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An ihm müsse sich die Wissenschaft ein Beispiel nehmen: Der griechische Halbgott Perseus als Bezwinger der Medusa.

Monica Fröhlich/Uni Bamberg

Christian Schäfer ist Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie I.

Monica Fröhlich/Uni Bamberg

Volles Haus bei der Antrittsvorlesung des Philosophieprofessors.

- Tanja Eisenach

„Gut gemacht, Perseus!“

Christian Schäfer über Sinn und Sinnlosigkeit von Philosophiegeschichte

In der Antrittsvorlesung eines Philosophen erwartet man große Namen dieser Wissenschaft: Aristoteles, Thomas von Aquin, Kant, Hegel – und harrt im Falle Christan Schäfers vergebens aus. Allein Platon und Nietzsche räumte er ein wenig Platz ein. Der eigentliche Held des Abends war jedoch ein Halbgott aus der griechischen Mythologie.

„Mein Name ist Christian Schäfer und ich suche nach Gründen und Begründungen“, charakterisierte sich der Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie I am 20. Mai in seiner Antrittsvorlesung. Prof. Dr. Helmut Glück, Prodekan der Fakultät Geistes- und Kulturwissenschaften präzisierte die Selbstbeschreibung: „Christian Schäfers Lehr- und Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Philosophiegeschichte in den Epochen Antike und Mittelalter, in der systematischen Philosophie vor allem auf den Gebieten Metaphysik und Ethik.“ Anker für seine Lehren findet er bei vorsokratischen Philosophen wie Parmenides oder Xenophanes von Kolophon, über den er 1995 an der Universität Regensburg promovierte, aber auch bei Platon und der platonischen Tradition, wie seine Habilitationsschrift zum Thema „Unde Malum. Die Frage nach dem Woher des Bösen bei Plotin, Augustinus und Dionysius vom Areopag“ zeigt.

Die Antike hat sich der in Brasilien geborene Kosmopolit auch folgerichtig auserwählt, um mit ihrer Hilfe in seiner Vorlesung nach Gründen und Begründungen zu suchen: Gründe für ein Interesse der Philosophie an der Geschichte und Begründungen für ein adäquates Verständnis unserer Gegenwart im Spiegel der Vergangenheit. Eine Aufgabe, die Schäfer zugleich als Sinngebung versteht. Den Sinn von Philosophiegeschichte aus einem Blick in die (Philosophie-)Geschichte heraus zu generieren, war die Pointe des Abends und zugleich Schäfers eigentliche Leistung.

Der Unterschied zwischen Ideengeschichte und Philosophiegeschichte

Dazu benötigte er drei Gedankenschritte: Zunächst zeigte er am Beispiel des Begriffs des Nationalismus auf, wie maßgebliche Gedanken über Jahrtausende immer wieder „ideengeschichtlich“ verarbeitet wurden. „Es wurden stetig Versuche unternommen, den Charakter von Völkern geradezu metaphysisch zu fassen und zu begründen, ganz so, als gäbe es für jeden Volkscharakter eine eigene platonische Idee, die ihn überzeitlich bestimmt“, erklärte Schäfer. Am Beispiel der Christenverfolgung Kaiser Julians II. oder der Judenverfolgung Hitlers zeigt sich, wie gefährlich die Idee eines Volkscharakters und damit in Zusammenhang stehend der Glaube an Nationalgötter ist, wie er auch Friedrich Nietzsche vorschwebte. Dieses problematische Verständnis von Philosophiegeschichte entsteht, wenn historisches Erklären und sachliches Verstehen zusammenfallen, dieses also zu einem bloßen Nachvollzug geschichtlicher Zusammenhänge degradiert wird. Überwinden kann man diese Sichtweise, indem man Geschichte anders begreift, nämlich als Möglichkeit, Orientierung und Antworten in der Gegenwart zu gewinnen.

Aber auch hier lauern Gefahren, wenn man die falschen Methoden anwendet, wie Schäfer anhand von verschiedenen Beispielen deutlich machte. Eines davon, das von ihm so benannte „Modell Odysseus“, beschreibt die Gefahr des Wissenschaftlers, sich in der Philosophiegeschichte zu verlieren, auf der Suche nach Antworten nicht mehr in die Gegenwart zurückzukehren und monumental zu erstarren. Ganz so, wie es Odysseus fast ergangen wäre, der bei seinem langen Ausflug ins Totenreich ständig fürchten musste, der Medusa zu begegnen. Für immer zu Stein erstarrt, das wäre der Preis gewesen, den Odysseus dann für seine Wissbegierde im Totenreich gezahlt hätte.

„Perseus-Modell“ als Lösung

„Das Problem dabei ist allerdings nicht die Medusa selbst“, so Schäfer, „sondern der Umgang mit ihr.“ Der griechische Halbgott Perseus machte es da besser. Er wendete der Medusa den Rücken zu und nutzte seinen Schild als Spiegel, um zu sehen, wo sie sich befand. So konnte er sie besiegen, ohne sich ihrem tödlichen Blick aussetzen zu müssen.

Dieses „Perseus-Modell“ ist für Schäfer der Schlüssel zu einer besseren Methode, um im Rückblick auf die Vergangenheit die Aufgaben der Gegenwart richtig einzuschätzen: Medusa ist hierbei die Gegenwart, der man sich nicht entziehen kann, die Themen diktiert und die Menschen durch diese ständige Bindung erstarren lässt. Perseus ist der Mensch, der durch die Nutzung seines Schilds, der Philosophiegeschichte, durch die er die Gegenwart wie in einem Spiegel erkennt, der Erstarrung entgeht. Indem der Mensch aus seiner eigenen Zeit hinaus blicke, sich nach der Geschichte umwende und die Gegenwart somit hinter sich lasse, könne er so in der eigenen Zeit Verständnis schaffen, resümiert Schäfer und schließt dann den Kreis: „Dieses Verständnis ist erst der Anfang, von dort aus beginnt die Suche nach den Begründungen.“