Der Hammersteiner Ehestreit

Der "Hammersteiner Ehestreit" entbrannte um die Ehe zwischen dem Konradiner Otto von Hammerstein und seiner Gemahlin Irmingard. Heinrich II. zweifelte in den Jahren 1016/17 die Rechtmäßigkeit ihrer Ehe an. Sollte er Recht behalten, bedeutete das die Auflösung der Ehe mit erheblichen Konsequenzen v.a. für ihren Sohn und ihren Besitz. So entstand ein Konflikt, der ungefähr zehn Jahre andauerte. Die Protagonisten waren Otto und Irmingard auf der einen Seite, Heinrich II. und ­ nacheinander ­ die Erzbischöfe Erkanbald und Aribo von Mainz auf der anderen. Für die vorläufige und später endgültige Beilegung sorgten Papst Benedikt VIII. und Konrad II.
Schon vorher hatte es einen Fall gegeben, in dem Heinrich eine nach kanonischem Recht verbotene Verwandtenehe öffentlich anprangerte. Bereits auf der Reichssynode von Diedenhofen im Januar 1003 ließ Heinrich II. das Thema der Nahehen behandeln. Die Vita Bischof Adalberos II. von Metz schildert sehr ausführlich die Aufregung, die im Verlauf der Synode entstand. Der Angriff durch Heinrich II. erfolgte mit aller Schärfe. Zunächst tadelte der König die Bischöfe, "warum sie es versäumten, mit dem Schwert des Heiligen Geistes das Faule und Ungesunde von den Gliedmaßen der Gläubigen abzuschneiden" (Constantinus, c. 15). Dann wurde er konkreter, erklärte zunächst, wie verwerflich Verwandtenehen seien, um dann die Ehe des Saliers Konrad mit Mathilde, der Tochter Herzog Hermanns II. von Schwaben, anzugreifen. Konrad war über seinen Vater Otto von Worms und dessen Mutter Liutgard ein Urenkel Kaiser Ottos I. Mathilde konnte ihre Herkunft über ihre Mutter Gerberga, ihre Großmutter Mathilde, die mit König Konrad von Burgund verheiratet war, bis zu ihrer Urgroßmutter Gerberga, der Schwester Ottos I. zurückführen. König Heinrich I. war also der gemeinsame Ururgroßvater ­ eine nach modernen Vorstellungen recht weit entfernte Verwandtschaft.
Die Motive Heinrichs II. sind nicht ganz geklärt. Einerseits würde das religiös-kirchenrechtliche Interesse dieses Herrschers als Erklärung ausreichen, andererseits ist deutlich zu erkennen, dass er sowohl Konrads Familie, der Wormser Linie der Salier, als auch den Konradinern, der Familie Mathildes, nicht sonderlich wohlgesonnen war. Mathildes Vater, Herzog Hermann II. von Schwaben, war sein schärfster Rivale und der Aussichtsreichere im Kampf um das Königtum gewesen. Nach seiner Unterwerfung im Oktober 1002 versuchte Heinrich systematisch, die schwäbische Herzogsmacht zu verringern. Ähnliches, wenn auch bei weitem nicht so krass, gilt für Konrads Vater. Auch Otto von Worms hatte zu denjenigen gehört, die sich nach dem Tod Ottos III. Chancen auf die Krone ausrechnen konnten. Angeblich hatte Heinrich ihm sogar seine Unterstützung angeboten, Otto von Worms hatte jedoch verzichtet.
Ähnlich schwierig ist die Motivsuche im Fall der Hammersteiner. Irmingard war Tochter des Grafen Gottfried von Verdun, Schwester Herzog Gottfrieds I. von Niederlothringen, und mit Kunigunde verwandt. Otto war der Sohn Heriberts, der Graf im hessischen Kinziggau, im Engersgau und in der Wetterau war. Er gehörte damit ebenso der Konradinerfamilie an; Herzog Hermann II. von Schwaben war sein Vetter. So scheint es fast, als ob Heinrich II. geradezu einen verdeckten "Vernichtungsfeldzug" gegen den Konradiner-Clan führen wollte. Ganz so einfach ist die Sache allerdings nicht, denn Heinrich hatte Ottos 1016 verstorbenen Bruder Gebhard außerordentlich geschätzt ­ und diese Nachricht stammt immerhin von einem Vetter Gebhards und Ottos, nämlich von Thietmar von Merseburg. Auch zu Otto kann das Verhältnis Heinrichs II. ursprünglich nicht allzu schlecht gewesen sein, denn er folgte ihm zumindest noch am Beginn seiner Herrschaft, als Heinrich sehr deutlich Anhänger und Widersacher unterscheiden konnte. Damals zog Otto von Hammerstein mit Otto von Worms, den Heinrich II. wieder als Herzog von Kärnten eingesetzt hatte, nach Italien, um gegen Arduin von Ivrea vorzugehen. Dass das Unternehmen erfolglos blieb, tut hierbei nichts zur Sache.
Dennoch bleibt nicht auszuschließen, dass Heinrich die außerordentliche Machtstellung des Paares am Rhein, in der Wetterau und in Franken so sehr störte, dass er sie zu beseitigen trachtete. Immerhin lagen Irmingards Güter in der Gegend von Herzogenaurach, Langenzenn und Fürth und damit im unmittelbaren Interessensgebiet des von Heinrich 1007 gegründeten Bistums Bamberg. Auch ist es auffällig, dass Ottos und Irmingards Ehe unbehelligt blieb, bis Ottos Bruder Gebhard 1016 starb: Otto war damit zu diesem Zeitpunkt der einzige männliche Konradiner im Erwachsenalter. Zwar darf man das Denken in sehr stark agnatisch geprägten Geschlechterverbänden wie "Konradinern" und "Saliern" nur bedingt als Erklärung anführen, da sie bewusstseinsmäßig erst sehr viel später eine Rolle zu spielen begannen. Jedoch waren solche Verwandtschaftszusammenhänge von großer Bedeutung, wenn es um Erbe und Erbrecht ging. Die Auflösung einer Ehe konnte gerade die Besitzverhältnisse so sehr durcheinanderbringen, dass Tausch- und Umschichtungsprozesse ebenso wie Lehensentzug zumindest möglich wurden. Im Fall des Hammersteiner Grafenpaares hätte ein Nichtigkeitserklärung ihrer Ehe die Illegitimität des Sohnes bedeutet, der damit nicht erbberechtigt gewesen wäre.
Bei allem politischen Kalkül, das man Heinrich normalerweise unterstellen darf, kann man hier sein Interesse an kirchenrechtlichen Fragen nicht außer Acht lassen. Das Problem der Verwandtenehe lag sozusagen in der Luft. Auch Bischof Burchard von Worms behandelte es in seinem berühmten Dekret. Worum ging es? Kirchlicherseits ging es zunächst darum, das mosaische Inzestverbot zu befolgen, später kam vielleicht das Motiv hinzu, Familienclans zu zerschlagen, die durch Nahehen eine Zersplitterung ihres Besitzes verhindern und so unbezwingbare Machtblöcke bilden konnten. Nun gab es aber verschiedene Möglichkeiten, den Grad der Verwandtschaft zu berechnen. Ursprünglich hatte die Kirche sich an das römisch-rechtliche System angelehnt. Danach wurde die Verwandtschaft zwischen zwei Personen berechnet, indem man die sie vermittelnden Geburten zum Maßstab machte: Man zählte jeden Generationsschritt von der einen Person aufwärts bis zum gemeinsamen Vorfahr und von dort abwärts bis zu der zweiten Person. Geschwisterkinder, also Cousins und Cousinen, waren hiernach im vierten Grad verwandt.
Infolge von Eroberung und Mission begann die Kirche jedoch seit dem 8. Jahrhundert, sich den germanischen Rechten anzunähern, nach denen der sechste oder siebte Grad von Verwandtschaft ein ganz anderer war als nach römischer Zählung. Man verwendete das Sinnbild des menschlichen Körpers. Die engere Familie, der Mann mit seiner Frau, den Eltern, Geschwistern und Kindern, stand in Kopf und Hals. Am Schultergelenk, dem zweiten Grad, folgten die Großeltern, Enkel, Onkel und Tanten, Nichten und Neffen. An jedem weiteren Gelenk vom Ellbogen über das Handgelenk und bis zu den drei Gelenken des Mittelfingers standen die jeweils nächsten Generationen. Am Ellbogen stellte man zum Beispiel Urgroßeltern, Großneffen, Urenkel dar und so fort. Der siebte Grad stand im Fingernagel, hier endete die Verwandtschaft, die "Nagelmagen" bildeten die Grenze. Im Sachsenspiegel wird diese Bild recht anschaulich erklärt. Durch das Zeigen auf das entsprechende Gelenk konnte gerade vor Gericht schnell erklärt werden, wie zwei Personen miteinander verwandt waren. Ging die Beziehung über das Darstellbare hinaus, galt man als "nicht verwandt". Freilich ging es im Sachsenspiegel nicht um Inzest und Ehehindernisse, sondern um erbrechtliche Fragen: Wer zur Verwandtschaft zählte, war erbberechtigt, und alle Verwandten im selben Glied erbten zu gleichen Teilen.
Anders im Kirchenrecht. Die kanonistische Lehre kannte trennende und aufschiebende Ehehindernisse. Im ersten Fall wurde die Ehe für nichtig erklärt, was zur Folge hatte, dass die Kinder nicht mehr aus legitimer Ehe stammten und daher nicht mehr erbberechtigt waren. Im zweiten Fall war die Eheschließung verboten, geschlossene Ehen wurden aber nicht für ungültig erklärt. Die Verwandtenehe gehörte zur ersten Kategorie. Und wenn man unter diesen Voraussetzungen ­ einschließlich der Konsequenzen für die nächste Generation ­ bedenkt, was aus der germanisch-kanonischen Zählweise folgte, begreift man die Brisanz des Themas um die Jahrtausendwende. Nach kanonischer Zählung sind Cousins und Cousinen im zweiten Grad verwandt, denn man zählt von jeder einzelnen Person die Generationsschritte aufwärts zum gemeinsamen Vorfahr: Geschwisterkinder haben dieselben Großeltern, man rechnet also von der einen Person zu dem einen Elternteil (erster Grad) und von dort weiter zu den Großeltern (zweiter Grad); dasselbe gilt für die zweite Person; in diesem Fall besteht eine Verwandtschaft im zweiten Grad. Bei ungleicher Entfernung vom gemeinsamen Vorfahr ist also eigentlich eine doppelte Angabe notwendig. Verbot man Ehen bis zum siebten Verwandtschaftsgrad nach kanonischer Zählweise, so bedeutete dies, dass die Ehen von Urururururenkeln einer Person ungültig waren!
Wie es zu dieser Vorschrift kam, lässt sich nicht gänzlich klären. Das kanonische Rechts hatte sich hier zunächst nach den römisch-rechtlichen Vorstellungen gerichtet, im Verlauf des 8. Jahrhunderts begann man jedoch die germanischen Rechtsvorstellungen zu übernehmen. Zu vermuten ist, dass die Probleme in dieser Übergangsphase entstanden. Die Päpste der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts (Gregor II., Gregor III. und Zacharias) verboten jegliche Ehe unter Verwandten. Nach germanisch-rechtlichen Vorstellungen, die ungefähr zu dieser Zeit ihren Einfluss geltend zu machen begannen, hieß das: Verwandtschaft besteht bis zum siebten Grad. Nach römisch-rechtlicher Zahlweise war das Eheverbot bis zum siebten Grad verhältnismäßig problemlos durchzuhalten, nach germanischer Zählweise jedoch nicht. Da letztere sich aber nach und nach im kanonischen Recht durchsetzte, begannen sich die Probleme zu häufen. So ist auch zu erkennen, dass die Kirche sehr häufig Nahehen tolerierte oder vielleicht auch ignorierte. Die Existenz der Vorschrift allein bot aber reichlich Zündstoff. Gerade im Adel ließen sich Verwandtenehen nicht vermeiden. Hier bot sich reichlich Gelegenheit, Konkurrenten um Ämter, Erbe und Ähnliches eines solchen Vergehens zu bezichtigen. Auch wenn der "Erfolg", eine Annullierung zu erreichen, dem Kläger versagt bleiben sollte, so konnten solche Prozesse die Betroffenen doch über Jahre hinaus beschäftigen, wie der Fall Hammerstein zeigt, denn die Praxis war noch viel komplizierter, als die obigen Ausführungen vermuten lassen. Ausgehend von biblischen Vorschriften hatten sich die Kirchenväter und Konzilien über die Jahrhunderte hinweg zum Thema geäußert. Aussagen der Kirchenväter standen neben Konzilsbeschlüssen und päpstlichen Einzelfallentscheidungen, waren aber keinesfalls immer miteinander in Einklang zu bringen. So bedeutete die Kirchenrechtssammlung Burchards von Worms, der die Widersprüche aufzulösen versuchte, eine großartige Leistung. Hinsichtlich der Verwandtenehe legte er den sechsten Grad als Hinderungsgrund fest. Bis ins 13. Jahrhundert blieben jedoch sowohl der Grad als auch die Raffinessen der Zählweise heiß umstritten. Erst auf dem Vierten Laterankonzil von 1215 schränkte man das Ehehindernis der Blutsverwandtschaft auf den vierten Grad ein. Diese Regelung blieb fürderhin bestehen, auch wenn Eike von Repgow sich kurze Zeit später im Sachsenspiegel darüber empörte und eine Änderung des Land- und Lehnrechts durch den Papst nicht akzeptieren wollte. Dabei übersah er freilich, dass es Innozenz III. um das Ehe-, ihm jedoch und um das Erbrecht ging.
Otto und Irmingard wurde nun von Heinrich II. vorgeworfen, sie seien nach kanonischer Zählung im vierten Grad verwandt. Nach dem Eklat von 1003 hatte Heinrich nach einem Slavenfeldzug auf einer Synode "kraft kanonischer und päpstlicher Vollmacht unrechtmäßige Ehen ... verbieten (lassen) und ordnete an, Verächter des kirchlichen Rechts mit geistlichem Schwert zu treffen" (Thietmar VI/28). Was hier primär gegen die heidnischen Slaven gerichtet war, galt aus seiner Sicht generell für alle Christen. So wurden Otto und Irmingard wohl in den Jahren 1016 bis 1018 mehrfach vor Synoden geladen, ohne jedoch zu erscheinen. Als nun im März 1018 in Nimwegen abermals eine große Synode in Anwesenheit Heinrichs stattfand, wurden die beiden schließlich durch Erzbischof Erkanbald von Mainz exkommuniziert, "weil sie wiederholten Vorladungen keine Folge geleistet hatten" (Thietmar VIII/7).
Damit waren neue Fakten geschaffen, die das Ehepaar unter Druck setzten, denn durch die Exkommunikation war im Prinzip jedem Christen der Umgang mit ihnen untersagt, was zu einer totalen politischen und wirtschaftlichen Isolierung mit fatalen Folgen führen konnte ­ von der Gefährdung ihres Seelenheils ganz zu schweigen. Beide wurden auf diese Weise zum Handeln gezwungen. So erschien Otto von Hammerstein bereits zwei Monate später auf einem Hoftag in Bürgel (am Main, nördlich von Offenbach). Er bat Kaiser und Erzbischof um Gnade. Da jedoch drei Zeugen durch Eid die Unrechtmäßigkeit seiner Ehe bestätigten, musste er sich schließlich dem Urteil beugen und versprechen, auf seine Gemahlin zu verzichten.
Trotz der Unterwerfung lebte das Ehepaar weiterhin zusammen. Der Streit verschärfte sich zudem, weil Otto mit Waffengewalt in das Gebiet des Mainzer Erzbischofs eindrang. Derartige Feindseligkeiten mussten den Kaiser, der für die Friedenswahrung im Reich verantwortlich war, zusätzlich provozieren. Im Herbst 1020 begann Heinrich II. daher mit der Belagerung der Burg Hammerstein. Drei Monate hielten Otto und Irmingard aus, dann zwang sie der Hunger zur Aufgabe. Hammerstein wurde geschleift und eingezogen.
Am 17. August 1021 starb Erzbischof Erkanbald von Mainz. Sein Nachfolger wurde Aribo, der mit Heinrich II. verwandt war. Dieser nahm den Konflikt 1023 wieder auf, wobei er sehr viel schärfer vorging als sein Vorgänger. Otto und Irmingard wurden vor eine Provinzialsynode geladen und erschienen auch. Otto unterwarf sich erneut und entsagte wiederum seiner Gattin. Ob Otto resigniert oder das Ehepaar ein getrenntes Vorgehen vereinbart hatte, um zumindest über kurz oder lang die Handlungsfähigkeit des Grafen wiederherzustellen, lässt sich nicht entscheiden. Jedenfalls schlug Irmingard den Weg der Konfrontation ein und kündigte an, sie werde an den Papst appellieren. Das war vor allem eine Kampfansage an Aribo, der eine Grundsatzentscheidung fürchten musste. Wie bereits Erzbischof Willigis so befürchtete auch er eine allzu weitgehende Einmischung durch den Papst in Angelegenheiten des Reichsepiskopats. Aufgrund seiner Vorrangstellung im Reich nördlich der Alpen hatte gerade der Mainzer Metropolit mehr Einfluss zu verlieren als seine erzbischöflichen Kollegen.
Aribo ließ das Thema auf einer Synode in Seligenstadt verhandeln. Die Synodalbeschlüsse sind uns überliefert. Freilich werden keine Namen genannt, aber allein der zeitliche Konnex und eine den Beschlüssen angefügte Genealogie des Grafenpaares lässt erkennen, dass einige der Bestimmungen gegen die Hammersteiner Ehe und besonders gegen Irmingard gerichtet waren. Zum einen wurden die Verwandtschaftsgrade, die eine inzestuöse Ehe ausmachten, neu diskutiert und die Berechnungen so angewendet, dass Otto und Irmingard nun sogar im 3. Grad miteinander verwandt waren (Canones 16 und 18). Außerdem wurde bestimmt, dass Exkommunizierte ohne Erlaubnis des zuständigen Bischofs gar nicht an den Papst appellieren dürften, was zweifellos auf Irmingard gemünzt war (Canon 11).
Irmingard ließ sich jedoch nicht beirren und zog nach Rom, wo sie freundlich aufgenommen wurde. Möglicherweise wurde sie auch durch Aribos Kollegen und Rivalen, Erzbischof Pilgrim von Köln, unterstützt, der sich auffälligerweise zu derselben Zeit in Rom befand. Er konnte von einer Beschneidung der Mainzer Befugnisse nur profitieren. Wieweit Irmingard, vielleicht mit Pilgrims Unterstützung, in Rom vordrang, ist unklar. Dass sie ihr Anliegen vorbrachte und Papst Benedikt VIII. daraufhin zugunsten des Ehepaares entschied, ist eher unwahrscheinlich. Vermutlich wollte Benedikt nur Aribo maßregeln, weil dieser mit dem Synodalbeschluss eine Appellation an den Papst hatte unterbinden wollten: Benedikt verbot dem Erzbischof, dass Pallium zu tragen. Wir können nur ahnen, wie groß der Zorn des Mainzer Metropoliten über diese Demütigung war. Ihm mußte es so erscheinen, dass eine exkommunizierten Frau, die jahrelang eine kirchenrechtlich verbotene Ehe geführt hatte, direkt oder indirekt durch den Papst Recht bekam. Aribo stand mit seiner Auffassung nicht allein: Die Mainzer Suffraganbischöfe schrieben einen Brief an den Papst mit der Bitte um Aufklärung und Information, wie es zu diesem Beschluss kommen konnte. Außerdem setzten sie sich für ihren Erzbischof Aribo ein und baten um die Bestätigung der Exkommunikation Irmingards.
Für das Ehepaar brachte die päpstliche Entscheidung die ausschlaggebende Verzögerung. Der Zufall ließ diesen Konflikt auf seinem Höhepunkt in sich zusammenfallen: Am 9. April 1024 starb Papst Benedikt VIII., ohne eine endgültige Entscheidung getroffen zu haben, drei Monate später schied auch Heinrich II. aus dem Leben. Der Nachfolger Heinrichs, Konrad II., verzichtete auf die weitere Verfolgung: Otto war einer seiner Anhänger, und seine eigene Ehe mit Gisela galt ebenfalls als Nahehe. Wir wissen, dass Erzbischof Aribo Gisela die Krönung verweigerte; eine mögliche Erklärung wäre, dass der Mainzer Metropolit die Ehe für unrechtmäßig hielt. Sein Kölner Kollege und Verwandter Pilgrim, der auch im Hammersteiner Ehestreit eine weniger rigorose Haltung gezeigt hatte, ließ sich nicht lange bitten und krönte die Königin einen Tag nach ihrem Mann. Aribo unternahm einen letzten Versuch, die Hammersteiner Ehe aufzulösen, und wollte die Geschichte 1027 auf einer Synode in Frankfurt erneut verhandeln, was im übrigen ein Indiz dafür ist, dass es keine päpstliche Entscheidung in der Sache gegeben hatte. Konrad schlug jedoch das Verfahren nieder, und die Rechtmäßigkeit von Ottos und Irmingards Ehe blieb fortan unbestritten.
(Tania Brüsch)

Quellen:


Constantinus, c. 15 Auf der Synode von Diedenhofen (Januar 1003) tadelt Heinrich II. die Nachlässigkeit der Bischöfe.
Constantinus, c. 16 Heinrich führt aus, wie verwerflich die Verwandtenehen seien und greift Herzog Konrad von Kärnten wegen seiner Ehe an.
Constantinus, c. 17 Als Bischof Adalbero die Ansichten Heinrichs II. hinsichtlich der Verwandtenehe Konrads noch schärfer vertritt, kommt es zu tumultartigen Zwischenfällen.


Thietmar V/24 Otto von Hammerstein nimmt an dem Zug gegen Arduin von Ivrea teil.
Thietmar V/25 Otto von Worms, ein Nachfahre Ottos I., verzichtet 1002 zugunsten Heinrichs II. auf die Königkrone.
Thietmar V/27 Synode von Diedenhofen (ohne Erwähnung des Streits um die Verwandtenehe).
Thietmar VI/28 Thietmar lässt auf einer Synode (im Jahr 1006) nach einem Slavenfeldzug unrechtmäßige Ehen verbieten.
Thietmar VII/49 Gebhard (der Bruder Ottos von Hammerstein), den Heinrich II. besonders schätzt, stirbt.
Thietmar VII/62 Thietmar bezeichnet die Ehe zwischen Kaiser Konrad II. und Gisela als rechtswidrig.
Thietmar VIII/7 Otto und Irmingard werden auf der Synode in Nimwegen (16. März 1018) exkommuniziert.
Thietmar VIII/18 Otto von Hammerstein fleht in Bürgel (1018) um die Gnade des Kaisers und Erzbischof Erkanbalds von Mainz, muss aber nach dreifachem Zeugeneid auf seine Gemahlin verzichten.
Adalbold, c. 16 Otto von Hammerstein begleitet Otto von Worms auf dem Italienzug.


Quedlinburger Jahrbücher, a.1020 Gewalttätiges Vorgehen Ottos von Hammerstein gegen den Mainzer Erzbischof. Belagerung der Burg Hammerstein durch Heinrich II.


DH II. 437 Heinrich schenkt seinem Kapellan Aribo, der seine Bemühungen gegen Verwandtenehen unterstützt, einige Knechte, die nach Aribos Tod das Nonnenkloster zu Göß erhalten soll. Hammerstein 1020 Dezember 23.


Beschlüsse der Synode von Seligenstadt, can. 11 Über die Berechnung der Blutsverwandtschaft.
Beschlüsse der Synode von Seligenstadt, can. 16 Über die Romfahrer.


Vita Bischof Godehards, c. 31 Auf einer Synode des Mainzer Erzbischofs Aribo (1027) wird der Fall Ottos und Irmingards von Hammerstein verhandelt; auf Bitten des Kaisers wird die Verhandlung abgebrochen.
Brief der Mainzer Suffragane Die Bischöfe schreiben an Papst Benedikt VIII. und verlangen Aufklärung über das Palliumverbot für ihren Metropoliten.


Wipo, c. 2 Laut Wipo "bittet" Erzbischof Pilgrim von Köln, Gisela krönen zu dürfen.
Wipo, c. 4 Der Erzbischof Aribo weigert sich, Gisela zu weihen.

Quellen zum Problem der Verwandtenehe:

Hildesheimer Jahrbücher, a. 1018 Auf einer Synode trennt Bischof Bernward eine Ehe (vielleicht wegen zu naher Verwandtschaft).
Beschlüsse der Synode von Seligenstadt, can. 11 Über die Berechnung der Blutsverwandtschaft.
Sachsenspiegel Landrecht: I 3 § 3: Über die Verwandtschaftsgrade.
Viertes Laterankonzil Beschluss über die Einschränkung der Ehehindernisse.