(Heinrich schenkt der bischöflichen Kirche zu Straßburg das Nonnenkloster St. Stephan. Diedenhofen 1003 Januar 15.)
Im Verlauf des Frühjahrs und Sommers 1002 setzte sich Herzog Heinrich IV. von Bayern gegen einige Konkurrenten im Streit um die Königskrone durch. Im Juni kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit dem eigentlich aussichtsreichsten Kandidaten Herzog Hermann II. von Schwaben, der von der Mehrzahl der Fürsten unterstützt wurde. Dabei wurde Straßburg von schwäbischen Truppen geplündert, weil Bischof Werner auf der Seite Heinrichs stand und sich somit zumindest aus schwäbischer Perspektive gegen seinen Herzog gestellt hatte. Hermann unterlag und musste sich im Oktober in Bruchsal unterwerfen. Heinrich verfügte, dass Hermann von Schwaben für die Zerstörungen in Straßburg aufkommen müsse und zwang ihn, als Entschädigungsleistung das Nonnenkloster St. Stephan, das bis dahin die schwäbische Herzogsgewalt in Straßburg repräsentiert hatte, der dortigen Bischofskirche zu übertragen. Auf seiner ersten großen Synode, die der König im Januar 1003 in Diedenhofen abhielt, wurde eine entsprechende Bestätigungsurkunde für den Bischof von Straßburg ausgestellt.
Auf der Synode setzte Heinrich mit dieser Entscheidung aber nicht nur ein Zeichen gegenüber den weltlichen Gewalten in seinem Reich. Er brachte auch das Thema der verbotenen Verwandtenehen auf die Tagesordnung und ließ es auf eine Auseinandersetzung mit der Mehrzahl der Bischöfe ankommen, die so begreifen mussten, dass ihr neuer König willens war, sich auch in kirchliche und kirchenrechtliche Angelegenheiten einzumischen. Deutlich erkennbar diente ihm die Zusammenkunft dazu, den Episkopat, den er als wichtigste Stütze seiner Herrschaft betrachtete, auf seine Herrschaftsvorstellungen einzuschwören. So können auch Arenga und Narratio des Diploms für Straßburg als richtungsgebend gelesen werden.
Heinrich selbst hat die entscheidenden Sätze diktiert. Als allgemeine Aussage formuliert, jedoch schon lobend auf das Verhalten des Straßburger Bischofs zielend, wird betont, dass derjenige, der sich unter Einsatz seines gesamten Gutes und entgegen aller Drohungen und Schmeicheleien für das öffentliche Wohl und die Gerechtigkeit einsetzt, über das übliche Maß hinaus belohnt werden wird. In der folgenden Narratio wird Bischof Werner als getreuer Anhänger Heinrichs II. geschildert. Letzterer betont die elterliche und verwandtschaftliche Bindung, die er zu seinem Vorgänger, dem bedeutenden Kaiser Otto III., gehabt habe. Diese habe Bischof Werner aber auch sehr viele andere dazu bewogen, ihn, Heinrich, zu unterstützen. So sei eine von Gott gefügte einträchtige Wahl durch die Völker und Fürsten sowie die erbliche Nachfolge in der Königsherrschaft ohne Einschränkungen möglich geworden. Heinrich legitimiert sein Königtum also durch die Verwandtschaft und vertraute Nähe zu seinem Vorgänger und begründet so einen gleichsam erbrechtlichen Anspruch auf die Königswürde.
In der jüngeren Forschung hat diese Passage zwei unterschiedliche Interpretationen erfahren. Im einen Fall wurde sie programmatisch gelesen: Für die hereditaria successio wurde als Vorlage der Mainzer Krönungsordo vorgeschlagen. Dieser wiederum zeigt an der entsprechenden Stelle Bezüge zu den Leviten des Alten Testaments. Demnach könnte man annehmen, dass Heinrich das levitische Priestertum als ein Vorbild für sein Königtum ansah. Im zweiten Fall wurde die Urkunde sehr viel enger in den Kontext ihrer Entstehung eingeordnet: Heinrich befand sich nämlich in einer Zwickmühle. Als Hermanns Truppen die Zerstörung in Straßburg anrichteten, war Heinrich bereits König. Als solchem oblag ihm der Schutz der Kirchen. Das Vorgehen des Schwabenherzogs konnte als Rebellion und die Tatsache, dass Heinrich es nicht verhindert hatte, als Versagen gewertet werden. In der Zwischenzeit hatte sich Hermann aber unterworfen. Mit einer förmlichen deditio und der Wiedereinsetzung durch den König galt die Angelegenheit als erledigt. Unter diesen Umständen musste die Urkunde drei Anforderungen gerecht werden: a) Sie durfte den Schwabenherzog nicht demütigen, musste also seinen Anteil an den Straßburger Verwüstungen verschweigen; b) sie musste das Satisfaktionsbedürfnis Bischof Werners von Straßburg befriedigen, und c) sie sollte in der Öffentlichkeit des Hoftages den König entlasten, indem sie ihn als denjenigen präsentiert, der die gestörte Ordnung wiederherstellt. Damit wird das, was im ersten Interpretationsansatz als programmatisch gilt, zur Rechtfertigung herangezogen: Nicht der Anspruch auf die Nachfolge sei hier ausformuliert, sondern die tatsächliche Herrschaftsstellung Heinrichs, denn sie sei die Voraussetzung dafür, dass Hermanns Widerstand als Rebellion gewertet werden kann. Nicht dem Anspruch auf die Nachfolge, sondern dem Anspruch auf Treue und Gefolgschaft sei hier Ausdruck verliehen worden. Gleichgültig, welchem der beiden Ansätze man folgen möchte: Die Urkunde ist und bleibt eine der zentralen Quellen für Heinrichs Herrschaftsverständnis, da sie wohl in den wichtigen Passagen von ihm persönlich diktiert wurde. Auch wird man die hereditaria successio nicht wegdiskutieren können. Sie wird als ein zentrales Element genannt; die vorgestellten Ausdeutungen sind darüber hinausgehende mögliche Interpretationen.
Die Urkunde hat sich im Original erhalten. Zwar wurden wohl die letzten Zeilen im 12. Jahrhundert durch Rasuren und Korrekturen verändert, jedoch konnte der ursprüngliche Text anhand der Buchstabenreste und mit Hilfe einer anderen Urkunde (DH II. 277), für die DH II. 34 als Vorlage gedient hatte, rekonstruiert werden. Die Bedeutung diese Diploms wird auch durch die Besiegelung unterstrichen. Es wurde nicht, wie sonst üblich, mit einem Wachssiegel, sondern mit einer Bleibulle versehen. Diese war zudem mit der Devise Renovatio regni Francorum ('Erneuerung der fränkischen Königsherrschaft') versehen. Vielleicht von einer Ausnahme im Jahr 1007 abgesehen, wurde die Bulle nur 1003 verwendet, also zu einer Zeit, als Heinrich II. zwar formal Anerkennung gefunden hatte, sich aber bewusst war, dass diese nicht von Dauer sein musste. Da er für viele nur die "zweite Wahl" gewesen war, hing seine Durchsetzung von seiner Überzeugungskraft als König ab. Neben seinen Handlungen konnten auch die Formulierung seiner Ziele, die Legitimation seines Königtums und die Art und Weise, in der er das eine wie das andere nach außen vermittelte, von Bedeutung sein. Diesem Zweck sollte zweifelsohne auch die Urkunde für Straßburg dienen.
(Tania Brüsch)