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Timo Schmid ist seit April 2021 Professor für Statistik und Ökonometrie an der Universität Bamberg.

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- Hannah Fischer

Vom Schreibtisch auf den Mount Everest

Im Interview stellt sich Timo Schmid, seit April 2021 Professor für Statistik und Ökonometrie, vor.

Zahlen, Daten, Statistik – damit beschäftigt sich Prof. Dr. Timo Schmid, der seit April 2021 Professor für Statistik und Ökonometrie an der Universität Bamberg ist. Im Interview erzählt der 38-Jährige von seinen Forschungsschwerpunkten und welche Projekte er besonders spannend findet. So sehr ihm seine Arbeit Spaß macht – für ihn gibt es auch noch ein Leben außerhalb der Universität. Um abzuschalten, fährt er Rennrad, indoor und outdoor.

Was war Ihr erster Eindruck von Stadt und Universität Bamberg?

Timo Schmid: Da die Universität momentan wegen der Corona-Pandemie so gut wie leer ist, habe ich leider noch nicht so einen richtigen Eindruck bekommen. Aber bereits vor vier Jahren war ich für eine Konferenz in Bamberg. Mir gefällt die gesellige Mentalität mit den Bierkellern und, dass die Stadt durch die vielen Studierenden so jung ist. Ich habe vor meinem Ruf nach Bamberg neun Jahre in Berlin gelebt. Hier in Bamberg ist alles kleiner und familiärer und man hat an der Universität mehr persönlichen Kontakt. Das gefällt mir sehr gut, zumal ich selbst aus einem Dorf auf der Schwäbischen Alb stamme.

Zu welchen Schwerpunkten forschen Sie?

Ich forsche zur kleinräumigen Schätzung soziodemographischer Indikatoren und das möglichst mit alternativen Datenquellen. Das hört sich jetzt erst einmal kompliziert an. Anhand eines Beispiels wird es anschaulicher: Nehmen wir an, ich interessiere mich für die Armutsquote in Deutschland und möchte mir die Zahlen aber nicht auf der großen Ebene der Bundesländer anschauen, sondern ich interessiere mich beispielsweise für die Armutsquote in Kreisen oder Gemeinden. Oft ist es so, dass hier nicht ausreichend Daten zur Verfügung stehen. An dieser Stelle komme ich ins Spiel: Mit statistischen Modellen kann ich klassische Umfragedaten mit alternativen Daten verbinden, um etwas über die Armutsquote in bestimmten Gemeinden herauszufinden. Alternative Daten sind zum Beispiel Mobilfunkdaten, Satellitendaten oder Daten aus den sozialen Netzwerken. In dieser Kombination ist es möglich, Indikatoren wie etwa die Armutsquote feingliedrig zu schätzen. Nicht nur die geographische Komponente kann hier das Problem sein. Es kann auch sein, dass ich mich für die Armutsquote von weiblichen Personen zwischen 20 und 25 Jahren interessiere und hier zu wenig traditionelle Daten vorliegen. Mein Forschungsgebiet ist eben diese Verknüpfung von traditionellen Daten mit alternativen Daten und das mithilfe von statistischer Methodik.

Haben Sie ein besonders interessantes Forschungsprojekt?

Gemeinsam mit dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur sowie dem Statistischen Bundesamt und weiteren Kooperationspartnern untersuche ich Pendlerbewegungen in Deutschland mithilfe von Mobilfunkdaten. Die Forschungsfrage ist letztendlich simpel: Wer pendelt von A nach B? Doch auch hier ist die Datengrundlage das Problem, denn die Daten haben Verzerrungen. Beispielsweise sind ältere Personen unterrepräsentiert. Ich schaue mir dabei an, wie sich solche Verzerrungen durch statistische Methoden beheben lassen. In einem weiteren Projekt schätze ich gemeinsam mit dem Statistischen Amt in Mexiko und der Universität Southampton auf sehr feiner regionaler Ebene Armuts- und Ungleichheitsindikatoren für Mexiko. Für mich ist das eine Methodenspielwiese, da die Datenstruktur in Schwellenländern ganz anders ist als in Industrieländern wie Deutschland. Anhand der Daten aus Mexiko lässt sich das Phänomen untersuchen, und ich kann Methoden entwickeln, die anschließend wiederum auf ganz viele weitere Länder angewendet werden können, die eine ähnliche Datenstruktur aufweisen.

Warum sollte man heute Ihr Fach studieren?

Ich finde, dass hier die häufig gebrauchte Aussage „Daten sind das Gold des 21. Jahrhunderts“ gut passt. Um evidenzbasierte politische und wirtschaftliche Entscheidungen treffen zu können, ist ein Verständnis von Daten sehr wichtig. Und genau das kann die Statistik liefern. Sie stellt uns ein fachunabhängiges Handwerkszeug zur Verfügung und verrät uns, welche Schlüsse wir aus Daten ziehen können und welche nicht.

Worauf legen Sie in der Lehre Wert?

In diesem Semester lese ich die Statistik 1 Grundlagenvorlesung, an der etwa 600 Studierende aus vielen unterschiedlichen Fächern teilnehmen, weshalb auch die Motivationen und Vorkenntnisse sehr unterschiedlich sind. Ich möchte versuchen, die Studentinnen und Studenten möglichst früh abzuholen. Vor allem versuche ich mit praktischen Beispielen zu arbeiten. Am Anfang des Semesters lasse ich die Vorlesungsteilnehmerinnen und -teilnehmer beispielsweise eine Umfrage beantworten, die sie dann selbst im Laufe des Kurses analysieren können. Ich denke, dass es für die Studierenden vor allem spannend ist, weil die Daten aus ihrer eigenen Kohorte stammen und sie sich mit dem Datensatz identifizieren können. Damit möchte ich ihnen die Scheu vor der Datenanalyse nehmen. Zusätzlich arbeite ich in der Vorlesung bereits früh mit Software, weil es meiner Ansicht nach nicht mehr zeitgemäß ist, handschriftlich beispielsweise die Varianz einer Variablen auszurechnen.

Was machen Sie, um nach der Arbeit abschalten zu können?

Ich finde es ganz wichtig, dass man noch ein Leben außerhalb der Universität hat. Wir sollten nicht nur eine Leistungsgesellschaft sein, denn es gibt viele Dinge neben dem Beruf, die wichtig sind. Früher habe ich zum Ausgleich viel Fußball gespielt, inzwischen fahre ich Rennrad. Hier stecke ich mir immer wieder neue Ziele. Dieses Jahr bin ich auf meinem Indoor-Rennrad sozusagen virtuell den Ötztaler Radmarathon gefahren, weil Corona-bedingt immer noch keine Sportevents für Jedermann stattfinden. Das waren 240 Kilometer und 5.500 Höhenmeter. Im vergangenen Jahr habe ich einen sogenannten „Everesting“ absolviert. Dabei sucht man sich einen beliebigen Berg und fährt diesen so oft hoch und runter bis man die Höhe des Mount Everest geschafft hat – das sind fast 8.840 Meter. In der Zeit wird auch nicht geschlafen und es werden keine langen Pausen eingelegt.

Was reizt Sie daran, so extreme Touren zu fahren?

Mich reizt daran vor allem die Herausforderung und herauszufinden, ob ich diese auch meistern kann. Außerdem stellt das Rennradfahren für mich den perfekten Ausgleich dar. Nach der geistigen Arbeit an der Universität kann ich auf dem Fahrrad einfach in die Pedale treten. Das mag vielleicht monoton wirken, ich kann dabei aber sehr gut abschalten.

Vielen Dank für das Interview!