Der vierte und letzte Kongresstag konzentrierte sich auf den ökumenischen Diskurs beziehungsethischer Probleme und bot ein abschließendes Panel. Die Tagesmoderation lag in den Händen von Stefanie A. Wahl M.A. (Bamberg).

In der letzten Arbeitseinheit diskutierten drei Referierende ethische Fragen der Beziehungsethik mit dem Fokus auf das Feld von Ehe und Familie: Dr. Stefanie Schardien (Fürth), Prof. Dr. Kerstin Schlögl-Flierl (Augsburg) und Dr. Werner Veith (München).

Die evangelische Kollegin Stefanie Schardien machte in ihrem Vortrag Vom Zusammenleben und Getrenntsein. Ehe und Familie als Herausforderung ökumenischer Ethik zunächst auf eine gewisse Koinzidenz im Nachdenken über Beziehungsethik und Ökumene aufmerksam, insofern beide Felder von Spannungen und der Suche nach Konsensen sowie Profilierungen geprägt sind. Im Näheren machte Schardien auf die Differenzen des kirchlich tradierten Begriffspaares Ehe und Familie aufmerksam und zeigte, inwiefern kirchliche Bilder und lebensweltliche Erfahrungen auseinanderdriften. Sie erläuterte die evangelische Perspektive des Zugriffs auf Ehe&Familie im Sinne einer Ablösung der Reflexion auf die Gestalt hin zu einer Reflexion auf die Gestaltung (kriterialer statt formaler Familienbegriff). Schließlich fragte Schardien inwiefern Ehe und Familie als ökumenisches Streitthema taugen. Sie konnte deutlich machen, dass die Differenzen hier nicht zwischen sondern innerhalb der Konfessionen verlaufen.

Die katholische Moraltheologin Kerstin Schlögl-Flierl ergänzte diese Frageperspektive in ihrem Vortrag Im Wandel begriffen. Familien- und Beziehungsethik aus moraltheologischer Perspektive. Sie ging dem theologisch-ethischen Wandel der Sexualethik hin zu einer Beziehungsethik nach und konnte anhand der Reflexion auf Amoris laetitia deutlich machen, dass dieser Wandel auch das römisch-katholische Lehramt – zumindest punktuell – erfasst hat. In ökumenischer Perspektive zeigt indes ein Vergleich von Papst Franziskus‘ Amoris laetitia und der evangelischen Orientierungshilfe Zwischen Autonomie und Angewiesenheit: Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken, dass auf evangelischer Seite stärker beziehungstheoretisch gedacht wird, während römisch eher institutionentheoretisch argumentiert wird. Damit gehen, so Schlögl-Flierl, unterschiedliche Konsequenzen für Ehe und Familien einher. Auf theologischer Ebene konnte die Referentin beispielhaft an den Ansätzen von Peter Dabrock (u.a) sowie Konrad Hilpert zeigen, dass die Beziehungsethik durch einen differenzierten Konsens gekennzeichnet ist.

In einem letzten Statement ging der Sozialethiker Werner Veith der Frage nach der Dialogfähigkeit von Kirche unter dem Vortragstitel Das katholisch-lehramtliche Leitbild von Ehe und Familie weiterdenken nach. Ausgehend von den Fragebögen zu den Bischofssynoden 2014 und 2015 zeigt sich der Hiatus zwischen Glaubenden und Amtskirche. Davon ausgehend erläuterte Veith in sieben Thesen methodologische Voraussetzungen und theologische Perspektiven, die helfen, neu über Familie und Ehe nachdenken zu können. Ausgehend von der Feststellung, dass das katholische Leitbild von der bürgerlichen Kleinfamilie geprägt ist, benannte er methodisch die Notwendigkeit, auf empirische Erkenntnisse zurückzugreifen, die »Zeichen der Zeit« zu deuten und zwischen Ehe und Familie analytisch zu unterscheiden. Theologisch muss, so Veith, der Partnerschaft als normativer Grundstruktur von Paarbeziehungen ein größerer Platz eingeräumt werden, muss im Sinne einer Theologie der Familie der Beziehung von Eltern und Kind eine gesonderte Reflexion zukommen und soll die Familie in ihren vielen Funktionen wahrgenommen und als schützenswerte Institution verstanden werden.

In der abschließenden Diskussion über das Gesamtthema des Kongresses stellten drei Nachwuchswissenschaftler ihre Beobachtungen und Anfragen zur Debatte: Der Sozialethiker Dr. Markus Patenge (Sankt Georgen), die Moraltheologin JProf. Dr. theol. Mag. rer.soc.oec. Edeltraud Koller (Sankt Georgen) und der evangelische Systematiker Dipl. theol. Torben Stamer (Bamberg). Sehr kritisch fragten die drei Teilnehmer an dem Panel danach, was das Profil einer Ökumenischen  Ethik ausmache.

  • Markus Patenge richtete seine Kritik vor allem auf die Anfrage, wie das Verhältnis von einem ökumenischen Anspruch in der Ethik und einem allgemeinen Anspruch an die Ethik zu denken sei und mahnte eine Arbeit an einer ökumenischen Ethik (Proprium, Methodik, Perspektive und Reichweite) unter der Reflexion auf die Relevanz von Differenzen und Gemeinsamkeiten an.
  • Edeltraud Koller konzentrierte ihre Anfrage u.a. auf das Verhältnis von ökumenischer Theologie und ökumenischer Ethik. Dabei schrieb sie dem Kongress ins Stammbuch, einerseits die Frage nach der Bedeutung der Konfessionalität weitertreiben, andererseits aber auch das Potential einer ökumenischen Ethik stärker herausarbeiten zu müssen.
  • Torben Stamer schließlich ergänzte aus evangelischer Perspektive diese kritischen Anfragen um eine kurze Reflexion auf Fremdheitserfahrungen, die für eine ökumenische Ethik relevant sein könnten: Die unterschiedliche Rezeption von Theologen, die semantischen Probleme zwischen den Konfessionen, die Frage nach dem Verhältnis von Partikularität und Universalität und schließlich das divergente Verhältnis zwischen Lehramt und Theologie in den Konfessionen.

Alle Panels zeichneten sich durch lebhafte und weiterführende Debatten aus.

Mit einem gemeinsamen Mittagessen endete der Kongress. 2019 wird der 39. Kongress der Internationalen Vereinigung für Moraltheologie und Sozialethik in Brixen (Italien) Fragen der Tierethik diskutieren.