Das heilige Herrscherpaar: Heinrich und Kunigunde

Dem heutigen Besucher Bambergs begegnet das heilige Herrscherpaar auf vielfältige Weise, am bekanntesten ist jedoch das Grabmal im Dom. Es wurde Anfang des 16. Jahrhunderts in der Werkstatt Tilman Riemenschneiders geschaffen und erzählt in mehreren halbplastischen Bildtafeln die bekanntesten Legenden. Was viele Besucher vor allem kunsthistorisch und als lokale Eigenheit interessiert, ist aber auch heute noch ein Stück gelebte Religiosität mit langer Tradition, in der Kunigunde ihren Ehemann an Beliebtheit weit überflügelt hat. Es dürfte in Deutschland kaum einen Ort geben, an dem der Name Kunigunde noch so lebendig ist wie in Bamberg. Jedes Jahr versammeln sich die Trägerinnen dieses Namens am Todestag ihrer Namenspatronin zur Gedächtnisfeier, und die Anzeigen der lokalen Zeitung künden regelmäßig vom Tod einer Kunigunde oder Kunigunda. So treten in Bamberg auch heute noch die Heiligen gleichberechtigt neben ihre historische Person, und die Legenden wie die Pflugscharprobe der heiligen Kunigunde sind vielen Bambergern gegenwärtiger als die politischen Aktivitäten der Kaiserin.
Im Prozess der Heiligwerdung wurde der Kaiser und Stifter des Bistums Bamberg gut ein halbes Jahrhundert vor seiner Gemahlin zur Ehre der Altäre erhoben und zwischen den beiden Kanonisationsverfahren gelangte ein dritter Bamberger Heiliger auf diesen Weg, Bischof Otto I. von Bamberg, der als Pommernapostel bekannt wurde. Die Jahre 1146, 1189 und 1200 zeugen von einer lebhaften Aktivität der Bamberger Geistlichkeit, die sich nur aus der Situation ihrer Kirche im 12. Jahrhundert erklären lässt. Unter Heinrich II. hatte Bamberg sich in rasantem Aufstieg zu einem Zentralort des Königtums entwickelt. Dieser Höhenflug war jedoch nicht von Dauer. Der Kaiser starb kinderlos und seine Nachfolger schufen sich ihre eigenen politischen Haupt- und Gedächtnisorte. Da besann man sich in Bamberg des ehemaligen Förderers und Stifters und bemühte sich, ihn durch eine intensiv betriebene Heiligsprechung wieder in das Gedächtnis der Mächtigen zurückzurufen. Durch die Kanonisationswellen unter neuzeitlichen Päpsten wird leicht der Stellenwert eines neuen Heiligen im 12. Jahrhundert verkannt. Aber die Zahlen sprechen für sich: Das erste offizielle Heiligsprechungsverfahren fand 993 statt. In den nachschließenden 500 Jahren gab es gerade einmal 80 weitere Verfahren, die zu einem erfolgreichen Abschluss geführt wurden. Im 12. Jahrhundert machten die drei Bamberger Erfolge zusammen immerhin 12,5 % der an der Kurie durchgebrachten Anträge aus ­ das gelang keinem zweiten Bistum im Mittelalter.
Gab es ein Bamberger Erfolgsrezept? Bis Ende des 10. Jahrhunderts, aber auch noch im 11. Jahrhundert war eine spontane volksfrömmige Verehrung, die man hinter den Kulissen gerne beförderte, ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Heiligkeit, der in der Etablierung eines ordnungsgemäßen Kultes endete. Im 12. Jahrhundert begann man verstärkt, diesen Prozess der Heiligsprechung zu formalisieren. Das Kanonisationsverfahren für Heinrich II. steht am Anfang solcher Bemühungen. Nun musste man in Bamberg aber keinen Heiligen kreieren. Fast unmerklich scheint die Achtung vor dem fundator, dessen man selbstverständlich gedachte, in die Heiligenverehrung übergegangen zu sein. Die Persönlichkeit Heinrichs II. war schillernd genug und bot den notwendigen Gestaltungsfreiraum. Bereits die Zeitgenossen erkannten die Vielschichtigkeit seiner Person: Er war außerordentlich gebildet, ein tief religiöser Mensch, ein Förderer der Kirchen, des Episkopats und kirchlicher Reformen. Das brachte ihm die Sympathie der schreibenden Geistlichkeit ein, die seine Tatkraft lobte.
Aber auch Kritik klang an: Heinrich war unnachgiebig, hart und streng: Mönche, die die von ihm verordneten Reformen ablehnten, mussten ihr Kloster verlassen oder wurden gar inhaftiert. Diejenigen seiner Vasallen, die mit ihm in Konflikt gerieten und sich nicht bedingungslos unterwarfen, durften nicht auf seine Gnade hoffen. Nicht einmal einem Herrscher wie Boleslaw Chrobry von Polen gegenüber war er kompromissbereit, obwohl der, mit seinem Herrschaftsgebiet außerhalb des Reiches stehend, gute Gründe hatte, auf seinem Rang zu beharren und ein gewisses Entgegenkommen von Heinrich zu verlangen. Auch verdiente geistliche Fürsten wie Erzbischof Heribert von Köln achtete er kaum, wenn sie seinen Forderungen nicht bedingungslos entsprachen. Erst mit zunehmendem Alter lässt sich hier ein Hauch von Milde bei Heinrich II. erkennen. Diese wenig verbindlichen, ja schroffen Charakterzüge und Handlungsweisen reizten die Zeitgenossen und Nachgeborenen. Es scheinen viele Geschichten und Anekdoten in Umlauf gewesen zu sein. Sie konnten allerdings nur Eingang in die Quellen finden, wenn sie sich heilsgeschichtlich umdeuten ließen. Es wurde also vermutlich sehr viel mehr erzählt, als uns überliefert ist. Meist sind es die Biographen von Bischöfen, die solche Geschichten verwendeten. Sie erzählen von dem Herrscher, der sich in irgendeiner Form versündigt hatte und sich nun unter dem Einfluss des Protagonisten der Vita als reumütig erwies. Beispiele hierfür ist die Geschichte vom Honigschlecker oder die von der späten Annäherung zwischen Heinrich II. und Erzbischof Heribert von Köln. Das war der Stoff, aus dem man Heilige machen konnte.
Heinrich scheint lange Zeit in der Erinnerung der Menschen sehr präsent gewesen zu sein, was die Legendenbildung vereinfacht haben dürfte. Bereits gegen Ende des 11. Jahrhunderts können wir die ersten Motive einer Heiligenvita in historiographischen Quellen nachweisen. Sie resultieren aus ganz persönlichen Lebensumständen Heinrichs. Die Zeitgenossen hatten die Kinderlosigkeit des Herrscherpaares noch als Makel empfunden. Für jeden Adligen, der über Besitz und Amt verfügte, bedeutete sie einen beklagenswerten Notstand. Wer kein Kind zum Erben hatte, dem die Aufgabe oblag, sich um das Seelenheil der Eltern zu kümmern, musste andere Möglichkeiten finden. Im Fall Heinrichs bedeutet es zudem einen Unsicherheitsfaktor für das Reich, denn die Kämpfe nach dem kinderlosen Tod Ottos III. hatten erahnen lassen, wieviel Unfrieden aus solcher Situation erwachsen konnte. Vermutlich körperlich bedingte Unfruchtbarkeit oder Zeugungsunfähigkeit wurde zu tugendhafter Lebensweise umgedeutet: Frutolf von Michelsberg schreibt in seiner Ende des 11. Jahrhunderts verfassten Weltchronik über die keusche Eheführung des Herrscherpaars. Die Aussagen Heinrichs, festgehalten in seinen Urkunden, die auf anderes als sexuelle Enthaltsamkeit in der Ehe hindeuten, waren vergessen oder wurden ignoriert. Dabei ließen sie an Deutlichkeit kaum zu wünschen übrig. In einigen Urkunden heißt es mit Verweis auf Genesis 2,24, dass er und Kunigunde "zwei in einem Fleisch" seien, in einem anderen Diplom, das allerdings einige Überlieferungsprobleme aufweist, wird sie als contubernalis coniux, als 'Bettgefährtin' bezeichnet. Sollte man diese Dokumente in Bamberg nicht mehr gekannt haben, so lag hier doch zumindest wohlbehütet das Protokoll der Frankfurter Synode von 1007. Dort hatte Heinrich bekannt, dass er Bamberg stifte, weil er wisse, dass er keine Kinder mehr bekommen werde und daher Gott zu seinem Erben machen wolle.
In der wenig jüngeren Klosterchronik von Montecassino das Wissen um die besondere Beziehung Heinrichs II. zum heiligen Benedikt erhalten. Aus zeitgenössischen Quellen und der besonderen Förderung Montecassinos ist bekannt, dass der Herrscher dem Heiligen die Linderung seiner Krankheit zuschrieb. Dieses Wissen gestaltete man zu einem Wunder um, dass in verschiedener Form überliefert ist. In dem von Benedikt gegründeten Kloster wusste man zu berichten, dass der Heilige dem Herrscher im Schlaf erschienen sei und ihm prophezeit habe, dass er nach dem Aufwachen drei nicht kleine Steine ausscheiden werde. Das Motiv der Seelenwägung Heinrichs II. ist als historische Wahrheit in der etwas jüngeren Böhmenchronik des Cosmas von Prag überliefert: Engel und Teufel stritten sich um des Kaisers Seele. In einer großen Waage wurden die guten und bösen Taten des Kaisers gewogen. Nur durch das massive Eingreifen der Heiligen Maria und Georg wurde die Seele Heinrichs gerettet. In späteren Quellen wandelte sich das Motiv ein wenig: Als die Teufel an der Waage zerren, die sich bereits zu Ungunsten Heinrichs zu neigen beginnt, wirft der hl. Laurentius einen Kelch, den Heinrich dem Merseburger Bistumspatron gestiftet hatte, in die Waagschale. Die Waage kippte daraufhin zum Guten.
Die drei Motive ­ die Josephsehe, die Wunderheilung durch Benedikt von Nursia und die Seelenwägung ­ fanden Eingang in die Vita des hl. Heinrich. Als Bestandteile einer hagiographischen Quelle werden sie von Historikern, Theologen und Volkskundlern als Legenden identifiziert und behandelt. Gerade der Fall Heinrichs macht jedoch deutlich, wie künstlich die neuzeitliche Unterscheidung zwischen Hagiographie und Historiographie sein kann. Für den Menschen des Mittelalters waren die Legenden der Heiligenviten geglaubte Wirklichkeit. Frutolf wählte für seine Chronik nur andere Bestandteile aus dem ihm zur Verfügung stehenden Stoff aus bzw. gestaltete ihn anders als der Verfasser der Vita des hl. Heinrich.
Schwieriger als die Legendenbildung ist die Entwicklung der liturgischen Verehrung Heinrichs II. nachzuvollziehen. Zwei Messen, je eine für Heinrich und Kunigunde, wurden lange Zeit als Zeugnis früher Heiligenverehrung gedeutet, müssen aber als normale Totenmessen angesprochen werden, denn es fehlt die Bitte an den vermeintlich Heiligen um Fürsprache für die Gläubigen vor Gottes Thron. Die Feier des Jahrgedächtnisses entsprach den normalen Gepflogenheiten. Auch sind die Messen wohl älter als vermutet und spätestens kurz nach dem Tod Kunigundes aufgezeichnet worden. In Bamberg mag die Verehrung des Stifters intensiver gewesen sein als anderswo, denn durch die einmalige Konzentration seiner Stiftungen war er in Bamberg besonders präsent. Darüber hinaus war die Hoffnung auf Memoria der entscheidende Grund für die Stiftungen gewesen.
Die Übergänge zwischen Herrscher-, Stifterlob und Totengedenken einerseits und der Heiligenverehrung andererseits sind also recht fließend. Sicheren Boden betritt man mit dem von Bamberg aus betriebenen Kanonisationsprozess. Bischof Egilbert und das Domkapitel, vermutlich unterstützt vom Kloster Michelsberg, ergriffen die Initiative, die auch auf den Beistand König Konrads III. bauen durfte. Man fertigte in Bamberg Vita und Wunderbericht an und schickte 1145 eine Gesandtschaft nach Rom, die die Kanonisation beantragen sollte. Dort gab es offenbar Widerstände an der Kurie zu überwinden. Ein Reflex darauf findet sich in der Vita; um alle Zweifel im Nachhinein auszuräumen, hatte man sie kurz nach Abschluss des Verfahrens um einen Zusatzbericht ergänzt: Demnach soll ein gewisser Kardinal Johannes Skepsis über die Heiligmäßigkeit Heinrichs geäußert haben. Dass er irrte, offenbarte sich aber sofort: Er erblindete und genas erst wieder, nachdem er Heinrich um Vergebung und Fürbitte angefleht hatte. Um allen Argwohn zu überwinden, wurden die päpstlichen Legaten, der Kardinalbischof Theodewin von Rufina und der Kardinalpriester Thomas, beauftragt, während ihrer Deutschlandreise die Situation in Bamberg zu überprüfen. Offenbar konnte man sie überzeugen, denn am 12. März 1146 verkündete Papst Eugen III. die Kanonisation Kaiser Heinrichs II., und zwei Tage später wurde die entsprechende Urkunde ausgestellte.
In Bamberg plante man daraufhin die Translation der Gebeine für den Todestag Heinrichs, den 13. Juli. Man vermutet, dass man die kultische Verehrung, die dem Kaiser schon zuvor an seinem Sterbetag entgegengebracht wurde, so "legalisieren" wollte. Den Bamberger Gewohnheiten wollte man durch die Verlegung des Heinrichgedenkens nicht zu sehr entgegenwirken. Unerwartet starb jedoch Bischof Egilbert, der das Verfahren in Gang gebracht hatte, am 29. Mai. Da sein Nachfolger Eberhard II. erst im Dezember geweiht wurde, meinte man wohl, dass man nun auch noch bis zum nächsten 13. Juli, den des Jahres 1147, abwarten könne. So erfolgte die elevatio (Erhebung) der Gebeine Heinrichs an seinem 24. Todestag.
Nicht ganz so glatt verlief das Kanonisationsverfahren für Kunigunde. Zwischen 1191 und 1198 startete man eine erste Initiative. Papst Coelestin III. legte die Überprüfung in die Hände einer Kommission vor Ort, der die Bischöfe von Augsburg, Eichstätt und Würzburg sowie die Zisterzienseräbte von Ebrach, Heilbronn und Langheim angehörten. Warum das Verfahren versandete, bleibt unklar. Vielleicht verzögerten nachbarliche Reibereien ein positives Signal an die Kurie. Vielleicht erfüllte Kunigunde nicht die Erwartungen an eine Heilige, vielleicht fehlte es noch an den notwendigen Wundern, wofür es ein paar Indizien gibt. Dann starb auch noch Coelestin im Januar 1198, und unter seinem Nachfolger Innozenz III. fand die Bamberger Petitio zunächst keine Beachtung. In Bamberg begann man zu drängen. Visionen Bamberger Kleriker bestärkten die Geistlichkeit vor Ort in ihren Bemühungen. Ein Wunder wurde mit genauer Datumsangabe vorhergesagt und trat ein: Der Überlieferung nach zeichnete Gott die Kaiserin am Tag Petri Kettenfeier (1. August) 1199 durch ein Wunder aus, was den Kanonisationsbemühungen neuen Schwung verlieh. Bischof Thiemo von Bamberg und das Domkapitel wandten sich erneut an die Kurie ­ dieses Mal mit Erfolg. Am 29. März 1200 verkündete Papst Innozenz III. die Heiligsprechung der Kaiserin Kunigunde, und am 3. April wurde die Urkunde für die Bamberger Bischofskirche ausgestellt.
Die elevatio erfolgte mehr als ein Jahr später, am 9. September 1201, in Anwesenheit Philipps von Schwaben, der mit diesem Akt sogleich die Dienste der neuen Heiligen in Anspruch nahm. Der kirchliche Akt erhielt eine zutiefst politische Komponente, denn es ging um das Königtum Philipps. Seit 1198 kämpften zwei Männer um die Krone. Auf der einen Seite bemühte sich der Welfe Otto IV., der Sohn Herzog Heinrichs des Löwen, die staufische Vormachtstellung im Reich zu brechen. Auf der anderen Seite stand der Staufer Philipp, der Sohn Kaiser Friedrich I. Barbarossas, der ursprünglich nur die Regentschaft für seinen unmündigen Neffen Friedrich II. übernehmen wollte, sich aber angesichts der welfischen Aktivitäten von den eigenen Anhängern selbst zum König erheben ließ, um die unverminderte staufische Schlagkraft unter Beweis zu stellen. Der Staufer war in Bedrängnis geraten, weil sein welfischer Rivale durch zahlreiche Zusagen an den Papst dessen Unterstützung gewonnen hatte. Philipp wurde gebannt. Eine seiner Reaktionen bestand darin, die Reichsfürsten nach Bamberg zu laden. In ihrem Beisein leitete er die Translation der Kunigundengebeine. Die heilige Kaiserin sollte die Rechtmäßigkeit seines Königtums offenbaren. Wie groß der Anteil Kunigundes am Erfolg Philipps war, mag dahingestellt sein. Dem Staufer gelang es, sich gegen Otto IV. durchzusetzen. Dass er knapp sieben Jahre später am selben Ort ermordet wurde, ist und ein Kuriosum der Geschichte.
Ein Problem bleibt für den Historiker: Kunigunde starb nachweislich in ihrer Stiftung Kaufungen. Die Bamberger Tradition lässt sie jedoch an der Seite ihres Gemahls im Bamberger Dom ruhen. Die entsprechenden Informationen wurden rund 170 Jahre nach Kunigundes Tod notiert. Keine frühere Quelle gibt konkrete Hinweise, ob und wann Kunigunde von Kaufungen nach Bamberg überführt wurde. So bleibt dem Historiker nur die Spekulation, wann eine Überführung erfolgt sein könnte. Kurz nach ihrem Tod bestand von keiner Seite Interesse an einem solchen Akt, denn eine gemeinsame Grablege von Herrscherpaaren wurde erst unter den Saliern üblicher. Auch hätte der Kaufunger Konvent den Leichnam seiner Stifterin sicherlich nicht freiwillig hergegeben, und es gab nach dem Tod Kunigundes niemanden, der das Interesse und die Macht gehabt hätte, dies zu erzwingen. Wäre Kunigunde noch vor 1100 nach Bamberg verbracht worden, dürften wir bei dem an Bamberger Verhältnissen so interessierten und gut informierten Frutolf von Michelsberg oder anderen Bamberger Quellen einen entsprechenden Hinweis erwarten. Eine Überführung nach der Heiligsprechung Heinrichs oder gar im Umfeld des Kanonisationsverfahrens für Kunigunde hätte zweifellos einen Niederschlag in den Quellen gefunden. Auch die Grabungsergebnisse der Archäologie unterstützen nicht die Annahme für eine Beisetzung Kunigundes an der Seite ihres Gemahls, denn dort, wo man das Stiftergrab annahm, wurde man zwar fündig, es handelte sich allerdings nur um einen einzelnen Sarkophag. Zweifel an der letzten Ruhestätte Kunigundes bleiben also bestehen.
Die Heiligen Heinrich und Kunigunde stehen in der Mitte und am Ende einer Entwicklung, die die Heiligwerdung über die Heiligsprechung zu strengen, juristisch geführten Kanonisationsverfahren formalisierte. Ursprünglich wurde durch Wunder erwiesen, dass Gott einen Verstorbenen in seine Gegenwart berufen und unter die Heiligen aufgenommen hatte. Solche Wunder standen im Allgemeinen in enger Verbindung mit dem Grab des Heiligen. Die elevatio der Gebeine, die Erhebung zur Ehre der Altäre, und die Translation in ein neues Grab in der Nähe des Altars ­ später auch in einen Schrein über dem Altar ­ machten diese Heiligkeit für die Umwelt offenbar. Dieses Vorgehen, für das nur die Zustimmung des Bischofs eingeholt werden musste, bezeichnet man als Heiligsprechung per viam cultus. Anfangs war also die Verehrung eines Heiligen die treibende Kraft, und durch die Liturgie vollzog sich die Einschreibung in den Kanon der Heiligen. Der erste Heilige, der in einem juristischen Verfahren heilig gesprochen wurde, war 993 Bischof Ulrich von Augsburg. Von da an wurde diese Form der Kanonisation die maßgebliche. Papst Eugen III. hatte in der Heiligsprechungsbulle für Heinrich II. von 1146 noch verlauten lassen, dass die Entscheidung über die Heiligkeit des Kaisers eigentlich einem Konzil zustünde, er aber aufgrund seiner päpstlichen Autorität dennoch die Entscheidung persönlich treffe. Unter den drei "Juristenpäpsten" Alexander III. (gest. 1181), Innozenz III. (gest. 1216) und Gregor IX. (gest. 1241) wurde dann das Verfahren sehr viel stärker formalisiert. Dieser Prozess lässt sich in den Urkunden, die über das Kanonisationsverfahren Kunigundes ausgestellt wurden, sehr deutlich ablesen. Zu dieser Zeit wäre eine Heiligsprechung ohne die apostolische Zustimmung keinesfalls mehr denkbar gewesen, wenn man einen Kult etablieren wollte.
Aufgrund der stärkeren Formalisierung der Verfahren musste bei beiden erst geprüft werden, ob ihre Lebensführung angemessen und die Wunder durch Zeugen nachprüfbar waren. Vergleicht man die Motive, die aus dem Leben des Herrscherpaares herrühren sollen, fällt sehr schnell der Unterschied zwischen dem Herrscherheiligen auf, der gerade in den Bamberger Quellen deutliche Spuren hinterlassen hat, und Kunigunde, die sich historisch nur in wenigen Überlieferungssplittern fassen lässt. Die Vita des hl. Heinrich nennt als zentrale Motive neben der Josephsehe den Kampf gegen Polen und Böhmen, womit der hagiographische Topos des Heidenkampfes angesprochen ist, die Wiederherstellung des Bistums Merseburg und die Gründung des Bistums Bamberg. Eher passiv ist die Rolle des Heiligen in den Episoden der Heilung durch Benedikt und der Seelenwägung, wenig schmeichelhaft sogar bei der Pflugscharprobe. Hier sind es aber die Heiligen bzw. Gott, die ihm zur Seite stehen, weil sie ihn ihrer Hilfe für würdig halten, und ihn dadurch auszeichnen.
Für Kunigunde sind selbstverständlich auch die keusche Eheführung und die Pflugscharprobe, der sie sich aufgrund der Verdächtigungen ihres Mannes unterzieht, in die Viten aufgenommen. Ihre vermeintliche Mitwirkung an der Stiftung des Bistums Bamberg, für die sie ihr Wittum hergeben musste, wird ebenfalls erwähnt. Bekannt ist darüber hinaus das Pfennigwunder oder Schüssel-Mirakel, nach dem Kunigunde die Bauarbeiter von St. Stephan entlohnte: Jeder durfte sich seinen Lohn aus einer Schüssel nehmen, und auch der, der mehr nehmen wollte, hielt am Ende nur seinen "gerechten Lohn" in der Hand. Bereits in der frühen Überlieferung dominiert die Darstellung Kunigundes als Witwe nach dem Rückzug in das Kloster Kaufungen. Nicht die Kaiserin, sondern die Nonne steht im Mittelpunkt, und in einer Vielzahl von Legenden wird ein Tugendkatalog ausgebreitet. Die weibliche Heiligkeit Kunigundes unterscheidet sich also deutlich von der Heinrichs. Der längere Zeitraum zwischen Tod und Kanonisationsverfahren und das geringere Wissen um die historische Kunigunde haben einen Legendenkreis entstehen lassen, der nur noch geringe Bezüge zwischen Herrscherin und Heiliger erkennen lässt. Doch gerade um Kunigunde bildeten sich neue Legenden: Während des Zweiten Weltkriegs zum Beispiel dankte man ihr, weil sie, immer wenn die alliierten Bomber anflogen, ihren Schleier über die Stadt legte. So in Nebel eingehüllt, wurde Bamberg durch Kunigunde gerettet. Vielleicht ist es gerade der freie Umgang in der Legendengestaltung, der sie volkstümlicher und bis heute sehr viel populärer als Heinrich werden ließ.
(Tania Brüsch)

Quellen:


Papst Eugen III. Heiligsprechungsurkunde Heinrichs II.
Papst Innozenz III. Heiligsprechungsurkunde Kunigundes.


Totenmessen Formular.


DH II. 368 Für eine Schenkung Heinrichs werden er und Kunigunde in die Gebetsgemeinschaft der Paderborner Bischofskirche aufgenommen und erhalten eine Pfründe; Anspielung auf Gen 2,24.
DH II. 375 Heinrich schenkt dem von seiner Gemahlin Kunigunde gegründeten Nonnenkloster zu Kaufungen den Hof Hedemühlen; Anspielung auf Gen 2,24.
DH II. 409 Heinrich schenkt dem Nonnenkloster zu Kaufungen die Orte Lay, Waldesch, Winningen, Bisholder und Trimbs; Anspielung auf Gen 2,24.
DH II. 411 Heinrich schenkt dem Nonnenkloster zu Kaufungen den zum Erbgut seiner Gemahlin Kunigunde gehörigen Hof Herleshausen; Anspielung auf Gen 2,24.

Legendenbildung

Frutolf, Regierungsjahre Heinrichs, c. 1 Keusche Eheführung Heinrichs und Kunigundes.
Vita Bischof Meinwerks, c. 8 Keusche Eheführung Heinrichs und Kunigundes.
Leo Marsicanus, III/43 Der hl. Benedikt erscheint Heinrich II. im Traum und prophezeit dem Kaiser seine Genesung zum Beweis dafür, dass seine (Benedikts) Gebeine am Ort ruhen.
Cosmas von Prag, I/37 Seelenwägung.
Heiligenlegenden von Heinrich II. und Kunigunde

Vita des hl. Heinrich, c. 3 Über die Leistungen Heinrichs II.
Vita des hl. Heinrich, c. 4 Heinrich II. zieht erfolgreich gegen die heidnischen Völker im Osten.
Vita des hl. Heinrich, c. 5 Heinrich II. stellt das Bistum Merseburg wieder her.
Vita des hl. Heinrich, c. 6 Heinrich II. gründet das Bistum Bamberg.
Vita des hl. Heinrich, c. 8 Josephsehe und Pflugscharprobe.
Vita des hl. Heinrich, c. 10 Über das Steinleiden Heinrichs II.
Vita des hl. Heinrich, c. 11 Heinrich II. zweifelt daran, dass die Gebeine des hl. Benedikt in Montecassino ruhen. Dieser überzeugt ihn von seiner Gegenwart, indem er ihn von seinem Steinleiden befreit.
Vita des hl. Heinrich, c. 17 Heinrich II. gibt Kunigunde kurz vor seinem Tod ihren Verwandten als Jungfrau zurück.
Vita des hl. Heinrich, c. 18 Die Seelenwägung.
Vita des hl. Heinrich, c. 29 Nachdem Heinrich II. in Bamberg Wunder gewirkt hat, betreibt man seine Heiligsprechung an der Kurie. Ein Kardinal, der an seiner Heiligkeit zweifelt, wird mit Blindheit geschlagen.
Vita des hl. Heinrich, c. 30 Ein Bamberger Geistlicher, der an Heinrichs Heiligkeit zweifelt, wird mit Blindheit geschlagen.
Vita des hl. Heinrich, c. 31 Aufruf zur Heiligenverehrung.


Anhang zur Vita sancti Henrici: Der Teufel erweckt den Anschein, Kunigunde sei unkeusch.


Passional Die keusche Eheführung des Herrscherpaares.
Ebernand von Erfurt Pflugscharprobe.
Johann Degen Wunder: Heinrich weicht in seinem Grab zur Seite, als man den Leichnam Kunigundes zu ihm legt.
Nonosius Stettfelder Pfennigwunder; Legende vom gerechten Lohn.
Vita der hl. Kunigunde Die tugendhafte Kunigunde bessert das Verhalten ihrer Nichte Ute im Kloster Kaufungen.