Vitae Mathildis reginae vita Posterior (Die jüngere Lebensbeschreibung der Königin Mathilde)

Die Lebensbeschreibung der Königin Mathilde lässt sich verhältnismäßig genau datieren. Der Prolog sagt aus, dass es sich um eine Auftragsarbeit für Heinrich II. gehandelt habe. Da die Vita Heinrich II. nur als rex ('König') betitelt, muss sie in jedem Fall nach seiner Königserhebung 1002 und vor der Kaiserkrönung 1014 entstanden sein. Geht man davon aus, dass Thietmar von Merseburg, der die Vita bei seiner Arbeit an der Chronik bereits 1012/13 benutzte, die abgeschlossene Fassung vorlag, lässt sich der Entstehungszeitraum noch weiter eingrenzen. Inhaltliche Gründe, wie die Gratulation zur Königserhebung und das Fehlen eines Hinweises auf die Taten des neuen Königs, legen sogar die Einordnung in die ersten Regierungsjahre Heinrichs II. nahe.
Weniger Einigkeit herrscht in der Forschung über den Entstehungsort. Einig ist man sich nur, dass er sehr wahrscheinlich in Sachsen liegt, wofür die frühe handschriftliche Verbreitung und Rezeption sowie die benutzten Vorlagen sprechen. Ein Vorschlag zur Lokalisation nennt Nordhausen, auf das mehrere Nachrichten der Vita, die eindeutig nicht aus den bekannten Vorlagen stammen, verweisen. Das thüringische Damenstift wurde 961 von der Königin Mathilde gegründet. Demgemäß pflegte man das Andenken an die 968 verstorbene Königin und verfügte sicherlich über das für eine Lebensbeschreibung notwendige Quellenmaterial. Eine derartige Auftragsarbeit war hier also in guten Händen. Der Herausgeber der Vita meldet jedoch mit Hinweis auf die herrschaftslegitimierende Funktion der Vita Zweifel an und vermutet eher einen Verfasser aus dem Umfeld Heinrichs II., ohne indes einen dafür infrage kommenden sächsischen Ort nennen zu können. Als weiteres Argument führt er das Fehlen der geradezu hymnischen Preisung Sachsens an, die aus der Vorlage, der Vita Mathildis antiquor (ca. 973/74 entstanden), nicht übernommen wurde.
Allerdings spricht weder das eine noch das andere Argument gegen Nordhausen. Der Prolog äußert eine gewisse Unsicherheit des Verfasser bzw. der Verfasserin, ob der König auch mit der Arbeit zufrieden sei. Zwar sind Äußerungen dieser Art nicht unüblich, in der Mathildenvita werden sie jedoch verhältnismäßig ausführlich und deutlich formuliert. Möglicherweise hatte der gerade erhobene König Heinrich, der im norddeutschen Raum erhebliche Durchsetzungsprobleme hatte, nur ein höfliches Interesse an Mathilde gezeigt, was von den Nordhausener Damen als Auftrag interpretiert wurde. In jedem Fall scheint Heinrich keine Vorgaben für eine inhaltliche Akzentsetzung in der Lebensbeschreibung der Königin gemacht zu haben. In Nordhausen entschied man sich für eine Schwerpunktsetzung, die sowohl dem König als auch dem Konvent diente: Indem man das Königtum Heinrichs II. durch Mathilde legitimierte, die zugleich die Urgroßmutter des Königs und die eigene Stifterin war, versuchte man den König in die Pflicht zu nehmen. Wenn es den Stiftsdamen gelang, dem König klarzumachen, dass man in Nordhausen wie an keinem anderen Ort das Andenken an die Frau pflegte, auf deren Vorahnung und Förderung sein Königtum mehr oder weniger beruhte, durfte man auf Gunstbezeugungen in Form von Schenkungen und Privilegierungen hoffen. Auch der Verzicht auf den Lobpreis Sachsen ist nur konsequent, denn Heinrich war Bayern sehr viel mehr verbunden als Sachsen und wäre mit diesem Verherrlichung wohl kaum zu überzeugen gewesen. Solange also keine weiteren Gegenargumente oder besseren Vorschläge für den Abfassungsort der jüngeren Mathildenvita vorliegen, dürfen die Nordhausener Stiftsdamen auch weiterhin als Autorinnen in Betracht gezogen werden.
In welcher Art und Weise versucht die Vita das Königtum Heinrichs II. zu legitimieren? Anstelle Heinrichs I., des gemeinsamen Vorgängers und Urgroßvaters Heinrichs II. und Ottos III. rückte man die gemeinsame Urgroßmutter Mathilde in den Mittelpunkt, zu der der jüngere Sohn Heinrich laut Vita ein ganz besonderes Verhältnis gehabt haben soll. Dass dieser ­ und mit ihm seine Nachkommen ­ der geeignetere Nachfolger des König gewesen wäre, wird dem Leser durch zwei Angaben suggeriert: Zum einen sei Heinrich im Gegensatz zu seinem Bruder Otto I. geboren worden, als der Vater bereits König war; zum anderen habe der Sohn Heinrich mit dem gleichnamigen Vater und König große Ähnlichkeit gehabt. Die Zuneigung zum Sohn, die Mathilde nach dessen Tod auf den Enkel, Heinrich (den Zänker) übertragen habe, mündet schließlich in der Prophezeiung, dass sein Geschlecht die Königsherrschaft erringen werde. Die vergeblichen Versuche von Vater und Großvater Heinrichs II., einen Anteil am Königtum zu gewinnen, werden durch die Anlehnung an einen Satz aus dem Lukas-Evangelium ("Wer sich erhöht, der wird erniedrigt werden, und wer sich erniedrigt, der wird erhöht werden.") überblendet. Im nomen Heinrici stellt sich schließlich die bruchlose Verbindung von König Heinrich I. zu König Heinrich II. dar, was zu ihrer Zeit allein Mathilde erkannt bzw. prophezeit habe.
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