“You know that tube map, it’s actually how the world should be.”

                                                     (James Graham, The Whisky Taster)

Bericht über die Londonexkursion

Vom 20. bis 24. Januar machte sich eine bunt gemischte Gruppe theaterbegeisterter Anglistik-Studierender auf die Reise in die britische Metropole, um die Welt des Londoner Theaters zu erkunden.

Zusammen mit Prof. Dr. Christoph Houswitschka, PD Dr. Anja Müller und Johannes Weber vom Lehrstuhl für Englische Literaturwissenschaft, stand uns eine ereignisreiche und hervorragend organisierte Exkursion bevor. Neben den Besuchen von vier aktuellen Theaterproduktionen zeitgenössischer Stücke erwarteten uns ein breit gefächertes Programm und vielfältige Einblicke in die  Kulturlandschaft der Hauptstadt.

National und Globe Theatre

Gut ausgestattet mit Informationsmaterial und gestärkt durch ein traditionell reichhaltiges englisches Frühstück, starteten wir die fünftägige Exkursion mit einer Führung durch das National Theatre am Südufer der Themse. Dabei erlebten wir nicht nur die hochprofessionelle Arbeit hinter den Kulissen des aus drei Bühnen bestehenden Theaters, sondern erfuhren auch mehr über die Zusammenarbeit von Theatern, Schauspielern, Regisseuren und Autoren, über die Finanzierung neuer Projekte und über den kulturellen Austausch in der Londoner Kunstszene.

Ein klassisches Highlight für jeden Literaturwissenschaftler stand uns danach bevor: der Besuch des rekonstruierten Globe Theatre, natürlich inklusive unterhaltsamer Führung durch eine nette, ältere Dame, die allerlei Anekdoten rund um das Theater zu Shakespeares Zeit parat hatte. Nicht ohne Stolz zeigte sie uns ihren Namen, der neben denen von Maria Stuart und Shakespeare selbst im Hof des seit 1997 als Schauspielhaus und Museum genutzten Globe in Stein gemeißelt ist.

Vier Stücke - vier Bühnen

Die Aufführungen fanden auf ganz unterschiedlichen Bühnen statt. Den Beginn unseres „Theatermarathons“ machte Martin Crimps Neubearbeitung von Ferdinand Bruckners Drama Pains of Youth im Cottesloe Theatre, das zusammen mit dem Lyttelton und dem Olivier die drei Bühnen des National Theatre bildet. Das Stück zeigt Wiener Medizinstudenten der Zwischenkriegsjahre als von Zerstörungswut, Neurosen und Todessehnsucht besessene Patienten. Inszeniert war es als düsteres wissenschaftliches Experiment, in dem sich neben den Akteuren auf der Bühne am Ende auch das Publikum wiederfand: „Opt for bourgeois existence and avoid catastrophe.“

Im Kontrast zur Überschaubarkeit des Cottesloe stand das Aufgebot in Tom Stoppards Every Good Boy Deserves Favour im großen Haus des National Theatre: Neben den Schauspielern war auch das Ensemble des Southbank Sinfonia Orchestra auf der Bühne und griff nicht nur musikalisch in die Handlung ein. Aufgrund des großen Produktionsaufwands erst einmal seit den Siebziger Jahren inszeniert, ist Every Good Boy von der Times als „ausgezeichnete Neuaufführung“ gelobt worden. Im Zentrum stehen zwei Männer, beide mit dem Namen Ivanov, die sich die Zelle einer psychiatrischen Klinik teilen. Einer von beiden wird dort vom Sowjetregime als Dissident festgehalten. Aufwühlend und komisch zugleich empfanden wir die Gegenüberstellung von Wahnsinn und freiem Willen, die sich in dem eingebildeten Orchester manifestieren, für dessen Dirigent Ivanov sich hält.

Während es sich bei den ersten beiden also um mutige Neuinterpretationen bereits bekannter Stücke handelte, erlebten wir mit Trilogy und The Whisky Taster an den letzten beiden Abenden Uraufführungen. 

In Trilogy versucht Nic Green zusammen mit ihren Akteuren eine Verbindung zwischen dem Feminismus der 1970er Jahre und der Frau von heute herzustellen, mit dem Vorschlag eine neue, fröhlichere Richtung im Umgang mit dem weiblichen Körper einzuschlagen. Durch das (Nach-)Spielen kurzer Szenen, Diskussionen, Tanz und den Einsatz diverser audiovisueller Mittel wurden Einstellungen und Vorurteile verhandelt. Begeisterungsstürme des Publikums wurden gleich zu Beginn durch den Auftritt von ca. 300 nackten Frauen ausgelöst, die mit unerschütterlicher Energie zusammen tanzten. Die Schauspieler selbst, darunter auch ein Mann, waren die meiste Zeit der knapp dreistündigen Aufführung mit anschließender Fragerunde, nackt. Über den Einsatz und die Wirkung von Nacktheit auf der Bühne entstand am darauf folgenden Morgen eine kontroverse Diskussion unter den Exkursionsteilnehmern.

An unserem letzten Abend sahen wir im winzigen Bush Theatre mit James Grahams The Whisky Taster das Stück eines schottischen Newcomers. Die Satire auf die Werbeindustrie und das urbane Leben erzählt die Geschichte der allmählichen Annäherung zwischen Barney und Nicola, des bisher nur im Job erfolgreichen Dreamteams einer Werbeagentur. Für die Vermarktung eines neuen Wodkas engagieren die beiden einen schottischen Whiskyexperten, durch dessen Ratschläge ihr Leben neue Richtungen bekommt. Neben dem Schauspiel der beiden jungen Hauptdarsteller hat uns vor allem die intime, unkonventionelle Kulisse beeindruckt: Wir saßen beinahe mit auf der Bühne, die zunächst mit monochromen Weiß ausgeleuchtet war und später in einer farbenprächtigen Lichtshow erstrahlte.

 

Unbekannte Einblicke in die Welt des Theaters und des eigenen Fachs

Besonders bemerkenswert an dieser Exkursion war nicht nur die gute Stimmung in der Gruppe, sondern auch die Diskussionsfreudigkeit aller Teilnehmer. Vorbereitet durch Referate über die Autoren und die Theater und Reviews der Stücke entstanden eine Reihe sehr angeregter Gespräche über die Aufführungen und die Rolle des Theaters.

In den fünf anstrengenden Tagen haben wir nicht nur Einblicke in den Kulturbetrieb Londons gewonnen, die uns als Touristen sicher verwährt geblieben wären. Wir haben auch unser Fach von einer neuen, sehr aufregenden Seite kennengelernt.

                                                                            

Alexandra Bayer