Die Kanonisationsurkunde für Kunigunde liegt in zwei Ausfertigungen vor, die beide im Original erhalten sind. Die erste, die im Folgenden wiedergeben wird, ist an Bischof Thiemo und das Bamberger Domkapitel gerichtet. Papst Innozenz III. teilt die vollzogene Heiligsprechung der Kaiserin Kunigunde mit, befiehlt, die Heilige angemessen zu verehren und übermittelt den Wortlaut der Gebete zur Feier des liturgischen Gedenkens Kunigundes. Die zweite Ausfertigung richtet sich mit demselben Inhalt an alle Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte und Prälaten sowie die vornehmen und einfachen Laien. Von den beiden Exemplaren hielt man das erste sowohl in Rom als auch in Bamberg offenbar für das wichtigere, denn die päpstliche Kanzel registrierte die Aushändigung und versah das Original mit einem großgezeichneten Kapitalis-R (registrata) auf der Rückseite, während die allgemeine Bekanntmachung anscheinend nicht registriert wurde. Im Kopialbuch des Bamberger Domkapitels aus dem 15. Jahrhundert sah man die Stücke als Doubletten an und verwahrte sie unter derselben Signatur. Diesem Umstand ist es wohl zu verdanken, dass beim Übergang des Hochstifts an Bayern das erste in Bamberg verbleiben konnte, während das andere zusammen mit der Kanonisationsurkunde Eugens III. für Heinrich II. und vielen anderen Stücken nach München abgeliefert werden musste.
Das in Bamberg verbliebene Exemplar ist wie das weniger gut erhaltene Münchner Stück in Form einer päpstlichen Littera angefertigt worden. Während im Mittelalter alle päpstlichen Urkunden als litterae apostolicae bezeichnet wurden, beschreibt die moderne Diplomatik mit diesem Ausdruck zwei bestimmte Typen, die sich äußerlich unterscheiden: Bei den litterae cum filo canapis hängt das päpstliche Siegel an einfachen Hanffäden, während es bei den litterae cum serico an Seidenfäden eingehängt ist, die meist zweifarbig in rot und gelb gehalten sind. Inhaltlich unterscheidet man die litterae gratiae, die dem Empfänger eine Gnade oder ein Recht erweisen, litterae iustitiae, die einen Befehl, ein Verbot oder ein Urteil verkünden und weitere litterae mit unterschiedlichen Bezeichnungen, die sich auf allgemeine Geschäftsvorgänge beziehen.
Das Formular der litterae Papst Innozenz' III. über die Heiligsprechung Kunigundes folgt in den entscheidenden Passagen der Form des Mandats, d.h. nach den recht ausführlichen Teilen, der Arenga und der Narratio, folgt als Schlussfolgerung der Erörterung wie ein Befehl die Aufforderung, den päpstlichen Kanonisationsspruch durch gebührende kultische Verehrung der neuen Heiligen zu exekutieren. Nach der Fassung der Mandatsformel wäre die Verwendung von Hanfschnüren bei der Besiegelung zu erwarten gewesen. Da das Stück aber an roten und gelben Seidenfäden, also in Form einer littera cum serico, bulliert wurde, war man an der Kurie augenscheinlich der Auffassung, den Empfängern eine besondere Gunst zu erweisen.
Für die Ausfertigung zog man ein päpstliches Schreiben von 1199 heran, dessen Wortlaut man vermutlich den Registern entnahm. Es hatte der Heiligsprechung des Homobonus von Cremona gedient. Darüber hinaus kann man der Bamberger Urkunde entnehmen, wie weit der Formalisierungsprozess der Kanonisationsverfahren unter Innozenz III. bereits gediehen war. Ausführlich werden zunächst die Geschichte des Verfahrens unter Coelestin III. und unter Innozenz III., die Maßnahmen der Bamberger Bittsteller und die Reaktionen der Kurie geschildert. Dann folgt eine Lebensbeschreibung und ein Bericht über die Wunderzeichen. Das päpstliche Schreiben endet mit dem Bericht über den Abschluss des Kanonisationsverfahren, es fordert zur Verehrung auf und gibt Anweisungen über die liturgischen Texte, die bei der Gedächtnisfeier zu benutzen seien.
(Tania Brüsch)