Achtes Buch
1. Im Jahre 1018 der Fleischwerdung des Herrn, in der 2. Indiktion, im 16. Jahre des erhabenen Herrn Kaiser Heinrich, im 4. seines Kaisertums, feierte er die Beschneidung und Erscheinung des Herrn (1. und 6. Januar) voller Ehrfurcht in Frankfurt. Der Lombarde Ezzelin wurde am 25. Januar aus vierjähriger Haft entlassen. Danach wurde am 30. Januar auf seine Anordnung und auf ständiges Ersuchen Herzog Boleslaws (Chrobry) in der Burg Bautzen ein Friede beschworen durch die Bischöfe Gero (von Magdeburg) und Arnulf (von Halberstadt), die Grafen Hermann (von Meißen) und Dietrich (Sohn des Wettiners Dedi) und den Kämmerer (des Kaisers) Friedrich: so, wie er damals zu erreichen war, nicht wie er hätte sein sollen. Nach Empfang vornehmer Geiseln kehrten die Herren nach Hause zurück. Vier Tage später reiste Oda, die von Boleslaw lange umworbene Tochter des Markgrafen Ekkehard (I. von Meißen), von seinem Sohne Otto eingeholt, nach Zützen. Weil sie bei Nacht eintraf, hatte man viele Lampen entzündet, und eine große Volksmenge beiderlei Geschlechts empfing sie; ohne kirchlichen Dispens (wegen der Fastenzeit) vermählte sie sich nach Septuagesima (2. Februar) mit dem Herzoge, musste aber fortan, solcher Eheschließung ganz entsprechend, einer edlen Dame unwürdig leben.

2. Im Reiche ihres (= Oda) Gemahls (Boleslaws Chrobry) gibt es viele Sitten von unterschiedlichem Wert. Sie sind zwar roh, aber trotzdem zuweilen lobenswert. Muss doch sein Volk wie eine Rinderherde gehütet werden und lässt sich wie ein störrischer Esel ohne harte Strafen nicht zum Nutzen seines Fürsten leiten. Wenn dort jemand durch Missbrauch fremder Ehefrauen Unzucht zu treiben wagt, erleidet er als Sühne sofort folgende Strafe: Man führt ihn auf die Marktbrücke, nagelt dort seinen Hodensack fest, legt dann ein scharfes Messer neben ihn und lässt ihm die harte Wahl zwischen Tod und Verstümmelung. Wer nach Septuagesima öffensichtlich Fleisch isst, wird mit Ausbrechen der Zähne hart bestraft. Doch durch solche Gewalttätigkeit wird das in diesen Ländern erst seit kurzem gültige Gesetz Gottes besser als durch bischöfliche Fastengebote befestigt. Freilich gibt es dort auch noch andere, sehr viel schlechtere Sitten als diese; sie sind weder Gott noch dem Volk genehm und nur als Schreckmittel brauchbar. Ich habe sie z. T. oben schon geschildert. Mehr brauche ich wohl von einem Manne nicht zu berichten, dessen Namen und Lebensführung uns besser unbekannt geblieben wäre, hätte es der allmächtige Gott so gewollt. Dass sein Vater und er uns durch Ehe und enge Vertraulichkeit verbunden sind, das alles hat uns mehr schädliche Folgen als anfänglichen Nutzen eingebracht; und dabei wird es auch künftig bleiben. Mag er uns während eines zeitweisen Scheinfriedens freundlich behandeln, er versucht doch unablässig, uns heimlich durch allerlei Verführungskünste zu entzweien, unsere ererbte Freiheit zu mindern und sich offen zu unserem Verderben zu empören, falls Zeit und Gelegenheit es zulassen.

3. Zur Zeit, als sein (=Boleslaws Chrobry) Vater (Mieszko I.) noch Heide war, musste jede Witwe ihrem Gatten nach dessen Brandbestattung folgen und sich enthaupten lassen. Entdeckte man eine Dirne, so wurde ihr zu schimpflicher Strafe elendiglich die Scheide beschnitten und diese "Vorhaut", wenn man so sagen darf, an der Tür befestigt, damit der Blick des Besuchers darauf falle und er in Zukunft achtsamer und vorsichtiger sei. Das Gesetz des Herrn befiehlt, solche Frauen zu steinigen, und das Recht unserer leiblichen Vorfahren verlangt ihre Enthauptung. Heute freilich herrscht überall mehr als recht und billig Freiheit zur Sünde, und so treiben nicht nur viele verführte Mädchen, sondern auch manche verheiratete Frauen schon zu Lebzeiten ihres Mannes Ehebruch, von fleischlicher Begierde zu schädlicher Lust getrieben. Und sie lassen es nicht einmal dabei bewenden, sondern geben ihn dem Tode durch den Ehebrecher preis, den sie durch heimliche Winke dazu anstiften; dann aber nehmen sie diesen ­ welch übles Beispiel für andere! ­ auch noch ganz öffentlich zu sich und treiben zum Ärgernis mit ihm nach Belieben Unzucht. Ihren rechten Gebieter verabscheuen und verschmähen sie; sein Vasall dagegen wird wie der holde Abro oder der sanfte Jason von ihnen bevorzugt. Heute gibt es keine harte Strafe mehr dafür, und so kommt die neue Mode, wie ich fürchte, bei vielen immer mehr in Übung. ihr Priester des Herrn, steht mannhaft dagegen auf, vertilgt dieses neu aufgeschossene Unkraut immer wieder mit scharfer Pflugschar bis auf die Wurzeln, lasst euch durch nichts daran hindern! Ihr Laien aber sollt solchen Sitten keinen Vorschub leisten. Lasst die in Christus ehelich Verbundenen rein miteinander leben und nach Austilgung solcher Verführer dauernd um gleichbleibenden Anstand besorgt sein. Wer nicht zur Vernunft kommt, den möge unser Helfer Christus mit dem mächtigen Hauche seines heiligen Mundes verderben und durch seine erhabene Herrlichkeit, wenn er zum zweiten Male wiederkehrt, wegtreiben.

4. Damit sei jetzt zu dieser Frage genug gesagt, steht doch noch mein Bericht über des Herzogs (= Boleslaw Chrobry) Missgeschick aus. Er besaß an der Grenze seines Reiches gegen Ungarn eine Burg, mit deren Hut Herr Prokui betraut war, ein Oheim des Ungarnkönigs, der ihn vordem und auch jetzt noch von seinen Gütern vertrieben hatte. Seine Gemahlin hatte er nicht aus der Haft befreien können, und so musste er sie als freiwilliges Geschenk aus der Hand seines ihm doch feindlichen Neffen entgegennehmen. Niemals habe ich gehört, dass ein Anderer Unterlegene ähnlich schonend behandelte (wie König Stephan); deshalb verlieh ihm auch Gott in dieser Burg und in allem anderen immer wieder Erfolge. Sein Vater Deuvix war sehr grausam und hatte im Jähzorn viele Totschläge begangen. Als er nun Christ wurde, zeigte er sich gegen seine widerspenstigen Untergebenen streng, um den neuen Glauben durchzusetzen, und so sühnte er seine alte Schuld mit glühendem Eifer für Gott. Da er neben dem allmächtigen Gott verschiedenen falschen Göttern Opfer darbrachte, tadelte das sein Bischof; er aber versicherte, dazu sei er reich und mächtig genug. Seine Frau Beleknegini ­ auf slavisch heißt das "schöne Herrin" ­ trank unmäßig, saß wie ein Kriegsmann zu Pferde und erschlug in übermäßigem Jähzorn einen Mann. Besser hätte ihre blutbefleckte Hand die Spindel führen und Zucht ihre Hemmungslosigkeit mäßigen sollen.

5. Damals griffen die zu Schlimmem immer einigen Liutizen mit ihrer ganzen Macht Herrn Mistizlaw an, der ihnen im vergangenen Jahre für den Feldzug des Kaisers keine Unterstützung gewährt hatte; sie verwüsteten fast sein ganzes Land, zwangen seine Frau und Schwiegertochter zur Flucht und ihn selbst mit seinen besten Kriegern zum Weichen in den Schutz der Burg Schwerin. Durch tückisches Aufwiegeln der Bevölkerung, die sich gegen Christus und den eigenen Herrn empörte, nötigten sie ihn schließlich zum Verlassen seines Vatererbes, was ihm gerade noch gelang. Diese abscheuliche Freveltat ereignete sich im Februar, den die Heiden mit Reinigungsopfern und Darbringung der üblichen Gaben feierlich begehen; seinen Namen hat er vom Höllengott Pluto erhalten, der auch Februus heißt. Damals sanken alle zur Ehre und zum Dienste Christi erbauten Kirchen in diesen Gauen dahin in Brand und sonstiger Verwüstung, und, was das Ärgerlichste ist: Das Bild des Gekreuzigten wurde verstümmelt, Götzenverehrung erhob man über Gott, und der Sinn dieses Volkes, der Obodriten und Wagrier, verhärtete sich wie das Herz Pharaos. Eine Freiheit nach Art der Liutizen nahmen sie sich in der bekannten Selbsttäuschung, entzogen ihren Nacken dem sanften Joch Christi, unterwarfen sich jedoch freiwillig dem lastenden Gewicht der Teufelsherrschaft, obwohl sie doch zuvor für alles einen besseren Vater und edleren Herrn gehabt hatten. Christi Glieder sollten diese ihre Schwachheit beweinen, ihrem Haupte klagen und ständig mit der Stimme des Herzens um eine Wendung zum Besseren flehen; möchten sie doch verhindern, soweit sie dazu im Stande sind, dass solche Zustände fortdauern.

6. Sobald mein Magdeburger Mitbruder Bernhard (Bischof von Oldenburg), der ehemalige Bischof dieses abtrünnigen Volkes, davon Kunde bekam, versäumte er nichts, unseren Kaiser zu unterrichten: nicht um seines weltlichen Verlustes willen, sondern vielmehr in tiefem, geistlichem Schmerz. Der Caesar war von dieser Botschaft äußerst betroffen, vertagte aber seinen Bescheid in dieser Sache auf Ostern, um das Netz der unseligen Verschwörung wohlbedacht zunichte zu machen. Möge der allmächtige Gott seinen Entschluss und heilsamen Plan fördern! Keines Gläubigen Herz braucht wegen eines solchen Unglücks zu verzweifeln oder zu meinen, der Tag des Gerichts stehe bevor; denn davon kann nach den wahrhaftigen Lehren des Paulus vor dem Abfalle und dem unheilvollen Erscheinen des Antichrist keine Rede sein; auch darf keine plötzliche Unruhe unter den Verehrern Christi entstehen, denn ihre größte Stärke soll ja in ihrer Einmütigkeit liegen. Mögen die unterschiedlich gearteten Sterblichen und ihre mannigfaltig verschiedenen Sitten schwanken, soviel sie wollen: Jeder Mensch ist wie eine Blume des Feldes, und er muss durch die Mutter Kirche erst wiedergeboren werden zur Schuldlosigkeit unseres Erlösers Christus. Selbst wenn man überall von Frieden, Sicherheit und Ruhe spricht, müssen wir in Furcht sein vor unvorhergesehenem Unglück. Das mahnt uns zu ständiger Vorsicht und Wachsamkeit, denn wir sind der Zukunft niemals gewiss, und unserer Schwachheit fehlt die Dauer. Doch Keiner soll am Kommen des Jüngsten Tages zweifeln oder sein baldiges Erscheinen herbeisehnen, denn schrecklich ist er schon für die Gerechten, viel furchtbarer aber für alle Strafwürdigen.

7. Lassen wir das jetzt! Ich will vom letzten Erfolge unseres Kaisers sprechen. Sein Oheim, der Burgunderkönig Rudolf (III.), hat ihm in Anwesenheit seiner Gemahlin, seiner Stiefsöhne und aller Großen Krone und Szepter übergeben und zugleich Huldigung und Eidesleistung erneuert. Das geschah zu Mainz im besagten Monat (Februar 1018). Am 17. Februar sah man in Eisdorf ein Wunderzeichen. ­ Im gleichen Monat, am 16. März, fand in Nimwegen eine große Synode statt; mein Vetter Otto (von Hammerstein) und seine Gemahlin Irmgard, die trotz naher Verwandtschaft lange Zeit eine rechtswidrige Ehe geführt hatten, wurden hier exkommuniziert, weil sie wiederholten Vorladungen keine Folge geleistet hatten. Die Mitschuldigen aber wurden durch ihre Bischöfe zur Verantwortung gezogen. Hier verlas man auch eine alte Vorschrift und ordnete danach an, dass der Leib des Herrn zur Linken, der Kelch zur Rechten stehen solle. ­ Damals starb der Erzbischof von Mailand, ihm folgte Aribert, der Propst dieser Kirche. ­ Bei den Angelsachsen ­ Dank sei Gott! ­ wurden durch ihren König, den Sohn des Königs Sven, die Besatzungen von 30 Raubschiffen vernichtet. So waltet jetzt als einziger Verteidiger wie ein Basilisk in der menschenleeren libyschen Wüste der Mann, der zuvor mit seinem Vater in das Land einfiel und es ständig verheerte. ­ Leider erschlug in dieser Fastenzeit in meinem Bistum einer seinen eigenen Bruder. ­ Der Kaiser aber feierte in Nimwegen Palmsonntag (30. März) und das hl. Osterfest (6. April 1018); hatte er doch erfahren, dass Balderich sich wegen Graf Wichmanns Ermordung überhaupt nicht rechtsgültig gereinigt hatte und samt seinen friedensbrüchigen Leuten noch immer aufsässig war. ­ Abt Folkmar von Fulda und Lorsch verstarb. ­ Wie zum Vorzeichen sahen in diesen Tagen manche die Sonne vor dem Untergange nur zur Hälfte.

8. Bis mir fliegende Kunde Neuigkeiten für die Niederschrift zuträgt, will ich einstweilen mit Eifer das Leben frommer Menschen schildern, denn aus eigener Schuld und übergroßer Nachlässigkeit habe ich das bisher darzustellen vergessen. Zur Zeit König Heinrichs II. lebte in Drübeck die Einsiedlerin Sisu, eine sehr fromme und mir deshalb außerordentlich teure Frau. Als sie in den Tagen des größten Otto herangewachsen war und einem Manne verlobt werden sollte, flüchtete sie sich eilends zu Christus, den sie zum besonderen Zeichen für ihren Glauben mehr als alles andere ihrem Herzen eingeprägt hatte. 64 Jahre lang versuchte sie sich nun in der Einsamkeit bei dem genannten Orte ihrem himmlischen Bräutigam als reine Jungfrau darzubringen und heißer, als es die menschliche Hinfälligkeit zulässt, war sie bemüht, sich makellos zu erhalten. Niemals in dieser ganzen Zeit milderte sie die harte Kälte durch ein Feuer; sie wärmte sich allerhöchstens dadurch, dass sie ihre fast erfrorenen Hände und Füße an einem Wärmstein wieder zu beleben suchte. Das Innere ihrer Zelle zierte sie durch ständig von Weinen unterbrochene Gebete, draußen aber half sie vielfach dem herbeiströmenden Volke durch immer neue Belehrung und Trost in seinen Nöten. Das dauernd an ihr zehrende Ungeziefer schüttelte sie nicht ab; fiel es herunter, so nahm sie es vielmehr wieder auf wie der Mönch Simeon, der lange auf einer Säule stand. Alle Gaben, die sie ständig von den Leuten empfing, entzog sie sich und suchte durch freigebige Geschenke an die Armen Christi die Sünden der Geber zu sühnen. Meiner Mutter war sie lieb, und die gelobte ihr fest, ihr Gedächtnis kommenden Geschlechtern überliefern zu wollen. In ständigem Kampf und Ringen mit dieser wandelbaren Welt enthielt sie sich alles Unerlaubten, aber nicht um vergänglichen Ruhm zu ernten, sondern für den Blütenkranz himmlischen Lohnes, dessen sie von Gott am 17. Februar gewürdigt wurde.

9. In der Nacht, in der diese von Christus geliebte Leuchte unter die Sterne des Himmels versetzt wurde, schlief ich Sünder im Schlafhaus zu Magdeburg; da sah ich im Traume ­ Gott sei mein Zeuge, dass ich nicht lüge! ­ vor der Matutin zwei Chorknaben aus dem alten Schatzhause kommen, das damals dort noch stand; sie sangen die Antiphon "Froh wird Martin in Abrahams Schoße geborgen usw., ... in seiner Frömmigkeit, geistlichen Armut und Demut". Das alles traf zu, und auch was folgt, ist ihr zuteil geworden. Diese Kinder kündeten von ihrer doppelten Schuldlosigkeit und ihrem Lohn. Ich unterrichtete damals meine Brüder mit den Worten: "Seid überzeugt, jetzt scheidet eine von Gott geliebte Seele aus diesem Licht!" 6 Tage später erhielten wir die Nachricht, wie ich es vorausgesehen hatte, die wahrhaftige Dienerin Gottes sei aus dem Kerker ihres Leibes hinübergegangen.

10. Nun will ich meines Mitbruders Berner gedenken, der durch mir erwiesene Zuneigung meine herzliche Liebe und, wenn ihm das irgendwie nützen kann, ein treues Gedenken verdient. Er war nahe mit mir verwandt und ­ das ist jetzt entscheidend ­ mir in Freundschaft verbunden. Otto III. schätzte ihn sehr, weil er ihm und seiner Tante, der ehrwürdigen Äbtissin Mathilde (von Quedlinburg, Tochter Ottos I.), getreulich diente. Von ihnen hat er auch alle seine Lehen in Salbke zu Eigen erhalten. Erzbischof Adalbert und seinen Nachfolgern diente er bis auf Herrn Gero (von Magdeburg) und erhielt von ihnen den verdienten Lohn. Schließlich erkrankte er und weihte sich dem allmächtigen Gott, den er immer über alles geliebt hatte. In Liebe zu ihm und zu seiner Ehre und Verherrlichung erbaute er auf dem erworbenen Eigentum eine Kirche und lud mich Unwürdigen ein, die Weihe vorzunehmen. Vor diesem Weiheakt nun zeigte er mir, wie schon früher seinen anderen Beichtigern, eine lange Schrift, in die er alle seine Sünden eingetragen hatte, las sie mir voller Reue vor und bat mich in Demut um Absolution. Ich nahm sein Schreiben und gewährte ihm kraft göttlicher Vollmacht Nachlass für seine Vergehen; als ich am gleichen Tage, dem 17. März, die Kirche weihte ­ es war der Jahresgedenktag seines Vaters ­, legte ich sein Verzeichnis auf das mit Heiligenreliquien gefüllte Gefäß, damit ihm, der unter Tränen die Wahrheit bekannt hatte, durch ihre ständige Fürbitte Vergebung und die langersehnte Sündentilgung zuteil werde. Das hat zwar, soweit ich sehe und höre, noch niemand getan; doch fürchte ich, meine Schwachheit wird ihm nichts helfen, und so habe ich meine Zuflucht zur Fürbitte der Heiligen genommen. Der hochwürdigste Vater lebte dann noch 13 Wochen und fand am 17. Mai die ersehnte Erlösung.

11. Weiter will ich als beispielhaftes Vorbild die treffliche Handlungsweise des frommen Abtes Alfger (vom Kloster Berge, gest. 1009) anführen. Er hatte außer anderen Tugenden die Gewohnheit, auf jeden Altar seinen Namen zu schreiben. Während er die Messe sang, vergoss er ununterbrochen so viele Tränen, dass ein großer Teil des Corporale feucht wurde; steht doch geschrieben: "Aus Herzensgrund vergossene Tränen über unsere Sünden bitten nicht nur Gott um Vergebung, sondern erlangen sie auch". Und damit er umso freier für sich die himmlische Huld erflehen könne, war er barmherzig gegen alle seine Schuldner. ­ Ich unwürdiger Priester dagegen bin den genannten Brüdern niemals irgendwie gleichgekommen. Wohl habe ich vom Beispiele vieler guter Menschen gelesen und oft auch Ähnliches beobachtet, aber ich habe es mir nicht zu Herzen genommen. Manchen Versuchungen, denen ich hätte Widerstand leisten müssen, bin ich freiwillig erlegen, statt sie kraftvoll zu bekämpfen; denen ich nützen sollte, habe ich leider mehr geschadet, und meine Missetat hielt ich wie einen köstlichen, heimlichen Schatz ständig verborgen.

12. Du, mein Leser, und du, mein lieber Nachfolger, brauchst wegen des Beifalls der unzuverlässigen Menge mein Wirken nicht für erfolgreich zu halten. Komm vielmehr meinem schon seit langem üblen Geruch mit dem ständigen Heilmittel des Gebets und der Almosen zu Hilfe, entreiß mich dem Rachen des gierigen Wolfes, der mich zerfleischt! Ich zeige mich dir in meinem Schuldbewusstsein viel wahrhaftiger als ein anderer das kann. Es gibt Menschen, die ich zu Unrecht milde behandelt habe. Wenn du sie nach Verdienst scharf anpackst, ist es dann verwunderlich, wenn sie etwas Irriges über mich aussagen? Halte die Mitte zwischen meinen Tadlern und unzuverlässigen Lobrednern und sei unablässig mein Helfer bei Gott. Ich weiß, dir missfällt Vieles, was von mir stammt; das ist nun einmal so. Gott und den Menschen ist es lieb, wenn du es besser machst. Was ich in der mir vergönnten Zeit erwerben und erreichen konnte, habe ich schriftlich niedergelegt. Sei nicht allzu stolz auf deine hohe Würde; die dir auferlegte Last ist nur umso größer. Beachte das Wohl der dir anvertrauten Herde als ein gewissenhafter Verwalter und mühe dich recht, Gottes Sache über die der Welt zu stellen. Mehre, so gut du kannst, was ich meinen geistlichen Mitbrüdern geschenkt habe, und mindere es nicht, darum bitte ich dich im Namen Christi. Sie sind Mitarbeiter in deinem heiligen Stande und Helfer in der Hoffnung auf das Kommende. Für Laien, die keine feste Bindung haben und ihre Stellung wechseln können, sorge bitte, soweit es der Geistlichkeit nichts schadet, nach Möglichkeit. Wenn du sorglich auf das Deine achtest, werden Gott und Menschen dir gern helfen. Tust du es nicht, richtest du deine Untergebenen zugrunde und ziehst dir dadurch zeitliches und ewiges Unheil zu.

13. Höre auf mich, deinen freilich sehr schlecht unterrichteten Lehrer und gar nicht vorbildlichen Vorgänger! Nimm selbst bereitwillig Armut auf dich, damit deine Herde durch dich reich werde. So hat auch Christus an uns getan, damit wir an seinen Schafen ebenso handeln. Schäme dich dessen nicht vor den Leuten, auf dass du zuversichtlich vor Gott bestehen kannst. Vornehm genug bin ich vor der Welt gewesen, aber häufig nur um meiner Verwandten willen. Fremden erschien ich verächtlich. Wenn man sich über seinen Stand erheben will, fällt man schimpflich nur umso tiefer, und die Reue kommt zu spät. Die Reichen unter den Deinigen behandle mit Achtung, die Armen aber mit Freundlichkeit und echter Liebe; denn die ist immer nur bei der großen Menge zu finden, wie ein altes Sprichwort sagt. Hüte deinen armen Hausstand, der dir vom höchsten Hirten anvertraut ist: ich konnte ihn kaum zusammenhalten; und verschließe dein frommes Ohr unrechtem Gerede, das sich darüber aufhält. Dein Vermögen ist klein und darf nicht so behandelt werden, als besäßest du mehr. Es ist viel besser, von Tag zu Tag allmählich erfolgreich immer höher zu steigen, als dass du schließlich zum Schaden für viele mittellos dastehst. Die heutigen Zeiten sind schlechter als alle früheren; sie nehmen einem mehr, als sie einbringen. Durch schwere Schuld und schrecklichen Mangel verliert ererbter wie erworbener Stand an Wert. Sei bitte nicht geizig; das bringt Schande. Aber ich wiederhole: Sei auch nicht allzu freigebig, das ist weder klug noch schicklich. Sorge ferner für die Seele des Pilgers Godebert ­ er hat unserer Kirche viel genützt ­ und für die Seelen vieler anderer. Du hast genug an den Büchern, die unsere Vorgänger hier zusammengetragen haben, die ich vorfand, und die ich noch hinzu erworben habe. Du wirst in ihnen heilsamen Lehren begegnen: Höre auf sie, dann wirst du bestehen können. Ich habe heilige Reliquien, schmucke Behältnisse dafür und auch sonst viele Nutzrechte an Land und Leuten erworben; damit dir nichts entgeht, habe ich es in meinem Martyrologium eingetragen.

14. Als frommer Mann musst du auch das vielfältige Wohlwollen kennen, das unser König und Kaiser Heinrich unserer Kirche bewiesen hat; manches davon erwähnte ich oben schon; das meiste blieb ungesagt; ich sollte es daher wohl am besten jetzt für dich notieren. Sieh zu, dass er stets an dich denkt, unser Gut wiederherstellt und unablässig fördert. Wehe einer Zeit, da die Armen und die Kirche von Merseburg nicht darauf hoffen dürfen! Sollen wir jetzt vor allem für sie beten, so müssten wir sie dann vor allem beklagen Folgendes hat sich von ihm erhalten, und sie wird sich, solange er lebt, noch viel größeren, uneigennützigen Zuwachses erfreuen. Weiß doch der Hochgemute schon, wie er sie durch mancherlei Gaben erhöhen will. Jetzt spreche ich von Früherem, die spätere Vollendung befehle ich in Demut dem allmächtigen Gott an, für den alles gegenwärtig ist. Ich will nicht alles einzeln aufzählen, was du in seinen Urkunden bestätigt sehen kannst; ich führe nur das an, was urkundlicher Beglaubigung entbehrt und, wie ich fürchte, später vielleicht einmal verloren gehen könnte. Mit milder Hand hat der Caesar unserer Kirche geschenkt: ein Stück vom sieghaften hl. Kreuze mit anderen Heiligenreliquien; einen goldenen, prächtig mit Edelsteinen verzierten Altar; eine mit kostbaren Steinen geschmückte Goldbüchse; ein gemeinsam auf seine und unsere Kosten verziertes Vermögensverzeichnis samt zwei Weihrauchfässern und einen Silberbecher; das müssen wir nicht nur bewahren, sondern auch mehren. Doch weil ich nur unvollkommen von seiner Güte zu sprechen vermag, die süß wie Honig strömt, drängt es mich, nach meinem Vorsatz in rechter Ordnung über sein Leben zu berichten.

15. Das Jahr, dem ich dieses Buch gewidmet habe, ist mein 41. Lebensjahr, oder etwas darüber. Am 27. April begann das 10. Jahr seit meiner Weihe. ­ Am Tage zuvor brannte im Ort vor der Burg Gnesen die Kirche des Erzbischofs samt allen übrigen Baulichkeiten nieder. ­ Nun ist das menschliche Los immer ungewiss; deshalb will ich das gefährliche Gift von mir geben, das ich Armer vor langer Zeit zu mir genommen habe, und das mir ­ ich spüre es wohl! ­ seither schadet. Als ich eines Nachts auf meinem Hofe Heeslingen ruhte, sah ich im Traume eine Menge Gestalten stehen, die mich nötigten, etwas aus einer mir vorgesetzten Schale zu verzehren. Anfangs weigerte ich mich, weil ich sie als feindliche Wesen erkannte; ich entgegnete aber schließlich doch, ich wolle es im Namen Gottes des Vaters zu mir nehmen. Das missfiel ihnen sehr; doch als der verfluchte Haufen erkannte, anders werde nichts daraus, erklärte er sich murrend einverstanden; war er doch entschlossen, mich völlig zu verderben. Hätte ich damals den Namen des Herrn nicht angerufen, so wäre mein ewiges Heil verloren gewesen. Ich habe von diesem Trank, der nach meiner Meinung aus allerlei Kräutern gemischt war, vielerlei schlimme Gedanken bekommen; die behelligen mich nun wohl sehr während des Gottesdienstes, aber dank der Hilfe Gottes, den ich über sie gestellt habe, konnten sie mich selten oder nie zu unseligen Taten verleiten. Ihrem bösen Willen genügt es indessen, dass sie wenigstens an mir Teil zu haben glauben. So umringten sie mich ein andermal wieder, wenn auch nur von weitem, da ich mich bekreuzigte, und fragten: "Hast du dich gut verwahrt?" "Hoffentlich!" entgegnete ich; da fuhren sie fort: "Am Ende wird's anders kommen!" Ich fürchte weder ihr Drohen, noch glaube ich ihren Lockungen, denn sie sind nichtig wie die Sprecher selbst. Nur wegen meines großen Vergehens bin ich sehr besorgt.

(Übersetzung: Werner Trillmich)