Thangmar (?), Vita sancti Bernwardi epsicopi et confessoris (Lebensbeschreibung des heiligen Bischofs und Bekenners Bernward)

Als Enkel des Pfalzgrafen Adalbero von Sachsen wurde Bernward um 960 geboren. Unterricht und Erziehung erhielt er an der Hildesheimer Domschule, deren Vorsteher zu dieser Zeit (etwa 970) Thangmar war. Der junge Bernward diente seinem Großvater Adalbero bis zu dessen Tod als Ratgeber und Verwalter. Gleichzeitig empfing er durch Erzbischof Willigis von Mainz die ersten geistlichen Weihen und wurde Priester, später Angehöriger der Hofkapelle und Notar Ottos II. Aus der Einbindung in den sächsischen Hochadel einerseits ­ seine Verwandtschaft ist durchaus "königsnah" zu nennen ­ und der Stellung von elitärer Geistlichkeit andererseits erklärt sich, warum Kaiserin Theophanu ihn um 988 mit der Ausbildung ihres Sohnes Otto III. betraute.
Das so entstandene Vertrauensverhältnis zwischen dem jungen Kaiser und ihm dauerte fort, als Bernward Anfang 993 zum Bischof von Hildesheim gewählt und geweiht wurde. In seinem Bistum kümmerte er sich nicht nur ­ wie es zu den Grundaufgaben eines Bischofs gehörte ­ um Arme und Kranke und die Vermehrung geistigen Besitzes durch den Erwerb von Büchern, sondern förderte die verschiedensten Handwerke, verteidigte seine Diözese gegen Plünderungen und schützte sie durch Befestigungsanlagen. In Italien soll Bernward zusammen mit dem Papst quasi als Vermittler die Unterwerfung der Stadt Tivoli bewirkt und anschließend dem Kaiser durch Gebet und Kampf zum Sieg über die aufständischen Römer verholfen haben. Zumindest stand er während der Ereignisse der Jahre 1000/1001 Otto III. in Italien in irgendeiner Form zur Seite.
Im Streit um die Bistumszugehörigkeit der Kanonissenabtei Gandersheim begleitete Bernward fast durch seine gesamte Amtszeit. Nachdrücklich setzte er sich dafür ein, dass das Kloster ­ gemäß dem Gewohnheitsrecht ­ Hildesheim unterstellt bleiben sollte, wie Heinrich II. 1006 den Konflikt auch vorläufig entschied. Die endgültige Beilegung des Gandersheimer Streites erlebte Bernward jedoch nicht mehr.
In seinem letzten Lebensjahrzehnt gründete er das Benediktinerkloster St. Michael im Norden Hildesheims, dem er all sein Hab und Gut vermachte. Wenige Wochen nach der Weihe der Michaeliskirche zog Bernward das Mönchsgewand an und starb am 20. November 1022. Er wurde in der Krypta seiner Stiftung beigesetzt. Bernward hatte das Hildesheimer Bistum 30 Jahre lang geleitet und war über die Dauer seiner Amtszeit auch für die Politik zu einem Bestimmungsfaktor geworden. Papst Coelestin III. beurkundete 1193 den Hildesheimern seine Heiligsprechung.
Als Autor der Vita, die die meisten dieser Daten überliefert, stellt sich in ihrem Prolog Thangmar vor, Vorsteher der Hildesheimer Domschule und Domdekan. Wie Bernward den jungen Kaiser Otto III., so habe er, Thangmar, den späteren Bischof Bernward in seiner Jugend ausgebildet und ihm sehr nahe gestanden. So erklärt sich auch, warum er seinen Bischof auf einer Italienreise begleitete und einmal sogar in der Gandersheimer Frage vor dem Papst vertrat. Für einige Ereignisse, über die Thangmar berichtete, dürfte er also Augenzeuge und Mithandelnder gewesen sein. Seine Lebensdaten können nur aus den Aussagen der Vita Bernwardi erschlossen werden, da es keine anderweitigen Angaben zu seiner Person gibt, die eindeutig zuzuordnen wären. Geboren wurde er wohl 940/950, gestorben ist er ­ wie man aus dem Nekrolog von St. Michael weiß ­ an einem 25. Mai, das Jahr seines Todes ist unbekannt. Da der Lebensbericht Bernwards mit dem Tod des Bischofs am 20. November 1022 schließt, müsste sein Biograph ihn überlebt haben. Es sei denn, ein anderer als er hätte die Vita nach Thangmars Ableben fortgeführt.
Nicht nur die Autorschaft des Thangmar am Bericht über die letzten Lebensjahre Bernwards wurde in der Forschung angezweifelt, sondern auch die an einigen Passagen, die offensichtlich aus dem Gesamtkontext der Heiligenvita ausscheren. Besonders auffällig ist der Bericht über den Gandersheimer Streit. Dieser ist zwar eindeutig aus der Hildesheimer Perspektive verfasst, es gibt jedoch keinen Grund anzunehmen, die Geschichte des Konfliktes zwischen dem Mainzer Erzbischof und seinem Hildesheimer Suffragan um die Sprengelzugehörigkeit des Klosters sei in ihren Einzelereignissen stark verfälscht worden.
Der Text der Vita Bernwardi ist uns in mehreren Handschriften überliefert, deren älteste in die Zeit um 1192 datiert wird und sicherlich in einen Zusammenhang mit der Kanonisierung Bischof Bernwards steht. Diese enthält keineswegs den "Urtext"; vielmehr hat die Vita aus aktuellem Anlass eine Überarbeitung erfahren, und zwar nicht die erste. Aufgrund des Handschriftenbefundes ist es nach gegenwärtigem Forschungsstand nicht möglich, genau nachzuvollziehen, wie und auf welchen Grundlagen die heute vorliegende Fassung der Bischofsvita entstand. Doch abgesehen davon muss eine "Rekonstruktion" ­ mit all ihren Unsicherheiten ­ der ursprünglichen Fassung nicht unbedingt erstrebenswert erscheinen. Denn als eine Quelle, die zeitnah oder auf zeitnaher Grundlage beruhend den Verlauf des Gandersheimer Streits beschreibt, als eine Quelle, in der man erahnen kann, wie geistliche und weltliche Herrschaft ineinandergriffen, ist sie für uns von erheblichem Wert. Dabei ist zu bedenken, dass der Lebensbericht eines Heiligen auf dessen Taten fixiert ist (was für heutige Biographien nicht weniger zutrifft) und die Perspektive der jeweiligen Kirche wiedergibt. Beispielsweise stilisiert die Vita Bernwardi die Taten des Hildesheimer Bischofs im Konflikt Ottos III. mit Italien. Welche Rolle Bernward bei diesen Ereignissen tatsächlich zukam, ist für uns nicht mehr zu klären. Auffällig ist nur, wie sehr seine Person in den Vordergrund geschoben wird, indem er als der wichtigste Vermittler neben dem Papst erscheint. Der Hagiograph fühlte sich der Wahrheit verpflichtet und war zweifellos davon überzeugt, wahrheitsgetreu zu berichten. Dies ließ sicherlich Fokussierung, Auslassungen und Wertung zu. Auch die Topik, mit der die guten Seiten und das heiligmäßige Handeln des Bischofs geschildert sind, wurde nicht als Verfälschung der Ereignisse empfunden.
Abschließend sei noch ein Blick auf das Verhältnis zwischen Bernward und Heinrich II. geworfen, wie es in der Vita dargestellt ist. Im Allgemeinen erwies sich der Hildesheimer Bischof als ausgesprochen wenig konfliktscheu, wie aus verschiedenen Quellen bekannt ist. Um so mehr fällt auf, dass sein Verhältnis zu Heinrich hier von Anfang an recht harmonisch dargestellt wird, obwohl Bernward ihn als König zunächst abgelehnt hatte. Im Wissen darum, wer sich 1002 durchgesetzt hatte, verzerrt der Verfasser das Bild, indem er bestimmte Ereignisse gezielt übergeht. So bezeugt er Bernward schon für die Zeit davor eine gute Beziehung zu Heinrich. Noch als Herzog von Bayern wird dieser auf einer Synode in Rom als derjenige vorgestellt, der sich um den kirchlichen Frieden bemühte. Dort hatte Bernward von Hildesheim das vermeintliche Unrecht vorgetragen, das ihm Erzbischof Willigis von Mainz mit seinem Anspruch auf Gandersheim angetan hatte. Zu 1002 verschweigt die Vita, dass Bernward nicht immer Anhänger des Bayernherzogs war und sogar einen anderen Kandidaten unterstützt hatte, wie uns Thietmar von Merseburg in seiner Chronik berichtet. Der Verfasser der Vita hingegen betont, der Bischof habe immer für Heinrich II. gebetet, so dass dieser in einstimmiger Wahl und auf Wunsch des ganzen Volkes zum König erhoben worden sei. Auch bei der Salbung in Mainz durch Erzbischof Willigis soll Bernward anwesend und sogar an der Weihehandlung beteiligt gewesen sein, wovon sonst keine andere Quelle etwas weiß. Für das Jahr darauf registriert die Vita Bernwardi als einzige Quelle ganz unmittelbar den sogenannten Kirchenumritt des Herrschers, bei dem auf dessen ausdrückliches Verlangen mit Bernwards Zustimmung auch Hildesheim besucht wurde. Die Königsnähe des Bischofs sowie die Wertschätzung und das Interesse Heinrichs II. an dessen Bistum, ausgedrückt durch Geschenke und Versprechungen, Besuche und Anwesenheit des Herrschers bei Ereignissen, die für die Hildesheimer Kirche entscheidend waren, scheint dem Biographen besonders wichtig zu sein. So tritt Heinrich bei der Beilegung des Streits um Gandersheim mehrfach als Garant für Stabilität auf, seine damit verbundene Einmischung in Angelegenheiten der Kirche wird an keiner Stelle kritisiert.
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