Humbert von Silva Candida, Adversus simonicos (Gegen die Simonisten)

Buch 3
(...)
15. Wie große Geißeln die Fürsten mitsamt ihren Völkern bedrängen, weil sie sich das priesterliche Amt anmaßen.
Die christlichen Fürsten sollen ihre Aufmerksamkeit richten auf das, was notwendig ist, und aufhören, sich irgendetwas des priesterlichen Amtes anzumaßen, damit sie nicht die Verwirrung ­ und zwar nicht etwa nur einfache, sondern doppelte ­ wie einen Mantel (der doppelt um den Leib geschlungen wird) anlegen (diplois). Gott nämlich, der Herr der Rache, der starke und eifernde Gott der Rache, pflegt so großes Unrecht nicht ungerächt zu übergehen, sondern entweder in der Gegenwart oder in der Zukunft oder gar in beidem (= in Gegenwart und Zukunft) zu rächen. Daher sollen sie ihre Aufmerksamkeit richten auf äußere Kriege, innere Unruhen, Volk gegen Volk, Reich gegen Reich, gewaltige Erdbeben überall, Schrecken vom Himmel und Unwetter, Seuchen und Hungersnöte, die ohne Unterlass die Christen bedrängen, und vor all diesen Dingen, oder doch wenigstens, nachdem sie von so vielen Geißeln gezüchtigt worden sind, sollen sie endlich erkennen, dass sie Hand gelegt haben an die Apostel und Diener Gottes, damit sie nicht nach den Geißeln dem ewigen Tod anheimfallen. Außerdem sollen sie ihre Aufmerksamkeit auf Folgendes richten: Obwohl im Reich der Franken das Königtum erblich ist, wird seit mehr als hundert Jahren von keinem König mehr berichtet, dass er in seinen Nachkommen gar bis in die vierte Generation geherrscht habe. Denn (selbst) die Ottonen, die sich mehr als alle anderen Könige das priesterliche Amt angemaßt haben, erreichten kaum die dritte (Generation), der erste Heinrich nach ihnen aber keine einzige. Dass sich derlei auch in anderen Königreichen und Fürstentümern ereignet hat, wird ein jeder, der Nachforschungen anstellt, herausfinden können. Dennoch glauben Fürsten dieses Schlages von außerordentlicher Blindheit (geschlagen), sie würden Gott einen Dienst erweisen, wenn sie aus Geldern und Gütern, die sie auf diese Weise erworben haben, neue Kirchen und andere fromme Orte errichten, obwohl es ihnen nicht nur nichts nützt, sondern sogar auf das Höchste schadet, wie es in den Worten des heiligen Gregor oben hinreichend dargelegt ist. Und in der Tat, was nutzt es den Fürsten, tausend Kirchen zu zerstören und eine zu errichten nach dem Vorbild jener Fürsten, die wir oben genannt haben, die aus dem, was sie vielen Kirchen und vor allem den Provinzen des elenden Italien geraubt hatten, zwei Bistümer (Magdeburg durch Otto I. und Bamberg durch Heinrich II.) errichtet haben, um so nach dem Urteil der Menschen Beifall zu erlangen, obwohl sie das Urteil Gottes tadelt; und als ob sie etwas Großes täten, übertrugen sie sie nur dem Namen nach dem Recht des apostolischen Stuhls, während sie sich selbst und ihren Nachfolgern doch jegliche Herrschaft darüber vorbehielten. Zweifelsohne täuschen diese und ihre sämtlichen anderen Nachahmer oder sie werden getäuscht, wenn sie glauben, es könnten dem Apostelfürsten entgegen seinem Urteil über den Magier Simon solche Übertragungen und Geldgeschenke inzwischen gefallen, gleichsam als ob er sein früheres Urteil bereut habe. Und warum bedenken sie nicht, dass es nicht ihre Aufgabe ist, Kirchen Gottes zu schaffen, sondern die bestehenden zu verteidigen? Zu diesem Zweck nämlich empfangen sie von den Priestern Christi das Schwert, zu diesem Zweck werden sie gesalbt, damit sie für die Verteidigung der Kirchen Gottes streiten und, wo immer es nötig ist, kämpfen, nicht, damit sie Kirchen einrichten und sie oder irgendetwas von ihnen heiligen oder sich anmaßen. Wenn aber irgendwo Ställe für die geistigen Schafe gebaut werden müssen, sollen sie deren Hirten ergebene und eifrige Helfer sein, so dass sie nicht von der Milch und Wolle anderer Schafe errichtet werden, sondern nur von der Milch und Wolle derjenigen, die es angeht: "Wer nämlich", so sagt der Weise (Sir. 21,9), "sein Haus auf fremde Kosten baut, ist so wie derjenige, der seine Steine im Winter sammelt." (Einheitsübersetzung: "Baut einer sein Haus mit fremdem Geld, sammelt er Steine für einen Schutthaufen."; Luther: "Wer sein Haus baut mit fremdem Hab und Gut, der sammelt Steine für sein Grab.") Und fürwahr wie viel wiegt es vor Gott und den Menschen gesunden Verstandes, wenn irgendeiner allein um des Almosengebens willen einen Reichen oder einen Geringen beraubt oder irgendeinen Menschen tötet, um einen Nackten zu bekleiden oder einen Todgeweihten am Leben zu erhalten? Und um wie viel mehr zu loben wäre er, wenn er die Elenden vernachlässigte, als dass er sich ihrer auf solche Weise erbarmte? Daher sollen die weltlich Mächtigen, damit sie nicht mächtig Qualen erleiden (Weish. 6,7), neben den anderen kirchlichen Sakramenten es vermeiden, Geistliche mit Ring und Stab auszuzeichnen und wissen, dass die nicht ihres Amtes, sondern Aufgabe der Priester ist. Selbige nämlich bringen wie die Hausknechte im Gleichnis des Evangeliums (Luk. 15,22f.) auf Befehl des Vaters dem heimkehrenden verlorenen Sohn zuerst den Mantel, d.h. sie unterweisen ihn im Glauben; selbige legen ihm den Mantel an, d.h. sie taufen ihn; selbige geben das Schuhwerk der Nachahmung der früheren Väter an seine Füße; um so mehr geben sie den Ring der Verkündigung (praedicationis) und der kirchlichen Vermählung (ecclesiasticae desponsationis) in seine Hand. Denen es nämlich nicht zukommt zu taufen und zu verkündigen, kommt es umso weniger zu, den Ring zu geben, durch den in besonderer Weise das Amt der Verkündigung und der Lehre (praedicatio et magisterium) den Leitern der Kirche anvertraut wird, deren Aufgabe es auch ist, das Mastkalb herbeizubringen und zu schlachten, d.h. die Sakramente des Leibes und Blutes Christi seiner zum Festmahl kommenden Familie zu bereiten. Wenn aber die Fürsten der Welt für den Lohn ihrer Seelen durch die Verteidigung und Sorge für kirchliche Personen und Mittel sorgen wollen, so sollen sie helfen, für die Priester priesterliche Stellen, Behausungen und Aufwendungen zu bewahren, wo auch immer der kirchliche Zustand für unversehrt befunden wird, nach dem Vorbild des heiligsten Königs David, der darauf bestand, dass durch priesterliche Ämter das Priestertum damals unversehrt nach angemessenen und geschuldeten Diensten für den Herrn geordnet wurde, und der aus der Kriegsbeute von den Feinden des Herrn und Mitteln, die ihm rechtlich gehörten, seinem Sohn Salomon die Aufwendungen bereitstellte, um dem Herrn einen Tempel zu errichten, wie es das Ende des ersten Buches der Paralipomena (= Bücher der Chronik im Alten Testament) recht bündig zeigt.
(Übersetzung: Klaus van Eickels / Eike Schmidt)