Tagungsbericht: Zwischen Diskurs und Affekt – Vergemeinschaftung und Urteilsbildung in der Perspektive Öffentliche Theologie

Vom 16.–18. November 2017 lud die Dietrich-Bonhoeffer-Forschungsstelle zum gemeinsamen Nachdenken ein: Wie hängen Diskurs, also der wohlgeordnete, rationale Austausch, und Affekt, das mehr oder minder unmittelbare, körperlich vermittelte Erleben miteinander zusammen – beim Individuum und in der Gesellschaft?

Eine solche Fragestellung, das zeigte die Tagung deutlich, ist nicht nur politisch brisant, sondern berührt auch die Prolegomena öffentlicher Theologie. Nicht nur der Begriff der Öffentlichkeit, sondern auch ihre Funktionsbestimmung werden dabei modifiziert – eine Orientierung am vermeintlich rationalen Diskurs ist deskriptiv schwierig und normativ fraglich. Deutlich wird aber auch eine Gefühlskompetenz des Christentums (Barth/Zarnow, Theologie der Gefühle, 2015), deren Reflexion für die öffentliche Theologie noch aussteht.

Schon in der Antike, so Ulrich Volp (Mainz), werden in den verschiedenen Gattungen der Leichenrede von christlicher Seite gekonnt affektive und diskursive Elemente miteinander verwoben, wobei die Leichenrede auch ethisch relevant wird. Dass soziale Bewegungen Werte emotional aufladen (im Anschluss an Hans Joas „Sakralisierung“ genannt) und so gesellschaftlichen Wandel gestalten, erläuterte Thomas Kern (Bamberg) anhand der südkoreanischen Demokratiebewegung. Mareike Gebhardt (Erlangen) zeigte auf, wie Gruppen des ethno-nationalistischen Populismus Emotionen gezielt einsetzen. Das gelte nicht nur für negative Emotionen wie Empörung oder Wut; sondern auch für die Hoffnung – die freilich mit einer inversen Zeitstruktur versehen wird („Make America great again“). Karsten Fischer (München) führte die Grenzen liberaler Demokratie in sozialer, politischer und territorialer Hinsicht vor. In der Flüchtlingsdebatte in der der letztgenannte Aspekt derzeit Aktualität erfährt, sei das Individualrecht auf Asyl hochzuhalten. Kulturelle Identität genieße keinen Artenschutz. Kirchliche Äußerungen zu Asyl/Migration sowie zum Schwangerschaftsabbruch wurden von Judith Könemann (Münster) untersucht, die sich damit der Identifikation und diskursiven Konstruktion von Religion in offiziellen kirchlichen Äußerungen widmete. Diese erfolge in erster Linie unspezifisch über religiöse „Marker“, die die Funktion des Sprechers zu erkennen geben – Indiz dafür, dass dichtere religiöse Semantik in der Öffentlichkeit immer weniger dekodiert werden kann. Thiemo Breyer (Köln) strich heraus, dass Empathie nicht per se ethisch gut ist, sondern als ambivalent verstanden werden muss. Das weist auf die Notwendigkeit einer Einübung und Kultivierung von Gefühlen hin, die – so sein Vorschlag – in einem antagonistischen Wechselspiel von prosozialen und antisozialen Impulsen zu verorten sei. Auch Martin Fritz (Gießen) sprach sich dafür aus, die Emotionalität in der Gesellschaft ernst zu nehmen und regte unter Rückgriff auf Martha Nussbaum eine emotionale Zweisprachigkeit öffentlicher Theologie an. Christoph Seibert (Hamburg) widmete sich einem interpretativen Zwischenraum im Umgang mit Gefühlen und beschrieb, dass erst die Artikulation des Erlebens der Kritik zugänglich ist. Eine Kritik von Religion als Lebensform darf daher nicht reduktiv verfahren.

Die Tagung war geprägt von der engen Verzahnung von gesellschaftswissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Zugängen, die – bei aller Herausforderung der Perspektivenvielfalt –  besonders bereichernd war.