Abt Odilo von Cluny, Brief an Heinrich II.

Dem erhabenen, größten und göttlichen (Kaiser) Heinrich (II.), der jeglicher Gunst höchstwürdig ist, (wünscht) jeder christliche Mensch, der gesamte kirchliche Stand sowie die Menge aller Elenden und Armen den königlichen Thron, die kaiserliche Herrschaft, Gottes Gnade und die Freuden des Himmelreiches.
Da ihr euch anschickt, im ersten Gefecht eures Kriegsdienstes die Schlachten eures Gottes zu schlagen, rüstet euch mit den Waffen der Gerechtigkeit, legt an die Gewänder der Freude, möge euch das Streben nach Geld nicht verderben, möge die Vergabe eurer Huld (acceptio personae) nicht von der Wahrheit (= vom wahren Charakter des Empfängers) abweichen. Möge euch der Hochmütige mit Schrecken sehen und der Demütige als gnädig erfahren, bei eurem Kommen ermatte zu Boden gestreckt der Hochmut der Ungerechten, die Habgier der Hochmütigen werde niedergebeugt und erlahme, die Unschuld der Elenden erhole sich von ihrer Peinigung. Das italische Königreich freue sich über euer Kommen, bei eurer Ankunft frohlocke das römische Kaiserreich. Es mögen sich freuen die Bischöfe, reiche und arme Kleriker, Äbte und Mönche sowie alle Söhne der Kirche. Es sei den Mächtigeren nicht verstattet, die Geringeren zu unterdrücken, die Geringeren mögen lernen, sich den Mächtigeren zu fügen. Unter eurer Herrschaft sollen Laster getilgt werden, unter eurem Kaisertum mögen Tugenden erstehen, die Ketzerei der Simonie liege im Mist der Schweine. Ungesetzlicher Gewinn sei ebenso fern wie Götzenverehrung, ein jeglicher Ketzer möge sich wie Rauch verflüchtigen. Der ungläubige Jude soll beschämt erröten, doch im (wahren) Glauben wiedergeboren mag er eure Huld haben. So sollen sie sich mit der heiligen Taufe gesegnet unter eurem Schutze freuen, damit sie keine Veranlassung haben, im Glauben abzuweichen. Wenn sie wieder ihrem Ölbaum eingepfropft (sue olive ... inseri) werden wollen, wenn sie ihr Erbe genießen wollen, dürfen sie nicht entwurzelt, dürfen sie nicht ihres Erbes beraubt werden. Sie sollen mit mütterlicher und katholischer Liebe genährt werden, damit sie fest im Glauben verharren. Die euch untergebenen Reiche sollen durch euren Schutz erstarken und durch eure Klugheit erblühen. Die benachbarten Völker sollen entweder sich euch eilends unterwerfen oder erzittern und ermatten, wenn sie die Kunde von eurer mannhaften Stärke (virtus) erhalten. Der Slave stöhne auf, der Ungar klappere mit den Zähnen, der Grieche wundere sich und staune, der Sarazene möge in Verwirrung fliehen. Der Punier leiste Tribut, der Spanier bitte um Hilfe, der Burgunder bringe ehrfürchtig Liebe entgegen, der Aquitanier eile freudig herbei. Ganz Gallien soll sagen: "Wer hat solches je gehört?" Das italische Volk soll mit erhobenen Händen sagen: "Bei Gott, dies ist der einzige Sohn Kaiser Ottos des Großen!" Tausende Elender sollen sagen: "Bei meiner Seele, diesen da hat unsere Herrin und Mutter Adelheid geboren!" Seht zu, dass jener Vater des Vaterlandes und Lenker Pavias, der heilige Syrus, nicht um euer höchstangemessenes Versprechen betrogen wird. Und um euch mit euren eigenen wahrheitskündenden Worten anzugehen, ihr habt gesagt, wenn ihr euch zu erinnern geruht: "Wenn Gott uns mit gutem Gedeihen die Rückkehr in diese Gegenden zugesteht, so will ich die Kirche des heiligen Syrus geziemend ehren, damit er mir nicht zürne ob der so großen ihm zugemuteten Benachteiligung." Im übrigen, mein Herr König, klügster unter den Königen und glänzendster unter den Kaisern, behandelt das Staatswesen mit Vorsicht und den apostolischen Stuhl mit über das übliche Maß hinausgehender Umsicht. Freut euch vielmehr daran der Welt zu nützen als ein Volk zu regieren. Wir aber, eure Diener, wünschen, dass ihr glücklich regiert, allen Nutzen bringt und mit demjenigen herrscht, der ewiges Sein hat (qui semper habet esse). Ferner ist es hinreichend folgerichtig und gar löblich, dass sich selbst eure Feinde über eure Huld freuen können. So nämlich gebietet es die Wahrheit (des Evangelium): "Liebet eure Feinde und tut denen Gutes, die euch hassen (Mt 5,44)!" Und zweifelsohne wurde dieses Gebot Gottes ausgeführt, wenn die Liebe auf den Feind ausgedehnt wird. Auf der anderen Seite ist es sehr nachteilig und äußerst unehrenhaft, dass diejenigen, die Getreue waren, Schaden verspüren. Die Leidenden mögen von uns an eurer statt hören: "Kommt zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, und ich will euch erquicken (Mt 11,28)." Erlege ihnen ein Joch auf, das leicht und angenehm ist, damit sie es gleichmütig und treu tragen können. Eines will ich ein wenig offener sagen, was, wenn es verhehlt wird, wie ich gar fürchte, schärfer beurteilt werden wird. Was derjenige verliert, der alles gegeben hat, darf derjenige nicht besitzen, der alles genommen hat. Er hat alles genommen, soweit es an ihm war. Wenn sein Wille es vermöchte, wäre das göttliche Vermögen nichts wert. Die Sache nämlich, um die es gegenwärtig geht, hat mit der Seele zu tun und ist, um noch mehr sagen, eine Angelegenheit Gottes. Eine Angelegenheit Gottes aber muss von denen, die Gott lieben, in die Hand genommen werden. Die Angelegenheit eurer Seele müsst ihr denjenigen anvertrauen, die ihre (Seelen) vielmehr lieben denn hassen. Wer nämlich Unrecht liebt, hasst seine Seele. Aus der ganzen Welt müsst ihr (diejenigen) auswählen, auf deren Urteil hin ihr das römische Reich zu ordnen beschließt. Wie (man) mit den Soldaten den Kriegsdienst ordnet, so (muss man) auch mit den Geistlichen das kirchliche Geschäft verrichten und mit den Barmherzigen für die Not der Armen und das Seufzen der Elenden sorgen. Ob ihr nun recht viele Berater habt oder, wie Salomon sagt, "einen auserkoren unter Tausend(en) (Hld 5,10)", sie mögen so geartet sein wie diejenigen, die David zu haben sich freute, als er sagte: "Meine Augen (sehen) nach den Treuen im Lande, auf dass sie mit mir (zu Gericht) sitzen, und er, der auf dem Weg der Unbeflecktheit wandelt, ging mir zur Hand (vgl. Ps 101,6)." Seht zu, dass es nicht solche sind, über die Jesaja euch tadelnd berichtet: "Deine Fürsten sind Abtrünnige und Diebesgesindel. Ein jeder liebt Geschenke und trachtet nach Gaben. Aber sie schaffen einem Waisen kein Recht, noch kommt die Angelegenheit einer Witwe vor sie (Jes 1,23)." Auch David geruhte solchen Leuten, die ihm schlecht zurieten, sein Ohr zu leihen, aber er sprach: "Weichet von mir, ihr Unwürdigen, und ich will die Gebote meines Gottes erforschen (Ps 119,115)." Solche Geißeln halte der allmächtige Gott fern von eurem Antlitz, indem er euch vom Himmel herab Beistand und Rat schickt, er, der da lebt und herrscht von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen!
(Übersetzung: Eike Schmidt)