Froumund von Tegernsee, Briefsammlung

Mittelalterliche Briefe haben teilweise Ähnlichkeit mit mittelalterlichen Urkunden: Man fertigte sie als Original für den Empfänger aus, in gut organisierten Kanzleien übertrugen die Absender sie gelegentlich in ein Register, im Kopf werden Aussteller bzw. Absender genannt, und letzterer muss keinesfalls mit dem Verfasser identisch sein. Der Unterschied zwischen Brief und Urkunde liegt vor allem im Stil: Während die Urkunde zum großen Teil sehr formelhaft ist, hatten Briefe eher einen literarischen Charakter.
Da Briefe nicht wie Urkunden einen Rechtsanspruch vertreten konnten, verwahrte man sie auch nicht so sorgfältig. Daher sind früh- und hochmittelalterliche Briefe nur äußerst selten im Original überliefert. Dass dennoch der Wortlaut zahlreicher Exemplare vorliegt, ist zum Teil den literarischen Ansprüchen zu verdanken, die man an diese Textgattung stellte. Das Briefeschreiben musste gelernt und daher gelehrt werden, entsprechend sammelte man Vorbilder, an denen sich die Notare orientieren konnten, und legte Bücher für den Lehrbetrieb in Kloster- und Domschulen an. Sieht man von den Kopien in den Ausstellerregistern ab, so haben sich die meisten Briefe in solchen Sammlungen erhalten. Diese können sehr unterschiedlich angelegt sein. Meistens stellte man besonders gelungene Exemplare, die man gezielt sammelte, zusammen. Dabei konnte es sich um die Briefe eines Verfassers handeln oder um einzelne Stücke verschiedener Absender, die man im Archiv eines Empfängers vorfand. Manche Sammlungen wurden chronologisch, andere sachlich geordnet. Briefsammlungen gab es bereits in der Karolingerzeit, nur vereinzelt findet man welche aus dem 10. Jahrhundert, erst für das 11. und 12. Jahrhundert ist eine deutliche Zunahme zu erkennen.
Zu den bedeutendsten Briefsammlungen der Ottonenzeit gehört diejenige Froumunds. Er war Mönch und Lehrer im Kloster Tegernsee und wurde vermutlich um 960 im südwestdeutschen Raum geboren. Wohl bald nach 990 verbrachte er zu Studienzwecken einige Zeit im Kloster St. Pantaleon in Köln. Von 993 bis 995 weilte er mit einer Gruppe von Mönchen im Auftrag Abt Gozperts von Tegernsee in Feuchtwangen, um das dortige Kloster wieder aufzubauen. Außerdem lassen sich persönliche Beziehungen nach Augsburg und Regensburg (St. Emmeram) erkennen. Froumund war sehr belesen, vielseitig interessiert und strebte danach, seine eigenen Kenntnisse zu vertiefen. Um sein Wissen an seine Schüler weitergeben zu können, war er stets bemüht, Schriften für sich und seine Schüler verfügbar zu machen. Mit ihnen gemeinsam vervielfältigte er Texte, schrieb Kommentare und Glossen und hinterließ zahlreiche Notizen mit Erklärungen über Versfüße, Maße, Gewichte und viele andere Dinge.
Wohl kurz nach 1005 begann Froumund eine Briefsammlung anzulegen, in die er auch zahlreiche eigene Gedichte einfügte. Der größte Teil der Briefe wurde von ihm selbst verfasst, vielleicht gehen sie auch alle auf Froumund zurück. Hier gilt dasselbe wie bei den meisten Briefsammlungen, die keine einfache Zusammenstellung von beliebigem Archivmaterial darstellen: Es ist kaum oder nur schwer ­ zum Beispiel durch Stilvergleich ­ zu entscheiden, ob sie tatsächlich alle von dem Lehrer des Klosters Tegernsee diktiert wurden oder ob Froumund fremde Vorlagen überarbeitete. Da sich die Sammlung im Original erhalten hat und man nachweisen konnte, dass der Tegernseer Mönch sein Werk chronologisch gliederte, lassen sich viele Stücke immerhin in ihren zeitlichen Entstehungszusammenhang einordnen. Briefe wie Gedichte geben vielfach Auskunft über das, was Froumund und den Tegernseer Konvent interessierte und bewegte. So enthält die Sammlung eine ganze Reihe von Schriftstücken, die den bayerischen Herzögen Heinrich II. (dem Zänker) und seinem 1002 zum König gekrönten, gleichnamigen Sohn gewidmet oder an sie adressiert sind. Froumund starb zwischen 1006 und 1012.
Von den ausgewählten Texten stammt der Brief Nr. 25 aus der Zeit Abt Gozperts (982-1001). Der Brief Nr. 49 und das Gedicht Nr. XX entstanden unter Abt Godehard (1001-1002), den Heinrich II. vorübergehend nach Tegernsee geschickt hatte, um in diesem Kloster die Reform voranzutreiben. Brief Nr. 68 wurde kurz darauf verfasst (1002/1003). Diese Stücke gehören alle in den vom Herausgeber so genannten Codex I, der auch als Froumund-Codex bezeichnet wird, weil dieser Teil der Sammlung noch von Froumund selbst angelegt wurde. Das Gedicht Nr. XXXVIII zählt zum Codex II., der im zweiten Viertel des 11. Jahrhunderts von Froumunds Schüler Ellinger zusammengestellt wurde; er enthält Briefe aus der Zeit Abt Gozperts (982-1001) und darüber hinaus bis zum Jahr 1031; das Gedicht handelt aber dennoch ­ möglicherweise ­ von Heinrich II.. Der dritte Teil (Codex III) stellt eine eigenständige Sammlung dar, die wohl erst im letzten Drittel des 11. Jahrhunderts angelegt wurde. Sie umfasst Stücke aus der Zeit Heinrichs II. bis zu Abt Siegfried (1048-1068) und war eindeutig als Lehrbuch bzw. Vorlagensammlung gedacht, denn während Froumund die Namen noch ausgeschrieben oder zumindest durch die Initiale angedeutet hatte, sind sie hier häufig durch Kreuze ersetzt.
(Tania Brüsch)

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