Der namentlich unbekannte und im Allgemeinen als "Gallus Anonymus" bezeichnete Benediktinermönch stammte aus Südfrankreich. Seine Ausbildung erhielt er in Le Mans, Poitiers und Orléans. Er kam nach 1100 über Ungarn nach Polen und wurde dort von Boleslaw III. (mit dem Beinamen "Schiefmund") in dessen Hofkapelle aufgenommen. Dieser war ein Sohn des Fürsten Wladyslaw I. Hermann und der Przemyslidin Judith. Recht bald nach seiner Ankunft muss der Anonymus sein Werk, die Chronik und Tatenberichte der Herzöge oder Fürsten der Polen, begonnen haben. Es gliedert sich in drei Bücher: Das erste berichtet von den Anfängen der Piasten und der polnischen Geschichte bis 1085, dem Geburtsjahr Boleslaws III. Er entstammte der zweiten Ehe seines Vaters, nachdem dessen erste mit einer unbekannten Polin aufgelöst worden war. Während innerpolnischer Auseinandersetzungen wurde sein Halbbruder Zbigniew (aus der ersten Ehe des Vaters) von Teilen des Adels und Episkopats ungeachtet der nachträglich erklärten Illegitimität zum Nachfolger des Vater erklärt, der 1102 starb. Boleslaw III. verschaffte sich während dieser Kämpfe und mehrerer Raubzüge nach Pommern so viel Ansehen, dass er sich zunächst die Herrschaft mit seinem Halbbruder teilen konnte, bevor er diesen gänzlich vertrieb. Über die letzten Regierungsjahre Wladyslaws I. und die gemeinsame Regierungszeit der Brüder berichtet das zweite Buch.
Durch seine Einmischung in Böhmen geriet Boleslaw mit Kaiser Heinrich V. aneinander, der den vertriebenen Zbigniew unterstützt hatte. Als Letzterer nach Polen zurückkehrte ließ Boleslaw III. ihn blenden. 1112 verstarb der Bruder wohl an den Folgen der Verstümmelung. Der Aufruhr in Polen war so groß, dass Boleslaw durch Pilgerfahrten Buße tun musste, bevor er zu Ostern 1113 in Gnesen wieder in die Kirche aufgenommen wurde. Mit der Zeit der alleinigen Regierung Boleslaws III. befasst sich der dritte Teil der Chronik, der 1114/15 abgeschlossen wurde. Formal beendete der Anonymus das Werk jedoch nicht, woraus man schloss, dass der Polenfürst eine Fortsetzung verhinderte. Da die Tatenbeschreibung des Gallus Anonymus das früheste Werk ist, das die gesamte polnische Geschichte beschreibt, ist es gerade in der nationalstaatlichen polnischen Geschichtsschreibung viel beachtet worden.
In der deutschen Forschung hat eine Passage viel Aufmerksamkeit erregt, die von einem Ereignis berichtet, das über einhundert Jahre vor dem Polenaufenthalt des Anonymus stattgefunden hat: der "Akt von Gnesen". Dass diesem Bericht über den Besuch Kaiser Ottos III. in Gnesen und sein Zusammentreffen mit Boleslaw Chrobry trotz des zeitlichen Abstands und der höchst parteilichen Schilderung so viel Aufmerksamkeit zuteil wurde, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass es nur einen einzigen weiteren Bericht darüber gibt. Dieser ist nur einige Jahre nach den Ereignissen entstanden und weicht erheblich vom Gallus Anonymus ab: Thietmar von Merseburg ist nicht minder tendenziös, wenn auch gerade in der umgekehrten Richtung, da Thietmar die Polen (wie im Grunde alle, die nicht Sachsen waren) nicht mochte. Dabei kommt dem "Akt von Gnesen" zweifelsohne eine große Bedeutung innerhalb der polnisch-deutschen Geschichte zu: Da Otto III. soviel geht auch aus Thietmar hervor eine freundschaftliche Beziehung zu Boleslaw Chrobry entwickelte, die sich in Gnesen für die Zeitgenossen sichtbar manifestierte, musste der politische Schwenk Heinrichs II. um so mehr auffallen. Heinrich setzte die zwischen Bayern und Böhmen traditionell engen Beziehungen fort. Boleslaw Chrobry und Teile des ihm auch verwandtschaftlich verbundenen Adels fühlten sich zurückgesetzt und dadurch in ihrer Ehre gekränkt, was zu jahrelangen Konflikten mit Heinrich II. führte.
(Tania Brüsch)