Mittlerweile steht der Sehbehindertenarbeitsplatz in der U5 im Erdgeschoss. Die neue Ausstattung, die den alten Blindenarbeitsplatz auf den neuesten technischen Stand bringt und für Sehbehinderte aufrüstet, hat 6.300 Euro gekostet (Bilder: Katrin Sell)

Ein schneller Buchscanner, ein neuer Rechner mit Braillezeile und spezielle Software helfen Markus Böttner bei seinem Studium

Selbstbewusst steht Markus Böttner im Innenhof der U5. Er schreibt gerade seine Magisterarbeit in englischer Sprachwissenschaft, steht kurz vor seinem Studienabschluss. Das Besondere: Er ist blind. Nun kann er sich über einen besser ausgestatteten Blinden- und Sehbehindertenarbeitsplatz an der Uni freuen

Setzt sich für individuelle Hilfen ein: der Behindertenbeauftragte Jörg Wolstein

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- Katrin Sell

Mit Zoom, Leuchte und Texterkennung

Neuer Sehbehindertenarbeitsplatz an der Universität Bamberg

Was den einen keinerlei Probleme bereitet und nicht einmal der Rede wert ist, stellt andere vor unüberwindbare Hürden. Zwei Studierende mit Sehbehinderung freuen sich deshalb ganz besonders, dass seit November 2006 in der Bamberger Universität ein neuer Arbeitspatz für sie bereit steht, der vieles erleichtert.

„Das war dringend nötig. Vor allem die Texterkennung ist der Wahnsinn!“ Markus Böttner ist begeistert. Der impulsive 27-jährige Rotschopf schlürft seinen Kaffee, erzählt von der Literaturrecherche für seine Magisterarbeit in der englischen Sprachwissenschaft, hat die üblichen Studi-Probleme. Jetzt hat die Universität Bamberg viel für sein Weiterkommen getan: Seit Anfang November gibt es einen modernen Arbeitsplatz für Menschen mit Sehbehinderungen. Markus Böttner ist blind – „virtuell entlastet“, nennt er es im Scherz.

Markus ist der einzige Blinde an der Universität Bamberg mit ihren 9000 Studierenden, doch ist der neue Arbeitsplatz auch für Simone Schliemann, eine Iranistikstudentin, die Probleme mit ihren Augen hat, gedacht. Die 29-Jährige leidet an einer bei jungen Menschen sehr selten auftretenden Netzhaut-Degeneration. Seit fünf Jahren hat sie irreparable Sehschäden, „und es kann jederzeit schlechter werden“. Noch kann sie Bücher lesen, aber nur in dunklen Räumen bei extrem starkem Kaltlicht. Sie braucht virtuelle Kontraste, andernfalls verschwimmen Dinge für sie zu einem schwarzen Fleck. Deswegen geht der neue Arbeitsplatz nicht nur – wie die bisherige Ausstattung – auf die Bedürfnisse von blinden Menschen, sondern auch auf die von Sehgeschwächten ein. Neben dem schnellen Hauptrechner mit 22-Zoll Bildschirm, auf dem unter anderem die Texterkennungssoftware Open Book installiert ist, hilft ein Scanner, ganze Bücher in wenigen Minuten zu digitalisieren. Eine Großtastatur mit eingefrästen Buchstaben und die schon vorher vorhandene Braille-Zeile sind zusätzliche Erleichterungen.

Lampe ist nicht gleich Lampe

Für Menschen, die noch sehen, filmt eine Kamera Literatur ab und projiziert sie auf den Rechnerbildschirm. Dabei kann der Bildschirm für Text und Bild gesplittet werden; die Buchstaben können um das 50-fache vergrößert werden. Das Programm kann auch Farben verändern, so dass beispielsweise Buchseiten mit weißer Schrift auf blauem Hintergrund dargestellt werden. Eine starke Leuchte sorgt für das passende Leselicht. Denn Lampe ist nicht gleich Lampe: „Bei Menschen mit Sehbehinderung ist es wichtig, dass die Leuchte nicht blendet und flimmerfrei ist“, erklärt Henry Bockenkamm, Vertriebsmitarbeiter für den Sondergerätebereich der Firma Reinecker. Er hat die neue Ausstattung der Uni Bamberg geliefert. Die Kosten für die neuen Geräte und Programme betragen rund 6300 Euro – wenn die Blindengrundausstattung nicht schon da gewesen wäre, wäre die Summe wesentlich höher gewesen.

Trotzdem nützte der Sehbehindertenarbeitsplatz Simone Schliemann zu Beginn wenig: Er war in einem Glaskasten in der Teilbibliothek 4 untergebracht. „So konnte ich damit gar nichts anfangen. Die Universität hätte schon einen Verschlag darumbauen müssen, so dass es dunkel ist“, sagt die gebürtige Bayreutherin. Grundsätzlich wollte die junge Mutter den Arbeitsplatz aber gerne nutzen. Der Verschlag passte allerdings wenig ins Bild der hellen Glas- und Betonbibliothek, so dass die Beteiligten beschlossen, den Arbeitsplatz in einen anderen Universitätsraum zu verlegen. Seit Mitte Dezember 2006 ist der erweiterte Arbeitsplatz in einem dunklen Raum im Erdgeschoss des Gebäudes An der Universität 5 untergebracht – weiterhin zentral, aber nicht mehr in der Bibliothek.

Integration statt Ausgrenzung

Fragen wie den Umzug klären die beiden Sehbehinderten gemeinsam mit dem Behindertenbeauftragten der Universität Prof. Dr. Jörg Wolstein. Der Sozialmediziner hilft den Studierenden, wo er kann. „Wenn der Arbeitsplatz nicht mehr in der Bibliothek ist, müssen wir klären, dass auch die Bücher aus den Handapparaten aus der Bibliothek getragen werden dürfen“ – ein Beispiel dafür, worum sich Wolstein kümmert. Er findet es wichtig, dass der Arbeitsplatz an einer zentralen Stelle bleibt: „Schließlich wollen wir Menschen mit Behinderungen integrieren und nicht ausgrenzen.“

Wolstein schätzt, dass rund 16 bis 20 Studierende mit schweren Behinderungen an der oberfränkischen Universität immatrikuliert sind. Viele suchen seinen Rat, oft geht es um Verwaltungsdinge wie die Verlängerung von Prüfungszeiten. Er sieht es als Vorteil, dass er sich auch beruflich mit verschiedenen Behinderungen auseinandersetzt. „Beispielsweise kann ich eine fachlich begründete Empfehlung an das Prüfungsamt schreiben, wenn eine hörbehinderte Studentin mehr Prüfungszeit beantragt. Viele wissen nicht, dass Menschen mit Hörbehinderung oft Probleme mit Grammatik und Textverständnis haben“ – der Sozialmediziner kann derartige Fragen schnell und verständlich klären.

Kurze Dienstwege und persönliche Kontakte zeichnen die Universität auch hinsichtlich ihrer Behindertenfreundlichkeit aus. „Die Hochschulleitung ist bei solchen Dingen sehr hilfreich. Nötige Anschaffungen für Behinderte sind bislang nie am Geld gescheitert“, betont Wolstein, der als Behindertenbeauftragter über kein eigenes Budget verfügt. Dennoch sieht er, dass behinderte Studierende in Bamberg durchaus Nachteile haben: „Gerade in den kleinen Uni-Gebäuden in der Innenstadt, in denen es keinen Aufzug gibt, haben Gehbehinderte Probleme.“ Hier sind unkonventionelle Lösungen gefragt, beispielsweise werden Menschen die Treppen hochgetragen. „Ich erlebe immer wieder, dass Dozierende und Studierende außerordentlich hilfreich sind, vielleicht auch, weil die Distanz hier so gering ist“, sagt Wolstein.

So ist aus dem Bestreben, einen Sehbehindertenarbeitsplatz einzurichten, ein inneruniversitäres Kooperationsprojekt geworden: Die Verwaltung stellte das Geld und den Raum zur Verfügung, die Bibliothek stand hinter dem Projekt, „der Prorektor für Lehre sagte als Erster: ‚Das machen wir’“, die betroffenen Studierenden diskutierten mit und fuhren sogar nach Marburg ans Blindeninstitut, um mehr über die technischen Möglichkeiten zu erfahren. Die Hausmeister und das Rechenzentrum kümmerten sich um die Hard- und Software. „Es freut mich besonders, dass auch Auszubildende in das Projekt einbezogen wurden“, sagt Wolstein: Der Rechenzentrums-Azubi Steffen Pechtold schreibt sogar im Frühjahr seine Abschlussarbeit über den Ausbau des Arbeitsplatzes; er hat die Software Zoom Text und das Vorleseprogramm Jaws (kurz für Job Access With Speech) installiert und betreut jetzt auch den Arbeitsplatz.

Der Wunsch: eine normale Umgebung mit Sehenden

Der Sehbehindertenarbeitsplatz zeigt, dass die Bedürfnisse der Studierenden im Vordergrund stehen. Jörg Wolstein versucht stets, individuelle Hilfen zu bieten. So gibt es Behindertenparkplätze am Uni-Gebäude Marcus-Haus und am Standort Feldkirchenstraße, doch kann ein Blinder auch durchaus eine Vorlesekraft für seine Abschlussarbeit gestellt bekommen. „Wichtig ist, nichts zu pauschalisieren“, findet Wolstein. „Schließlich soll jeder einzelne am gesellschaftlichen und universitären Leben teilhaben können.“
Mit dieser Vorgehensweise haben sich auch Markus Böttner und Simone Schliemann angefreundet. Markus, der vor Beginn seines Studiums in Marburg gewohnt hatte, wo es eine große Blindenschule gibt, hat sich vor fünf Jahren bewusst gegen die Universität in der hessischen Stadt entschieden: „In Marburg hätte mein Bekanntenkreis wahrscheinlich nur aus Blinden bestanden. Ich wollte aber in einer normalen Umgebung mit Sehenden studieren. Das finde ich wesentlich spannender.“ In Bamberg hat er sich sein eigenes Netzwerk gebildet, englische Texterkennungs- und Vorleseprogramme auf seinem Privatrechner installiert und sich eigenständig Zugang zu Sekon, dem Sehbehindertenkatalog online, verschafft. In diesem Katalog sind alle für Sehbehinderte verfügbaren wissenschaftlichen Bücher digital zugänglich.

Auch Simone kommt zurecht: „Zwar ist die Situation mit dem neuen Arbeitsplatz wesentlich angenehmer, aber ich habe im vergangenen Semester auch ohne Digitallupe und Leselampe meine Zwischenprüfung bestanden.“ Sie findet: „Wenn ich von vornherein überlegt hätte, welche Hürden es für mich gibt, hätte ich mein Studium wahrscheinlich erst gar nicht angefangen.“ Und so ist die junge Frau schon dabei, sich weitere Hilfen zu organisieren: Vorlese- und Schrifterkennungsprogramme für Persisch und Arabisch, die bräuchte sie auch noch.

Übersicht: Sehbehinderten- und Blindenarbeitsplätze an den Universitäten in Nordbayern

Zwar ist Marburg die Universität, die am besten auf Blinde und Sehbehinderte ausgerichtet ist, doch versuchen auch die nordbayerischen Universitäten, auf die Bedürfnisse von Menschen mit Sehbehinderungen einzugehen.

An der Universität Würzburg ist in der zentralen Universitätsbibliothek am Hubland ebenfalls ein Arbeitsraum mit einem Arbeitsplatz für sehbehinderte und blinde Studierende vorhanden.

Bayreuth: In Bayreuth gibt es derzeit keinen Sehbehindertenarbeitsplatz, doch wird regelmäßig den Bedarf überprüft, so dass gegebenenfalls ein Arbeitsplatz eingerichtet werden könnte. Bei Bedarf können sich blinde oder sehbehinderte Studierende an die Universität wenden.

In Erlangen-Nürnberg gibt es zwei Arbeitsplätze in der zentralen Universitätsbibliothek in der Schuhstraße 1 in Erlangen, nämlich ein Fernsehlesegerät im Zeitschriften-Lesesaal sowie einen Computerarbeitsplatz mit Braillezeile in einem separaten Raum.

In Bayern ist die Universität Regensburg die einzige behindertengerecht gebaute Hochschule. Das betrifft insbesondere Mobilitätsbehinderte. In der Zentralbibliothek befindet sich auch ein Arbeitsplatz für Sehbehinderte und Blinde. Ansprechpartner ist die Sozialberatung des Studentenwerks in Regensburg.