Menschen. Wenn sie in kirchlichen Fragen an den Hof gerufen wurden, kamen sie in schmucklosen oder gar abgetragenen Gewändern und wurden gerade wegen dieses Vorrechts der Demut als wahre Mägde Gottes angesehen und geehrt. Später aber machten sich Luxus und Überfluss breit, extravagante Sitten stellten sich ein, der Gehorsam erlahmte, die Ehrfurcht vor den Bischöfen schwand dahin, jede tat, was sie wollte. Zur Vermehrung des Unheils kam eine langwierige Krankheit der Herrin Gerburg hinzu, der ehrwürdigen Mutter dieses Klosters, die der Herr durch viele Tugenderweise ausgezeichnet hat. Dazu kam ferner der Tod jener Schwestern, die noch in der alten Zucht erzogen worden waren. Groß aber war die Zahl der jungen Schwestern, die in die Schule Christi eingetreten waren. Diese wuchsen anspruchsvoller auf, begriffen den Sinn der alten Zucht und Strenge nicht mehr und wichen später, wie es menschlich ist, von ihren Gelübden ab. Auch Sophie verfügte sich gegen den Willen und gegen den heftigen Widerstand der Gerburg in Sachen des Erzbischofs Willigis an den Kaiserhof. Hier verweilte sie ein bis zwei Jahre, betrat den Pfad eines ungebundenen Lebens und ließ allerhand Gerüchte über sich kursieren. Als der ehrwürdige Bischof Bernward, der ihr stets mit höchstem Wohlwollen zugetan war, nicht mehr länger zusehen konnte, versuchte er sie durch sanftes Zureden zur Rückkehr ins Kloster zu bewegen. Jene aber schenkte ihm kaum äußerlich Gehör. Trotzdem wiederholte er immer wieder seine Forderung und ermahnte sie in aller Freundschaft, sie möchte doch ins Kloster zurückkehren. Anfangs versuchte Sophie ihm und seinen Ansprachen auszuweichen, dann aber nahm sie gleichsam als Schutzbedürftige ihre Zuflucht zum Erzbischof, hetzte ihn mit bitteren Reden auf, erklärte das Abkommen, das bei ihrer Einkleidung getroffen worden war, mit nichtssagenden Worten für ungültig und behauptete, sie habe von ihm, und nicht vom Bischof von Hildesheim, den Schleier empfangen; der Bischof Bernward habe ihr überhaupt nichts zu sagen, das Kloster Gandersheim gehöre zur Diözese des Erzbischofs, und sie habe genug Leute bei der Hand, die das bezeugen könnten. Durch solche und ähnliche Reden brachte sie den Erzbischof schwer gegen den Herrn Bernward auf. Danach ging sie nach Gandersheim zurück, säte unter ihren Mitschwestern alles mögliche über den Bischof aus und arbeitete mit aller Kraft darauf hin, ihn gänzlich von diesem Ort zu verdrängen.

15. Unterdessen gewahrte der Bischof (Bernward), was gegen ihn im Gang war, und begab sich nach Gandersheim. Hier musste er zu seinem Schmerz erleben, dass man ihn kühl empfing und ihm nichts von jener Liebe und Achtung zollte, wie man sie seinen Vorgängern erwiesen hatte, sondern dass man ihn wie einen auswärtigen Bischof behandelte. Und doch hatte dieses Kloster von seinen Vorgängern ungezählte Güter empfangen; auch viele Zehnten waren ihm von dieser Seite in alter und neuer Zeit zugewiesen worden. Und nun wurden ihm alle Wohltaten mit Schmach und Unrecht belohnt, die Abgaben, die für die Zehnten zu entrichten waren, herabgesetzt, ja vielfach in betrügerischer Weise ganz verweigert. Bernward redete ihnen eindringlich zu, sie möchten doch das Opfer des Gehorsams, das Gott lieber sei als alle andern Opfer, in Demut auf dem Altar ihres Herzens darbringen; er für seine Person könne alles in Geduld ertragen, sie sollten sich aber wohl in acht nehmen, in seiner Person Christus zu beleidigen, an dessen Statt er walte; was sie ihm persönlich antäten, wolle er als verdiente Strafe hinnehmen; dass aber Ehrfurcht, Liebe und Gehorsam, so wie sie seinen Vorgängern von ihren Vorgängerinnen erwiesen worden waren, durch seine Schuld außer acht gelassen würden, könne er nicht zugeben. Obwohl er das in väterlicher Absicht sprach, hassten sie ihn, angestachelt von ihren Sünden, nur noch mehr, und Sophie hetzte gegen ihn sowohl beim Erzbischof (Willigis) wie auch bei ihren Mitschwestern.

16. Nun aber nahte der Tag, an dem auf Verlangen der Herrin Gerburg die Kirche, die sie erbaut hatte, eingeweiht werden sollte. Weil sie aber, durch lange Krankheit geschwächt, den Vorbereitungen zu diesem großen Fest unmöglich gewachsen war, hatte Sophie mit ihrer Zustimmung die ganze Last der Arbeit übernommen. Und wie zu erwarten war, setzten sie den eigenen Bischof (Bernward) hintan und nahmen auf ihn keine Rücksicht. Der Erzbischof (Willigis) ward hinzugezogen, unter seiner Leitung wurden alle Vorbereitungen zur Weihe getroffen. Man bestimmte den Tag der Weihe, nämlich das Fest Kreuzerhöhung. Man sandte auch einen Boten von Seiten der Äbtissin, der den Herrn Bernward zur Weihe einlud und den Termin bekanntgab. Und obwohl Bernward mehrfach darauf hingewiesen wurde, dass schon diese Form der Einladung einen Vorgriff des Erzbischofs auf seine Rechte darstellte, ertrug er es doch mit Sanftmut und versprach, am vorgesehenen Tag zu kommen. Inzwischen aber änderte der Erzbischof ­ man weiß nicht aus welchem Grund seinen Beschluss, sagte den Weihetermin ab und setzte die Weihe auf das Fest des heiligen Apostels Matthäus. Dem Herrn Bernward ließ er ­ genauso selbstherrlich wie er seinerzeit bei der Einkleidung der Sophie einen Boten an den ehrwürdigen Herrn Osdag geschickt hatte ­ ausrichten, er solle sich am genannten Festtag ungesäumt zur Weihehandlung bei ihm einfinden. Darauf schickte Bernward seinerseits einen Boten mit Schreiben an den Erzbischof und legte ihm dar, dass er durch kaiserliche Aufträge gebunden, von wichtigen Verpflichtungen in Anspruch genommen und daher außerstande sei, an diesem Tag, wie ihm befohlen, zur Einweihung zu erscheinen.

17. Und so kam er (= Bernward) am Fest der Kreuzerhöhung, wie es die Äbtissin (Gerburg) ursprünglich bestimmt hatte, nach Gandersheim, um die Kirche einzuweihen. Er traf jedoch nichts vorbereitet. Das einzige, was man vorfand, war ein Aufgebot von Leuten, die ihm Widerstand entgegensetzen und ihn schimpflich davonjagen sollten, wenn er mit seinen Leuten etwa mit Gewalt versuchen sollte, die Kirche zu weihen. Dieses Gerücht hatten sie nämlich in Umlauf gesetzt, obwohl er bei Gott nichts derartiges beabsichtigte oder auch nur daran dachte. Jene nämlich waren schon voll und ganz zum Erzbischof (Willigis) übergegangen und hatten sich und ihr Kloster unter seinen Schutz gestellt. Sophie war beständig an seiner Seite, wohnte bei ihm und betrieb Tag und Nacht ihre Sache. Jedenfalls feierte Bischof Bernward an diesem Tag dort das heilige Messopfer, wenn auch zum größten Unwillen der Schwestern, und forderte sie auf, ihre Gaben darzubringen und den Segen zu empfangen. Das Volk aber, das auf die Kunde von der Ankunft seines Bischofs wie zu einem Fest zusammenströmte, war betrübt und litt unsäglich darunter, dass der Bischof durch frechen Ungehorsam aus diesem Ort verbannt werden sollte. Sie und alle, die dazukamen, tröstete er mit feinen Worten. Mit Tränen in den Augen stellte er in aller Öffentlichkeit fest, dass er auf diesen Tag zur Kirchweihe geladen worden sei, dass man ihm aber keinerlei Ehren bezeigt, ihn vielmehr abgewiesen habe. Und daher erließ er kraft kanonischen Rechts das Verbot, dass ein anderer ohne sein Einverständnis diese Kirche, die ihm zustehe, einweihe. Darüber entbrannten die ohnehin schon aufgebrachten Nonnen in noch größerer Wut. Als man zur Opferung gelangt war, brachten sie es fertig, wütend und mit unglaublichen Äußerungen des Zornes ihre Gaben hinzuwerfen und wilde Schmähworte gegen den Bischof von sich zu geben. Durch dieses ungewöhnliche Schauspiel zutiefst erschüttert, dachte der Bischof, tränenüberströmt, nicht etwa an die eigene Schmach, die er gering achtete, sondern beklagte nach dem Vorbild des wahren Hirten, der für seine Verfolger betete, nur die Bosheit der rasenden Frauen. So kehrte er zum Altar zurück und vollendete in tiefer Zerknirschung die Messe in der gewohnten Weise. Hierauf sprach er zum Volk, stärkte es und gab ihm seinen Segen. Dann kehrte er unter dem ehrenvollen Geleit des Volkes zurück, von wo er gekommen war. O, welch ein würdiges Andenken hinterließ dieser Mann, wie müsste er von allen gepriesen, von allen mit innigster Liebe verehrt werden! Vor sich selbst unglaublich niedrig, vor Gott aber, der in die Herzen schaut, und vor seinen Gläubigen wahrhaft erhaben! Wer hätte gedacht, dass er bei seiner hohen, bischöflichen Würde, bei seinem Adel und bei seinem Reichtum an Dienern gegen die Schmach, die man ihm antat, lieber den Schild der Geduld ergreifen wollte, als den Schild der Gewalt. Aber diesem heiligen Mann lag nichts daran, von Menschen schmählich missachtet zu werden, da er sich gänzlich der Liebe Gottes verschrieben hatte und einzig darauf bedacht war, dem zu gefallen, den er über alles liebte. Das wollte ich als Beispiel großer Demut den Lesern zur Nachahmung empfohlen ­ hier einfügen. Nun aber wollen wir mit der Erzählung fortfahren.

(Übersetzung: Hatto Kallfelz)