Jürgen Schabel/Universität Bamberg

Annette Scheunpflug und ihr Team untersuchen in einer kürzlich veröffentlichten Studie, inwieweit Industriestaaten Staaten des globalen Südens in bildungspolitischen Fragen und Maßnahmen unterstützen.

  • Wissenschaft & Praxis
  • Empirische Sozialforschung
- Andrea Kühne

Elementarbildung muss stärker gefördert werden

Eine Analyse der internationalen Bildungspolitik mit Annette Scheunpflug

Bildung, besonders auch der frühkindlichen Bildung, wird in der Entwicklungszusammenarbeit eine besondere Bedeutung beigemessen, gilt sie doch als ausschlaggebender Faktor bei der Entwicklung eines Landes. Und hoch ist die Messlatte, die die internationale Staatengemeinschaft in ihrer Bildungsagenda „Education 2030“ im Jahr 2015 aufgestellt hat: Alle Kinder der Welt sollen, so das Aktionsprogramm der Vereinten Nationen, bis zum Jahr 2030 einen Zugang zu Elementar-, Primär- und Sekundarbildung haben. Es wird erstmals sogar ein Minimum von vier bis sechs Prozent des Bruttoinlandsproduktes oder 15 bis 20 Prozent der öffentlichen Ausgaben eines jeden Staates gefordert, das für bildungspolitische Maßnahmen ausgegeben werden soll.

Aber unterstützen Industriestaaten Staaten des globalen Südens entsprechend? Prof. Dr. Annette Scheunpflug, Inhaberin des Lehrstuhls für Pädagogik an der Universität Bamberg, hat sich gemeinsam mit ihren Mitarbeitern Mark Wenz und Carsten Wirth dieser internationalen, aber in Bezug auf die Flüchtlingspolitik auch in Deutschland hochaktuellen Frage angenommen. Sie analysierten vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zur Verfügung gestellte Daten. Die Studie wurde durch die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GiZ) gefördert und ihre Ergebnisse jüngst veröffentlicht (s.u.).

Inwieweit ist Lernen und Wissensvermittlung wichtig für die Entwicklung eines Landes und welche Länder gelten als besonders förderungsbedürftig?
Keine global agierende Gesellschaft kann heute ohne ein umfassendes Bildungswesen auskommen. Empirische Studien zeigen, dass Bildung besonders für die Länder der so genannten Dritten Welt wie beispielsweise in Subsahara-Afrika eine Grundvoraussetzung dafür ist, dass sich demokratische Strukturen entwickeln, Armut zurückgeht und die Wirtschaft wächst. Sie befähigt Menschen für sich selber einzutreten und hilft ihnen, Perspektiven in ihren Herkunftsländern zu finden. Bildung ist auch eine Voraussetzung dafür, die oft falschen Erwartungen von Menschen über Europa richtigzustellen.

Zeigen sich die beschlossenen Ziele in „Education 2030“ auch in den tatsächlich geleisteten Finanztransfers?
Ganz eindeutig nein und das gilt für die Politik genauso wie für Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Kirchen, Unternehmen oder Stiftungen – also die nicht-staatlichen Leistungen.  Und besonders die bedürftigen Länder haben das Nachsehen!

Warum?
Wir haben festgestellt: Häufig spielen außen-, sicherheits- und wirtschaftspolitische Überlegungen eine Rolle bei der Frage, welche Regionen gefördert werden. Arme Länder im Windschatten der politischen Aufmerksamkeit erhalten tendenziell weniger Geld als Staaten, denen politische Bedeutung zukommt oder solchen, die bereits entwickelter sind und vielleicht bald aus eigener Kraft ihr Bildungssystem finanzieren können.

Frühkindliche Bildung und Lehrerbildung versprechen langfristig die größten Effekte. Haben diese Sektoren Priorität?
Die Elementarbildung wie auch die Lehrerausbildung werden nicht in dem Maße gefördert, wie das in „Education 2030“ gefordert wird. Leider! Denn hier zahlen sich Investitionen tatsächlich besonders aus. Nachfolgendes Lernen wird einfacher. Die politischen Entscheider denken hier nicht langfristig, sondern sind eher an schnellen Erfolgen interessiert. Schließlich zahlen sich die Effekte einer guten frühkindlichen Bildung erst nach zehn bis zwanzig Jahren aus.

Und wie sieht es mit den deutschen Leistungen der Entwicklungszusammenarbeit aus?
Hier spiegelt sich eine ähnliche Entwicklung wie im internationalen Bereich wider. Der größte Teil der Gelder fließt in die Förderung von Industrie, Gesundheit und  Infrastruktur. Der Bildungsbereich kommt zu kurz und findet vorrangig in der Hochschulförderung statt. Da die Lehrerausbildung in den Empfängerländern nicht an Universitäten stattfindet, profitiert diese davon nicht. Eine deutsche Besonderheit ist allerdings die starke Förderung unserer weltweit anerkannten beruflichen Bildungsstrukturen.

Sie haben in Ihrer Analyse die Jahre zwischen 2003 und 2013 untersucht. Welche Trends konnten Sie feststellen? Hat sich seitdem etwas verändert?
International wie auch national ist ein Anstieg der Finanzströme in Richtung Bildung, wie gefordert, nach wie vor nicht zu erkennen. Im Gegenteil, die anfänglich höhere Förderung der Elementarbildung ist seit 2010 bis heute wieder rückläufig. Länder in Subsahara-Afrika stehen weniger im Fokus als beispielsweise arabische oder asiatische Länder. Hier gäbe es aus europäischer Sicht eine objektiv große Notwendigkeit höher Förderung, wenn man an die Flüchtlingsfrage denkt.

Welche Auswirkungen wird dieses Geberverhalten haben?
Die Entwicklung in den Empfängerländern wird langsamer verlaufen, wenn nicht in die Elementarbildung und Lehrerausbildung investiert wird. Ohne Bildung werden in den globalen Gesellschaften sowohl im Privaten beispielsweise bei der Lebens- und Familienplanung, wie auch gesamtgesellschaftlich weniger häufig richtige Entscheidungen getroffen werden. Die Flüchtlinge aus Staaten wie Eritrea sind heute der Seismograph, der uns zeigt, dass in manchen Ländern Subsahara-Afrikas die Entwicklung nicht so vorankommt, wie es wünschenswert wäre.

Was muss passieren, damit die Ziele von „Education 2030“ in den verbleibenden zwölf Jahren erreicht werden?
Wir haben eine unübersichtliche Situation. An diesem Prozess sind viele Stellen beteiligt. Geber- und Empfängerländer haben oft unterschiedliche Interessen und die zivilgesellschaftlichen Organisationen sind nicht steuerbar. Um in dieser komplexen Ausgangslage wirkungsvoll eingreifen zu können, braucht es ein kontinuierliches Monitoring. Die Politik müsste für die wissenschaftliche Bewertung mehr und aussagekräftigere Daten in höherer Qualität zur Verfügung stellen. Dann können wir zum einen über die Mittelvergabe, zum anderen aber auch über die Wirksamkeit des Mitteleinsatzes Erkenntnisse auf empirischer Basis sammeln. Dieses würde auch dazu beitragen, dass das Thema größere Aufmerksamkeit in der Forschung erlangt. Insgesamt wünsche ich mir in der Bildungszusammenarbeit mehr Rationalität und ein Handeln, das auf wissenschaftlichen Fakten beruht und so langfristig wirkt.

Die Studie
Scheunpflug, A., Wenz, M. & Wirth, C. (2018). Das finanzielle Profil der deutschen Bildungszusammenarbeit - eine Analyse der Normen und Realitäten internationaler Bildungspolitik. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft.

Links zur Studie
https://doi.org/10.1007/s11618-018-0843-x
(Link zu springer.com)
Weitere Informationen zum Forschungsprojekt (Link zum Lehrstuhl)