Leo Marsicanus wurde vor 1050 geboren und stammte vermutlich aus einer Familie, die der Oberschicht der Marsia (hauptsächlich Teil der heutigen italienischen Region Abruzzen) angehörte. Leo war fast vierzehn Jahre alt, als er in zwischen 1060 und 1063 in das Kloster Montecassino eintrat. Er wurde Bibliothekar und vertrat mehrfach die Belange seines Klosters in größeren Prozessen gegen andere Kirchen. Auf diese Art und Weise nahm er wiederholt an päpstlichen Synoden teil. Zwischen 1102 und 1107 wurde Leo zum Bischof von Ostia erhoben. Als solcher war er politisch sehr aktiv und in den Konflikt zwischen Papst Paschalis II. und Heinrich V. verstrickt, an dessen Kaiserkrönung 1111 er teilnahm, auch wenn er mit seinen kirchenpolitischen Forderungen nicht übereinstimmte. Leo starb am 22. Mai 1114 in Rom.
Neben zahlreichen anderen literarischen Werken verfasste Leo die Chronik seines Klosters Montecassino. Nachdem er sich in den 1090er Jahren intensiv mit der Klostergeschichte befasst hatte, begann er sein Werk vermutlich um 1099. Bei seinem Tod war es noch nicht vollendet und wurde von zwei Fortsetzern mit den Namen Guido und Paulus Diaconus, abgeschlossen. Der größte Teil bis einschließlich liber III, cap. 33 geht jedoch auf Leo zurück.
Das Werk ist nach den Amtsperioden der Äbte gegliedert und berichtet typisch für eine Klosterchronik über die Belange Montecassinos, die Bautätigkeit, Schenkungen, Auseinandersetzungen mit den Nachbarn, das Wirken der Äbte. Die Berichte sind eingebettet in die Geschichte Mittel- und Süditaliens, die aus der Perspektive des Klosters geschildert wird. Leo standen die Bibliothek und das Archiv des Klosters zur Verfügung, so dass er sein Wissen aus zahlreichen Vorlagen aller Art schöpfen konnte.
Der im folgenden wiedergegebene Abschnitt, der sich mit dem Aufenthalt Heinrichs II. in Montecassino befasst, beruht auf der Handschrift A. Sie wurde um 1100 in Montecassino niedergeschrieben, ist zum Teil Autograph Leos und wird heute in der Bayerischen Staatsbibliothek in München aufbewahrt. Es handelt sich um die erste Redaktion der Klosterchronik. Da eine spätere Abschrift in einzelnen interessanten Fällen abweicht, wurden ausnahmsweise in der deutsche Übersetzung die Varianten in Endnoten beigefügt.
(Tania Brüsch)