Dies ist die Anordnung des ehrwürdigen Herzogs Heinrich und aller Großen, sowohl der Bischöfe als auch der Grafen.
1. Wenn ein Höriger (servus) oder eine Hörige (ancilla) entlaufen ist (fugitivus abscesserit) und sein/ihr eigener Herr ihn/sie später bei irgendjemandem gefunden hat: Wenn jener, bei dem er/sie sich zu Unrecht aufhält, ihn/sie nicht seinem/ihrem eigenen Herrn zurückgeben will, dann soll der Herr des Hörigen mit Eid allein bekräftigen, dass er sein Höriger ist; jener aber, bei dem der flüchtige Hörige gefunden wurde, soll dagegen mit Eid beweisen, dass er den Hörigen weder durch Diebstahl noch durch Betrug bei sich zurückhält und er ihn auch nicht aufgrund irgendeiner ihm bewussten Feindseligkeit zur Strenge des Eides zwingt, und den Hörigen ohne irgendeine Verzögerung dem Herrn zurückgeben.
Wenn er aber unter dem Schutz seiner Herrschaft (potestas) stehend später entläuft, soll er das Wergeld (eigentl.: die Buße, compositio) dieses Hörigen dem Herrn erlegen.
2. Jeder, der diesen Anordnungen nicht Folge leisten will, soll, wenn er Vogt (advocatus) des Herzogs oder eines Bischofs oder irgendeines Herrn ist, nicht nur seiner Würde, sondern auch seines Amtes (beneficium) enthoben sein, bis die Sache in Gegenwart des Herzogs verhandelt wird.
Wenn aber der Verwalter (praepositus) irgendeines Herrn als dieser Sache schuldig erkannt wird, soll er entweder der Strafe von vierzig Schlägen unterliegen oder er kauft sich um den Preis von einem Pfund von seinem Kläger los (eigentl. heilen, remediare).
Wenn irgendein Kleriker dasselbe getan hat, soll er dieselbe Strafe erleiden.
Wenn ein Schöffe (scabinus, emendiert aus csabinus) es getan hat, soll er eingekerkert werden, solange es dem Herzog beliebt, oder verurteilt werden.
Wenn aber eine niedrigere Person aus dem Kreis der Freien oder Hörigen dasselbe begangen hat, soll sie geschoren und geschunden (= abgehäutet) werden (depilatus excorticetur).
Mit allen Mitteln aber befehlen wir, dass die Strenge dieser Strafe (= diese strenge Strafe) in Gegenwart des Herrn, dem der Hörige gehört, vollstreckt wird.
3. Wenn irgendein zugereister Fremder (advena) in irgendeines Dienstbarkeit getreten (alicuius domesticus factus est) und seinem Schutz unterstellt worden ist (sub eius positus fuerit tuitione) (und dann) eines Diebstahls oder irgendeines anderen Verbrechens angeklagt (impetitus) wird, so soll er (= der Schutzherr) entweder durch seine Strenge den Kläger zufriedenstellen (exactori satisfaciat) oder ihn (= den in seinem Dienst stehenden Fremden) im öffentlichen Gericht des Grafen (publicum placitum comitis) vertreten (repraesentet).
Wenn er dies gering achtet und in der Zwischenzeit ohne Begleichung der Schuld entflohen ist, soll der Graf für ihn selbige Schuld bezahlen.
4. Wenn der Graf einen Angeklagten, der einer Ladung nicht Folge geleistet hat und deswegen mit dem Bann belegt wurde (forbannitus), in seinem Schutz hat und es versäumt, ihn vor Gericht (placitum) zu bringen, oder ihn vor Gericht zu Unrecht verteidigt und wenn er dies vor dem Herzog nicht entkräften (negare) kann, so soll er weder dessen Huld noch seine Grafschaft haben.
Wenn ein Schultheiß (centurio) oder Vogt (advocatus) dasselbe tut, sollen sie ihr Amt (beneficium) verlieren.
Wenn ein Verwalter (praepositus) irgendeines Herrn dies tut, soll er geschoren und geschunden werden.
5. Wenn irgendein Herr einen eigenen Hörigen wo auch immer wegen eines Diebstahls zu Unrecht verteidigt und sich weigert, ihn dem Gericht des Grafen (placitum comitis), in dessen Grafschaft er den Diebstahl begangen hat, auszuliefern (praesentare) und in dieser Sache für schuldig befunden wird, so soll er zu Kerker oder Verbannung verurteilt werden.
6. Sooft aber der Herzog einem Grafen oder Schöffen vorwirft, er habe Angeklagte, die einer Ladung nicht Folge geleistet haben und deswegen mit dem Bann belegt wurden (forbanniti), oder Diebe zu Unrecht vor Gericht (in placito) oder sonst irgendwo verteidigt, so sollen sie, wenn sie sich nicht mit Eid zu reinigen vermögen, eingekerkert oder zu Verbannung verurteilt werden.
7. Die Slaven (sclavi, emendiert aus scalvi) sollen auch der Strenge dieser Vereinbarung (coadunatio) unterworfen sein oder (aus dem Land) vertrieben werden (exterminentur).
Verhandelt (oder: geschehen) zu Ranshofen. Glücklich. Amen
8. Wenn aber dem Dienstmann irgendeines (Herrn) Diebstahl oder irgendein Verbrechen vorgeworfen wird, soll er in der Grafschaft, in der er angeklagt wird (in comitatu, quo notatur), Genugtuung leisten (satisfaciat).
9. Wenn jemand einen Totschlag (homicidium) begeht, soll die Anordnung, wie sie bislang (oder: früher) bestand, gelten (tali constitutione, ut antea fuit, utatur).
(Übersetzung: Klaus van Eickels / Eike Schmidt)