Abt Odilo von Cluny, Brief an Heinrich II.

Ende des 10. Jahrhunderts war das burgundische Kloster Cluny das herausragendste Reformkloster seiner Zeit mit großer Strahlkraft. Es war 910 von Herzog Wilhelm von Aquitanien gestiftet worden, der ­ durchaus ungewöhnlich ­ auf jegliche Gewalt über das Kloster verzichtete und es dem Papst unterstellte. Cluny entwickelte sich sehr schnell zu einem Zentrum, das vehement für die kirchliche libertas eintrat. Der Einfluss der Laien sollte eingeschränkt bzw. ausgeschaltet werden, die Äbte wollte man ohne Druck von außen wählen, um sich der eigentlichen Aufgabe, dem Gebet, widmen zu können. Das Konzept traf die Bedürfnisse der adligen Stifter. Herzog Wilhelm fand viele Nachahmer, die wie er meinten, dass das Gebet für ihr Seelenheil in einer solchen Institution, die nicht von ihren Erben drangsaliert werden konnte, gut aufgehoben sei, und baten den Konvent von Cluny um Unterstützung bei Neugründungen oder Reformen. Da das burgundische Kloster vom Papst die Berechtigung erhalten hatte, die reformwilligen Klöster Cluny zu unterstellen, breitete sich die neue Idee rasch aus.
Heinrich II. war bereits als Herzog von Bayern bestrebt, die Klöster, die unter seiner Verfügungsgewalt standen, zu reformieren, d. h. sie zu einem ordnungsgemäßen Leben nach der Regula Benedicti zurück zu führen. Zwar erkannte er die von Cluny vertretenen Werte an, jedoch bevorzugte er eine andere Reformrichtung. Diese ging vom Kloster Gorze aus. Auch hier wollte man die monastischen Gemeinschaften wieder zu einem gottgefälligen Lebenswandel zurückführen. Da Gorze jedoch ein Eigenkloster des Bischofs von Metz war und blieb, wehrte man sich nicht generell gegen die Einflussnahme des Eigenklosterherrn, der auch weiterhin bestimmte, wer Abt wurde. Diese Grundeinstellung kam Heinrich II. sehr entgegen, da er nur ungern auf die Möglichkeit der Indienstnahme der Klöster innerhalb seines Herrschaftsbereiches verzichten wollte. Dennoch stand er dem Kloster Cluny nicht ablehnend gegenüber, wie man vielleicht vermuten könnte. Im Gegenteil, er pflegte ein gutes Verhältnis zu Odilo, einem der großen Äbte, die Cluny fast zwei Jahrhunderte hindurch erfolgreich führten. Dies bestätigt auch der vorliegende Brief, der an Heinrich II. gerichtet ist.
Ursprünglich hielt man Kaiser Heinrich III. für den Empfänger. Die lange Amtszeit Odilos von 994 bis 1049 erschwert die Zuordnung, da ein Teil der Angaben sowohl auf Heinrich II. als auch auf Heinrich III. zu passen scheint: der Name Heinrich, ein Aufenthalt in Pavia und die Schädigung der dortigen Kirche S. Syrus sowie Erläuterungen zu Fragen im Umgang mit Juden. Der letzte Punkt wird allerdings so allgemein behandelt, dass er überhaupt keiner konkreten Situation in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts zugeordnet werden kann. Da die übrigen Aspekte problemlos zu Ereignissen der Regierungszeit Heinrichs II. passen, für Heinrich III. dagegen ein Aufenthalt in Pavia zwar vermutet, aber nicht nachgewiesen werden kann, darf man wohl davon ausgehen, dass Odilo den Brief tatsächlich für Heinrich II. verfasste.
(Tania Brüsch)

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