Gerhard von Seeon, Preisgedicht auf die Bamberger Kirche

Das Preisgedicht Gerhards von Seeon auf die Bamberger Kirche ist überliefert in einer Sammelhandschrift aus der Bibliothek des Klosters Michelsberg/Bamberg, die verschiedene Mönchsregeln, außerdem das Martyrologium Bedas und andere Texte und Urkunden enthält. Die Form unterstreicht die Bedeutung des Gedichts. Geschrieben mit Goldinitialen und großzügigem Zeilenabstand auf ein Doppelblatt feinen weißen Pergaments, dessen Rückseiten jeweils frei blieben, geht es verschwenderisch mit dem wertvollen Beschreibstoff um und demonstriert so die Großzügigkeit des Stifters. Konzipiert ist das Blatt nach Form und Inhalt als Vorsatzblatt einer kostbaren Handschrift. Heute dagegen ersetzt es ein verloren gegangenes Doppelblatt im inneren Bereich der ersten Lage des Codex.
Die Regelhandschrift wurde im Kloster Seeon angefertigt, das kurz vor 999 durch den bayerischen Pfalzgrafen Aribo gegründet worden war. Die ersten Mönche stammten aus dem Heinrich II. sehr nahestehenden Kloster St. Emmeram in Regensburg. Obwohl der Konvent in Seeon zunächst kaum über die Mindestzahl von zwölf Mönchen hinausgewachsen zu sein scheint, entwickelte sich dort schon bald ein leistungsfähiges Skriptorium. Für welche Institution der Codex ursprünglich angefertigt wurde, ist unklar. Da es sich um eine Sammlung monastischer Regeln handelt, erscheint es plausibel, dass Heinrich II. sie für das von ihm bald nach seiner Kaiserkrönung 1015/1017 gestiftete Kloster Michelsberg anfertigen ließ, wo sie sich im 12. Jahrhundert befand. Die Handschrift könnte aber auch zunächst für den Bamberger Dom und die Domschule angefertigt worden sein; auch ein Bischof hatte Verwendung für eine Sammlung unterschiedlicher Mönchsregeln, da ihm die Jurisdiktion über die Klöster seiner Diözese zustand. Vorstellbar ist daher, dass Heinrich II. zunächst die Handschrift für die Bibliothek des Doms in Auftrag gab, sie dann aber entweder zurückbehielt oder nachträglich den Bischof anwies, sie an das neugegründete Kloster Michelsberg weiterzugeben.
Das Gedicht Abt Gerhards von Seeon entstand nach der Bistumsgründung 1007, wahrscheinlich nach der Domweihe 1012 ­ wofür die Erwähnung der zahlreichen Reliquien spricht ­ und vor der Kaiserkrönung Heinrichs II. 1014. Dieser terminus ante quem ergibt sich aus der Anrede des Herrschers als rex. Zwar wurden in der Forschung gegen diese Datierung Bedenken vorgebracht, da imperator aus metrischen Gründen im Hexameter schwer verwendbar ist. Jedoch überzeugt dieses Argument nicht, da mit Caesar und Augustus metrisch handhabbare Alternativen zur Verfügung gestanden hätten.
Das Preisgedicht Gerhards von Seeon ist in der Forschung bislang überwiegend als Städtelob gedeutet worden. Man bezog sich gerne auf die Passagen, die Bamberg über Athen und Rom erheben. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass der Autor dieses Ziel verfolgte. Bamberg war zu dieser Zeit eine einzige Großbaustelle und erfüllte kaum die Mindestanforderungen an eine Bischofsstadt. Ein Preisgedicht, das in der Tradition des Städtelobs die urbanen Qualitäten des neuen Bischofssitzes in den Mittelpunkt gestellt hätte, wäre eher als Satire denn als Hyperbel verstanden worden. Tatsächlich fehlen auch alle charakteristischen Bestandteile dieses Genus wie die Schilderung der Vorzüge der Topographie, der Bewohner und der Bauwerke. Gerhard muss also eine andere Absicht verfolgt haben, der man sich annähert, wenn man den Adressatenkreis bedenkt.
Kurzfristig muss der Abt von Seeon an Heinrich II. und sein Hof gedacht haben, wo das Gedicht sicherlich vorgetragen wurde. Langfristig hatte fast nur der Bamberger Klerus Zugang zu dem Werk, denn Gerhard konnte kaum damit rechnen, den Ruhm Bambergs andernorts durch sein Gedicht mehren zu können. Nur den König und die Geistlichen, die dessen Bamberger Kirchengründungen verwalteten, musste das Gedicht ansprechen. So sind Eingangs- und Schlussverse deutlich erkennbar als Herrscherlob konzipiert. Ansonsten ist das Gedicht keineswegs ein Lobpreis des Ortes Bamberg, sondern ein Entwurf, der in die Zukunft deutet und die Bamberger Kirche als herausragende Stätte der Liturgie und Wissensvermittlung vorstellt. Gerhard von Seeon konnte sich kaum berufen fühlen, der Neugründung Bamberg zu attestieren, Rom erreicht und Athen überflügelt zu haben. Vielleicht war es der griechischen Stadt vielmehr durch das Licht des christlichen Glaubens, das den heidnischen Philosophen der Antike fehlte, überlegen. Rom, das Haupt der Welt, war wohl eher als Maßstab gedacht und sollte den Klerikern des Bamberger Domes und ihren Schülern die Verpflichtung vor Augen stellen, die ihnen aus der reichen Dotierung ihrer Kirche erwuchs. So schildert Gerhard von Seeon, Zukünftiges vorwegnehmend, das Aufblühen der Bamberger Kirche unter dem Schutz des Herrschers und mahnt seine Bamberger Leser so an ihre Verpflichtung, das Gebetsgedenken ihres Stifters zu pflegen.
Das Gedicht lässt an vielen Stellen weite Deutungsspielräume und entzieht sich damit einer eindeutigen Übersetzung. Im folgenden wird daher zum einen meine ­ ähnlich im Katalog der Ausstellung Heinrich II. abgedruckte ­ Übersetzung geboten, zusätzlich eine auf dieser Grundlage von Eike Schmidt erarbeitete Übertragung, die alternative oder elegantere Übersetzungsmöglichkeiten aufzeigt. Beide Übersetzungen sind vergleichend zu verwenden. Da sie an einigen Stellen unterschiedliche Interpunktion erfordern, wird auch der lateinische Text in zwei Fassungen angeboten; beide beruhen auf dem Text der MGH-Edition, in der im Nachdruck von 1978 korrigierten Fassung; die ursprüngliche Ausgabe ist aufgrund zahlreicher Druckfehler nicht verwendbar. Die den Übersetzungsvarianten zugrundeliegenden philologischen Fragen werde ich in einem Aufsatz im 138. Bericht des Historischen Vereins Bamberg diskutieren.
(Klaus van Eickels)

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