Vitae Mathildis reginae vita Posterior (Die jüngere Lebensbeschreibung der Königin Mathilde)

Hier beginnt die Vorrede zum Leben der ruhmvollen Königin Mathilde.
Dem höchster Verehrung würdigsten König Heinrich (zugeeignet). Euch wünscht der Darsteller dieses Werks Zunahme der geistigen Gaben, Wachstum der Tugenden und Gedeihen der weltlichen Dinge. Da vielen bekannt ist, dass Ihr, kundig und erfahren in verschiedenen Wissenschaften, sehr viele Bücher gelesen habt, worin das Leben der heiligen Väter enthalten ist, durch deren Beispiel Eurer verehrungswürdiger Lebenswandel wohl unterwiesen und zu Höherem beflügelt werden kann, so gereicht es Euch zu nicht geringem Verdienst, dass Ihr nach den frommen Taten Eurer Vorfahren forscht und vor allem nach denen Eurer Urgroßmutter, der berühmten Königin Mathilde, deren lichtvolles Leben mit Recht nachahmungswert und deren Tugend desto rühmlicher ist, je gebrechlicher ihr Geschlecht. Wir danken Eurer Gnade, dass es Euch gefallen hat, von uns dieses Werk darstellen zu lassen, das unserer mangelnden Erfahrung schwierig und allzu bedenklich (erscheint), obwohl Eurer Herrschaft so viele uns an Begabung und Weisheit überlegene Männer untertan sind, die mit ihrer Rede Strahl das Tiefe zu durchdringen verstehen. Dieses Werk auf Euer Geheiß zu beginnen, fiel unserer Wenigkeit über die Maßen schwer; doch wäre es die kühnste Überhebung gewesen, sich Eurer Weisung zu widersetzen. Wir haben zwar Euren Befehl über das Maß unserer Kräfte hinaus vollzogen, doch zweifeln wir nicht, dass die Bestrebungen der Neider mit dem Wunsch zur Hand sein werden, unser Werk zu tadeln. Deshalb, ruhmreicher, und wenn das Wort verstattet ist, holdester König, beschwören wir Euch ­ nicht aus kühner Verwegenheit, sondern der Not gehorchend ­ dieses kleine Buch nicht eher, zum Spott der Weisen, zu veröffentlichen, als Eure Erfahrenheit wahrgenommen hat, was darin Eurer Frömmigkeit missfällt, und dasjenige mit Nachsicht berichtigt worden ist, was Eurer Weisheit nicht recht erscheint. Denn es gebührt sich, dass derjenige, der (die Abfassung) dieser Schrift angeordnet hat, auch ihr Verbesserer und Verfechter sei, damit das von uns unklug Herausgegebene nicht von Zunge der Missgünstigen zerstochen werde. So habt Ihr denn in diesem Band einen sehr unbeträchtlichen Teil der Taten Eurer Vorfahren, aus denen Ihr lernen könnt, was Euch zu tun und was zu meiden dienlich ist. Der Herrscher des Weltalls, der ihre Herzen aufsuchte, und ihnen vergönnte, das Gute zu erkennen und mit Werken zu erfüllen, gestatte auch Euch, was recht ist, selbst zu wirken und anderen einzuschärfen, das Unrechte aber mit männlicher Kraft zu meiden und den anderen zu untersagen; er verleihe Euch zur Bewältigung der Wut Eurer Feinde gar unüberwindliche Waffen. Möge seine Huld Euch eine starke Gönnerin und stete Begleiterin sein; möge sie in der Lenkung und getreuen Verwaltung der Kirche Euch zum Vorbild und Ideal der Gerechtigkeit machen, auf dass Ihr, zu ihrem kundigen Hüter berufen, von hoher Einsicht, Tätigkeit und Zucht seiet. Der Herr lenke all Eure Wege derart, dass Ihr allen seinen Geboten untadelhaft nachlebt und des Preises himmlischer Berufung teilhaftig werdet, und dort die Krone der Gerechtigkeit und die Gaben der göttlichen Schätze empfanget. Wenn etwas in diesem Büchlein jemandem gefallen sollte, so wird der Ruhm dem gebühren, der es (= seine Abfassung) angeordnet hat.
Hier endet die Vorrede.
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(6) Über die Geburt ihrer Kinder. Der allmächtige Gott aber, der seine Diener nie verlässt sah gnädig auf die frommen Werke König Heinrichs (I.) und der seligsten Mathilde und vervielfältigte ihnen die Auszeichnung edelster Nachkommenschaft. Und die prächtige Leibesfrucht, die in beiderlei Geschlecht gar ansehnlich erstrahlte, wird weder im einzelnen beschrieben, noch völlig verschwiegen. Der herrliche, (noch) vor dem Regierungsantritt geborene Otto (I.), war der älteste (gewesen), ansehnlich von Gestalt, von Sitten trefflich. Heinrich aber, auf dem Königsthron zur Welt gekommen, war an Jahren der jüngere, doch der geringere nicht an innerem Vorzug. Wahrlich so große Schönheit war in ihm, dass er kaum mit irgendeinem Mann seiner Zeit verglichen werden konnte. An Mut und in Kriegstaten war er dem Vater ähnlich; jedoch in allem Erdulden von Widrigkeiten folgte er sorgsam den Spuren seiner ruhmreichen Gebärerin und war deshalb der Heiligen Gottes (= der hl. Mathilde) besonders teuer. Als wäre er ihr einziger (Sohn), so wandte sie alle Liebkosungen auf ihn, gab ihm in ihrer Zuneigung den Platz vor den anderen Kindern und wünschte sehnlich, dass er, wenn denn die Erfüllung ihres Willens Gott gefiele, nach dem Tode des ruhmreichen Königs Heinrich (I.) an die Herrschaft käme. Hieraus entsprang dem Knaben auch des Unglücks Anfang. Deswegen ist der vorzügliche Otto eine Zeit lang gegen den Bruder gereizt gewesen, und auf solche Weise erwuchs zwischen ihnen Hass und nachhaltiger Hader. Bruno (später Erzbischof von Köln) aber, dem Alter nach der jüngste, doch nicht der unterste in der Ehrbarkeit seiner Sitten, der von Kindesbeinen an der Schulzucht überlassen war, beeiferte sich täglich mehr für den Dienst an Gott. (...)
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(9) Über die Wahl König Ottos (I.). Nach dem Verscheiden des ruhmvollen Königs Heinrich (I.) versammelten sich die vornehmsten Fürsten und berieten über die Lage des Reiches. Sehr viele urteilten, dass Heinrich die Regierung erhalten solle, weil er im königlichen Palast geboren sei; andere aber verlangten, dass Otto (I.) die Ehre der höchsten Gewalt besitzen solle, da er älter und von besonnenerem Geiste sei. Genug, durch Fügung der göttlichen Vorsehung ging das Regierungsszepter an Otto über. Hierauf nahm die Entzweiung, die von Kindheit an zwischen den Brüdern herrschte, immer mehr überhand. Unaufhörlich streitend, sprachen sie kein friedliches Wort miteinander. Damals erfuhr der königliche Jüngling Heinrich viel Leid, das wiederum die vielgerühmte Mutter (Mathilde) mit heilsamen und lehrreichen Worten milderte, indem sie ihm fleißig die heilige Schrift in Erinnerung brachte, wo es heißt: "Denn wen Gott liebt, den züchtigt er, und doch findet er an ihm Wohlgefallen wie ein Vater an seinem Sohne." (vgl. Sprüche 3,12) Wir übergehen hier viel von seinen Drangsalen, denn wollten wir alle Einzelheiten entwickeln, würde es dem Erzähler wie dem Leser weitschweifig erscheinen. Jesus Christus aber, der Mittler zwischen Gott und den Menschen, der den Zwist der Brüder nicht länger dulden wollte, stellte endlich um des Verdienstes der heiligen Mutter willen die Eintracht zwischen ihnen her. Darauf setzte König Otto (I.) seinen Bruder Heinrich als Herzog über den Stamm der Bayern ein. (...)
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(20) Über die Prophezeiung der Heiligen Gottes. Ebenso besaß sie (= Königin Mathilde) die Gabe der Weissagung, die durch die wirksame Kraft ihrer Zeichen glänzte. Als einstmals die Herrscherfamilie in Frohse sich versammelte, erschienen auch die königlichen Knaben, die Söhne ihrer Söhne, der junge Otto (II.), Kaiser Ottos (I.) Kind, und Heinrich, der Sohn des Bayernherzogs Heinrich (I.); und wie dieser der verehrungswürdigen Königin (Mathilde) vor ihren anderen Kindern teuer war, so stellte sie auch seinen Sohn Heinrich, ihren kleinen Enkel, in ihrer Zuneigung den anderen Enkeln voran. Als nun die ehrwürdige Mathilde und mit ihr Königin Adelheid beim Mahle am königlichen Tisch saß, standen die Knaben dabei und ergötzten sich an kindlichem Spiel. Da trat Heinrich, welcher der Heiligen Gottes (= Mathilde) der wertere war, näher an den Tisch, blickte sorgsam auf die herrliche Großmutter und legte sich traulich auf ihren Schoß, als wolle er einen Kuss von ihr erheischen. Die verehrte Königin nahm ihn mit Freuden auf, umfing ihn mit den Armen und sagte: "O allmächtiger Herr Gott, Dank und Lob spenden wir deiner Güte, dass du uns diesen jungen Enkel unversehrt erhalten hast, dessen Vater der finstere Tag des Todes hinweggenommen hat. Preis dir, der du diesen Namen unserem Geschlecht nicht rauben mochtest. Wir bitten dich, bewahre uns diesen, solange du uns im irdischen Leben lassen willst, damit er uns den liebenswerten Sohn Heinrich, sei es auch nur durch Namen und Stimme, ersetze." Darauf sprach die ehrenreiche Königin Adelheid: "Wie erfreulich ist dieses Knaben Erscheinung, wie stattlich anzuschauen sein Gesicht! Wo möchte eine Jungfrau zu finden sein, seiner würdig an Gestalt und Geist? Wir haben ein Töchterchen, das Hemma heißt; sie wollen wir ihm bewahren, wenn es Gott und Euch gefällt, auf dass sich dieser wünschenswerte Schwiegersohn mit uns verbinde." Doch die Dienerin Christi schwieg darauf und zögerte lange mit der Antwort. Dann seufzte sie tief und erwiderte diese Worte: "Fern sei, dass durch unsere Schuld euch solches Unglück begegne; denn es ziemt eurer Tochter, sich mit einem glücklicherem Gemahl zu verbinden. Nur damals hatte sein Name Herrlichkeit, als mein Gemahl Heinrich noch am Leben war; er entbehrte nimmer des Mißgeschicks, seitdem er auf seine Nachkommen übergegangen ist. Was soll ich von den Nöten, von den Drangsalen sprechen, die der Vater des Kindes erduldete? Und noch steht es bei der göttlichen Bestimmung, was diesen treffen soll. Wir hoffen jedoch, dass dieser Name unserem Geschlecht nicht verloren gehe, bis dass von diesem Knäblein ein Enkelchen entspringe, das zu königlicher Würde sich erheben mag."
Wer aber möchte zweifeln, dass diese Weissagung der auserwählten Dienerin Christi sich gegenwärtig in dem allerchristlichsten König Heinrich erfüllt habe, der ohne Gewalt und Waffen die hohe Königsmacht übernommen und in ruhmvollem Frieden nunmehr die ehrenreiche Würde innehat.
O preisenswerter König Heinrich (II.), rufe dir unablässig die Prophezeiung der trefflichen Königin ins Gedächtnis und erkenne, dass du solch hochgestellten Thron durch ihre Vermittlung und durch ihr Verdienst erstiegen hast. Der allmächtige Herr Gott, der dich erwählt und ohne Gewalttätigkeit den Gipfel der Ehre dir verliehen hat, er schenke dir seinen reichen Segen, er kröne dich mit der Krone der Gerechtigkeit, er mache dich hold den Guten und den Bösen fürchterlich, auf dass du die Rechtübenden mit milder Güte kräftigst, die Irregehenden aber mit gerechter Strenge schreckst. Der Engel des Herrn schreite dir stets voran, begleite dich und folge dir, und lenke alle deine Handlungen und zermalme unter deinen Füßen sämtliche Widersacher, auf dass du zum frommen (Nutzen) der heiligen Kirche lange Zeit lebest und künftighin ein Leben ohne Ende empfangest. Der Verfasser (auctor) dieser Schrift würde nicht unterlassen, dir, glorreicher König, der ewigen Glückseligkeit und des irdischen Gedeihens mehr zu wünschen, sofern es von den Missgünstigen nicht eher tadelnswerter Schmeichelei als wahrhafter Verehrung zugerechnet würde. Gar vieles Rühmenswerte ist von dir noch zu sagen übrig, doch mag es verschwiegen sein, um die Münder der Missgünstigen zu verschließen.
(Übersetzung: Philipp Jaffé, überarbeitet von Wilhelm Wattenbach, nochmals, überarbeitet von Eike Schmidt)