Siebtes Buch

(Prolog)
Ihn, den die Himmlischen preisen, solln auch wir Knechte verehren,
Wollen ihn, wie sichs gebührt, aus tiefstem Herzen lobpreisen,
Gott, der in drei Gestalten doch eines göttlichen Wesens.
Niemand kann ohne ihn herrschen, denn Gottes Güte gibt alles;
Er ist uns höchstes Gut, alles Übel vermag er zu wenden,
Schenkt uns aus himmlischer Höhe, was jeglichem nutzet und frommet.
Seine Wahrhaftigkeit erwies als Lüge der Schwätzer
Reden, es werde der König Heinrich des Kaisers Würde
Niemals erlangen können, nur schwerlich werde er lange
Herrschen, sondern vielmehr dem grausamen Tode erliegen.
Zweimal sechs Jahre hat er schon jetzt das Königtum inne,
Und nun besteigt der erhabene Herrscher den Thron der Caesaren
Eben im Monat, in dem er damals mein Bistum befreite
Merkt euch den glanzvollen Tag im Kalender mit leuchtendem Zeichen!
Rom hat an ihm sich gebeugt vor unserem gütigen König;
Freudig empfing er die Salbung mit heiligem Öle und dankte
Innig dem gnädigen Herrn, der vom hohen Himmel hernieder
Schaute auf ihn und Frau Kunigunde, die teure Gefährtin.
Auch unser oberster Hirte frohlockt; seine Chöre bejubeln,
Dass unter solchem Gebieter sie sicheren Frieden genießen.
Merseburg, stimme du ebenfalls ein, wie die anderen alle!

1. Es waren seit der Fleischwerdung des Herrn nach einem vollen Jahrtausend 13 Jahre verflossen und vom folgenden zwei Monate und drei Wochen; der König hatte 13 Jahre regiert; da begab sich am Sonntage, dem 14. Februar, der von Gottes Gnaden ruhmwürdige König Heinrich mit seiner geliebten Gemahlin Kunigunde zur Kirche St. Peters, wo ihn der Papst (Benedikt VIII.) erwartete; ihn umgaben zwölf Senatoren, deren sechs nach geheimnisvollem Brauch rasiert, die anderen mit wallendem Bart auf Stäbe gestützt einher schritten. Bevor man ihn einließ, legte ihm der Papst die Frage vor, ob er ein verlässlicher Schirmer und Schützer der römischen Kirche sein wolle, ihm und seinen Nachfolgern in allem getreu; das bejahte er mit demütigem Bekenntnis; daraufhin empfing er samt seiner Gemahlin durch den Papst Salbung und Krone. Seine frühere Krone aber ließ er über dem Altare des Apostelfürsten aufhängen. Am gleichen Tage gab ihm der Papst im Lateran ein glänzendes Festmahl. Acht Tage später jedoch entstand zwischen den Römern und den Unsrigen ein heftiges Handgemenge an der Tiberbrücke, in dem auf beiden Seiten nicht wenige fielen; erst die Nacht trennte sie schließlich. Diesen Kampf hatten drei Brüder herbeigeführt: Hugo, Azzo und Adalbert; sie wurden später festgenommen und in Haft behalten. Einer von ihnen konnte dort im Lande entkommen, der zweite wurde nach Fulda gebracht, der dritte wird schon lange in der Burg Giebichenstein verwahrt.

2. In Rom ließ der Caesar nochmals Beinen Bruder Arnulf, den er schon früher über die Kirche von Ravenna gesetzt hatte, durch den Papst (Benedikt VIII.) inthronisieren und weihen. Dem Usurpator Adalbert, der diesen verdrängt und lange rechtswidrig seinen Stuhl eingenommen hatte, wollte er zunächst seinen Rang nehmen. Doch durch standhafte Bitten frommer Männer ließ er sich schließlich bewegen, ihm die Leitung einer anderen Kirche, nämlich der von Arezzo, zu verleihen. Durch den Spruch einer Synode setzte der Papst in Ravenna zwei und in Rom ebenso viele Bischöfe ab, die der bereits verstorbene Erzbischof Leo geweiht hatte. Die bei den hl. Weihen dort wie bei uns leider lange Zeit außer Acht gelassenen Satzungen der hl. Väter schärfte er unter Androhung der Exkommunikation erneut ein. Das kanonische Recht verbietet nämlich die Weibe eines Diakons vor Vollendung des 25., eines Priesters und Bischofs vor Vollendung des 30. Lebensjahres. Weil wir darauf nicht geachtet haben, sind wir elende Übertreter und der Exkommunikation verfallen. Die Auferstehung des Herrn feierte der Kaiser in der Stadt Pavia, erwies allen Freundlichkeit und gewann dadurch die unbeständige Gesinnung der Lombarden für sich. So stellte er überall die Ruhe wieder her; dann kehrte er aus Italien zurück; voller Freude darüber fiel Arduin sofort über die Stadt Vercelli her, deren Bischof Leo nur mit Mühe entkam. Er konnte die ganze Stadt in Besitz nehmen und sein überhebliches Wesen erneut annehmen. Ich werde später darlegen, wie ihn Gottes Majestät schwer demütigte und zu einem Schuldbekenntnis zwang. In der Lombardei stiftete der Caesar auf gemeinsame Empfehlung und mit Genehmigung aller dortigen Bischöfe als dritte Zier seines frommen Lebenswerkes ein Bistum in der Stadt Bobbio, wo die Leiber der hl. Verehrer Christi und berühmten Bekenner Columba und Attala ruhen; dringender Bedarf und ­ was noch wichtiger ist ­Liebe zu Christus veranlasste ihn dazu. Dann brachte er die schwierige Reise über die Alpen aufs glücklichste und ruhmvollste hinter sich und betrat wieder unser freundliches Land; zu unserer Art stimmen Klima und Menschenschlag jenes Landes nicht. Viel Hinterlist herrscht leider im Römerlande und der Lombardei. Allen, die dorthin kommen, schlägt nur wenig Zuneigung entgegen. Jeder Bedarf der Gäste muss dort bezahlt werden, man wird noch dazu betrogen, und viele kommen dort durch Gift um.

3. Am 28. April des gleichen Jahres starb Graf Karl, ein Sohn des Markgrafen Rikdag; zu Unrecht hatte er vordem durch die unverschämten Verleumdungen seiner Ankläger ohne eigene Schuld sein gesamtes Lehen verloren, die ihm angetane Schmach aber mit Gleichmut ertragen.
Am gleichen Tage verschied meine Base Mathilde, die lange in Gernrode bei ihrer Verwandten, der Frau Äbtissin Hathui, gelebt hatte. Diese ehrwürdigste Dame beweinte ihren Tod in untröstlichem Schmerz; hatte sie doch immer gehofft, sie werde ihr einmal nachfolgen; nun folgte sie selbst ihr. schon am nächsten 4. Juli. Einiges aus ihrem preiswürdigen Leben will ich kurz erwähnen. Sie war die erlauchte Nichte der Königin Mathilde, hatte in ihrem 13. Lebensjahre Siegfried, den Sohn des Markgrafen Gero geheiratet, blieb aber nur 7 Jahre mit ihm verbunden. Nach seinem Tode nahm sie aus Liebe zu Gott und zum Heil für ihren armen Gemahl von Bischof Bernhard den hl. Schleier und bald auch, wie bereits berichtet, die Weihe; 55 Jahre lang hatte sie ihr Amt standhaft im Dienste Christi inne wie Hanna, mildtätig wie die Witwe von Sarepta, keusch und enthaltsam wie Judith, und sie schmückte die ihr anvertraute Kirche mit vielerlei Zierat. Ihren Tod kündigten folgende Zeichen an: Der Teich an der Ostseite des Ortes sah bis Mittag blutig aus und wandelte sich dann in grün. Viele meinen, nur um ihrer Verdienste willen habe ihr meine Base mit der Palme der Jungfräulichkeit voraufgehen dürfen. Bestattet wurde diese treffliche Braut Christi durch Bischof Bernhard von Oldenburg nicht am erbetenen Orte, sondern wo es ihr trauernder Konvent wünschte, mitten in der Kirche vor dem Heiligenkreuzaltare; hier gab später um ihrer edlen Verdienste willen der allmächtige Gott einem kranken Manne, der lange auf Krücken gegangen war, leichten Gang wieder.

4. Nach seinem Alpenübergang zog der Kaiser, seines Königsamtes waltend, durch die benachbarten Gebiete und feierte das Geburtsfest des Herrn in Pöhlde. Dann ging er nach Merseburg, unterrichtete seine Getreuen davon, wie es mit Boleslaws (Chrobry) Treue und Unterstützung bestellt war, und forderte sie auf, ihn in dieser Angelegenheit einmütig zu Rechtfertigung oder Sühne vorzuladen.
Währenddessen zog mein Vetter, Graf Werner, jugendlich unbedacht und durch weibliche Ränke veranlasst, am Sonntage mit wenigen Begleitern nach der Burg Beichlingen, überlistete die Wachen und suchte die früher von ihm umworbene Burgherrin Reinhild gegen ihren Willen zu rauben. Sie hatte nämlich früher dem Kaiser das feste Versprechen gegeben, ohne sein Wissen und Wollen werde sie sich keinem Manne vermählen. Und so ließ sie sich nur unter Weinen und Klagen entführen. Als das ihre Hörigen und Vasallen hörten, eilten sie gewaffnet herbei, und Vulrad, einer von ihnen, erhielt eine schwere Wunde. Nun wollte aber eine ihrer Mägde gleichfalls mitgenommen werden, und als der edle Alwin sie auf Befehl seines Herrn aufnehmen wollte, wurde er umringt und musste meinen Vetter, der schon wieder draußen war, zu Hilfe rufen. Leider erhielt er den Todesstoß, bevor er Unterstützung erhalten konnte, und als sein Herr endlich kam, wurde er in der Burg eingeschlossen und von einem Knechte verwundet. Er konnte ihn wohl gleich mit der Lanze durchbohren, an die Wand spießen und die übrigen dadurch abschrecken, sich näher an ihn heranzuwagen. Als er aber merkte, dass die Seinen mit der Frau schon längst draußen waren, er jedoch keine Gelegenheit mehr habe zu entkommen, opferte er plötzlich sein Pferd, sprang von der Mauer herab und erreichte seine bekümmerten Gefährten, wenn auch von Steinwürfen hart mitgenommen. Sie brachten ihn in das Haus eines kaiserlichen Meiers nach Wiehe, wo sie ihn mit wenigen Leuten zurückließen. Dann führten sie in aller Eile die Dame fort und bargen sich mit ihr bald hier, bald dort, während sie in ständiger Sorge auf das Kommen ihres Herrn warteten.

5. Doch der ungerechte Verwalter verriet seinen kranken Gast sogleich an den Kaiser, und zwar zu dessen großer Freude. Er wollte nämlich zum abschreckenden Beispiel für andere den in seine Gewalt Geratenen entweder hinrichten oder sich für eine außerordentliche Summe loskaufen lassen. Es war bereits Nacht, als die vom Kaiser entsandten Grafen Bernhard, Gunzelin und Wilhelm mit ihren Mannen an seinem Krankenlager eintrafen. Werner, dem seine Leute ihr Kommen angezeigt hatten, begrüßte nur seinen Freund Wilhelm; den beiden anderen erklärte er: Könnte er sein Schwert brauchen, so wäre er nicht lebend in ihre Hände gefallen. Beim Verbinden seiner Wunde erkannte Wilhelm, dass er ihn unmöglich befehlsgemäß nach Merseburg bringen könne; er ließ ihn daher durch seine Leute nur in das Nachbardorf Allerstedt schaffen und dort in einem festen Steinhause bewachen, während er selbst mit den Seinen zum Kaiser zurückkehrte.

6. Am gleichen Tage wurden wir vor den Caesar berufen, der sich tief bekümmert über die Frechheit beklagte, mit der mein Vetter (Werner) sein Gelübde zunichte gemacht habe. Denn als seinerzeit Bruno von seinem Feinde Milo im eigenen Hause erschlagen worden war, wo doch jeder Frieden haben soll, und als alle Eingesessenen dem Kaiser bekümmert davon Mitteilung machten und ihn dringend baten, er möge wie seine Vorgänger solchen Verbrechern Besitz und Wohnrecht absprechen und dafür seinerseits eine eidliche Bestätigung befehlen, da habe er mit erhobenen Händen dem allmächtigen Gott und allen Anwesenden das Versprechen gegeben, so wolle er es zeitlebens halten. Nun wüssten wir ja, es sei weit besser, Gott etwas Gutes gar nicht zu geloben, als ein Gelübde später zu brechen; daher sollten wir den bitten, dem er solches versprochen habe, er möge ihn durch eine angemessene Buße belehren, falls er sein Gelübde aus menschlicher Schwäche oder auf schlechten Rat hin gebrochen habe. Nach dieser bedauernden Erklärung des Kaisers empfahlen sämtliche Großen, er möge alle Güter Werners beschlagnahmen, Herausgabe der Frau verlangen und die Urheber dieses Anschlages entweder gefangen vorführen oder im Falle ihres Entrinnens bis auf den Tod verfolgen lassen. Der Graf selbst aber solle nach seiner Genesung hingerichtet werden, wenn er schuldig sei. Sei jedoch alles im Einverständnis mit der Dame geschehen, so möge er sich am besten mit ihr vermählen. Zur Durchführung dieses Beschlusses wurde gleich mein Bruder, Graf Heinrich (von Walbeck), abgesandt und die Aufforderung erlassen, man solle sich zu Allstedt zur öffentlichen Verhandlung einfinden. Er war schon unterwegs, als die Grafen zurückkehrten und dem Caesar das Geschehene meldeten.

7. Am folgenden Tage, dem Feste des hl. Martin, verstarb Werner, nachdem er bis dahin geduldig alles Ungemach auf sich genommen hatte; er hinterließ seinen Feinden keinen Gewinn, den Seinen aber unersetzlichen Verlust. Der König war bekümmert darüber, und sein Feind Dietrich vergoss Tränen. Als ich die Nachricht erhielt, erwirkte ich meinem Vetter Dietrich Urlaub und ließ die Leiche meines Freundes durch meine Vasallen von Memleben ­ hier stand damals eine Abtei, deren trefflicher Vorsteher Reinhold in menschlicher Verpflichtung alle Vorsorge getroffen hatte ­ nach Helfta bringen, wo ich sie erwartete. Da die Leiche schon sehr stark roch, ließ ich sogleich die Eingeweide herausnehmen und neben meiner Kirche bestatten; dann geleitete ich den Leib bis Walbeck, wo ich ihn an der linken Seite seiner geliebten Gemahlin bestattete. ­ 14 Tage später, am 26. November, verstarb Frau Schwanhild, seine Schwiegermutter, eines plötzlichen Todes.

8. Inzwischen hielt der Caesar zu Allstedt öffentlich Gericht, wobei er nach der Versicherung von Augenzeugen meinen Freunden keine Gerechtigkeit widerfahren ließ. Der Caesar wollte nämlich die Insel Parey (in der Elbe, westlich von Genthin) durch ungerechte Richter dem Grafen Bernhard zusprechen lassen, weil dieser zuvor für Werner den Tod gewünscht hatte. Graf Wichmann konnte es verhindern und erklärte es für Unrecht. Auch murrte alles Volk, und heimlich hieß es, der Gesalbte des Herrn tue Sünde. ­ Dort sahen viele mitten am Tage einen Stern. ­ Acht Tage nach dem Feste des hl. Andreas verstarb in Christus der Priester Rigmann, der seine Kirche 85 Jahre lang geleitet hatte. ­ Von dort zog er weiter, feierte in Pöhlde das Geburtsfest des Herrn (25. Dezember 1014) und kam am Mittwoch vor Ostern (6.April 1015) nach Merseburg. Am Tage des Herrenmahls weihte ich Unwürdiger in seiner Gegenwart das hl. Öl. Am Tage vor der hl. Auferstehung, der damals auf den 9. April fiel, starb Abt Redbald von Werden. An seine Stelle wurde der dortige Propst Heidenreich gewählt. Am hl. Tage selbst sang Erzbischof Gero (Magdeburg) die Messe. Währenddessen erschien Herzog Ulrich von Böhmen, und wir verbrachten die Feiertage sehr frohgemut.

9. Indessen hatte Markgraf Hermann das Osterfest bei seinem Schwiegervater (Boleslaw Chrobry)verbracht und erschien, als er sich endlich freigemacht hatte, mit dessen Abgesandten Stoignew vor dem Kaiser, der lange auf ihn gewartet hatte. Diesen an ständige Lügen gewohnten Beauftragten hatte sein unbeständiger Herr früher zum Kaiser in den Westen geschickt, mehr um Unruhe zu schaffen als Frieden, wie er vorgab. Der Kaiser hatte ihn und sein Gefolge zunächst seinen Getreuen überwiesen. Voller Erbarmen empfing er seine barfuss um Huld flehenden Schwäger, und dazu erst ließ er jenen Windbeutel erscheinen, damit er es mit eigenen Augen sehe, und erteilte seinem Herrn öffentlich Bescheid. Da jedoch sein Bericht zu Hause anders lautete, als ihm der Caesar aufgetragen hatte, war er auf Befehl des unseligen Herzogs mit dem Grafen, der einen Friedensschluss herbeiführen wollte, zurückgeschickt worden und wurde nun vor dem Kaiser und seinen Fürsten als Lügner und Unruhestifter entlarvt. Boleslaw wurde erneut vom Caesar vorgeladen, um sich zu rechtfertigen und für seinen Ungehorsam Sühne zu leisten, weigerte sich aber, vor ihm zu erscheinen; er verlangte vielmehr, seine Angelegenheit müsse vor die Fürsten kommen.


10. Du musst beachten, lieber Leser, wie viel Güte ihm (= Boleslaw Chrobry) der Kaiser zuvor erwiesen hatte: Der in 1000 Ränken erfahrene Herzog hatte seinen Sohn Mieszko (II.) zum Böhmenfürsten Ulrich gesandt; eingedenk ihrer Blutsverwandtschaft sollten sie Frieden schließen und gemeinsam allen ihren Feinden, besonders aber dem Caesar, entgegentreten. Ulrich aber erfuhr durch Vertrauensleute, dass der ganze Plan auf sein Verderben abziele; er ließ ihn also festnehmen, tötete die vornehmsten Männer seines Gefolges, brachte die übrigen samt ihrem gefangenen Herrn nach Böhmen und warf sie in den Kerker. Als der Kaiser davon erfuhr, entsandte er meinen Vetter Dietrich dorthin; er möge ihm seinen Lehnsmann ausliefern; wenn ihm etwas an seiner Huld liege, dürfe er ihn auf keinen Fall umbringen. Darauf soll er ihm folgende Antwort erteilt haben: "Es ist mir ein dringendes Bedürfnis, meines Herrn Befehle in allem befolgen zu können und zu wollen. Vor kurzem hat nun der allmächtige Gott mich Unwürdigen dem Rachen des Löwen entrissen und sein Junges, das zu meinem Verderben ausgeschickt war, in meine Hand gegeben. Lasse ich ihn frei ziehen, so werden Vater und Sohn mit Sicherheit immer meine Feinde sein. Halte ich ihn dagegen fest, so hoffe ich, durch ihn einigen Vorteil erlangen zu können. Aus alledem mag mein Herr erkennen, was ihm recht ist und mir irgendwie zum Vorteil gereicht; dann werde ich es in Ergebenheit voll ausführen."

11. Als jedoch Dietrich mit dieser Botschaft heimkehrte, wurde sofort ein anderer zurückgeschickt, der Mieszkos (II.) Auslieferung erbitten und dringend befehlen sollte; auch sollte er versprechen, von Seiten des Caesars werde all seiner Besorgnis abgeholfen und ein fester Friede abgeschlossen werden. Da musste Ulrich (von Böhmen) seinen Gefangenen herausgeben, ob er wollte oder nicht, und er beschwichtigte dadurch den Kaiser sehr. Boleslaw (Chrobry) aber war über die Befreiung seines Sohnes außerordentlich erleichtert, ließ durch Gesandte dem Caesar angemessenen Dank aussprechen und stellte das Ansuchen, er möge ihn zurücksenden, ihm zur Anerkennung, seinen Feinden zum Ärger, und er selbst dürfe für beides in Zukunft eine echte Gegenleistung erwarten. Der Kaiser ließ ihm erwidern, im Augenblick sei das nicht möglich, versprach aber, wenn er nach Merseburg kommen wolle, werde er ihn auf gemeinsame Empfehlung seiner Fürsten zufrieden stellen. Diesen Bescheid vermerkte Boleslaw übel und versuchte stillschweigend immer wieder durch Gesandtschaften, den Sohn zurückzubekommen.

12. Nach seiner Ankunft an dem anberaumten Orte beriet der Caesar mit allen Fürsten, was er in dieser Angelegenheit unternehmen solle. Erzbischof Gero (von Magdeburg) ergriff als erster von ihnen das Wort: "Als es Zeit war und in Ehren geschehen konnte, habt ihr nicht auf meinen Rat gehört. Jetzt ist Boleslaw (Chrobry) wegen der langen Zurückhaltung und Haft seines Sohnes ergrimmt auf euch, und ich fürchte: Schickt ihr ihn ohne Geiseln oder andere Sicherungen zurück, so werdet ihr in Zukunft von beiden treue Dienste nicht zu erwarten haben." Diesen Worten schloss sich eine große Zahl der Anwesenden an, und auch gekaufte Leute klagten darüber, dass hier schwerlich noch große Ehre zu gewinnen sei. Doch Geld siegte über guten Rat, und um Boleslaw recht zu Gefallen zu sein, übernahmen sie den Mieszko (II.) mit allem, was die Polen bei sich gehabt hatten, vom Caesar und führten ihn zurück; sie erhielten ihren versprochenen Lohn und mahnten Boleslaw und seinen Sohn, sie möchten eingedenk Christi und ihres Gott geleisteten Eides dem Caesar weiter keinen Abbruch tun und keine Hintergehung seiner Freunde zulassen. Dieser freundlichen Aufforderung erteilten beide in schmeichelndem Flötentone gleich eine Antwort, die ihren späteren Taten keineswegs entsprach. Denn obwohl sie wenig oder gar keine Treue kennen, schrieben sie uns die Schuld daran zu, dass er erst so spät vom Caesar und den Unsrigen entlassen worden war, obwohl er zu unseren Vasallen gehörte.

13. Das lag ihnen (Boleslaw Chrobry und seinem Sohn Mieszko II.) ständig im Sinn, und deshalb erklärten sie, nicht vor dem Kaiser erscheinen zu können. Und wahrhaftig, auch das Evangelium bezeugt es: Wer seinen vertrauten Freund verlassen will, sucht nach einer Ausrede. Das wusste auch der Kaiser, als er uns verließ; die bevorstehenden Bettage brachte er in Kaufungen zu, wohin er seinen Hof aus der Burg Kassel verlegte. Dort vertraute er ferner auf den Rat seines Erzbischofs Heribert (von Köln) dem Heidenreich das erwähnte Amt an. Inzwischen wurde in Gegenwart von Erzbischof Gero (von Magdeburg) mit dem Bau unserer Kirche (= der Merseburger) begonnen. Ich selbst legte am 18. Mai in Form des hl. Kreuzes die Grundsteine. Nachdem dort die dringlichen Geschäfte erledigt waren, kam der Kaiser am Tage vor Pfingsten nach Imbshausen, wo er mit Bischof Meinwerk (von Paderborn) diese hl. Festfeier beging. Hier wurde Abt Walh von Corvey abgesetzt, dem schon vorher die Ausübung seines Amtes untersagt worden war, und Druthmer, ein Mönch des Klosters Lorsch, ohne Einverständnis der dortigen Brüder ernannt. Als er in der gleichen Woche an seinem Amtssitz eintraf, zog der ganze Konvent bis auf 9 Brüder weinend aus und verließ, wie Abt Liudolf vorhergesagt hatte, unfreiwillig die fast verödete Stätte.

14. In diesen Festtagen wurde leider der erlauchte Herzog Ernst (I.) von Schwaben, der Nachfolger Hermanns (III.) des Knaben, von einem seiner Ritter mehr aus Versehen als aus Vorsatz verwundet, als er rechtswidrig in einem Forst jagte; der hatte mit seinem Pfeile eine Hirschkuh schießen wollen. Als er nun merkte, dass ihm der Tod nahe war, rief er seine Begleiter und bat um Schonung für den Schuldigen. Und weil kein Priester in der Nähe war, dem er seine Sünden hätte beichten können, hieß er statt dessen einen seiner Ritter herantreten. Als er ihn neben sich stehen sah, sprach er: "Kommt alle heran, vernehmt mit dem Ohre eures Herzens die Taten eures sterblichen und sündigen Mitmenschen und helft mir in Eintracht, sie zu sühnen! Bitte empfehlt auch allen abwesenden Gläubigen meine sündige Seele und ermahnt meine Frau (Gisela, ihre Ehre zu wahren und meiner nicht zu vergessen!" Mit solchen Worten eröffnete er allen Anwesenden, worin er sich seines Erinnerns jemals versündigt hatte; gleich darauf schied er, es war der 31. Mai (1015), von diesem Lichte; nach seinem eigenen Wunsche wurde er in Würzburg neben Markgraf Leopold, seinem Vater, bestattet. Die Seele des jungen Mannes hat wohl, so hoffe ich, ewiges Heil; denn wie er selbst zu Lebzeiten bekannte, war es ihm lieber, hier vor vielen schamrot zu werden, als Heimlichkeiten vor dem allmächtigen Gotte zu haben. Nehmt euch an ihm ein Beispiel, Brüder in Christus, entdeckt dem himmlischen Arzt die in eurem Innern verborgene Krankheit, verachtet niemals seine heilende Arznei, und wer immer auch bei unserem Ende unser Beichtiger sein mag, kein Sünder zögere mit dem reuigen Bekenntnis, damit er im Himmel gnädig Vergebung finde.

15. Zum erwähnten Pfingstfeste in Imbshausen kam auch ein Bauer aus dem Westen mit einer neuen Botschaft für den Kaiser, die er nur ihm allein überbringen wollte; er trug noch den Stock, mit dem er sein Vieh vor dem Pfluge angetrieben hatte, als er durch eine Taube vom Himmel einen Befehl erhielt. Er war ein so langer Mensch, dass alle, die ihn sahen, ganz verwundert waren. Bei der Heimkehr aber sagte er allen, die ihn fragten, auf Befehl des Caesars werde er nach dem Feldzuge nach Aachen kommen und dort von ihm Bescheid erhalten. Weil aber der Kaiser diese und zahllose andere Warnungen immer wieder missachtete, musste er die Strafe hinnehmen.

16. Zum nahe bevorstehenden Geburtsfest St. Johannes des Täufers kam der Caesar nach Goslar, wo er Ernsts (I.) Herzogtum seiner Base (Gisela) und ihrem Sohne (Ernst II.) verlieh. Dann zog er nach Magdeburg und bat Christi Ritter Mauritius demütig um Beistand zur Überwindung seines hartnäckigen Feindes Boleslaw (Chrobry). Von hier rückte er mit den aufgebotenen Truppen nach Schlenzfurt und fügte der dortigen Bevölkerung und ihrem Markgrafen Gero (II.) schweren Schaden zu. Wir versammelten uns am 8. Juli, und statt des pflichtmäßigen Schutzes der Bevölkerung kam es zu schweren Brandschatzungen. Als die Unsrigen die Elbe überschritten hatten, begab ich mich im Gefolge der Kaiserin (Kunigunde) nach Merseburg, um hier die Rückkehr des Caesars abzuwarten. Die Unsrigen aber wurden beim Erreichen des Lausitzgaus durch einen Ausfall der Burgbesatzung von Zützen herausgefordert. Das nahmen sie an, erschlugen eine große Menge von ihnen und brachten Erich, mit dem Beinamen der Stolze, der wegen eines Mordes aus unserem Lande dahin geflohen war, gefesselt als Gefangenen vor den Caesar.

17. Dann zog der Kaiser bis nach Krossen an der Oder, wo Mieszko (II.) mit seinen Scharen lag, und sandte die Vornehmsten seines Heeres zu ihm; sie sollten ihn an sein Treuegelübde erinnern und ihn einmütig bitten, er möge nicht zulassen, dass sie um seinetwillen durch den Kaiser ihre Güter verlören, da er dem durch seine Unterwerfung habe zuvorkommen wollen. So lautete seine Antwort: "Ich gebe zu, dass ich durch des Caesars Huld aus der Gewalt meines Feindes befreit wurde und euch Treue gelobt habe. Gern würde ich sie in allem halten, wenn ich frei wäre. Ihr wisst aber selbst, dass ich jetzt meinem Vater (Boleslaw Chrobry) untertan bin; der will es nun nicht, und seine hier versammelten Ritter würden es nicht erlauben; deshalb muss ich es leider lassen. Ich werde mein von euch angegriffenes Land bis zur Ankunft meines Vaters nach Möglichkeit verteidigen; dann will ich ihn für die Huld des Caesars und die Freundschaft mit euch zu gewinnen suchen." Mit diesem Bescheid kehrten die Unsrigen zurück, um dem Kaiser die Antwort zu überbringen. ­ Währenddessen ging Herzog Bernhard (II. von Sachsen) mit seinem Anhang, mit Bischöfen, Grafen und einer heidnischen Liutizenschar von Norden gegen Boleslaw vor und traf an der überall befestigten Oder auf ihn.

(Übersetzung: Werner Trillmich)