Höhepunkt des ersten Bamberger Boys' Day war der Alterssimulationsanzug (Fotos: Katja Hirnickel).

Präsident Godehard Ruppert und Organisator Frithjof Grell begrüßten die Teilnehmer.

Mithilfe von Handschuhen mit Elektroden erfuhren die Schüler, wie man mit zittrigen Händen schreibt.

Im wörtlichen Sinne durch die Brille von Sehbeeinträchtigen konnten die Jungen blicken.

„Jungen wollen keine Lückenbüßer sein“

Erster Boys’ Day an der Universität Bamberg

Rollenbilder verändern sich, und mit ihnen verschwinden klassische Männer- und Frauenberufe. Während jedoch Mädchen von allen Seiten ermuntert werden, sich für Technik oder Naturwissenschaften zu begeistern, gelten Jungen als Grundschullehrer, Erzieher oder Pfleger schnell als verweichlicht. Mit dem Boys’ Day bricht die Universität Bamberg mit diesem Klischee und möchte Jungen die verantwortungsvollen Berufsbilder der Erziehungswissenschaften näher bringen.

„Männer in Frauenberufen sind keine halben Frauen und nicht weniger männlich als Männer in Männerberufen“, erklärte Universitätspräsident Prof. Dr. Dr. habil. Godehard Ruppert bei der Eröffnung des Boys’ Day. Dieses Klischee werde sich ebenso schnell auflösen wie das umgekehrte, dass Frauen in Männerberufen unweiblich seien, versprach er den 16 anwesenden Schülern. Sie nahmen Ende März am ersten Boys’ Day der Universität Bamberg teil, mit dem die Erziehungswissenschaften ihnen einen Einblick gaben, wie sich körperlich beeinträchtigte Menschen fühlen. Das Thema Jungenförderung sei zwar noch nicht in der Gesellschaft angekommen, aber Präsident Ruppert ist sich sicher, dass sich dies in den nächsten Jahren ändern wird, dass beispielsweise manche Stellenausschreibungen sich künftig auch speziell an Männer richten werden. Die Grundschule ist eines der Berufsbilder, bei dem Männer am meisten vermisst würden. Nur etwa 15 Prozent der Lehrerschaft ist dort männlich, dabei bräuchten gerade auch Jungen für ihre Entwicklung männliche Vorbilder.

Alterssimulation mit Gewichten und zittrigen Händen

An drei Stationen durften die Boys’ Day-Teilnehmer selbst experimentieren: Zum einen konnten sie wortwörtlich durch die Brille eines Seheingeschränkten schauen. Außerdem gab es Handschuhe, mit denen sie erfuhren, wie sehr zittrige Hände im Alltag stören, beispielsweise beim Schreiben oder dabei, ein Glas Wasser einzuschenken und zu trinken. Die größte Begeisterung galt jedoch einem Alterssimulationsanzug. Mithilfe von Gewichten an Armen und Beinen, Bandagen, Handschuhen, Ohrschützern und einer Brille erlebten die Schüler, wie man mit einer Gelenkversteifung Treppen steigt, mit eingeschränktem Sichtfeld Platz nimmt oder mit schweren Armen Geld an der Kasse abzählt. „Ich fand das sehr anschaulich und kann mich jetzt viel besser in die Situation von alten Menschen hineinversetzen“, erklärt Julius Kaiser, ein Neuntklässler des FLG. Spätestens nach zwei Boys’ Days glaubt er nicht mehr daran, dass es Berufe gibt, für die sich nur Männer eignen, oder umgekehrt typische Frauenberufe. Der 15-Jährige könnte sich durchaus vorstellen, Lehrer zu werden – aber auch Journalismus interessiert ihn.

Frauenberufe leiden unter einem doppelten Stigma

„Viele Jungen haben heute ein Problem, ihre Identität und damit auch ihre Berufe zu finden“, erzählt Prof. Dr. Frithjof Grell vom Lehrstuhl für Elementar- und Familienpädagogik, der Organisator des Boys’ Day. „Damit hat auch die Gesellschaft ein Problem.“ Häufig werde ihnen das Gefühl vermittelt, sie seien die Bildungsverlierer. „Sie sehen, dass Mädchen ihnen den Rang ablaufen, weil sie dem gestiegenen Druck mit mehr Leistungsbereitschaft begegnen statt mit Verweigerung“, so der Pädagoge. Klassische Frauenberufe leiden deshalb gleich unter einem doppelten Stigma: Erstens sind sie weniger cool und meist auch weniger gut bezahlt als Männerberufe. Auf der anderen Seite entscheiden sich immer mehr Frauen für Männerberufe und damit ja auch GEGEN die Frauenberufe. „Aber Jungs wollen nicht nur Lückenbüßer sein.“

Daneben sieht Grell aber auch ein grundsätzliches gesellschaftliches Problem: Erziehung wird in Deutschland immer noch als Privatsache angesehen, als ein Betätigungsfeld, für das man kaum spezifische berufliche Kompetenzen benötigt. „Schulen leisten dabei nicht den geringsten Beitrag. Pädagogik, Gesellschaftswissenschaften und Psychologie sind neben den MINT-Fächern zweitrangig, wenn sie überhaupt auf dem Stundenplan stehen“, erzählt der Erziehungswissenschaftler. Dabei sei die Schule für viele Kinder der einzige Lernort, denn solche Kompetenzen könnten sie in den Familien nicht mehr erlernen. Grell hofft, dass sich diese Einstellung bald ändert – und erinnert mit einem Augenzwinkern: „Jahrhundertelang galt Bildung und Erziehung als viel zu wichtig, um sie allein den Frauen zu überlassen!“


Ansprechpartner:

Prof. Dr. Frithjof Grell
Lehrstuhl für Elementar- und Familienpädagogik
0951/863 1819
frithjof.grell(at)uni-bamberg.de


Diesen Text verfasste Katja Hirnickel für die Pressestelle der Universität Bamberg. Er steht Journalistinnen und Journalisten zur freien Verfügung.

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