Cosmas von Prag, Chronica Boemorum (Chronik der Böhmen)

Buch I
(É)
34. Im selben Jahre wurde Gaudentius, auch Radim genannt, der Bruder des heiligen Adalbert, als Bischof der Kirche von Gnesen ordiniert. Wie weit aber der ruhmreichste Herzog Boleslav II., der mit Recht, auch heute noch, nicht genug beklagt werden kann, dessen Andenken im Segen ist, mit dem Schwerte die Grenzen seines Reiches ausgedehnt hat, wird in dem Privileg der Prager Kirche durch päpstliches Zeugnis bestätigt. Nach seinem Tod folgte, wie bereits berichtet, sein Sohn Boleslav III. in der Regierung, der aber nicht mit dem gleichen Erfolg und demselben Glück wie sein Vater die gewonnenen Grenzländer festhielt. Denn Herzog Mieszko (I.) von Polen (Verwechslung mit Boleslaw Chrobry?), listiger als irgendein Mann, nahm bald die Stadt Krakau durch List weg und ließ alle Böhmen, welche er daselbst fand, über die Klinge springen. Herzog Boleslav hatte aber von einer edlen Gemahlin zwei Söhne, den Stolz ihrer Mutter, nämlich die Brüder Ulrich und Jaromir.
Der junge Jaromir wurde am väterlichen Hofe erzogen, Ulrich aber als Knabe an den Hof Kaiser Heinrichs (II.) geschickt, um sich daselbst feine Sitte, sowie die List und die Sprache der Deutschen anzueignen. Nicht lange danach kamen beide Herzöge nämlich Mieszko und Boleslav, an einem verabredeten Ort zu einer Besprechung zusammen und nachdem sie sich wechselseitig durch einen Eid Sicherheit zugesagt hatten, lud Herzog Mieszko Boleslav zum Mahl. Dieser aber, gleich einer Taube ohne Falsch, erklärte sich nach dem Rate seiner Vertrauten zu Allem bereit. Aber welche Pest ist gefährlicher als häusliche Feinde? Weil er nun ihren trügerischen Anschlägen, oder vielmehr seinem Schicksal, nicht entgehen konnte, rief er, o welche Voraussicht des Herzogs!, die Angeseheneren, auf deren Treue er sich vorzugsweise verlassen zu können glaubte und welchen er die Regierung überlassen wollte, zu sich und sprach zu ihnen: "Wenn mir, was ferne sei, in Polen allenfalls etwas wider Eid und Erwarten widerfahren sollte, so empfehle ich diesen meinen Sohn Jaromir eurer Treue und hinterlasse euch denselben anstatt meiner als Herzog." Und nachdem er so die Regierungsangelegenheiten geordnet hatte, ging er, der das Augenlicht verlieren sollte, und kam unter schlimmen Vorzeichen nach Krakau zum Mahl des treulosen Herzogs Mieszko. Denn bald darauf wird während des Mahles der Friede, die Treue und das Gastrecht verletzt, Herzog Boleslav wird gefangen, der Augen beraubt und alle die Seinen werden teils ermordet, teils verstümmelt, teils ins Gefängnis geworfen. Unterdessen vollbrachten die Hausgenossen und häuslichen Feinde des Herzogs, das verhasste und schlimme Geschlecht der Wrisowici, eine abscheuliche und in früheren Zeiten unerhörte Schandtat. Das Haupt derselben, wie der ganzen Verschwörung, war Kochan, ein lasterhafter Mensch, schlechter als alle Schlechten. Er und seine schlimmen Verwandten kamen mit Jaromir, dem Sohne des Herzogs, auf der Jagd an einem Weliz genannten Platz zusammen, und nachdem sie durch das Gerücht erfahren hatten, was in Polen mit dem Herzog geschehen war, sprachen sie: "Wer ist dieses Männlein, schlechter als Seegras, dass es über uns herrschen und unser Herr und Gebieter sein soll? Findet sich nicht unter uns ein besserer, der würdiger ist zu herrschen?" Ach, welch schlechte Gesinnung, welch böses Vorhaben! Was sie nüchtern murmeln, bringen sie betrunken ans Licht. Denn nachdem sie in ihrer Bosheit warm geworden und im Weine sich Mut geholt (assumpsit cornua mero), bemächtigen sie sich ihres Herrn, binden ihn grausam, befestigen ihn, nackt und auf dem Rücken liegend, mit hölzernen Pflöcken an seinen Händen und Füßen auf dem Boden und reiten im kriegerischen Waffentanz über dessen Körper (saltant saltu ludentes militari, saltantes in equis trans corpus). Als dies einer der Leibeigenen Namens Dovora sah, eilte er schnell nach Prag, um das Geschehene den Freunden des Herzogs zu verkünden, und führte sie sogleich (eadem hora, sine mora) an den Ort des schimpflichen Kampfspieles. Sobald die Missetäter dieselben bewaffnet auf sich zukommen sahen, flüchteten sie sich wie Fledermäuse in die Schlupfwinkel des Waldes. Jene aber fanden ihren Herzog halbtot und verstochen von den Fliegen, welche sich gleich einem Bienenschwarm auf den nackten Körper geworfen; sie machten ihn los, legten ihn auf einen Wagen und führten ihn auf die Burg Wissegrad. Dem Leibeigenen Dovora aber, dem lobenswürdigen Retter des Herzogs, wurde für dieses Verdienst folgender Dank zu Teil: Durch einen Herold wurde an allen öffentlichen Plätzen verkündet, dass sowohl er selbst wie seine Nachkommen für alle Zeiten (in eternum et ultra) unter die Freien und Edlen aufgenommen sein sollten; auch gab man ihm die mit dem Hofe Stebecna verbundene Würde eines Jägermeisters, welche seine Nachkommen bis zum heutigen Tage besitzen.

35. Während dies in Böhmen geschah, kam Herzog Mieszko (I.) (Verwechslung mit Boleslaw Chrobry?) mit einem starken polnischen Heer herbei, nahm die Stadt Prag und behielt sie zwei Jahre lang, nämlich in den Jahren der göttlichen Menschwerdung 1000 und 1001.
Die Burg Wissegrad aber blieb, unerschreckt und uneinnehmbar, ihrem Herrn getreu. In diesem Jahre schickte aber Herzog Mieszko Gesandte an den Kaiser und gab und versprach ihm unendlich viel Geld, damit er Ulrich, den Sohn des Herzogs Boleslav (II.), der sich an seinem Hofe befand, gefesselt in den Kerker werfen sollte. O allmächtige Goldgier (vgl. Verg. Aen. III 57)! Wo bleibt die allvermögende Gerechtigkeit des römischen Reichs? Sieh, der Kaiser, der Besitzer von Gold, fügt sich, von der Last des Goldes erdrückt, den Wünschen des Herzogs und lässt sich vom Gold verführen, Folter- und Kerkermeister zu werden. Es ist übrigens nicht zu verwundern, wenn jener dem Herzog willfahrte, da in unseren Tagen Wacek, der in einer Mühle auf dem Land geborene, den so mächtigen König Heinrich III. ­ o unwürdiges Schauspiel ­ an einer goldenen Kette wie einen Jagdhund nach Böhmen führte, der Herr der Herren den Befehlen des Dieners der Diener gehorchte, und Herzog Boriwoy, der fest am Rechte hielt und ein wahrheitsliebender Mann war, wie einen Ungerechten und Lügner bis zu den Knien gefesselt ins Gefängnis warf. Darüber soll aber am geeigneten Platze ausführlicher geschrieben werden.

36. Es geschah aber im Jahre der göttlichen Menschwerdung 1002, als Christus sich der Böhmen wieder erbarmte und der heilige Wenzel seinem Volk zu Hilfe kam, dass Herzog Ulrich, man weiß nicht, ob heimlich entflohen, oder auf kaiserlichen Befehl freigelassen, in sein Vaterland zurückkehrte und sich einer Drevic genannten, sehr festen Burg bemächtigte. Von da schickte er einen ihm treuen Ritter voraus und trug ihm auf, bei Nacht in die Stadt Prag einzudringen und den nichts ahnenden Feind durch das Schmettern der Trompete zu erschrecken. Der getreue Dienstmann vollzog ohne Säumen den Befehl, bestieg mitten in der Stadt eine Anhöhe, welche Zizi genannt wird, stieß hier in die Trompete und rief mit lauter Stimme: "Die Polen fliehen, sie fliehen in schmählicher Verwirrung, verfolgt sie, Böhmen, verfolgt sie mutig mit den Waffen!" Bei diesem Rufe bemächtigte sich derselben nach der wunderbaren Zulassung Gottes und auf die Fürbitte des heiligen Wenzel Furcht und Schrecken. Alle flüchten. Einer vergisst seine Waffen und springt unbewaffnet auf das ungesattelte Pferd, ein anderer eilt, so wie er im Schlafe dalag, selbst ohne Beinkleider, zu entfliehen. Einige stürzen auf ihrer eiligen Flucht von der Brücke herab, weil dieselbe zum Nachteil der Feinde zerbrochen war; Andere entfliehen auf einem steilen und engen Seitenweg, den man gewöhnlich Schwanz der Burg nennt, wobei wegen des schmalen Ausganges Unzählige erdrückt wurden, und Herzog Mieszko selbst kaum mit wenigen davon kam. Es ging, wie es immer geht, wenn Menschen angsterfüllt entfliehen ­ jedes Lüftchen erschreckt sie und steigert ihre Angst ­ so auch diesen; obgleich sie niemand verfolgte, war es ihnen doch, als ob Steine und Wände hinter ihnen drein riefen und den Fliehenden nacheilten. Des anderen Tages zog Herzog Ulrich in die Stadt Prag ein und drei Tage darauf beraubte er auf den boshaften Rat derselben häuslichen Feinde, von welchen wir oben gesprochen haben, seinen Bruder Jaromir des Augenlichtes.
Er hatte keinen Leibeserben wegen der Unfruchtbarkeit seiner Gemahlin, aber von einer Frau Namens Bozena, der Tochter des Cresina, erhielt er einen Sohn von vorzüglicher Schönheit, welchen er Bracizlaus nennen ließ. Als er nämlich eines Tages auf dem Rückwege von der Jagd durch ein Dorf kam, sah er die genannte Frau, wie sie am Brunnen Tücher wusch; er musterte sie von Kopf bis Fuß und entbrannte (bei ihrem Anblick) von heftiger Liebe; denn sie hatte einen wunderschönen Körper, war weißer als Schnee, geschmeidiger als ein Schwan, glänzender als altes Elfenbein, schöner als ein Saphir. Der Herzog ließ sie also sogleich in seine Behausung bringen, trennte aber nicht den alten Ehebund, weil es zu jener Zeit jedermann nach Belieben freistand, zwei oder drei Frauen zu haben; auch galt es nicht für unrecht, wenn ein Mann die Frau eines anderen entführte oder eine Frau den Mann einer andern heiratete. Und was jetzt Sache des Anstandes ist, das galt damals für eine Schande, wenn nämlich ein Mann mit nur einer Frau oder eine Frau mit nur einem Manne zufrieden war, da man wie das Vieh lebte und der Geschlechtsgenuss gemeinschaftlich war.

37. Im selben Jahre
Wanderte fort von uns der Kaiser Otto der dritte,
Um im Himmel, wo lebt ein jeglicher Frommer, zu leben.
Ihm folgte sein Sohn, Kaiser Heinrich (II.), welcher unter anderem Großen, das er während seines Lebens zur Ehre Christi vollbracht hat, auch ein Kloster erbaute auf einem Berg, welchen er teuer erkauft hatte von dem Eigentümer des Platzes Namens Pabo, weshalb das Kloster den Namen Bamberg erhielt, was "Berg des Pabo" heißt. Daselbst errichtete er auch ein Bistum und erhöhte es durch Ausstattung mit Gütern und Würden, die er seinem Bischof gewährte, so sehr, dass es in ganz Ostfranken nicht als das letzte, sondern als das unmittelbar nach dem ersten kommende (Bistum) gilt. Auch eine Kirche von wunderbarer Größe erbaute er daselbst zu Ehren der heiligen Jungfrau Maria und des heiligen Märtyrers Georg, welche er gleichfalls mit Kirchengütern, goldenem und silbernem Schmuck und sonstiger königlicher Pracht so ausstattete, dass ich lieber davon schweigen will, um nicht gar weniger zu sagen, als es den Tatsachen entspricht.
Nur ein nützliches Beispiel von vielen will ich berichten. Nicht weit von der genannten Stadt lebte ein Einsiedler, ein Meister in allen lobwürdigen Tugenden. Diesen besuchte der Kaiser oft heimlich, in dem er sich den Schein gab, als wollte er jagen gehen oder ein anderes Geschäft verrichten, nur von einem einzigen Dienstmann begleitet, und empfahl sich seiner Fürbitte. Als er von diesem erfuhr, dass er des Gebetes halber nach Jerusalem gehen wolle, übergab er ihm einen goldenen Messkelch (dominici corporis et sanguinis calicem aureum), der, um bei seiner Größe leicht erhoben werden zu können, auf beiden Seiten Henkel hatte, die wir gewöhnlich Ohren nennen, mit der Bitte und dem Auftrage, denselben dreimal in den Jordan zu tauchen, in welchem Christus von Johannes getauft worden, und stattete ihn mit dem nötigen Reisegeld aus. Wozu viele Worte? Der Mann Gottes zieht nach Jerusalem und vollzieht den Befehl. Dreimal taucht er den Kelch in des Jordans heiliges Wasser. Darauf kehrte er über Konstantinopel zurück und durchwandert Bulgarien; hier lebte ein Einsiedler, der einen heiligen Wandel pflog. Zu ihm kam der Jerusalempilger und nach vielen süßen und heiligen Gesprächen bat er ihn angelegentlich, für das Heil Kaiser Heinrichs zu Gott zu beten. Darauf antwortete jener: "Es ist nicht nötig, für sein Heil zu beten, weil er aus diesem Tal der Tränen schon hinweggenommen ist in die Ruhe der Heiligen." Der Pilger aber drang in ihn mit Bitten, ihm zu sagen, woher er dies wusste, worauf jener antwortete: "In der vergangenen Nacht wurde ich zwischen Wachen und Schlafen durch ein erhabenes Gesicht in ein hohes Feld erhoben, welches sehr eben, weit und herrlich war. Daselbst sah ich die hässlichsten Teufel, welchen aus Mund und Nase schwefelige Flammen gingen, wie sie den Kaiser Heinrich (II.), der sich sehr sträubte, am Bart zum Gerichte zogen; andere stachen ihn mit eisernen Gabeln in den Hals und riefen fröhlich: âEr ist unser, er ist unser.' Ihnen folgten von weitem die heilige Maria und der heilige Georg, anscheinend traurig und als ob sie mit ihnen stritten und ihnen den Kaiser entreißen wollten, bis in der Mitte des Feldes eine Waage aufgehängt wurde, deren Schalen mehr als zwei Meilen Raum hatten. In deren linke (Schale) legten sie, d.h. die (Vertreter der) bösen Seite, große und unermessliche Lasten und Unzähliges, was böse Werke waren; dagegen sah ich den heiligen Georg ein großes Münster mit dem ganzen Kloster einlegen, sah goldene Kreuze, schwer von edlen Steinen, sah große Messbücher, mit Gold und Edelsteinen geschmückt; und goldene Leuchter und Rauchfässer und unzählige Prachtgewänder und alles, was der König in seinem Leben Gutes getan. Aber noch hatte der böse Teil das Übergewicht und rief: âEr gehört uns, er gehört uns.' Da nahm die heilige Maria einen großen, goldenen Kelch aus der Hand des heiligen Georg und sprach, dreimal das Haupt schüttelnd: âFürwahr, nicht euch, sondern uns gehört er', und mit großer Entrüstung warf sie den Kelch gegen die Wand des Münsters, so dass ein Henkel davon abbrach. Bei dem Klange desselben verschwand der feurige Haufen und die heilige Maria nahm den Kaiser bei der rechten, der heilige Georg bei der linken Hand, und sie führten ihn mit sich fort, wie ich glaube, in die himmlischen Wohnungen." Der von Jerusalem Gekommene dachte aber über das Gehörte nach, sah nach seinem Gepäck und fand einen Henkel des Kelches abgebrochen, wie es der Einsiedler vorausgesagt hatte. Dieser Kelch wird noch heute als Zeichen eines großen Wunders im Kloster des heiligen Georg zu Bamberg aufbewahrt.
Im Jahre der göttlichen Menschwerdung 1003. Damals wurden die Wrissowici ermordet.
(...)
(Übersetzung: Georg Grandaur, Franz Huf, bearbeitet von Eike Schmidt)

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