Vitae Cunigundis (Lebensbeschreibung Kunigundes, Auszug)

Veruntamen ubi est liber miraculorum eius? Wo aber ist das Buch über die von ihm gewirkten Wunder? soll Papst Clemens III. die Delegation gefragt haben, die im Jahr 1189 um die Heiligsprechung des Bamberger Bischofs Otto I. bat. Als sich zehn Jahre später eine neue Gesandtschaft aus dem oberfränkischen Bistum auf den Weg machte, um die Kanonisation der Kunigunde durchzusetzen, erinnerte man sich noch gut an die kurialen Wünsche: Im Gepäck hatten die Bamberger eine umfangreiche Sammlung mit 93 Mirakeln, die man am Grab der Kaiserin beobachtet hatte. In der Kanonisationsbulle für die Kaiserin zeigte sich Innozenz III. von der stolzen Zahl beeindruckt: Die Arenga beginnt ausdrücklich mit der Danksagung, dass Gott auch zu seinen Zeiten Zeichen und Wunder durch Heilige wie zum Beispiel Kunigunde wirke.
Dass die Kaiserin aber nicht nur post mortem, sondern auch schon zu ihren Lebzeiten große thaumaturgische Fähigkeiten besaß, das sollte die Vita Cunegundis zeigen, die ein anonymer Bamberger Kleriker kurz vor 1200 extra für den Kanonisationsprozess in Rom zusammengestellt hatte. Die neue Lebensbeschreibung erzählt erstmals Episoden aus Kunigundes Zeit im Kloster Kaufungen, in das sie ein Jahr nach dem Tod ihres Gemahls eingetreten war. Für die Legende, in der die Kaiserin durch Kreuzzeichen einen nächtlichen Brand im Kloster löscht, oder die Geschichte, in der ein Sonnenstrahl den achtlos von ihr weg geworfenen Handschuh hält, bis sie vom Gebet am Altar zurückkehrt, hat man auf bekannte Topoi der Hagiographie zurückgegriffen. Das folgende Textbeispiel hingegen besitzt zumindest einen historischen Kern: Die Episode handelt von Uta, Kunigundes Nichte, die von ihr wie eine eigene Tochter erzogen wurde und nach ihrem Vorbild ebenfalls in das Kaufunger Konvent eingetreten war. Uta beziehungsweise Oda oder Jutta war eine Gräfin von Egenesheim, heute Egisheim im Kreis Colmar im Elsaß, die von Graf Gerhard I. und Kunigundes Schwester Eva abstammte. Heinrich II. hat in einer Urkunde von 1019 ihre Einsetzung zur ersten Äbtissin des Klosters förmlich bestätigt. Die abrupte Änderung ihres Lebenswandels, wie sie in der Hagiographie berichtet wird, ist in den Quellen des 11. Jahrhunderts allerdings nicht verbürgt: Der Legende nach muss Kunigunde nämlich besorgt beobachten, wie Uta als Äbtissin plötzlich nach prächtigen Kleidern und höfischer Belustigung verlangt. Als sie darüber ihre geistlichen Pflichten vergisst und sogar bei der sonntäglichen Prozession fehlt, gerät ihre Tante in heiligen Zorn.
(Carla Meyer)

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